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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 11 S 1270/02
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG/EWG, GG, EMRK, EG, Richtlinie 64/221/EWG


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 2
AuslG § 47 Abs. 3 Satz 3
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AufenthG/EWG § 12 Abs. 1 Satz 2
AufenthG/EWG § 12 Abs. 4
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 2
EG Art. 234
Richtlinie 64/221/EWG Art. 8
Richtlinie 64/221/EWG Art. 9 Abs. 1
1. Das Europäische Gemeinschaftsrecht gebietet es nicht, dass die Gerichte bei der Kontrolle der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses der Tatsacheninstanz ihrer Beurteilung zugrundelegen.

2. Es lässt sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen.

3. Ein auf die Prüfung der "Gesetzmäßigkeit" im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG beschränktes Rechtsmittel ist nur dann anzunehmen, wenn sich die gerichtliche Kontrolle auf die formelle Rechtmäßigkeit und die Nichtigkeit einer Maßnahme beschränkt. Ein Rechtsmittel hat im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nur dann keine aufschiebende Wirkung, wenn es weder unmittelbar eine aufschiebende Wirkung auslöst noch die Möglichkeit besteht, dass ein Gericht den Vollzug der angefochtenen Maßnahme ohne unzumutbare Anforderungen aussetzt. Derartigen Beschränkungen unterliegt der Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht.

4. Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vor und besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 234 EG, wird in der Regel anstelle der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften die Revision zuzulassen sein, um im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs zu ermöglichen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 1270/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung und Abschiebungsandrohung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober sowie die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Paehlke-Gärtner ohne mündliche Verhandlung am 28. November 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20. März 2001 - 11 K 3521/00 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und eine Abschiebungsandrohung.

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und wurde am 21.1.1976 in Mannheim geboren. Seit 27.2.1992 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG.

Der Kläger ist seither wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 30.3.1993, Verwarnung wegen gefährlicher Körperverletzung.

2. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 9.2.1994 wegen gemeinschaftlich begangener Geldfälschung. Die Entscheidung über die Jugendstrafe wurde auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

3. Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 22.5.1996 wegen Besitz von Heroin zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,-- DM.

4. Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 19.11.1996 wegen vorsätzlichen Vollrauschs, Anordnung der Erbringung von Arbeitsleistungen und Verwarnung.

5. Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 22.1.1997 wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,-- DM.

6. Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 10.3.1997 wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20,-- DM.

7. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 29.7.1997 wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln in 63 Fällen zu einem Jahr Jugendstrafe, Aussetzung der Strafe zur Bewährung auf zwei Jahre.

8. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 10.6.1998 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils vom 29.7.1997 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren. Die Strafe wurde auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

9. Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 11.12.1998 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40,-- DM.

10. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 3.5.1999 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14.10.1999 wurde die Freiheitsstrafe auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

11. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 30.5.2000 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmittel in 60 Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmittel in 13 Fällen unter Einbeziehung des Urteils vom 3.5.1999 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten.

Vom 20.8.1997 bis zum 22.6.1998 absolvierte der Kläger im Schloss Bettenburg in Hofheim, einem Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige, eine Langzeittherapie. Bereits drei Monate nach Beendigung der Therapie wurde er jedoch erneut rückfällig.

Mit Schreiben der Stadt Mannheim (Ausländerbehörde) vom 15.10.1998 wurde der Kläger ausdrücklich ausländerrechtlich verwarnt und auf die Möglichkeit der Ausweisung hingewiesen.

Seit dem 23.2.2000 befindet sich der Kläger in Haft.

Mit Schreiben vom 14.7.2000 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zur beabsichtigten Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland an. Mit Schriftsatz vom 14.9.2000 machte der Kläger geltend, dass ab 10.10.2000 eine weitere Drogentherapie möglich sei. Er habe sich mit seinen Straftaten auseinandergesetzt und finde bei seiner Lebensgefährtin einen starken Rückhalt.

Mit Verfügung vom 13.11.2000 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe, Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge, den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus und ordnete die sofortige Vollziehung der Ausweisung an. Gleichzeitig wurde dem Kläger die Abschiebung nach Italien angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger erfülle die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. und § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Da er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze und im Bundesgebiet geboren sei, genieße er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und könne deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Die Ist-Ausweisung sei gemäß § 47 Abs. 3 AuslG zur Regelausweisung herabgestuft. Besondere Umstände, die es rechtfertigen könnten, von der gesetzlichen Regelung des § 48 Abs. 1 S. 2 AuslG abzuweichen, seien nicht ersichtlich. Vom Kläger gehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Dies ergebe sich bereits aus der Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten und dem mehrmaligen Bewährungsbruch. Auch eine ausländerbehördliche Verwarnung habe er sich nicht zur Warnung dienen lassen. Auch sei er trotz Langzeitdrogentherapie sofort wieder drogenabhängig geworden. Es lägen auch keine Gründe für die Annahme eines atypischen Ausnahmefalles vor. Art. 6 GG stehe der Ausweisung ebenfalls nicht entgegen. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein auf ein Zusammenleben mit den Eltern seien nicht ersichtlich. Eine Übersiedlung in das Land seiner Staatsangehörigkeit sei auch nicht unverhältnismäßig. Aber selbst wenn ein atypischer Fall vorliegen würde, wäre seine Ausweisung auch aus Ermessensgründen dringend erforderlich und geboten. Aufgrund des schwerwiegenden spezialpräventiven Ausweisungsanlasses müssten die privaten Interessen des Klägers gegenüber den beachtlichen öffentlichen Interessen an seiner Ausweisung zurücktreten. Seine Ausweisung stehe im Einklang mit Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens. Desgleichen stehe auch die Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG nicht entgegen. Die Ausweisung sei schließlich auch mit Art. 8 Abs. 1 EMRK vereinbar. Die Verfügung wurde dem Kläger am 17.11.2000 zugestellt.

Der Kläger erhob am 15.12.2000 Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe und stellte gleichzeitig Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung machte er geltend, er bemühe sich seit seiner Inhaftierung um die Aufnahme einer stationären Heilbehandlung in der Therapieeinrichtung Schloss Bettenburg. Aufgrund des Widerstandes der Staatsanwaltschaft Mannheim habe er aber erst zum 8.5.2001 einen Therapieplatz erhalten können. Seine Lebensgefährtin Frau Sxxxxxx Sxxxxxx sei zwar selbst drogenabhängig gewesen, sie sei jedoch seit einer Drogenlangzeittherapie im Jahr 1997 drogenfrei. Sie sei bereit, mit ihm nach regulärem Abschluss einer stationären Langzeittherapie eine sechsmonatige Nachsorge durchzuführen. Diese erfolge in Form von betreutem Wohnen. Dadurch solle ihm auch eine berufliche Wiedereingliederung ermöglicht werden. Er sei sich bewusst, dass die Durchführung dieser Therapie mit Wahrscheinlichkeit seine letzte Chance sei, um aus dem Teufelskreis der Sucht herauszukommen. Die zurückliegende Haftzeit habe bei ihm einen wesentlichen Umdenkungsprozess eingeleitet. Er besuche seit September 2000 den Hauptschulkurs in der JVA Mannheim und habe auch regelmäßigen Kontakt zur Drogenberatung. Er wolle nach der Haftentlassung Mannheim meiden. Die gegen ihn ausgesprochene Ausweisungsverfügung verstoße gegen die Richtlinie 64/221 des Rates der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, da nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie vor einer solchen Maßnahme die zuständige Stelle des Aufnahmelandes um Stellungnahme ersucht werden müsse. Unabhängig davon gehe von ihm keine Wiederholungsgefahr mehr aus, da er durch die nunmehr fast zwölfmonatige Inhaftierung seine Einstellung geändert habe. Es müsse von einer günstigen Sozialprognose ausgegangen werden. Er habe eine echte Therapiebereitschaft und den ernsthaften Willen zur Drogenabstinenz entwickelt. Diesbezügliche Auskünfte seien vom Regierungspräsidium nicht eingeholt worden. Hinzu komme, dass er sich das erste Mal in Strafhaft befinde und diese Haftzeit eine nachhaltige Wirkung bei ihm entfaltet habe. Er sei in der Haftzeit nicht mit Betäubungsmitteln aufgefallen und werde durch den Drogenverein Mannheim betreut. Dies belege seine Abstinenzmotivation. Ihm würden nicht die gleichen Möglichkeiten der Resozialisierung eingeräumt wie Bundesbürgern. Ohne den Widerstand der Staatsanwaltschaft hätte er bereits am 23.10.2000 eine stationäre Drogentherapie aufnehmen können. Diese Umstände stünden einer konkreten Wiederholungsgefahr entgegen. Es lägen keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens bzw. im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 1 AufenthG/EWG vor. Die Ausweisung verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er sei in Deutschland geboren und hier zur Schule gegangen. Sein kultureller und sozialer Bezug sei ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. Eine Reintegration in seinem Heimatland würde für ihn eine unverhältnismäßige Härte bedeuten. Da er in Italien keinen Schulabschluss erworben habe und die italienische Sprache nicht wie eine Muttersprache beherrsche, könne dies zu unüberwindbaren Schwierigkeiten in Italien führen.

Der Beklagte beantragte die Klageabweisung und verwies im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.

Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20.3.2001 - 11 K 3521/00 - wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus: Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe die Ausweisung zutreffend auf § 47 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. und § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gestützt. Zwar genieße der Kläger nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG Ausweisungsschutz, so dass die Ist-Ausweisung zur Regelausweisung herabgestuft sei, seine Ausweisung sei aber aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die Ausweisung begegne auch im Hinblick auf die Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch Art. 18 EG-Vertrag eingeräumte Freizügigkeit keinen Bedenken. Zwar genieße der Kläger den besonderen aufenthaltsrechtlichen Schutz nach § 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG/EWG. Diese Bestimmung finde auf den Kläger unabhängig davon Anwendung, ob er als Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Nr. 1 AufenthG/ EWG gelte oder ein anderer Aufenthaltszweck dieses Gesetzes oder der aufgrund § 15 a Abs. 2 AufenthG/EWG ergangenen FreizügV/EG für ihn einschlägig sei. Die danach erforderliche Wiederholungsgefahr (vgl. § 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG), d.h. die konkrete Gefahr, dass der Kläger sich erneut im Hinblick auf sein noch bestehendes Drogenproblem straffällig machen werde, sei gegeben. Auch der Umstand, dass sich der Kläger erneut einer Drogentherapie unterziehen wolle, könne die Wiederholungsgefahr nicht ausschließen.

Soweit der Kläger geltend mache, seiner Ausweisung stehe die Richtlinie 64/221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (vom 25.2.1964, ABl. S. 850 - RL 64/221/EWG -), hier insbesondere Art. 9 RL 64/221/EWG, entgegen, so könne dem nicht gefolgt werden, da diese Bestimmung des Gemeinschaftsrechts über die Ausweisung Freizügigkeitsberechtigter einschließlich der Familienangehörigen durch die Regelungen des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (i.d.F. vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - AufenthG/EWG -) in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei. Unabhängig davon lägen auch die Voraussetzungen des Art. 9 RL 64/221/EWG nicht vor, da gegen die ergangene Ausweisungsverfügung Rechtsmittel gegeben seien. Das Gericht habe daher keinen Anlass gesehen, diese Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes komme etwa bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug hätten, nicht zuzumuten sei. In der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK seien insofern vor allem das Fehlen jeglicher Bindungen zum Herkunftsstaat und das Bemühen des Betroffenen um Entlassung aus der Staatsangehörigkeit des Herkunftsstaates als gewichtige Gründe für die Unverhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angesehen worden. Ein solcher - für Ausländer der zweiten Generation wohl eher außergewöhnlicher - Fall liege hier nicht vor.

Die Abschiebungsandrohung finde ihre Rechtsgrundlage in den §§ 49, 50 AuslG. Abschiebungshindernisse im Sinne von § 53 AuslG seien nicht ersichtlich.

Gegen dieses ihm am 20.4.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.5.2001, eingegangen am 21.5.2001, die Zulassung der Berufung beantragt. Darauf hin hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 22.5.2002 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Dieser Beschluss ist dem Kläger am 8.7.2002 zugestellt worden. Die zugelassene Berufung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 7.8.2002, eingegangen am 8.8.2002, begründet.

