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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 02.02.2009
Aktenzeichen: 10 S 3323/08
Rechtsgebiete: EWGRL 91/439, EGRL 06/126, FeV


Vorschriften:

EWGRL 91/439 Art. 8 Abs. 4 Satz 1
EGRL 06/126 Art. 11 Abs. 4
FeV § 28 Abs. 4 Nr. 2
FeV § 28 Abs. 4 Nr. 3
Im Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG steht der vom Fahrerlaubnisinhaber zur Abwendung einer angekündigten Entziehungsverfügung erklärte Verzicht auf die Fahrerlaubnis dem Entzug der Fahrerlaubnis gleich.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

10 S 3323/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen vorläufiger Feststellung

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 2. Februar 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen 28. November 2008 - 5 K 2542/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Aus den in der Beschwerdebegründung aufgeführten Gründen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass abweichend vom Beschluss des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen ist, dass die Antragstellerin vorläufig berechtigt ist, von der ihr im Jahr 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse B im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Denn auch ausgehend vom Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung fehlt es an dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch.

Der Hinweis in der Beschwerdebegründung auf eine von der Fahrerlaubnisbehörde - wegen der unauffälligen Teilnahme der Antragstellerin am Straßenverkehr als Führerin eines Kraftfahrzeugs zu Unrecht - angenommenen Eilbedürftigkeit ist unverständlich. Denn das Landratsamt ist in seinem dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrunde liegenden Schreiben vom 25.09.2008 gerade nicht von einem für sofort vollziehbar erklärten feststellenden Verwaltungsakt ausgegangen. Vielmehr hat es die Antragstellerin in diesem informellen Schreiben lediglich auf die nach seiner Ansicht bestehende Rechtslage hingewiesen, wonach die ihr in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis sie wegen der Eintragung des deutschen Wohnsitzes im tschechischen Führerschein nicht berechtige, Kraftfahrzeuge der Klasse B im Bundesgebiet zu führen. Abschließend hat das Landratsamt auf eine mögliche Bestrafung der Antragstellerin wegen eines Vergehens nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG hingewiesen.

Zwar wird in der Antragsbegründung zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragstellerin im Gegensatz zu den Sachverhalten, die den Urteilen des EuGH vom 26.06.2008 zugrunde lagen, die im Inland erteilte Fahrerlaubnis nicht förmlich entzogen worden ist. Diesem Umstand kommt jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung bei. Denn die Antragstellerin hat auf die ihr im Bundesgebiet erteilte Fahrerlaubnis der Klassen 3, 4 und 5 - alt - am 10.08.1998 verzichtet. Der zum Zeitpunkt des Zugangs des informellen Schreibens des Landratsamtes vom 25.09.2008 maßgebliche Art. 8 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG spricht zwar vom "Entzug" der Fahrerlaubnis ("Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis"). Der von der Antragstellerin im September 1998 erklärte Verzicht auf die Fahrerlaubnis ist für die Anwendung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG mit einer förmlichen Entziehung der Fahrerlaubnis gleich zu stellen. Denn die Verzichtserklärung der Antragstellerin erfolgte auf Betreiben des Landratsamtes auf einem vom Landratsamt entworfenen Formblatt und diente lediglich dazu, der vom Landratsamt bereits angekündigten Entziehungsverfügung zuvorzukommen. Mit Schreiben vom 30.07.1998 hatte das Landratsamt die Antragstellerin im Hinblick auf die beabsichtigte Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und zugleich zur Abwendung der förmlichen Entziehung auf die Möglichkeit des Verzichts hingewiesen. Es kann auch nicht geltend gemacht werden, der von der Antragstellerin erklärte Verzicht auf ihre Fahrerlaubnis sei vom Landratsamt durch eine sachlich völlig unberechtigte Ankündigung der förmlichen Entziehung herbeigeführt worden. Denn die Drogenproblematik der Antragstellerin, die Anlass für die Einleitung des Entziehungsverfahrens im Jahr 1998 war, war so ausgeprägt, dass sie sich von März 2000 bis Februar 2001 in einer Rehabilitationseinrichtung für Drogenabhängige und Polytoxikomane zur Durchführung einer stationären Therapie aufhalten musste. Nach dem innerstaatlichen Recht wird der Verzicht auf eine Fahrerlaubnis ihrer förmlichen Entziehung gleich gestellt (z. B. § 28 Abs. 3 Nr. 7 StVG oder § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV). Dem Gemeinschaftsrecht ist nicht zu entnehmen, dass es den Mitgliedstaaten untersagt ist, wegen der von der Verkehrsteilnahme eines Fahrungeeigneten ausgehenden Gefahren den zur Vermeidung einer förmlichen Entziehung ausgesprochenen Verzicht auf eine Fahrerlaubnis gleich dem Fall einer Entziehung zu behandeln (Senatsurt. v. 11.08.2008 - 10 S 2116/08 -; BayVGH, Beschl. v. 12.12.2008 - 11 CS 08.1396 -, juris). Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG gilt Art. 11 Abs. 1, 3, 4, 5 und 6 dieser Richtlinie bereits ab dem 19.01.2009. Im Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG (bisher Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG), wonach ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats entzogen worden ist, gelten die genannten Erwägungen zur Gleichstellung eines Verzichts auf eine Fahrerlaubnis zur Abwendung einer förmlichen Entziehung mit einer solchen behördlichen Maßnahme entsprechend.

