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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 07.08.2003
Aktenzeichen: 11 S 1201/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 125 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 124 a Abs. 6 Satz 1
VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 1 Satz 3
1. Im Rahmen der Beurteilung, ob eine Behörde im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO "ohne Verschulden" verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, gelten die gleichen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten wie bei einem Rechtsanwalt.

2. Der Prozessvertreter einer Behörde hat die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu überwachen. Die Überwachung dieser Frist darf er nicht anderen Behördenbediensteten überlassen.

3. Zur Übertragung von Fristen bei Einführung neuer Software und Handheld-Computern in Behörden.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1201/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltserlaubnis

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und die Richterin am Verwaltungsgericht Fabian

am 07. August 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2002 - 9 K 7/01 - wird verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Diese Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 125 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 VwGO).

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25.02.2002 ist als unzulässig zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Denn die Berufung wurde verspätet begründet (dazu 1.) und dem Beklagten kann keine Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumnis gewährt werden (dazu 2.).

1. Die Berufung musste innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg begründet werden (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 VwGO). Darauf wurde mit der Belehrung über das zugelassene Rechtsmittel in dem Senatsbeschluss vom 26.05.2003 - 11 S 1112/02 - hingewiesen, mit dem die Berufung des Beklagten zugelassen wurde. Die Berufungsbegründungsfrist lief im vorliegenden Fall mit dem 14.07.2003 (Montag) ab, da der Beschluss vom 26.05.2003 dem Beklagten am 12.06.2003 ordnungsgemäß zugestellt wurde (vgl. §§ 57 VwGO, 222 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die Berufungsbegründung ging jedoch erst am 05.08.2003 beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein.

2. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen diese Fristversäumnis kann keinen Erfolg haben. Denn die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Verschulden des Prozessvertreters des Beklagten (§ 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO), das der Beklagte sich gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.06.1995 - 6 C 13/93 -, NVwZ-RR 1996, 60 = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198).

Die für eine Prozessvertretung durch Rechtsanwälte entwickelten Rechtsgrundsätze gelten sinngemäß auch für den Fall der Prozessvertretung durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt für juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Diese Vorschrift räumt Behörden eine Ausnahme von dem beim Verwaltungsgerichtshof bestehenden Vertretungszwang durch Rechtsanwälte (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ein. Dieses sogenannte Behördenprivileg führt aber nicht dazu, dass die Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht der mit der Vertretung beauftragten Bediensteten zu stellen sind, geringer sind als bei einem bevollmächtigten Rechtsanwalt. Die genannte Vorschrift bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.02.1992 - 8 B 121/91 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176 und vom 06.06.1995 - 6 C 13/93 -, a.a.O.).

Auch für Behörden, die von dem Behördenprivileg Gebrauch machen, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine Aufgabe, der besondere Sorgfalt zu widmen ist. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass die Person, die die Behörde vertritt - in gleicher Weise wie ein Rechtsanwalt (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 14.02.1992 - 8 B 121/91 -, a.a.O.) - die Wahrung der Frist eigenverantwortlich überwacht. Nach der Rechtsprechung darf ein Rechtsanwalt - und entsprechend ein Behördenvertreter - zwar die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.02.1992 - 8 B 121/91 -, a.a.O.). Zu diesen Fristen gehören aber die Rechtsmittelbegründungsfristen grundsätzlich nicht, die in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (nach § 133 Abs. 3 Satz 1 und § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO) zu beachten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.02.1992 - 8 B 121/91 -, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 07.03.1995 - 9 C 390/94 -, NJW 95, 2122 = VBlBW 1995, 387). Dasselbe gilt auch für die Berufungsbegründungsfrist im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nach § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO. Die Überwachung dieser Frist darf der Prozessvertreter der Behörde nicht anderen Behördenbediensteten überlassen, insbesondere wenn sie nicht die Befähigung zu Richteramt besitzen.

Gegen die ihm danach obliegende Sorgfaltspflicht hat der Prozessvertreter des Beklagten verstoßen. Nach seinem Vortrag ist die rechtzeitige Einreichung der Berufungsbegründung u.a. deshalb unterblieben, weil die Frist "aus nicht nachvollziehbaren Gründen" weder im elektronischen Kalender noch im Papierkalender seines Sekretariats eingetragen worden sei. Zudem sei die für ihn tätige Sekretärin ab dem 11.07.2003 im Urlaub gewesen, so dass ein Hinweis auf die Fristversäumung auch deshalb nicht habe erfolgen können. Dieses Versäumnis muss der Beklagte sich zurechnen lassen, weil die Berechnung und Überwachung der Berufungsbegründungsfrist für Verwaltungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nach den aufgezeigten Maßstäben nicht zu den Routinearbeiten von Hilfspersonen gehört.

Zwar hat der Prozessvertreter des Beklagten die Berufungsbegründungsfrist nach seinem Sachvortrag - entsprechend den oben genannten Anforderungen - zusätzlich selbst in seinen eigenen Papierkalender eingetragen. Bei der Übertragung der darin handschriftlich notierten Termine in seinen elektronischen Kalender (sog. Handheld-Computer) nach Einführung einer neuen Software in der Behörde "wurde der Fristablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mit übertragen". Dass eine Nachprüfung der Datenübertragung erfolgt sei, hat der Prozessvertreter des Beklagten nicht geltend gemacht. Damit hat er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen. Denn gerade angesichts der Installierung neuer Software und der Einführung von Handheld-Computern in der Behörde wäre eine genaue Fristenübertragung und -kontrolle erforderlich und zumutbar gewesen. Diese - für die Fristversäumnis ursächliche - Unterlassung im Zuge der Installierung neuer Software und der Einführung von Handheld-Computern muss der Beklagte sich gemäß §§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist (§ 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO).

Beschluss vom 07. August 2003

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000,-- EUR festgesetzt (§§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 1, 25 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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