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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 10 S 608/07
Rechtsgebiete: StPO, StVG, LVwVfG, FeV
Vorschriften:
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 | |
StPO § 136a | |
StVG § 2 Abs. 12 Satz 1 | |
LVwVfG § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 | |
FeV Anl. 4 Nr. 9.2.2 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 16. Mai 2007
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. Februar 2007 - 7 K 401/07 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof nur die in einer rechtzeitig eingegangenen Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO vorzunehmende Abwägung zu Gunsten des Interesses des Antragstellers ausfällt, vom Vollzug der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 14.11.2006 bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben. Auch im Hinblick auf das Vorbringen in der Beschwerdebegründung ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung auszugehen. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet und somit ernstlich zu befürchten ist, er werde bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden. Damit überwiegt aber das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung.
Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers kann seine Aussage zur Häufigkeit seines Cannabiskonsums im Rahmen der Verkehrskontrolle vom 05.09.2006 zur Begründung der Entziehungsverfügung herangezogen werden. Zunächst kann aufgrund der Aussage des Polizeibeamten K. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Baden-Baden vom 09.03.2007 (Bußgeldsache) zu Gunsten des Antragstellers davon ausgegangen werden, dass dieser den Antragsteller vor seiner Aussage über die Häufigkeit seines Cannabiskonsums nicht darüber belehrt hat, dass es ihm als Beschuldigtem im Strafverfahren freistehe, sich zur Sache zu äußern. Insoweit ist nicht die auf den Zeugen abzielende Vorschrift des § 55 StPO, sondern die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO maßgeblich. Da die Aussage des Antragstellers auf der Fahrt von der Kontrollstelle zur Polizeidienststelle erfolgte, handelte es sich auch nicht mehr um eine bloße informatorische Befragung des Antragstellers, für die die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht gilt. Denn die Verbringung des Antragstellers zur Polizeidienststelle im Anschluss an die Durchführung von Cannabis-Vortests brachte deutlich zum Ausdruck, dass die Polizeibeamten dem Antragsteller bereits als dem Beschuldigten begegneten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 02.11.2004 - 1 St RR 109/04 -, NStZ-RR 2005, 175). In seinem Beschluss vom 27.02.1992 hat der Bundesgerichtshof (- 5 StR 190/91 -, BGHSt 38, 214 = NJW 1992, 1463) entschieden, dass, sofern der Vernehmung eines Beschuldigten durch einen Beamten des Polizeidienstes nicht der Hinweis vorausgegangen ist, dass es dem Beschuldigten freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO), Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden dürfen. Die Entscheidung bezieht sich auf die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafprozess und ist Ausdruck des anerkannten Prinzips des Strafprozesses, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht (BVerfG, Beschl. v. 13.01.1981 - 1 BvR 116/77 -, BVerfGE 56, 37, 43; BGH, Urt. v. 14.06.1960 - 1 StR 683/59 -, BGHSt 14, 358, 364). Wird die ohne vorherige Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erfolgte Äußerung des Antragstellers zur Häufigkeit seines Cannabiskonsums zur Begründung der von der Fahrerlaubnisbehörde im Interesse der Gefahrenabwehr verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis herangezogen, so bewirkt dies auch keinen mittelbaren Verstoß gegen die allein für das Strafverfahren geltende Vorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Denn aus der behördlich angeordneten Fahrerlaubnisentziehung ergeben sich keine Auswirkungen für das im Hinblick auf den betreffenden Vorfall durchgeführte Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren.
Die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ist auch nicht Ausdruck eines allgemeinen, von einer gesetzlichen Normierung unabhängigen Rechtsgrundsatzes, dass Äußerungen eines Betroffenen in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren nur dann verwertet werden dürfen, wenn der Betreffende zuvor auf sein Schweigerecht hingewiesen worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Gesetzgeber für den betreffenden Regelungsbereich in einer einfach-gesetzlichen Bestimmung eine entsprechende Belehrungspflicht normiert hat. Auch der Bundesfinanzhof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen gibt, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden (Beschl. v. 26.02.2001 - VII B 265/00 -, NJW 2001, 2118; Urt. v. 23.01.2002 - XIR 10 u.a. -, NJW 2002, 2198). Dass hinsichtlich etwaiger Belehrungspflichten die jeweilige Entscheidung des Gesetzgebers maßgeblich ist, lässt sich auch aus § 393 Abs. 1 Satz 1 AO ableiten. Danach richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Da danach Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander stehen, ist die Frage nach einem Verwertungsverbot im Steuerstrafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften (dort z.B. die Belehrungspflicht nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO) zu beantworten (vgl. BFH, Urt. v. 23.01.2002 - XI R 10 u.a. -, NJW 2002, 2198). Ein unabhängig von einer einfach-gesetzlichen Regelung bestehendes allgemeines Verwertungsverbot könnte dagegen angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen § 136a StPO vorliegt (vgl. BFH, Urt. v. 23.01.2002 - XI R 10 u.a. -, NJW 2002, 2198). Anhaltspunkte hierfür sind aber nicht ersichtlich.