Der Kläger trägt vor, die angefochtene Verfügung verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Diese Bestimmung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bis heute nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Zwar stünden dem Betroffenen gegen die Behördenentscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die gleichen Rechtsbehelfe zu, wie sie Inländer gegenüber Verwaltungsakten hätten (Art. 8 RL 64/221/EWG) - hier das Rechtsmittel der Klage -, jedoch werde dabei nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung überprüft, nicht die Zweckmäßigkeit. Auch habe das Rechtsmittel der Klage bei der Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisung durch die Behörde keine aufschiebende Wirkung. Im Fall der Abschiebungsandrohung habe das Rechtsmittel per Gesetz keine aufschiebende Wirkung. Für einen solchen Fall sehe Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die Einholung einer Stellungnahme einer unabhängigen Stelle vor. Die "zuständige Stelle" solle dabei eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, die die beabsichtigte Maßnahme rechtfertigen, ermöglichen, bevor eine endgültige Entscheidung erlassen werde. Ein Widerspruchsverfahren gegen Entscheidungen des Regierungspräsidiums finde seit der Einführung des § 6a AGVwGO nicht mehr statt, so dass eine Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit der vorliegenden Behördenentscheidung entfalle. Auch gehe aus dem gegen den Kläger eingeleiteten Ausweisungsverfahren nicht hervor, dass vor Erlass der Ausweisungsverfügung eine andere unabhängige Stelle in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet worden sei und vor der endgültigen Entscheidung eine Stellungnahme abgegeben habe. Das Verwaltungsgericht könne zumindest nicht als "zuständige Stelle" i.S.v. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gesehen werden, denn zum einen finde in diesem Verfahren keine Zweckmäßigkeitsprüfung der Ausweisungsentscheidung statt, und zum anderen erfolge die Überprüfung des Verwaltungsgerichts nicht vor einer Entscheidung der Behörde über das Entfernen aus dem Hoheitsgebiet, sondern danach. Somit führe dieser Mangel zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Verfahren. Dieser Fehler sei bislang nicht geheilt worden und führe im vorliegenden Fall dazu, dass die Verfügung des Regierungspräsidiums als rechtswidrig anzusehen sei, da im Rahmen der Betrachtung von § 46 LVwVfG nicht offensichtlich sei, dass die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Hätte die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zuständige unabhängige Behörde vor Erlass der Ausweisungsverfügung eine Stellungnahme zur Sache abgegeben, sei vorstellbar, dass diese Stellungnahme weitere Aspekte sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Ebene hervorgebracht hätte, die Einfluss auf die Entscheidung des Regierungspräsidiums hätten haben können. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage sei die Verfügung des beklagten Landes als rechtswidrig anzusehen und hätte durch das Verwaltungsgericht aufgehoben werden müssen.

Nach Art. 48 Abs. 3 und Art. 56 Abs. 1 EGV könnten Einreise und Aufenthalt freizügigkeitsberechtigter Ausländer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beschränkt werden. Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG genössen erhöhten Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 S. 2 AufenthG/EWG. Damit solle den betroffenen Ausländern derselbe Schutz eingeräumt werden, den nach § 48 AuslG Aufenthaltsberechtigte erhielten. Jedoch seien bei Freizügigkeitsberechtigten in Einklang mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts an den Begriff der "schwerwiegenden Gründe" weitergehende Anforderungen zu stellen. Von einer früheren Verurteilung könne nicht auf eine fortbestehende Gefährdung geschlossen werden, ohne dass hierfür konkrete Anhaltspunkte vorhanden seien. Auch Betäubungsmitteldelikte rechtfertigten nicht generell und uneingeschränkt eine Ausweisung. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stelle bei der Betrachtung der Gefahrenprognose jedoch im wesentlichen auf die in der Vergangenheit liegenden strafrechtlichen Verurteilungen und einen schnellen Rückfall in die Sucht bzw. Straffälligkeit nach einer regulär absolvierten Therapie im Jahre 1997/1998 ab. Der aufgrund des Ausländerrechts bestehende Druck auf Ausländer, die sich seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhielten und hier mit ihrer Familie verwurzelt seien, könne in Verbindung mit dem Strafvollzug durchaus erwünschte Resozialisierungseffekte hervorrufen und damit eine zusätzliche ausländerbehördliche Maßnahme der individuellen Gefahrenabwehr oder Vorsorge entbehrlich machen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Gericht die durch den Kläger vorgetragenen Auswirkungen der seit Monaten vollzogenen Haft sowie seine Drogenabstinenzmotivation als Lippenbekenntnisse abhandle und auch der Therapieabsicht keinerlei Bedeutung beimesse. Die Erklärungen des Klägers seien belegbar durch sein Verhalten im Vollzug, durch den regelmäßigen Kontakt zur Drogenberatung und durch die Vorbereitung der stationären Drogentherapie. Zwar sei der Kläger bewährungsbrüchig und mehrfach vorbestraft. Das im Bewährungsversagen liegende Indiz für eine negative Prognose könne bei Drogenabhängigen jedoch durch besondere Umstände entkräftet werden, die nunmehr eine günstige Prognose erlaubten. Dazu gehöre bei Heroinabhängigen ein grundlegender Einstellungswandel, wie er durch echte Therapiebereitschaft und Motivation zur Drogenabstinenz zum Ausdruck kommen könne. Bei echter Therapiebereitschaft werde eine günstige Prognose deshalb auch nicht generell durch eine Rückfallgefahr ausgeschlossen. Der Kläger befinde sich das erste Mal in Strafhaft. Die Haftzeit werde eine nachhaltige Wirkung entfalten, was bei der Prognoseentscheidung besonders zu berücksichtigen sei. Der Kläger sei während der Haftzeit nicht mit Betäubungsmitteln aufgefallen und werde durch den Drogenverein Mannheim betreut, was ebenfalls seine Abstinenzmotivation belege. Insbesondere die gute Führung in der Haft müsse bei der Überprüfung einer Prognoseentscheidung dasselbe Gewicht haben wie bei Deutschen. Straffälligen Unionsbürgern bleibe es oftmals versagt, innerhalb derselben Frist wie Inländer unbescholten zu werden. Ihnen werde zum Teil durch zweifelhafte Gesetzesanwendung die Möglichkeit genommen, bereits im Strafvollzug erforderliche Maßnahmen zur Rehabilitation in Anspruch zu nehmen und somit an einer Resozialisierung aktiv mitzuarbeiten. So liege der Fall hier. Die Staatsanwaltschaft berufe sich in der ablehnenden Verfügung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung vom 2.10.2000, die Voraussetzung zur Einleitung einer Drogentherapie sei, auf die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens. Durch diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mannheim seien die Aussichten in dem Ausweisungsverfahren verschlechtert worden. Der Kläger hätte bereits am 10.10.2000 eine stationäre Drogentherapie aufnehmen können, wenn der Antrag nach § 35 BtMG positiv entschieden worden wäre. Die vorliegende Verwaltungspraxis erwecke zunehmend den Eindruck, dass Staatsanwaltschaften und Ausländerbehörden durch die gegenseitige Bezugnahme auf ihre Entscheidungen die ausländerrechtliche Stellung des Ausländers torpedierten. Die Resozialisierung werde dadurch stärker als bei Inländern erschwert. Dies führe zu einer diskriminierenden, ausschließlich an die Staatsangehörigkeit des Betroffenen anknüpfenden Verwaltungspraxis, die nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht verboten sei. Der persönliche Rückhalt des Klägers bei seiner Verlobten und seiner in der Bundesrepublik lebenden Familie hätte bei der anzustellenden Gefahrenprognose positiv berücksichtigt werden müssen. Die vorgetragenen Umstände stünden einer konkreten Wiederholungsgefahr unter dem Blickwinkel des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 12 AufenthG/EWG entgegen. Das Verwaltungsgericht verkenne auch das Gewicht des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Der Kläger sei ausschließlich in Deutschland geprägt worden, wo er geboren sei und die Schule besucht habe. Dadurch habe eine irreversible Einfügung in die deutschen Lebensverhältnisse stattgefunden. Seine engste Familie und auch seine Verlobte, die zwischenzeitlich ein Kind von dem Kläger erwarte, lebten seit Jahrzehnten im Bundesgebiet. Eine Reintegration in sein Heimatland bedeute für den Kläger eine unverhältnismäßige Härte. Schon die Tatsache, dass er in Italien keinen Schulabschluss erworben habe und die italienische Sprache nicht wie eine Muttersprache beherrsche, könne zu unüberwindbaren Schwierigkeiten in Italien führen. Im übrigen spreche der Kläger nur sizilianisches Italienisch, das sich derart von dem Italienischen unterscheide, dass er sich außerhalb Siziliens nur sehr schwer verständigen könne. Der noch in Italien verbliebene Bruder seines Vaters stelle entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keinen sozialen Anknüpfungspunkt bei einer Rückkehr nach Italien dar, da die Familien zerstritten seien und somit keine Verbindung zueinander hätten. Nach alledem sei die Ausweisung auch unverhältnismäßig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20.3.2001 - 11 K 3521/00 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 13.11.2000 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags bezieht sich der Beklagte auf die Stellungnahme der Bundesregierung an den Europäischen Gerichtshof im Vorlageverfahren (C-482/01). Darin wird u.a. ausgeführt:

"Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das geltende nationale Recht auch die sich aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Vorgaben in angemessener Weise berücksichtigt und die besondere gemeinschaftsrechtliche Bedeutung der Freizügigkeit sowie anderer hiermit verbundenen Grundrechte wie den Schulz der Familie beachtet.

Es ist unbestritten, dass das Grundrecht zum Schutz der Familie einen überaus hohen Stellenwert genießt, wie dies in Artikel 8 EMRK, Artikel 6 EU-V sowie der Grundrechtecharta der Gemeinschaft zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grund ist für Gemeinschaftsbürger vorgeschrieben, dass eine Ausweisungsentscheidung auch in den Fällen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall unter besonderer Berücksichtigung der famiIiären Situation erfordert (siehe § 12 AufenthaltsG/EWG, § 48 Absatz 1 AuslG). Eine automatische oder schematische Ausweisung darf nicht stattfinden. ..

Dies schließt die Möglichkeit ein, dass in extremen Fällen schwerwiegender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch persönliche Härten für den Betroffenen und seine Familie hinzunehmen sind, soweit dies nach den konkreten Umständen des Einzelfalls mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang steht.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 64/221/EWG einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die ein Widerspruchsverfahren, in dem auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung stattfindet, ausschließt, wenn - wie hier - eine inhaltliche, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einschließende, Überprüfung im Rahmen des Verwaltungsgerichtsverfahrens stattfindet. ...

Zweck der Regelung ist die Sicherstellung verfahrensrechtlicher Mindestgarantien für die im Gemeinschaftsrecht niedergelegten Rechte der Betroffenen. Es handelt sich um einen speziellen Ausdruck des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Prinzips, dass ein effektiver Schutz der im Gemeinschaftsrecht begründeten subjektiven Rechte gewährt werden muss. ...

In der Bundesrepublik Deutschland ist ein verfahrensrechtlicher Schutz gegen Ausweisungen in dem gemeinschaftsrechtlich erforderlichen Maße durch das vorgesehene Verwaltungsverfahren und seine Überprüfung im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sichergestellt. In der Bundesrepublik Deutschland wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes vor Erhebung einer Anfechtungsklage grundsätzlich - auch bei einer Ausweisungsverfügung -in einem Vorverfahren vor der Verwaltungsbehörde nachgeprüft (Widerspruchsverfahren, § 68 Absatz 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Nach § 68 Absatz 1 Satz 2 VwGO kann von diesem Grundsatz durch Gesetz, auch durch Landesgesetz, abgewichen werden. Von dieser Möglichkeit hat das Land Baden-Württemberg durch § 6 a des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Gebrauch gemacht Danach findet kein Widerspruchsverfahren statt, wenn der Verwaltungsakt - wie hier - von einem Regierungspräsidium erlassen worden ist.

Den Anforderungen der Richtlinie wird aber auch in den Fällen, in denen - wie hier - direkt Klage gegen die Verwaltungsentscheidurig erhoben werden muss, mit der Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle Rechnung getragen: Die Voraussetzungen von Art. 9 Absatz 1 Satz 1 RL 64/221/EWG sind erfüllt. Denn nach Artikel 9 Absatz 1 ist - wie sich aus dem Urteil und den Schlussanträgen in der Rechtsache "Shingara und Radiom" ergibt - allein entscheidend, dass eine umfassende Kontrolle des materiellen Rechts erfolgen kann.

Die Kontrolle durch deutsche Verwaltungsgerichte entspricht diesen Voraussetzungen: Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung umfasst zum einen uneingeschränkt die Frage, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Ausweisungsverfügung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorliegen. Steht die Ausweisung im Ermessen der AusIänderbehörde, erstreckt sich die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts auf die Frage, ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat. Dies umfasst insbesondere eine gerichtliche Überprüfung, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ausweisungsvorschrift nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. In diesem Zusammenhang muss das Verwaltungsgericht auch umfassend prüfen, ob die Ausweisung angesichts der schutzwürdigen oder sogar grundrechtlich geschützten Interessen des Ausländers dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Im Rahmen eines deutschen Verwaltungsgerichtsprozesses erfolgt demnach eine materielle, inhaltliche Prüfung der Verwaltungsentscheidung, die sich nicht auf eine bloße Kontrolle der Förmlichkeiten wie Zuständigkeit der entscheidenden Behörde, Ordnungsmäßigkeit des Verfahrensablaufes u. ä. beschränkt.