Auch die in der Beschwerdebegründung zitierte Passage aus der Abhilfeentscheidung des Landratsamtes vom 08.06.2006 führt nicht zur Annahme eines Anordnungsanspruchs. Die Aussage, dass die Antragstellerin das Recht besitzt, "von ihrer tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen", ist Bestandteil lediglich der Begründung der Abhilfeentscheidung des Landratsamtes vom 08.06.2006. Insbesondere handelt es sich nicht um den Verfügungssatz einer Entscheidung im Sinne von § 28 Abs. 5 FeV. Die Aussage in der Begründung der Entscheidung vom 08.06.2006 bringt lediglich die Rechtslage zum Ausdruck, von der das Landratsamt aufgrund der bis dahin vorliegenden Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG auszugehen hatte. Aus den Urteilen des EuGH vom 26.06.2008 (Rs. C-329/06 und C-343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06) zur Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG ergibt sich demgegenüber, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung einer im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis ablehnen kann, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil in dem der Antragstellerin in der Tschechischen Republik ausgestellten Führerschein in der Rubrik Nr. 8 der inländische Wohnort eingetragen ist. In der Rechtsprechung des EuGH ist ferner anerkannt, dass die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Art. 234 Buchst. a EGV verliehenen Befugnis vornimmt, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie sie seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht. Hieraus folgt, dass der Richter die in dieser Weise ausgelegte Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden kann und muss, wenn im Übrigen die Voraussetzungen dafür, dass ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte gebracht wird, erfüllt sind (z. B. Urt. v. 15.12.1995, Rs. C-415/93, Bosman, Slg. I-4921, Rn. 141). Von der den Mitgliedstaaten durch Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG eingeräumten Möglichkeit, unter den vom EuGH in den Urteilen vom 26.06.2008 genannten Bedingungen im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnisse nicht anzuerkennen, hat die Bundesrepublik Deutschland durch die Vorschrift des § 28 Abs. 4 FeV Gebrauch gemacht (vgl. Senatsbeschl. v. 17.07.2008 - 10 S 1688/08 -, DAR 2008, 599; ebenso BayVGH, Beschl. v. 07.08.2008 - 11 ZB 07.1259 - Rn. 13; a.A. OVG NRW, Beschl. v. 12.01.2009 - 16 B 1610/08 -, juris). Aus den in der Beschwerdebegründung herangezogenen Ausführungen des EuGH in seinen Urteilen vom 03.07.2008 (C-225/07 - Möginger, Rn. 41) und vom 20.11.2008 (C-1/07, Weber, Rn. 36) ergibt sich nicht, dass von der Ermächtigung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG allein durch einen Einzelakt einer Behörde und nicht auch durch den Erlass einer Rechtsnorm Gebrauch gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschl. v. 05.01.2009 - 10 S 3352/08 -). In Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zur Ausübung einer in einer Richtlinie enthaltenen Ermächtigung durch die Mitgliedstaaten ist die Ausgestaltung dem nationalen Verwaltungsverfahrensrecht überlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.09.1983, C-251/82, Milchkontor, Slg. 1983, 2633, Rn. 17 ff.). § 28 Abs. 4 FeV ("Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht...") hat hier zur Folge, dass die in der Tschechischen Republik erteilte Fahrerlaubnis die Antragstellerin nicht berechtigt, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge der Klasse B zu führen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Der Senat geht entsprechend den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004 (Nr. 46.3) vom Regelstreitwert aus und reduziert diesen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auf die Hälfte (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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