Für das behördliche Entziehungsverfahren bestehen keine Regeln, die die Behörde verpflichten, den Betroffenen vor einer Äußerung zur Sache, die zur Begründung der zukünftigen Maßnahme unter Umständen herangezogen werden kann, über sein Schweigerecht zu belehren. Dies gilt zunächst für die allgemein in § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LVwVfG geregelte Anhörung des Betroffenen als dem Beteiligten im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG. Aber auch den für die behördliche Fahrerlaubnisentziehung maßgeblichen Bestimmungen lässt sich kein Hinweis auf eine § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entsprechende Belehrungspflicht entnehmen. Geregelt hat der Gesetzgeber demgegenüber in § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG die umfassende Pflicht der Polizei, der Fahrerlaubnisbehörde Informationen über Tatsachen zu übermitteln, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, soweit dies für die Überprüfung der Eignung oder Befähigung aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist.
An der inhaltlichen Richtigkeit des Berichts der Polizeidirektion Rastatt/Baden-Baden vom 22.09.2005 bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel. Die dort wiedergegebene Äußerung des Antragstellers, "regelmäßig Cannabisprodukte zu konsumieren", belegt zumindest, dass es sich bei dem durch die Blutuntersuchung vom 19.06.2006 nachgewiesenen Konsum nicht um eine nur einmalige Einnahme handelt, die nach der Senatsrechtsprechung für die Annahme eines gelegentlichen Cannabiskonsums im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung nicht ausreicht (vgl. Senatsbeschl. v. 29.09.2003 - 10 S 1294/03 -, VBlBW 2004, 36).
Durch das Gutachten vom 19.06.2006 ist zugleich das Zusatzelement des fehlenden Trennungsvermögens im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 belegt. Denn die Untersuchung der am 05.09.2006 30 Minuten nach der Personenkontrolle beim Antragsteller entnommenen Blutprobe hat eine THC-Konzentration von 2,7 ng/ml ergeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist jedenfalls bei einer höheren THC-Konzentration als 2 ng/ml eine durch den Cannabiskonsum bedingte Beeinträchtigung der fahreignungsrelevanten Eigenschaften eines Fahrerlaubnisinhabers gegeben (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 10.05.2004 - 10 S 427/04 -, DAR 2004, 604). Die Art und Weise des Konsums von Cannabis - hier die behauptete Einnahme im puren Zustand durch eine Pfeife - ist für die Frage des Trennungsvermögens ebenso ohne Belang wie sonstige Begleitumstände, hier die Durchführung einer Fastenkur oder der Umstand, dass im ärztlichen Bericht über die Blutentnahme dem Betroffenen insgesamt ein unauffälliges Verhalten bescheinigt wird. Denn von einem ausreichenden Trennungsvermögen, das eine gelegentliche Einnahme von Cannabis im Hinblick auf die Verkehrssicherheit noch hinnehmbar erscheinen lässt, kann nur gesprochen werden, wenn der Konsument Fahren und Konsum in einer Weise trennt, dass eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften durch die Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen eintreten kann (Senatsbeschl. v. 28.11.2003 - 10 S 1789/03 -; v. 01.12.2003 - 10 S 1958/03 -; v. 15.11.2004 - 10 S 2194/04 -). Vorliegend hat der Antragsteller aber als Führer eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr teilgenommen, obwohl er, wie der Nachweis von THC in seinem Blut in der erheblichen Konzentration von 2,7 ng/ml belegt, nicht sicher sein konnte, dass die berauschende Wirkung des von ihm vorsätzlich konsumierten Betäubungsmittels Cannabis vollständig abgebaut ist. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass entgegen dem Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung in der Fahrerlaubnis-Verordnung in Bezug auf den Konsum von Cannabis keine Grenzwerte festgesetzt sind.
Soweit in der Beschwerdebegründung auf einen im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsatz sowie auf bereits im behördlichen Verfahren vorgelegte Urkunden verwiesen wird, genügt dies nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Denn das Gesetz verlangt, dass sich die Begründung der Beschwerde mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander setzt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Nach § 52 Abs. 2 GKG beträgt der Regelstreitwert, der der Berechnung nach dem Streitwertkatalog zugrunde zu legen ist, 5.000,- EUR. Dieser Betrag ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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