Da eine gerichtliche Entscheidung über die behördliche Ausweisungsverfügung vor Vollzug der Ausweisung erfolgt, ist die gerichtliche Überprüfung auch unter diesem Gesichtspunkt gemeinschaftsrechtskonform."

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Ausländerakten der Stadt Mannheim (1 Band), die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (1 Band), die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (11 K 3521/00), die Strafakten des Amtsgerichts Mannheim (- 2 Ls 304 Js 1436/00 - AK 19/00 -) sowie das Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Mannheim (- 902 VRs 304 Js 1436/00 - ) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt und auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden. Auch entspricht die Begründung inhaltlich den Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, denn die Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Für die rechtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 und vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie Urteile des Senats vom 4.12.1996 - 11 S 2511/96 -, vom 28.7.1999 - 11 S 2387/98 - und vom 19.4.2000 - 11 S 1387/99 -, VBlBW 2001, 25). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Beschlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).

Es spricht nichts dafür, dass es gemeinschaftsrechtlich geboten wäre, für die gerichtliche Kontrolle der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten EG-Angehörigen abweichend davon die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. des Abschlusses des Gerichtsverfahrens in der Tatsacheninstanz zugrunde zu legen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15.10.2001 - 10 S 1113/00 - unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 22.5.1980 - 131/79 - Santillo, Slg. I 1980, 1585 RdNr. 18). Dafür lässt sich auch aus der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (vom 19.7.1999 KOM(1999)372, nicht im Amtsblatt veröffentlicht), nichts herleiten. Vielmehr heißt es dort zu Artikel 9:

"Der Gerichtshof hat betont, dass unbedingt die Gefahr für die Gesellschaft zu bewerten sei, die von der Anwesenheit eines Ausländers zu dem Zeitpunkt ausgeht, zu dem die Ausweisung verfügt wird, weil sich die Fakten, die zu berücksichtigen sind, insbesondere im Verhalten des Betroffenen, in der Zwischenzeit geändert haben könnten".

Auch für die Zukunft hat die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vom 23.5.2001 KOM(2001)257), einen anderen Beurteilungszeitpunkt nicht vorgesehen. Es bleibt damit dabei, dass nach der Ausweisung eingetretene, für den Ausländer günstige Änderungen, soweit eine Ausreise oder Abschiebung noch nicht erfolgt ist, im Rahmen einer Duldung und im übrigen bei der Befristung der Wirkungen der Ausweisung berücksichtigt werden, deren Rechtmäßigkeit sie nicht berühren.

Bezogen auf den danach maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 13.11.2000 war die Ausweisung des Klägers rechtmäßig. Sie hält einer Prüfung anhand des innerstaatlichen Rechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention (dazu I.) sowie anhand des Gemeinschaftsrechts (dazu II.) stand.

I. Die Ausweisung begegnet zunächst nach dem Maßstab des innerstaatlichen Rechts keinen Bedenken.

1. In formell-rechtlicher Hinsicht ist die Verfügung vom 13.11.2000 nicht zu beanstanden; insbesondere ist der Kläger vor dem Erlass der angefochtenen Verfügung angehört worden (s. § 28 Abs. 1 LVwVfG). Das Regierungspräsidium war auch sachlich für den Erlass der Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung zuständig, da sich der Kläger zum damaligen Zeitpunkt auf richterliche Anordnung hin in Strafhaft befand (§ 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 AAZuVO). Auch die örtliche Zuständigkeit nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 7 AAZuVO war gegeben, weil sich der Kläger vor seiner Inhaftierung in Mannheim, in der Wohnung seiner Eltern, wo er auch gemeldet war, und nicht bei seiner Freundin in Frankenthal gewöhnlich aufgehalten hat. Zwar ist das Landgericht Mannheim in seiner Entscheidung vom 14.10.1999 davon ausgegangen, dass der Kläger bereits nach Frankenthal zu seiner Freundin gezogen sei. Dort hatte er sich jedoch nicht angemeldet. Er war weiterhin unter der Anschrift seiner Eltern in Mannheim gemeldet und hielt sich auch weiterhin regelmäßig in Mannheim auf, wo er seine Drogengeschäfte tätigte. Die Freundin des Klägers hatte sich am 17.2.2000 gegenüber der Stadt Frankenthal dahingehend geäußert, dass dieser ab und zu am Wochenende bei ihr schlafe. Seinen Hauptwohnsitz habe er noch bei seinen Eltern in Mannheim. Er werde sich aber in der nächsten Zeit bei ihr mit dem Hauptwohnsitz anmelden. Dazu kam es nicht mehr. Vielmehr wurde der Kläger am 23.2.2000 festgenommen und befindet sich seither in Haft, so dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr verlegen konnte.

2. Auch materiell-rechtlich ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig erfolgt.

a) Rechtsgrundlage der Ausweisung des Klägers bilden die §§ 47 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG.

aa) Insoweit kann zunächst offen bleiben, ob der Kläger auf der Grundlage zwischenstaatlichen Rechts im Hinblick auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen privilegiert ist, da derzeit weder die in Betracht kommenden transformierten (Art. 3 Abs. 3 ENA, Art. 8 EMRK) noch die in deutsches Recht umgesetzten (vgl. § 12 AufenthG/EWG) Regelungen speziellere Rechtsgrundlagen enthalten, die zu einer Ausweisung privilegierter Ausländer verpflichten oder ermächtigen. Sie enthalten lediglich für die jeweils begünstigten Ausländer weitergehende Anforderungen, setzen damit aber voraus, dass eine Ausweisung zunächst nach dem für alle Ausländer geltenden Recht rechtmäßig erfolgen dürfte. Ist dies bereits nicht der Fall, kommt es auf die weitergehenden Beschränkungen auf der Grundlage von zwischenstaatlichem Recht nicht mehr an.

Sowohl die Tatbestände, die erst eine Ausweisung ermöglichen (§ 45 Abs. 1, § 46 und § 47 Abs. 1 und 2 AuslG), als auch die Tatbestände, die eine Ausweisung ausschließen oder von besonderen Anforderungen abhängig machen (§ 48 AuslG, auch § 45 Abs. 2 und § 47 Abs. 3 AuslG), sind daher zunächst nach rein nationalem (deutschem) Ausländerrecht - gleichsam auf einer ersten Stufe - zu beurteilen. Sodann müssen für aufenthaltsrechtlich privilegierte Ausländer (hier: für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger) - gleichsam auf einer zweiten Stufe -zusätzliche Anforderungen für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme erfüllt sein, falls diese sich (wie beim Kläger) nach nationalem (deutschem) Ausländerrecht als rechtmäßig erweist (vgl. Urteil des Senats vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -). Damit wird auch sichergestellt, dass eine Ausweisung, die einem Drittausländer gegenüber nicht verfügt werden dürfte, nicht gegenüber einem privilegierten Ausländer erlassen wird. Ergeben sich dagegen aus unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht für den EG-Angehörigen günstigere Regelungen, ist deren Anwendungsvorrang zu beachten.

Etwas anderes folgt auch nicht aus § 2 Abs. 2 AuslG, der den Anwendungsvorrang des - unmittelbar geltenden und im AufenthG/EWG umgesetzten - Europäischen Gemeinschaftsrechts wiedergibt. Denn er verdrängt nicht die Regelungen des Ausländergesetzes insgesamt, sondern lässt die Rechtmäßigkeit einer hierauf beruhenden Maßnahme erst dann entfallen, wenn sie mit (umgesetzten) Gemeinschaftsrecht im Widerspruch steht. Dies ist auf der zweiten Stufe zu prüfen. Bei dieser Prüfung ist zu beachten, dass die §§ 45 ff. AuslG durch das nach § 2 Abs. 2 AuslG im Falle des Widerspruchs mit den genannten Regelungen vorrangig anzuwendende umgesetzte EG-Recht (§ 12 AufenthG/EWG) im Sinne einer Modifikation (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.1995 - 11 S 1391/95 -, InfAuslR 1996, 131) ergänzt werden (BVerwG, Urteil vom 27.10.1978 - 1 C 91.76 -, BVerwGE 57, 61 [64]; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.11.1995 - 13 S 560/95 -, VBlBW 1996, 225; OVG Hamburg, Beschluss vom 4.5.2001 - 3 Bs 239/00 -, InfAuslR 2001, 420 m.w.N.). Dies bedeutet zunächst, dass die Rechtsfolge der zwingenden Ausweisung im Falle des § 47 Abs. 1 AuslG oder im Regelfall des § 47 Abs. 2 AuslG nicht eintritt, wenn die Voraussetzungen des § 12 AufenthG/EWG nicht erfüllt sind. Dies bedeutet aber auch, dass eine zwingende Ausweisung in diesen Fällen auch gegenüber EG-Angehörigen vorgenommen werden muss, wenn die Vorschriften des § 12 AufenthG/EWG nicht entgegenstehen. Die Vorschriften behalten damit ihren zwingenden Charakter auch in diesen Fällen, ihre Anwendung ist aber an die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Schranken gebunden (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 11.10.1995 a.a.O.; Beschlüsse vom 17.8.1994 - 11 S 1382/94 - und vom 6.3.1995 - 11 S 27/95 -; in diesem Sinne auch BVerwG, Beschluss vom 29.9.1993 - 1 B 62.93 -, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3, und vom 16.11.1992 - 1 B 197.92 -, Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 8).

bb) Damit ist auf dieser ersten Stufe auch die Anwendung des § 47 Abs. 1 AuslG nicht ausgeschlossen. Es kann dem Gemeinschaftsrecht nicht entnommen werden, dass Freizügigkeitsberechtigte nur im Ermessenswege ausgewiesen werden dürfen (so aber OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 10.4.1992 -18 B 1479/92- , InfAuslR 92, 275; HessVGH, Beschluss vom 20.10.1992, 12 TH 1509/92 -, InfAuslR 93, 50; Urteil vom 4.3.2002 - 12 UE 200/02 -, InfAuslR 2002, 342; GK-AuslR, RdNr. 166 zu § 45, RdNr. 10 zu § 47). Hiergegen spricht bereits, dass die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ausschließlich entsprechend den nationalen Kompetenzordnungen zu erfolgen hat. So wird in manchen Mitgliedstaaten nach einer strafrechtlichen Verurteilung der Verwaltungsbeschluss über die nachfolgende Ausweisung vom Strafgericht erlassen (vgl. hierzu Mitteilung der Kommission vom 30.7.1999, Ziff. 3.3.2 Entscheidung über die Maßnahme 2. Absatz). Entsprechend der deutschen Kompetenzordnung hat der Bundesgesetzgeber für die Umsetzung der Richtlinie 64/221/EWG von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht. Dabei unterlag es auch seiner Entscheidung, ob er die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bundesrechtlich vollständig regelt oder unter teilweisem Regelungsverzicht der Verwaltung eigene Entscheidungsspielräume im Sinne des Ermessens einräumt, dessen Ausübung anders als die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe gerichtlich nicht vollständig überprüft werden kann. Die materiellen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Ausweisung von EG-Angehörigen erfordern lediglich, dass die jeweils maßgeblichen Verhältnisse im konkreten Einzelfall bei der Entscheidung über die Ausweisung berücksichtigt werden müssen. Dies kann ebenso - im Hinblick auf den Rechtsschutz sogar besser - im Rahmen von unbestimmten Rechtsbegriffen geschehen. Dem werden die Vorschriften der §§ 45 ff. AuslG in ihrer hier maßgeblichen Ergänzung durch § 12 AufenthG/EWG gerecht. Dementsprechend begegnet auch die Anwendung der Regelausweisung gegenüber dem hier in Rede stehenden Personenkreis keinen grundsätzlichen Bedenken (so schon BVerwG, Beschluss vom 29.9. 1993 - 1 B 62.93 -, InfAuslR 1994, 45). Denn das persönliche Verhalten des Betroffenen und die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung wird auch bei der Prüfung, ob besondere Umstände die Regelvermutung für ein Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses entfallen lassen, in jedem Einzelfall berücksichtigt. Auch insoweit ist eine andere Auffassung weder der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch der Mitteilung der Kommission vom 19.7.1999 (a.a.O.) zu entnehmen. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs van Duyn (Slg. 1974, 1349) heißt es in dieser Mitteilung:

"Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Richtlinie 64/221/EWG das Ermessen begrenzen soll, das den zuständigen Behörden in ihren Entscheidungen über die Einreise und Ausweisung von Ausländern nach innerstaatlichen Vorschriften im allgemeinen zusteht"

(vgl. Mitteilung der Kommission vom 30.7.1999, Ziff. 3.3.2 Entscheidung über die Maßnahme 1. Absatz).

cc) Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AuslG wird ausgewiesen, wer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist (Nr. 1) oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich gegeben, da der Kläger durch das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 30.5.2000 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist. Das Urteil ist seit dem 30.5.2000 rechtskräftig.

(a) Da der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG und als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, besitzt er auf der Grundlage des nationalen Rechts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG besonderen Ausweisungsschutz (zu § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG vgl. unten). Die Ausweisung des Klägers ist daher "nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zulässig. Solche schwerwiegenden Gründe liegen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG "in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 vor". Hieraus folgt, dass im vorliegenden Fall schon die Art des Delikts (Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz) und die Art der gegen den Kläger ausgesprochenen Strafe (Freiheitsstrafe ohne Bewährung) und deren Höhe (in Summe drei Jahre) die Annahme schwerwiegender Gründe indiziert.

Eine Ausnahme hiervon ist im vorliegenden Fall nicht geben. Dabei ist davon auszugehen, dass schwerwiegende Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG vorliegen, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisungen ein deutliches Übergewicht hat (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, InfAuslR 1997, 8 [10]). Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat sich auf der Grundlage des nationalen Rechts grundsätzlich an den spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecken auszurichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296). In spezialpräventiver Hinsicht sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, der sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, a.a.O.). Dem entspricht es, eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG nur dann anzunehmen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls die Präventionszwecke des § 47 Abs. 1 AuslG nicht in dem erforderlichen Ausmaß zum Tragen kommen. In spezialpräventiver Hinsicht kann dies der Fall sein, wenn sich eine "gesteigerte" Wiederholungsgefahr in dem oben dargelegten Sinn nicht feststellen lässt.

Gemessen daran ist hier eine Atypik (bereits) im Bereich des spezialpräventiven Ausweisungszwecks nicht gegeben. Hinsichtlich des Gewichts der Straftaten liegt eine atypische Besonderheit nicht etwa schon deswegen vor, weil das Strafgericht die 60 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, die der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten zugrunde lagen, entgegen der Regel des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG nicht als besonders schweren Fall beurteilt hat. Eine Atypik im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn das Strafgericht einen minderschweren Fall angenommen hätte (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6.11.1996 - 13 S 1158/96 -, EZAR 601 Nr. 6). Dies ist hier nicht der Fall. Soweit der Kläger im Strafverfahren kooperativ war und durch sein Geständnis auch zur beschleunigten Aufklärung beigetragen hat, kann dies eine atypische Fallsituation nicht rechtfertigen; solche mildernden Umstände ergeben sich in Betäubungsmittelverfahren nicht selten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.9.1992, - 1 B 155.92 -, InfAuslR 1993, 11). Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist zudem auch bereits im strafgerichtlichen Verfahren berücksichtigt worden. Dass der Kläger diese Straftaten unter anderem deswegen verübt hat, um sich finanzielle Mittel zum Erwerb von Betäubungsmitteln für den eigenen Gebrauch zu verschaffen, ist gleichfalls keine signifikante Abweichung von den üblichen Regelausweisungsfällen im Betäubungsmittelbereich. Umgekehrt spricht gegen eine Atypik neben der Höhe der Strafe vor allem die Anzahl der begangenen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (73 Fälle) und der lange Zeitraum der Begehung (1 Jahr), wobei hinzukommt, dass der Kläger bereits viermal einschlägig vorbestraft war. Gegen eine Bewertung der Straftaten als atypisch bezüglich der Gefährlichkeit spricht schließlich, dass der Kläger die mit dem Urteil von 30.5.2000 abgeurteilten Heroingeschäfte teilweise in der Nähe einer Schule angebahnt und abgewickelt hat.

Die Atypik ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr. Der Kläger trägt insoweit zwar vor, dass er eine Therapie durchführen wolle. Selbst eine tatsächlich durchgeführte Therapie führt aber nicht regelmäßig zur Annahme einer Atypik (zur Regelausweisung nach einer Entziehungskur vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11.2.1997 - 11 S 3271/96 -). Zudem müsste im Falle einer beabsichtigten Therapie ihr Erfolg dahingehend gesichert erscheinen, dass der Betroffene gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft in der Lage ist, aus eigener Kraft seine Situation in einer Weise zu stabilisieren, die der Gefahr eines Rückfalls in die frühere Suchtneigung auf Dauer entgegenwirken könnte. Dies dürfte in der Regel nicht ohne weiteres anzunehmen sein. Im Falle des Klägers kommt hinzu, dass er bereits eine Langzeittherapie in der Zeit vom 20.8.1997 bis zum 22.6.1998 durchgeführt hatte, jedoch bereits drei Monate danach wieder rückfällig geworden war. Zudem hat das Strafgericht die weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten im Hinblick auf die ungünstige Prognose nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die abgeurteilten Straftaten hat der Kläger sämtlich unter Bewährungsbruch begangen. Die letzten 13 Straftaten hat er ab Mitte 1999 noch begangen, nachdem er mit Urteil vom 3.5.1999 bereits zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden war und die Entscheidung über seine Berufung hiergegen noch ausstand. Allein die - mangels anderer Erkenntnisse anzunehmende - Drogenfreiheit während der Haft kann nicht die Annahme begründen, dass der Kläger das während der Haft gezeigte positive Verhalten unter den Bedingungen der Freiheit durchhält. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisung gab es demnach keine realistische Grundlage, die angesichts der früheren Suchtneigung und Drogenabhängigkeit sowie der in diesem Zusammenhang stehenden erheblichen Straffälligkeit eine positive Prognose hätte begründen können. Für die hier maßgebliche ordnungsrechtliche Sicht kommt es insoweit nicht darauf an, ob - trotz entsprechender Bereitschaft - eine erneute Therapie möglich war oder nicht. Abgesehen davon ergibt sich aus den beigezogenen Vollstreckungsakten, dass die Vollziehung der Strafhaft nach der Ausweisung zur Durchführung einer Drogentherapie im Rehabilitationszentrum Schloss Bettenburg ausgesetzt worden war, wo der Kläger am 8.5.2001 aufgenommen wurde. Der Aussetzungsbeschluss wurde jedoch am 7.1.2002 widerrufen, nachdem der Kläger am 28.12.2001 wegen Heroinkonsums aus dem Rehabilitationszentrum entlassen worden war.

Schließlich kann der Kläger im vorliegenden Zusammenhang auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass er vor seiner Inhaftierung eine feste Bindung zu seiner Lebensgefährtin hatte und diese ihm nach der Haftentlassung im Falle einer Therapie Unterstützung und Halt geben könnte. Auch wenn man als zutreffend unterstellt, dass die Verlobte des Klägers seit einer Langzeittherapie im Jahre 1997 drogenfrei ist, hatte diese offensichtlich aber keinen positiven Einfluss auf den Kläger. Vielmehr hat sie den Kläger, wenn er sich bei ihr in Frankenthal aufgehalten hat, regelmäßig nach Mannheim gefahren, wo er seine Heroingeschäfte tätigte.

(b) Aufgrund des besonderen Ausweisungsschutzes wird weiterhin auf der Rechtsfolgenseite die nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG vorgesehene sog. Ist-Ausweisung zur sog. Regelausweisung herabgestuft (s. § 47 Abs. 3 S. 1 AuslG und § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG; vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 31.7.1996 - 13 S 466/96 -, InfAuslR 1996, 333). In den Fällen der sog. Regelausweisung hat die Ausländerbehörde nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte kein Ermessen, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Regelausweisung gegeben sind und kein Ausnahmefall vorliegt. Die Frage, ob ein Ausnahmefall gegeben ist, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung, bei der alle Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung und die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen sind (stRspr. d. BVerwG, vgl. Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303 m.w.N.). Regelfälle sind solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände erkennbar sind, die den Ausländer entlasten oder aufgrund deren die Ausweisung als unangemessene Härte erscheint (s. etwa BVerwG, Urteil vom 3.6.1997 - 1 C 23.96 -, NVwZ 1997, 1126 sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.5.1997 - 13 S 1997/96 -, InfAuslR 1997, 363 = VBlBW 1997, 434). Ein Ausnahmefall kann ferner gegeben sein, wenn der Ausweisung höherrangiges nationales Recht entgegensteht, sie insbesondere mit den Wertentscheidungen des Grundgesetzes nicht vereinbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 123.97 -, Buchholz 402.24 § 47 AuslG Nr. 15; Beschluss vom 15.1.1997 - 1 B 256.96 -, Buchholz 402.24 § 47 AuslG Nr. 12; Beschluss vom 13.11.1995 - 1 B 237.94 -, InfAuslR 1996, 103; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.7.2001 - 13 S 2326/95 -, VBlBW 2002, 34 = InfAuslR 2002, 72; Beschluss vom 6.5.1997, a.a.O.).

Atypische Umstände, die den Kläger vergleichbar mit anderen Regelausweisungsfällen entscheidend entlasten oder aufgrund derer die Ausweisung als unangemessene Härte erscheint, sind hier nicht gegeben. Hinsichtlich der der rechtskräftigen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten und der Wiederholungsgefahr kann insoweit auf die Ausführungen zur Atypik im Hinblick auf § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG verwiesen werden.

Eine Atypik ergibt sich auch nicht aus den persönlichen Lebensumständen des Klägers. Seinen familiären Beziehungen und seinem verfestigten Inlandsaufenthalt ist durch Anwendung der Ausweisungsschutzvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG grundsätzlich ausreichend Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift werden die Ausländer der zweiten und folgenden Generationen hinsichtlich des Ausweisungsschutzes Aufenthaltsberechtigten gleichgestellt, sobald ihr Aufenthaltsrecht verfestigt ist. Damit wird berücksichtigt, dass Ausländer, die im Bundesgebiet geboren oder als Minderjährige eingereist sind, gegenüber den als Erwachsene Eingereisten typischerweise einen höheren Integrationsgrad aufweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338 [339]).

Besonderheiten, die im Hinblick auf die familiären Bindungen hier dennoch bereits bei der Ausweisung zu berücksichtigen sein könnten, liegen nicht vor. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Ausweisung 24 Jahre alt. Auch wenn er noch in gewissem Umfang in häuslicher Gemeinschaft mit seinen Eltern lebte, kommt diesem Umstand keine besondere Bedeutung zu. Denn eine Begegnungsgemeinschaft zwischen Eltern und erwachsenen Kindern hat nach den - den Belangen des Art. 6 GG entsprechend - abgestuften ausländerrechtlichen Regelungen grundsätzlich kein überragendes Gewicht, wie auch das Fehlen einer aufenthaltsrechtlichen Privilegierung in Form eines Rechtsanspruchs auf Einreise und Aufenthalt zu diesem Zweck zeigt (vgl. § 17 Abs. 1, § 20 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, Abs. 5, § 22, § 23 Abs. 1 Nr. 2 AuslG). Anhaltspunkte für eine sonstige Beeinträchtigung der nach Art. 6 Abs. 1 GG aufenthaltsrechtlich geschützten familiären Belange, die über das im Regelfall übliche Maß hinausgingen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.5.1997 - 13 S 1997/96 -), sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Schließlich kann auch der vom Kläger geltend gemachten Beziehung zu einer italienischen Staatsangehörigen kein einen Ausnahmefall begründendes Gewicht zukommen. Die nichteheliche Beziehung ist grundsätzlich aufenthaltsrechtlich nicht schutzwürdig. Besonderheiten, die sich möglicherweise aus einer im Falle einer auf Dauer angelegten Beistandsgemeinschaft im obigen Sinne insbesondere dann ergeben könnten, wenn eine Eheschließung aus zwingenden Gründen nicht zumutbar ist, sind im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht oder ersichtlich.

b) Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Art. 8 EMRK. Auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK sind Eingriffe in die Ausübung des Rechts auf Familien- und Privatleben statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für die öffentliche Ordnung, die Verteidigung der Rechtsordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit notwendig ist, d.h. einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und insbesondere in bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig ist (BVerwG, Urteil vom 29.7.1993 - 1 C 25.93 -, BVerwGE 94, 35 [49]). Zu den danach gebilligten Zielen gehören die Verhinderung strafbarer Handlungen und der Schutz der öffentlichen Ordnung (vgl. EGMR, Urteile vom 18.2.1991, InfAuslR 1991, 149 und vom 20.3.1991, InfAuslR 1991, 217 sowie BVerwG a.a.O.).

Hinsichtlich des Verhältnisses des Art. 8 EMRK zu den Regelungen der §§ 45 ff. AuslG hat der Senat bereits im Beschluss vom 23.10.2002 (- 11 S 1410/02 -) ausgeführt, dass eine nach nationalem Recht nach Maßgabe der strengen grundrechtlichen Vorgaben (insbesondere Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2, 6 und 20 Abs. 3 GG) verhältnismäßige Ausweisung grundsätzlich auch dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK entspricht (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9.12.1997 - 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13; Urteil vom 17.6.1998 - 1 C 27.96 -, BVerwGE 107, 158 = DVBl 1998, 1028). Korrekturen wegen Unverhältnismäßigkeit sind daher auch nach dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK nur in außergewöhnlichen Einzelfällen denkbar, die entweder hinsichtlich des (gesteigerten) Gewichts der Schutzgüter (Privat- und Familienleben) oder hinsichtlich der (geminderten) Bedeutung der öffentlichen Ausweisungsziele (insbesondere öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) signifikante Besonderheiten aufweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK, soweit er sich mit dem des Art. 6 GG deckt, keinen weitergehenden Schutz vermittelt als dieser (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.98 -, NVwZ 1999, 303 = InfAuslR 1999, 54; Urteil vom 17.6.1998, a.a.O.), sodass Einzelkorrekturen gegenüber einem (innerstaatlich nicht zu beanstandenden) Ausweisungsgebot ernstlich wohl nur im Hinblick auf das Schutzgut des "Privatlebens" in Art. 8 Abs. 1 EMRK in Betracht kommen dürften, zu dem die Gesamtheit der in Deutschland gewachsenen Bindungen gehört, wie sie in § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG umschrieben sind. Sind Ausweisungsgründe des § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG gegeben, wird einer schutzwürdigen Verfestigung des Aufenthalts im Bundesgebiet in der Regel durch den besonderen Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG Rechnung getragen, der auch dem Kläger zugute kam.

Ein Sonderfall, der einen noch weitergehenden Schutz im Hinblick auf das Privatleben erfordern könnte, liegt hier offensichtlich nicht vor. Dementsprechend kann offen bleiben, ob eine gesteigerte Schutzwürdigkeit (z.B. eine Unzumutbarkeit der Trennung von den Angehörigen) angesichts des erheblichen Ausweisungsinteresses in Fällen des § 47 Abs. 1 und 2 AuslG im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK bereits der Ausweisung entgegenstünde, oder ob diesen Belangen gegebenenfalls auf der Ebene des Vollzugs der Abschiebung (Abschiebungsschutz in Form einer Duldung) Rechnung getragen werden könnte (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 a.a.O. und vom 25.9.2002 - 11 S 862/02 -; Sennekamp, Ist-Ausweisung menschenrechtswidrig?, ZAR 2002, 136).

Der Kläger ist zwar in Deutschland geboren, hier aufgewachsen und auch zur Schule gegangen. Er hat sich aber weder beruflich noch familiär nachhaltig integriert. Er hat den Hauptschulabschluss nicht erreicht, eine Maurerlehre sowie einen Grundlehrgang im Bereich Holz abgebrochen. Er hat anschließend gelegentlich als Lagerarbeiter gearbeitet. Ab Juli 1996 war er dann längere Zeit arbeitslos und arbeitete zuletzt vor seiner Inhaftierung in einer Firma in Ladenburg. Er ist seit einigen Jahren mit einer italienischen Staatsangehörigen liiert, die wegen gemeinsam mit dem Kläger begangenen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurde und zumindest vor ihrer Therapie im Jahre 1997 selbst heroinabhängig war. 1992 hatte der Kläger begonnen, Haschisch zu konsumieren, und seit 1995 nahm er Heroin zu sich. 1993 wurde er erstmalig strafrechtlich verwarnt. Danach kam es zu insgesamt zehn Verurteilungen. Seit Februar 2000 befindet sich der Kläger in Haft. Anhaltspunkte dafür, dass er als Ausländer der zweiten Generation keinerlei soziale oder sozio-kulturelle Beziehungen mehr zu seinem Heimatstaat hat (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.9.2002 - 11 S 862/02 -), sind nicht gegeben. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er die italienische Sprache hinreichend beherrscht und mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Italien vertraut ist. Hinzu kommt, dass die Lebensverhältnisse in der europäischen Gemeinschaft nicht in einer Weise unterschiedlich sind, dass sich der Kläger abgesehen von der Frage der Sprachkenntnisse dort in kultureller Hinsicht fremd vorkommen müsste. Auch wenn er nun im Berufungsverfahren erstmals vorträgt, er habe lediglich sizilianischen Dialekt von seinen Eltern gelernt, ändert dies an der Einschätzung nichts. Denn ihm wird es auf dieser Grundlage in kurzer Zeit möglich sein, sich auch allgemein in der italienischen Sprache zu verständigen, und er kann gegebenenfalls seine Kenntnisse der italienischen Sprache vertiefen. Insoweit hat der Kläger zudem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch vortragen lassen, dass er die italienische Sprache lediglich "nicht wie eine Muttersprache" beherrsche. Im Übrigen kann sich der Kläger gegebenenfalls nach Sizilien begeben. Auch in der Stellungnahme des Drogenvereins Mannheim vom 6.3.2001 ist nicht die Rede davon, dass ihm die italienische Sprache völlig fremd sei. Vielmehr heißt es dort lediglich, dass er über völlig unzureichende italienische Sprach- und Schreibkenntnisse verfüge. Insofern unterscheidet sich der Kläger damit nicht wesentlich von zahlreichen anderen Angehörigen der sog. zweiten Ausländergeneration, die hier aufgewachsen sind und durchaus integriert erscheinen, gleichwohl ein jahrelang bestehendes Einbürgerungsangebot gemäß § 86 AuslG in der ab dem 1.7.1993 gültigen Fassung nicht angenommen haben und schließlich mit Rauschgift in Kontakt kommen, betäubungsmittelabhängig und sodann straffällig werden (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 15.5.2002 - 11 S 255/00 -, InfAuslR 2002, 394 [397]).

II. Die Ausweisung des Klägers genügt in formeller (1.) und materieller (2.) Hinsicht auch den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts.

Auf den Kläger findet das AufenthG/EWG Anwendung, da er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG ist. Diese ist ein feststellender Verwaltungsakt, aufgrund dessen im Falle des Klägers davon auszugehen ist, dass er die Voraussetzungen des § 1 AufenthG/EWG erfüllt.

Der Kläger hat bereits am 27.2.1992 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erhalten, für die als Rechtsgrundlage ausschließlich die §§ 1 Abs. 4, 7a AufenthG/EWG in Betracht kommen. Denn zum einen waren zu diesem Zeitpunkt die Umsetzungsfristen der Richtlinien 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG noch nicht abgelaufen und auch die FreizügV/EG war noch nicht erlassen (vgl. hierzu Fischer, a.a.O, ZAR 1998, 159ff.). Zum anderen ist eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG auch nach Inkrafttreten der FreizügV/EG für den dort erfassten Personenkreis nicht vorgesehen. Zwar verkennt der Senat nicht, dass auch die Vorschriften §§ 1 Abs. 4, 7a AufenthG/EWG im vorliegenden Fall keine Grundlage für die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG an den damals 16 Jahre alten Kläger enthalten. Vielmehr dürfte ein Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ausschließlich auf der Grundlage des Ausländergesetzes gemäß § 26 AuslG bestanden haben (vgl. hierzu Fischer, Zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG, ZAR 1991, 3 [7]). Die Aufenthaltserlaubnis-EG ist jedoch ein feststellender Verwaltungsakt, der zwar das Aufenthaltsrecht nicht konstitutiv begründet, solange er wirksam ist, jedoch zu Gunsten seines Inhaber feststellt, dass dieser gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit genießt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -; NVwZ 2001, 1289f.; Harms, Ausländerrecht, in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 222 RdNr. 85 m. Fn. 409), selbst wenn die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht (mehr) vorliegen. Insoweit geht die Aufenthaltserlaubnis-EG über das gemeinschaftsrechtlich Gebotene hinaus. Allerdings ist nicht immer dann, wenn ein Unionsbürger eine gültige Aufenthaltserlaubnis-EG besitzt, davon auszugehen, er erfülle die Voraussetzungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit (insofern missverständlich BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1289f.) bzw. der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit. Denn nach Ablauf der Umsetzungsfristen für die Richtlinien 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG und dem Erlass der diese umsetzenden Verordnung über die allgemeine Freizügigkeit von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 17.7.1997 (BGBl. I S. 1810 - FreizügV/EG -) wird die Aufenthaltserlaubnis-EG nicht nur wie bisher Arbeitnehmern (sowie Dienstleistungserbringern und Niederlassungsberechtigten), sondern auch denjenigen erteilt, die von der allgemeinen Freizügigkeit Gebrauch machen (vgl. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 FreizügV/EG), so dass aus dem Besitz dieses Aufenthaltstitels nicht auf die Freizügigkeit im Sinne des § 1 AufenthG/EWG und damit nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit des § 12 AufenthG/EWG geschlossen werden kann. Für diesen Personenkreis enthält § 4 Abs. 1 FreizügV/EG eine dem § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG entsprechende Regelung. § 12 Abs. 2 bis 9 AufenthG/EWG sind auf diejenigen EG-Angehörigen, die von der allgemeinen Freizügigkeit Gebrauch machen, nach § 4 Abs. 2 FreizügV/EG analog anwendbar. Auch nach der Einführung der allgemeinen Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 18 EG-Vertrag) ist das AufenthG/EWG nicht auf alle EG-Angehörigen unmittelbar anzuwenden. Die allgemeine Freizügigkeit wird durch die sekundären gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Richtlinien 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG gewährleistet und/oder beschränkt (vgl. hierzu Fischer, Die Freizügigkeitsverordnung/EG - zum allgemeinen Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern in Deutschland, ZAR 1998, 159ff.; Harms, a.a.O., S. 174 RdNr. 13). Damit ist insoweit zwar auch die Richtlinie 64/221/EWG anwendbar (vgl. Art. 2 Abs. 2 RL 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG). Sie wird jedoch in diesem Fall durch § 4 FreizügV/EG und nicht durch das AufenthG/EWG umgesetzt.

Zugunsten des Klägers sind, wie dargelegt, da er seit dem 27.2.1992 in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG ist, die Regelungen des AufenthG/EWG anzuwenden, mit denen für den in § 1 AufenthG/EWG genannten Personenkreis die Richtlinie 64/221/EWG umgesetzt worden ist. Es kann daher offen bleiben, ob der Kläger, der vor seiner Inhaftierung Arbeitnehmer im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG war, seine Arbeitnehmereigenschaft und damit diese ihm zukommende Freizügigkeit verloren hat, weil er keine Erwerbstätigkeiten mehr ausüben kann und dem Arbeitsmarkt nicht zu Verfügung steht. Auch ob es mehr auf den Willen des Arbeitnehmers (vgl. den Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG) ankommt oder mehr darauf, dass der Verwirklichung der vorgegebenen Absicht keine Hindernisse entgegenstehen, zu deren Beseitigung der Betroffene nicht in der Lage ist (vgl. amtliche Begründung zu § 1 Abs. 1 AufenthG/EWG), kann damit offen bleiben (offen gelassen auch im Urteil des Senats vom 11.10.1995 - 11 S 1391/95 -, InfAuslR 1996, 131).

1. Die Ausweisung des Klägers verstößt nicht gegen Verfahrensgarantien des Gemeinschaftsrechts.

Die Ausweisung des Klägers stellt gemeinschaftsrechtlich die Entfernung des Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Sinne der Art. 8 und 9 Richtlinie 64/221/EWG dar. Zwar enthält das AufenthG/EWG keine diese Bestimmungen der Richtlinie umsetzenden Regelungen. Die im Falle des Klägers anzuwendenden innerstaatlichen verfahrens- und prozessrechtlichen Bestimmungen werden aber den Anforderungen der Art. 8 und 9 Richtlinie 64/221/EWG gerecht, so dass es einer Umsetzung nicht bedurfte und auch eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie 64/221/EWG hier ausscheidet (zur unmittelbaren Wirkung des Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG vgl. EuGH, Urteile vom 22.5.1980 - Rs. 131/79 -, Slg. 1980, 1585; vom 23.2.1994 - C-419/92 -, InfAuslR 1994, 213; vom 9.11.2000 - C-357/98 - Yiadom).

Der dem Kläger gegen die Ausweisung zur Verfügung stehende Rechtsschutz entspricht den Anforderungen der Art. 8 Richtlinie 64/221/EWG (a) und Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG (b).

a) Art. 8 RL 64/221/EWG bestimmt, dass ein Betroffener gegen die Verweigerung der Einreise, einer Aufenthaltsgenehmigung oder die Entfernung aus dem Aufnahmestaat die Rechtsbehelfe haben muss, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Art. 9 RL 64/221/EWG fordert für die in den beiden Absätzen genannten aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen in bestimmten Fällen die Einschaltung einer zuständigen Stelle.

Die Ausweisungsentscheidung stellt eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung im Sinne dieser Bestimmungen dar. Sie ist als Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet im Sinne der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG anzusehen. Der nach der Richtlinie vorgesehene Rechtsschutz greift bereits gegenüber der Beendigung des Aufenthaltsrechts, mit der die Aufenthaltserlaubnis-EG erlischt und der Adressat ausreisepflichtig wird und nicht erst gegenüber der Vollzugsentscheidung in Form der Abschiebung ein. Dies ergibt sich schon aufgrund der Unterscheidung zwischen der Entfernung des Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis und der Entfernung eines EG-Angehörigen vor Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis in den Absätzen 1 und 2 des Artikel 9. Weiterhin spricht dafür, dass in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ebenfalls die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis geregelt ist, die mit der Ausweisung insoweit vergleichbar die Beendigung eines bis dahin bestehenden Aufenthaltsrechts und ebenfalls noch nicht die Entscheidung über die Beendigung des tatsächlichen Aufenthalts betrifft.

Nach Art. 8 RL 64/221/EWG müssen dem Kläger damit gegenüber der Ausweisung die Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, die Inländer gegenüber Verwaltungsakten haben. Dies bedeutet, dass kein Mitgliedstaat die Zulassung eines Rechtsbehelfs, den eine durch die Richtlinie geschützte Person einlegen will, von der Erfüllung besonderer Form- und Verfahrenserfordernisse abhängig machen darf, die weniger günstig als in den Fällen sind, in denen Inländer Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Verwaltung einlegen. Welche Rechtsbehelfe und welcher Rechtsweg gegeben ist, unterliegt insoweit ausschließlich dem innerstaatlichen Recht (EuGH, Urteil vom 5.3.1980 - Rs. 98/79 -, Slg. 1980, 619, RdNr. 10). Diesen Anforderungen wird im vorliegenden Fall entsprochen. Dem Kläger stehen gegenüber der Ausweisung Rechtsmittel in Form der Anfechtungsklage und - bei Anordnung des Sofortvollzugs - des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu. Im Falle der Klageabweisung sind ebenso wie für deutsche Kläger die weiteren Rechtsmittel in Form des Antrags auf Zulassung der Berufung und im Falle der Zulassung der Berufung, wie hier, in Form der Berufung gegeben. Ergeht eine Berufungsentscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wird, kann das Rechtsmittel mit der Nichtzulassungsbeschwerde erstritten werden. Wird die Revision, wie hier, zugelassen, kann die Berufungsentscheidung durch Revision, die auf die Prüfung revisiblen Rechts beschränkt ist, angegriffen werden.

Gegen Verwaltungsakte der unteren Behörden ist vor Erhebung der Anfechtungsklage noch der Rechtsbehelf des Widerspruchs gegeben (§ 68 Abs. 1 VwGO). Der Wegfall des Vorverfahrens und damit des Widerspruchs gegen die hier angegriffene Ausweisung beruht darauf, dass im vorliegenden Fall das Regierungspräsidium, das insoweit selbst Widerspruchsbehörde wäre (Mittelbehörde), für den Erlass dieser Verfügung zuständig war. Für (Ausgangs-)Verwaltungsakte des Regierungspräsidiums ist in Baden-Württemberg das Vorverfahren allgemein (nicht bereichsspezifisch, wie zum Teil in anderen Bundesländern) durch § 6a AGVwGO (eingeführt durch Artikel 1 des Gesetzes zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.5.1999, GBl. S. 173) auf der Grundlage des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO für Ausgangsbescheide der Mittelbehörden abgeschafft worden. Da, wie dargelegt, das Regierungspräsidium hier sachlich (§ 7 Abs. 1 S. 1 AAZuVO) zuständig war, bedurfte es eines Vorverfahrens nicht. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Behörden ist dem nationalen Recht überlassen, sie wird von Art. 8 RL 64/221/EWG nicht berührt. Die Zuständigkeit der Mittelbehörden nach § 7 Abs. 1 S. 1 AAZuVO führt auch im Zusammenhang mit § 6a AGVwGO nicht zu einer Benachteiligung EG-Angehöriger gegenüber deutschen Staatsangehörigen. Denn die sachliche Zuständigkeit der Regierungspräsidien in Baden-Württemberg für den Erlass von Ausgangsbescheiden gilt über das Ausländerrecht hinaus auch für Bereiche, in denen regelmäßig deutsche Staatsangehörige Adressaten oder Drittbetroffene der Bescheide sind. Die Regierungspräsidien sind als Ausgangsbehörde z.B. zuständig für eine Vielzahl von Genehmigungen (z.B. nach § 37 Abs. 8 Satz 1 StrG Bad.-Württ., § 2 Abs. 1 Nr. 2 BImSchGZuVO Bad.-Württ., § 28 Abs. 4 Nr. 4 LAbfG u.a. für Planfeststellungsbeschlüsse für Straßenbauvorhaben und andere große Infrastrukturprojekte, immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Abfallentsorgungsanlagen und große Industrieanlagen). Darüber hinaus entscheiden die Regierungspräsidien in Baden-Württemberg auf verschiedenen Gebieten auch über die Bewilligung von staatlichen Fördermitteln sowie über die Anerkennung von Stiftungen und die Genehmigung ihrer Satzung(sänderung). Gegen Verwaltungsakte der Regierungspräsidien in Baden-Württemberg in diesen Bereichen müssen, soweit Bundesrecht nichts anderes bestimmt, auch deutsche Staatsangehörige unmittelbar die Anfechtungsklage erheben.

Auch hinsichtlich ihrer Wirkung unterscheiden sich die dem Kläger zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nicht von denen, die deutschen Staatsangehörigen gegenüber Verwaltungsakten zustehen. Grundsätzlich hat die Anfechtungsklage zwar aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch gegenüber Ausweisungsverfügungen. Diese aufschiebende Wirkung entfällt jedoch, wenn auf der Grundlage des allgemeinen Verfahrensrechts, wie hier, der sofortige Vollzug angeordnet worden ist. Auch die Anordnung des Sofortvollzugs ist nicht auf Entscheidungen gegenüber ausländischen Adressaten beschränkt. Der gegenüber dieser Anordnung nach der Verwaltungsgerichtsordnung gegebene vorläufige Rechtsschutz steht auch den von Maßnahmen im Sinne des Art. 8 RL 64/221/EWG betroffenen EG-Angehörigen zu.

b) Die dem Kläger zur Verfügung stehenden Rechtsmittel weisen auch keinen der Mängel auf, die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Ausweisung hätten kompensiert werden müssen. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG fordert in den dort genannten Fällen die Einschaltung einer zuständigen Stelle vor Erlass der Ausweisungsverfügung. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Europäischer Gerichtshof) mit Urteil vom 30.11.1995 ( a.a.O., RdNr. 20) klargestellt, dass in den in Absatz 1 erfassten Fällen die Stellungnahme dem Erlass vorausgehen muss, während in den in Absatz 2 erfassten Fällen die Stellungnahme nach dem Erlass der Entscheidung und nur auf Antrag des Betroffenen eingeholt wird, falls er die Entscheidung anficht. Es reicht damit nicht aus, wenn die Entscheidung vor Bestandskraft oder Vollzug der Entscheidung eingeholt wird. Denn die Unterscheidung zwischen Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 RL 64/221/EWG würde aufgegeben, wenn auch in den Fällen des Abs. 1 die Stellungnahme der zuständigen Stelle nach dem Erlass der Entscheidung abgegeben werden könnte, lediglich unter der Voraussetzung, dass die Verwaltungsbehörde oder auch ein Gericht diese Entscheidung nach Abgabe von Erklärungen noch überprüfen und ggf. ändern kann (vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995 a.a.O., RdNr. 20).

Die Einholung der Stellungnahme einer zuständigen Stelle vor Erlass der Ausweisungsverfügung fordert Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG für den Fall, dass es keine Rechtsmittel gegen diese Verfügung gibt oder die Rechtsmittel im Sinne dieser Vorschrift auf die "Gesetzmäßigkeit" beschränkt sind oder keine aufschiebende Wirkung haben. Im vorliegenden Fall war danach die Einholung einer Stellungnahme einer zuständigen Stelle vor Erlass der Ausweisungsverfügung nicht erforderlich, weil das Rechtsmittel der Anfechtungsklage gegeben und die Überprüfung der Ausweisungsverfügung nicht auf die "Gesetzmäßigkeit" im Sinne der Richtlinie beschränkt war (aa). Es hatte auch aufschiebende Wirkung im Sinne dieser Richtlinie, da das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherstellen konnte (bb).

aa) Die im vorliegenden Fall gegebenen Rechtsmittel sind nicht auf die "Gesetzmäßigkeit" im Sinne der Richtlinie 64/221/EWG beschränkt. Die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle unterliegt in der Bundesrepublik Deutschland keiner prozessualen Beschränkung. Diese umfassende Kontrolle von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt wird durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantiert (1). Die Kontrolle der Ausweisungsverfügung ist auch nicht deswegen auf die "Gesetzmäßigkeit" im Sinne der Richtlinie 64/221/EWG beschränkt, weil eine (zusätzliche) Prüfung durch die Verwaltung selbst nicht stattgefunden hat (2).

(1) Die hier aufgrund des Rechtsmittels der Anfechtungsklage eröffnete gerichtliche Prüfung unterliegt keiner prozessualen Beschränkung. Im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 VwGO). Dies entspricht der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die fordert, dass die gerichtliche Kontrolle beim ersten Zugang zur Gerichtsbarkeit auch die Überprüfung des von der Exekutive zugrundegelegten Tatsachenstoffes beinhaltet. Die Kontrolle darf nicht auf bloße "Rechtsfehler" begrenzt sein. Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume schließt Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche und rechtliche Feststellungen der Verwaltung aus (BVerfG, Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 (111)).

Neben der Kontrolle, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Maßnahme tatsächlich vorliegen (a), wird auch die Übereinstimmung des der Maßnahme zugrundeliegenden Gesetzes mit höherrangigem Recht, insbesondere mit der Verfassung einschließlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (b), aber auch mit unmittelbar geltendem oder umgesetztem europäischem Gemeinschaftsrecht (c) geprüft.

(a) Nach der deutschen Verfassungsordnung muss die richterliche Kontrolle - beim ersten Zugang zur Gerichtsbarkeit - auch die Überprüfung des von der Exekutive zugrunde gelegten Tatsachenstoffes beinhalten. Sie darf also nicht - einem Revisionsverfahren entsprechend - auf bloße "Rechtsfehler" begrenzt sein. Auch bei Verwaltungsakten mit Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen bezieht sich die richterliche Kontrolle darauf, ob sich die Behörde bei der Wahrnehmung ihres Beurteilungs- oder Ermessensspielraums von zutreffenden tatsächlichen Annahmen hat leiten lassen. Solche Verwaltungsakte sind vom Gericht wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, wenn die Behörde von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Für diese umfassende Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse kommt der Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen, die in einigen Mitgliedstaaten nicht oder nur eingeschränkt besteht, in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit besondere Bedeutung zu (vgl. die rechtsvergleichende Darstellung von C. Lerche, Die Kontrolldichte hinsichtlich der Tatsachenermittlung, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, S. 249 [254]).

(b) Die verwaltungsgerichtliche Prüfung beschränkt sich selbst im Bereich der gesetzesgebundenen Verwaltung nicht darauf, ob für den gegebenen Sachverhalt die Maßnahme aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung zu treffen war. Das Gericht prüft neben der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes (und ggf. seiner Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts) auch, ob die gesetzlich vorgeschriebene Maßnahme grob unangemessen und unbillig ist. Ist das Gericht davon überzeugt, dass es für den ihm vorliegenden Sonderfall und diesem vergleichbare Fälle im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Härteregelung geben müsste und hält es das Gesetz deshalb für verfassungswidrig, wird es diese Frage dem Verfassungsgericht vorlegen. Auch die Ermessensentscheidung wird nicht nur dahingehend überprüft, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet oder die Behörde von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO), sondern auch die Ermessensentscheidung muss verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass das eingesetzte Mittel zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich ist und Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen. Schließlich ergibt sich eine weitere verfassungsrechtliche Schranke des Ermessens aus dem Gleichheitssatz. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot verpflichtet die Verwaltung zu gleichmäßiger Ermessensausübung. Entspricht die Entscheidung diesen Maßstäben nicht, kann das Gericht, außer in Fällen der Ermessensreduzierung auf Null, zwar nicht eine Entscheidung anstelle der Verwaltung treffen. Nach Aufhebung der Maßnahme wegen fehlerhafter Ermessensausübung ist es damit weiterhin Aufgabe der Behörde eine neue Entscheidung zu treffen. Hierbei hat sie aber die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten.

Ein Vergleich der Rechtslage in Deutschland mit der u.a. in Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien bestehenden Rechtslage hat insoweit ergeben, dass die deutsche Ermessenslehre und die Praxis der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Frage, inwieweit die von der Exekutive vorgenommene Konkretisierung der (ausfüllungsbedürftigen) gesetzlichen Vorgaben des Verwaltungshandelns durch eigene (wertende) Entscheidungen der Gerichte ersetzt werden dürfen, eine Kontrollintensität und -dichte aufweisen, die in keinem der anderen Länder auch nur annähernd erreicht wurde (vgl. zur Rechtslage 1990 Oeter, Kontrolldichte -unbestimmte Begriffe, Ermessen, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, S. 266 [268]).

(c) Schließlich prüft das Gericht, ob eine mit der deutschen Rechtsordnung übereinstimmende Maßnahme unmittelbar geltendem Europäischem Gemeinschaftsrecht widerspricht, dem in diesem Fall Anwendungsvorrang zukommt. In diesem Zusammenhang ist es auch Aufgabe des Gerichts, ggf. die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht zu prüfen und, wenn es zu dem Ergebnis der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit kommt, dem Europäischen Gerichtshof diese Frage zur Entscheidung vorzulegen.

Die deutschen Gerichte sind bei der Kontrolle exekutivischer Maßnahmen an Gesetz und Recht gebunden. Diese Bindung entspricht dem Grundsatz der Trennung der rechtsprechenden, der vollziehenden und der gesetzgebenden Gewalt. Es ist Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt, dem von einem Hoheitsakt in seinen Rechten Beeinträchtigten richterliche Rechtskontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu gewähren. Die sich hieraus ergebenden Grenzen der gerichtlichen Kontrolle, die Gesetzesbindung und die Beachtung der Entscheidungsspielräume der Verwaltung sind keine prozessualen Beschränkungen.

(2) Die Kontrolle einer Ausweisungsverfügung ist auch nicht deswegen auf die "Gesetzmäßigkeit" im Sinne der Richtlinie 64/221/EWG beschränkt, weil eine (zusätzliche) Prüfung durch die Verwaltung selbst nicht stattgefunden hat.

Wie dargelegt ist die verwaltungsgerichtliche Kontrolle vollständig und umfassend. Damit könnte ein Rechtsschutzdefizit im Sinne der hier zu prüfenden zweiten Alternative des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nur dann angenommen werden, wenn diese so auszulegen wäre, dass eine über die "Gesetzmäßigkeit" i.S.d. Vorschrift hinausgehende Kontrolle immer (auch) an die Verwaltung gerichtete Rechtsbehelfe fordert. Hiergegen spricht bereits, dass in der deutschen Fassung nur in Art. 8 RL 64/221/EWG der Begriff des Rechtsbehelfs verwendet wird, der auch den Zugang zu einer verwaltungsinternen Kontrolle umfasst, in Art. 9 RL 64/221/EWG demgegenüber ebenso wie in der englischen ("appeal to a court of law") und französischen Fassung ("recours juridictionnels") ausschließlich von an Gerichte zu richtenden "Rechtsmitteln" die Rede ist. Damit liegt es auf der Hand, dass Art. 9 RL 64/221/EWG ausschließlich die Fälle betrifft, in denen ein Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz überhaupt nicht gegeben ist oder die gerichtliche Kontrolle beschränkt ist.

Für das Erfordernis einer Verwaltungskontrolle lässt sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nichts entnehmen. Aus ihr ergibt sich kein Hinweis für die Annahme, dass alle Rechtsmittel, die an die Gerichte und nicht an die Verwaltung gerichtet sind, auf die Gesetzmäßigkeit beschränkte Rechtsmittel im Sinne Art. 9 RL 64/221/EWG darstellen. Den einschlägigen Entscheidungen ist weder zu entnehmen, dass im jeweiligen Fall ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren stattgefunden hätte, noch dass sein Fehlen ein Mangel im Sinne des Art. 9 RL 64/221/EWG darstellen könnte.

So entspricht der Begriff der "Gesetzmäßigkeit" in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof nicht dem Begriff der Rechtmäßigkeit insgesamt, sondern dem der formellen Rechtmäßigkeit oder der Nichtigkeit im deutschen Rechtsverständnis (aa). Gegen die Annahme, dass die im vorliegenden Fall gegebene, prozessual uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle als auf die "Gesetzmäßigkeit" im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG beschränkt anzusehen sei, die dem völligen Fehlen von Rechtsmitteln gleich steht, spricht auch, dass es sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei dieser Regelung um eine prozessuale Mindestgarantie handelt, die Unzulänglichkeiten nationaler Rechtsbehelfe durch die Gewährleistung der Einschaltung einer "zuständigen Stelle" ausgleichen soll, welche selbst keine Behörde sein muss, sondern auch ein Gericht sein kann (bb).

(aa) Der Begriff der "Gesetzmäßigkeit" kann, worauf schon die englische Fassung ("legal validity") hindeutet, auch nach der Auslegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht dem Begriff der (formellen und materiellen) Rechtmäßigkeit im deutschen Rechtsverständnis, sondern nur dem der formellen Rechtmäßigkeit oder der Nichtigkeit gleichgesetzt werden. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird der Begriff der Gesetzmäßigkeit im Sinne der genannten Vorschrift allerdings nicht ausdrücklich definiert. In dem Urteil vom 22.5.1980 hat der Europäische Gerichtshof aber bereits ausgeführt, dass in dem Fall, in dem ein Rechtsmittel auf die Prüfung der Gesetzmäßigkeit beschränkt ist, Art. 9 der Richtlinie zum Ausgleich eine "erschöpfende Prüfung der Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, die die beabsichtigte Maßnahme rechtfertigen", durch die zuständige Stelle fordert (EuGH, Urteil vom 22.5.1980 a.a.O. RdNr. 12); er hat diese Formulierung auch in späteren Entscheidungen übernommen (EuGH, Urteile vom 30.11.1995 a.a.O. RdNr. 17; vom 17.6.1997 a.a.O. RdNr. 34). In dem vom Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 17.6.1997 entschiedenen Verfahren hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen dargelegt, dass ein wirksamer Rechtsschutz, wie ihn das Gemeinschaftsrecht fordert, dann nicht gegeben sei, wenn die Gerichte "nicht kontrollieren könnten, ob die einschlägigen Entscheidungen der Behörden insbesondere die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (namentlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit)" beachtet haben, wenn sie lediglich die "förmliche Gültigkeit, nicht aber die materiellen Gründe" der Ausweisungsentscheidungen nachprüfen könnten (RdNr. 87). Dies schließe nicht aus, dass den Behörden bei Anwendung so unbestimmter Begriffe wie "öffentliche Sicherheit" oder "öffentliche Ordnung" ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen sei, den die Gerichte lediglich mit Hilfe der üblichen Techniken der Kontrolle dieses Spielraums überprüften (Fußnote 32). Der Gerichtshof hat in der daraufhin ergangenen Entscheidung vom 17.6.1997 (a.a.O., RdNr. 35) erneut betont, dass es der Zweck des in Art. 9 der Richtlinie vorgesehenen Verfahrens der Prüfung und Stellungnahme ist, Unzulänglichkeiten der von Artikel 8 erfassten Rechtsbehelfe auszugleichen. Deshalb hat er eine Auslegung abgelehnt, nach der im Falle des Art. 9 Absatz 2 die Einschränkung der Einschaltung der "zuständigen Stelle" auf die in Art. 9 Abs. 1 genannten drei Fälle keine Anwendung finden sollte. Er hat hierzu unter Hinweis auf das Urteil Pecastaing (EuGH, Urteil vom 5.3.1980, a.a.O., RdNr. 20) ausgeführt: "... hätte der Adressat einer Entscheidung über die Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet vor der Erteilung einer solchen Erlaubnis nach Artikel 9 Absatz 2 das Recht, die Stellungnahme der in Artikel 9 Absatz 1 genannten "unabhängigen Stelle" auch in den dort nicht genannten Fällen zu erhalten, so hätte er dieses Recht selbst dann, wenn sich die Rechtsbehelfe auf die Sachverhaltsfeststellungen erstreckten und eine erschöpfende Prüfung des gesamten Sachverhalts umfassten. Das widerspräche dem Zweck dieser Bestimmungen, da das in Artikel 9 vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme als Ausgleich für Unzulänglichkeiten der von Artikel 8 erfassten Rechtsbehelfe gedacht ist."

Die Annahme, dass immer (auch) eine interne Verwaltungskontrolle stattfinden müsse, lässt sich schließlich nicht damit begründen, dass die gerichtliche Prüfung, insbesondere im Unterschied zum Widerspruchsverfahren, Zweckmäßigkeitgesichtpunkte, die die beabsichtigte Maßnahme rechtfertigen, nicht umfasse. Zwar bestimmt § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass im Regelfall vor Erhebung der Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind. Demgegenüber ist im gerichtlichen Verfahren nur die Frage der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, den Kläger in seinen Rechten betreffenden Maßnahme entscheidungserheblich (§§ 113, 114 VwGO). Zweckmäßigkeitserwägungen eröffnen der Verwaltung jedoch keinen zusätzlichen Entscheidungsspielraum. Sie befreien nicht von der Gesetzesbindung. Auch ihre Ermessensspielräume unterliegen, wie dargelegt, der gerichtlichen Kontrolle, die im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme auch anhand der für die Zweckmäßigkeit maßgeblichen Kategorien der Geeignetheit, Angemessenheit und Billigkeit erfolgt. Das Gericht kann nur im Gegensatz zur Widerspruchsbehörde Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde nicht durch eigene ändern, ergänzen oder ersetzen. Hinsichtlich des Umfangs der Prüfung gibt es damit zwischen der gerichtlichen und der behördlichen Kontrolle lediglich dann einen Unterschied, wenn der Verwaltung ein eigener Gestaltungsspielraum eingeräumt ist. Dies spricht zumindest auch gegen die Annahme, dass in jedem Fall eine behördliche Kontrolle gegeben sein muss, außer man vertritt die Ansicht, dass sich aus materiell-rechtlichen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts ergibt, dass über die in Art. 9 RL 64/221/EWG genannten Maßnahmen nur im Ermessenswege entschieden werden dürfte. Dass die von der Vorschrift des Art. 9 RL 64/221/EWG ebenfalls erfassten Entscheidungen über die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis-EG gebundene Entscheidungen sein können, wenn nicht sogar sein müssen, ist soweit ersichtlich bisher noch nicht in Zweifel gezogen worden (zur Ausweisung vgl. oben). Im vorliegenden Fall hatte die Ausweisung zu erfolgen, weil ein Regelfall gegeben war und gemeinschaftsrechtliche Anforderungen (vgl. unten 2) der Ausweisung nicht entgegenstanden. Diese Entscheidung war gerichtlich vollständig überprüfbar, eine verwaltungsinterne Kontrolle hätte hier keine weitergehenden Erwägungen ermöglicht.

Für die dargelegte Auslegung des Begriffs der "Gesetzmäßigkeit" spricht auch, dass Art. 9 RL 64/221/EWG eine (gemeinschaftsrechtlich wohl bereits überholte) prozessuale Mindestgarantie darstellt. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass die in Art. 9 RL 64/221/EWG enthaltene Vorschrift über die Einholung der Stellungnahme einer zuständigen Stelle eine prozessuale Mindestgarantie in den Fällen gewährleisten soll, in denen die Rechtsmittel, die nach Art. 8 RL 64/221/EWG entsprechend der nationalen Rechtsordnung gegen Verwaltungsakte gegeben sind, unzulänglich sind (EuGH, Urteile vom 25.7.2002 C-459/99 - MRAX; vom 9.11.2000 C-357/98 - Yiadom; vom 17.6.1997 C-65/95 und C-11/95 RdNr. 34 - Shingara und Radiom ; vom 30.11.1995 C-175/94 RdNr. 16f. - Gallagher; vom 18.10.1990 C-297/88 und C- 197/89 RdNr. 62 - Dzodzi; vom 22.5.1980 131/79 RdNr. 12 - Santillo; vom 5.3.1980 Rs 98/79 RdNr. 15 - Pecastaing). In diesen Fällen soll die vorgesehene Einholung einer Stellungnahme einer zuständigen Stelle den jeweiligen Mangel im Sinne des Art. 9 RL 64/221/EWG ausgleichen. Unterstellt, das Fehlen einer verwaltungsinternen Kontrolle stelle eine Beschränkung der Rechtsmittel auf die Gesetzmäßigkeit im Sinne der Richtlinie dar, könnte dieser Mangel durch die "zuständige Stelle" nur dann kompensiert werden, wenn diese selbst in einem solchen Fall eine Behörde oder eine ähnliche Stelle sein müsste. Auch dies ist aber nicht der Fall. Der Europäische Gerichtshof (Urteile v. 22.5.1980 a.a.O., S.1602; Urteile vom 18.5.1982 - Rs. 115 und 116/81 a.a.O.) hat vielmehr entschieden, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Beurteilungsspielraum zur Bestimmung der "zuständigen Stelle" belasse. Eine solche Stelle könne jede Behörde sein; sie müsse kein Gericht sein oder aus Richtern bestehen (EuGH, Urteil vom 18.5.1982, a.a.O.). Nach Ansicht des Gerichtshofs kann daher auch die nach englischem Recht mögliche strafgerichtliche Ausweisungsempfehlung dem Erfordernis der Stellungnahme einer zuständigen Stelle im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG im Falle des Fehlens oder der Beschränkung der Rechtsmittel auf die Gesetzmäßigkeit entsprechen, wenn sie in einem ausreichend engen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausweisungsverfügung steht (EuGH, Urteil vom 22.5.1980, a.a.O.).

Schließlich wird teilweise die Ansicht vertreten, dass die aus dem Jahre 1964 stammende Regelung des Art. 9 RL 64/221/EWG selbst den inzwischen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weiterentwickelten Anforderungen an den gemeinschaftsrechtlich zu gewährenden Rechtsschutz nicht mehr entspricht. In seinen Schlussanträgen hat der Generalanwalt in den verbundenen Rechtssachen C-65/95 und C-111/95 dies ausführlich dargestellt (vgl. hierzu RdNr. 65ff.). In ähnlicher Weise hat die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 19.4.2002 im Verfahren C-482/01 geäußert, dass die Bestimmungen des Artikel 9 Absatz 1 RL 64/221/EWG vor dem Hintergrund der - nach Erlass der Richtlinie 64/221/EWG ergangenen - Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu kurz griffen (RdNr. 42ff.). Der Gerichtshof hat sich bisher zu solchen Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Regelungen mit dem Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts nicht geäußert. Auch aus diesen inzwischen aufgestellten erweiterten Anforderungen an den Rechtsschutz ergibt sich aber nicht, dass neben einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle eine zusätzliche verwaltungsinterne Kontrolle gemeinschaftsrechtlich geboten wäre.

Allerdings kommt die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 19.4.2002 zu den Vorlagefragen in der Rechtssache C-482/01 (RdNr. 41) - wohl ohne nähere Auseinandersetzung mit deutschem Verfassungs-, Verfahrens- und Prozessrecht - zu dem Ergebnis, dass der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal dem von Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG geforderten Mindeststandard entspreche. Träfe dies zu, würde die Kommission in ihrem Vorschlag 23.5.2001 (a.a.O.) nun für die Zukunft einen geringeren Rechtsschutzstandard fordern als den, den nach ihrer Auslegung bereits die Richtlinie 64/221/EWG garantiert. Denn in Art. 29 Absatz 1 ihres Vorschlags vom 23.5.2001 (a.a.O.) plädiert die Kommission dafür, dass der erforderliche Rechtsbehelf bei den Behörden oder den Gerichten einlegt werden kann, und fordert in Absatz 2 dieser Bestimmung nur für den Fall eines behördlichen Rechtsbehelfsverfahrens, dass eine zuständige Stelle eingeschaltet werden muss. In der Begründung heißt es hierzu:

"Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Artikel 9 der Richtlinie 64/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde als die, die die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung".

(Nr. 2 der Begründung zu Art. 29 des Vorschlags)

Es ist damit festzuhalten, dass der Begriff der Gesetzmäßigkeit einen eingeschränkten Prüfungsumfang bezeichnet, der nach deutschem Rechtsverständnis der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit und Nichtigkeit entspricht (VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 15.10.2001 - 10 S 1113/00 -; Harms, Ausländerrecht, in: Bergmann/Kenntner (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, RdNr. 5 Fußn. 216).

bb) Die innerstaatlich gegebenen Rechtsmittel sind auch keine solchen, die im Sinne des Art. 9 RL 64/221/EWG keine aufschiebende Wirkung haben. Die Stellungnahme der zuständigen Stelle war im vorliegenden Fall nicht schon deshalb erforderlich, weil der Anfechtungsklage aufgrund des angeordneten Sofortvollzugs nicht unmittelbar aufschiebende Wirkung zukam. Denn der Kläger hatte die Möglichkeit, im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherstellen zu lassen, von der er im vorliegenden Fall nach Erlass der Ausweisungsverfügung auch Gebrauch gemacht hat. Damit wird den Mindestanforderungen der Richtlinie an die Suspensivwirkung eines Rechtsbehelfs genügt.

Insoweit ist zwar zunächst davon auszugehen, dass es nicht schon ausreicht, dass die Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben kann bzw. hat. Denn auch die Rechtsschutzgarantien auf der Grundlage der Richtlinie dienen dem Individualrechtsschutz und nicht ausschließlich der Effektivierung des Gemeinschaftsrechts, so dass es nur auf die im jeweiligen Fall konkret zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ankommen kann. Die dritte Alternative des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfordert jedoch nicht, dass das Rechtsmittel eo ipso aufschiebende Wirkung hat, sondern greift erst dann ein, wenn auch die Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass das Gericht den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzt. Für diese Auslegung spricht zunächst die englische Fassung dieser Alternative ("where the appeal cannot have suspensory effect").

Dem entspricht die Auslegung dieser Alternative des Art. 9 RL 64/221/EWG durch den Europäischen Gerichtshof in seinem Grundsatzurteil vom 5.3.1980 (a.a.O.). Dort hat der Gerichtshof auch in Bezug auf den vorläufigen Rechtsschutz klargestellt, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme, das als Ausgleich für die Unzulänglichkeiten der von Art. 8 RL 64/221/EWG erfassten Rechtsbehelfe gedacht sei, den Gerichten weder eine zusätzliche Befugnis, die Vollziehung der unter die Richtlinie fallenden Maßnahmen auszusetzen, noch das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden solle. Für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte gelte Art. 8 RL 64/221/EWG. Soweit die Gerichte insoweit keine oder keine ausreichenden Befugnisse zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hätten, solle das Verfahren nach Art. 9 RL 64/221/EWG der Richtlinie dem Betroffenen ermöglichen, zu beantragen und gegebenenfalls zu erwirken, dass die Vollziehung der geplanten Maßnahme ausgesetzt wird, und ihm so einen "Ausgleich dafür bieten, dass es nicht möglich ist, die Vollziehung durch die Gerichte aussetzen zu lassen" (Urteil vom 5.3.1980 a.a.O. RdNr. 15).

Für die Auslegung, dass die zuständige Stelle nicht eingeschaltet werden muss, wenn die Vollziehung der Maßnahme gerichtlich auf Antrag ausgesetzt werden kann, spricht auch, dass mit Einschaltung der zuständigen Stelle im Sinne der Vorschrift in der ersten Alternative sogar das vollständige Fehlen von Rechtsmitteln kompensiert werden kann. Diesem groben Mangel kommt die zweite Alternative im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz nur dann gleich, wenn Rechtsbehelfe von sich aus keine aufschiebende Wirkung haben und auch keine aufschiebende Wirkung der gegebenen Rechtsbehelfe angeordnet werden kann; es damit aber überhaupt keinen vorläufigen Rechtsschutz gibt. Dem Fehlen des vorläufigen Rechtsschutzes gleichzustellen wären ggf. auch Verfahrensgestaltungen, die eine Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes unzumutbar erschwerten oder die seine Effektivität nicht gewährleisteten. Unter solchen Mängel leidet der in der Bundesrepublik Deutschland bestehende vorläufige Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt nicht. Dieser wird zudem durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantiert, der gerade auch an die Effektivität des vorläufigen Rechtsschutzes besondere Anforderungen stellt (dazu i.e. unten zu c).

Allerdings ist der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 26.11.1996 in den verbundenen Rechtssachen Shingara und Radiom davon ausgegangen, dass eine Auslegung dieser Alternative auf der Grundlage des englischen Textes mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts nicht vereinbar sei (EuGH, Urteil vom 17.6.1997 a.a.O., RdNr. 87-97). Diesen Grundsätzen widerspreche es, wie der Gerichtshof bereits im Urteil Factortame festgestellt habe, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Dieser Grundsatz setze sich für einstweilige Anordnungen im Urteil vom 21.2.1991 (Zuckerfabrik, verbundene Rechtssachen C-143/88 und C-92/89, Slg. 1991, I-415) fort und sei im Urteil vom 9.11.1995 (Atlanta, C-465/93, Slg. 1995, I-3761) ausgedehnt worden, in dem die Befugnisse des innerstaatlichen Gerichts weit über die bloße Aussetzung der Vollziehung angefochtener Maßnahmen hinaus erweitert worden seien, wenn ihm - unter bestimmten Voraussetzungen - die Befugnis zuerkannt werde, einstweilige Anordnungen zur vorläufigen Gestaltung oder Regelung der streitigen Rechtspositionen oder -verhältnisse zu treffen. Dementsprechend müsse Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG dahingehend ausgelegt werden, dass nur solche Verfahrensvorschriften gemeint sein könnten, die die aufschiebende Wirkung gerichtlicher Rechtsbehelfe zwar nicht verböten, sie aber auch nicht zwingend vorschrieben. Der Europäische Gerichtshof hat sich in der Entscheidung vom 17.6.1997 zu dieser vom Generalanwalt aufgeworfenen Frage nicht geäußert. Die vom Generalanwalt in dieser Sache vertretene Ansicht dürfte jedoch der bereits dargestellten ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Richtlinie RL 64/221/EWG widersprechen, wonach diese eine verfahrensrechtliche Mindestgarantie darstellt und damit nicht so ausgelegt werden kann, dass sie für die dort genannten Maßnahmen zusätzliche Anforderungen stellt, die über die Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes hinausgehen, wie sie der Europäische Gerichtshof in den zitierten, nach Erlass der Richtlinie ergangenen Entscheidungen ausgeformt hat.

Bestätigt wird die hier vertretene Auslegung auch insoweit wiederum von dem Vorschlag der Kommission vom 23.5.2001 (a.a.O.) für die künftige Ausgestaltung der Verfahrensgarantien. Art. 29 Nr. 3 des Vorschlags lautet:

"Entfaltet das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, muss es dem Richter möglich sein, mit einstweiliger Verfügung die Aussetzung der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung bis zum endgültigen Urteil zu beschließen".

In der Begründung hierzu heißt es u.a.:

"Es empfiehlt sich nicht, vorzusehen, dass der Rechtsbehelf stets aufschiebende Wirkung hat, da dies Missbrauch fördern könnte. Es kann davon ausgegangen werden, dass der innerstaatliche Richter bei seiner Beurteilung einen angemessenen Schutz der Interessen sowohl des Einzelnen als auch des Mitgliedstaates anstreben wird."

Damit ist im vorliegenden Fall ein Rechtsschutzmangel, der die vorherige Einschaltung einer "zuständigen Stelle" erforderlich gemacht hätte, auch im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz nicht gegeben: Denn gegen die Ausweisung wird vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt. Ein völliger Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes wäre bereits mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Zwar gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin (BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - u.a., BVerfGE 65, 1 [70]), so dass der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen auf die in § 80 VwGO getroffene Regelung festgelegt ist. Jedoch muss gewährleistet sein, dass der Betroffene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber das Interesse des Einzelnen an der Aussetzung der Vollstreckung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt (BVerfG, Beschlüsse vom 24.4.1974, BVerfGE 37, 150 [153]; vom 18.7.1973, BVerfGE 35, 382 [402]; vom 2.5.1984, BVerfGE 67, 43 [58 f.]).

c) Offen bleiben kann damit, ob in den Fällen, in denen - wie hier - der Sofortvollzug angeordnet wurde, die vorherige Einschaltung einer "zuständigen Stelle" schon deswegen unterbleiben kann, weil die Richtlinie selbst dies als Ausnahme "in dringenden Fällen" zulässt. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit in begründeten Fällen Sache der Verwaltung ist und der Betroffene in diesem Fall schon aus dem Hoheitsgebiet entfernt werden darf, bevor die "zuständige Stelle" zur Abgabe ihrer Stellungnahme in der Lage war. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten auch nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte gelte Art. 8 der Richtlinie (EuGH, Urteil vom 5.3.1980 a.a.O. ).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anordnung des Sofortvollzugs von Ausweisungsverfügungen erscheint es nicht zweifelhaft, dass bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer auch ein dringender Fall gegeben ist. Danach bedarf es der Feststellung begründeter Anhaltspunkte, dass - unter Berücksichtigung der Pflicht der Verwaltungsgerichte, das Hauptsacheverfahren beschleunigt zu betreiben - die Gefahr erneuter Straftaten in der Zeitspanne bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens besteht. Außerdem müssen die für diesen Zeitraum festzustellenden Gefahren für die Belange der Bundesrepublik Deutschland von solchem Gewicht sein, dass sie schutzwürdige Interessen des Ausländers an der Erhaltung des Suspensiveffektes (§ 80 Abs. 1 VwGO) überwögen, wovon bei einer verzögerlichen Behandlung des Ausweisungsverfahrens durch die Ausländerbehörde nicht ausgegangen werden könne (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 12.9.1995 - 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, 58). Diese strengen Anforderungen an die sofortige Vollziehung einer Ausweisung stellen zugleich sicher, dass der vorläufige Rechtsschutz nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht wird und insgesamt effektiv ist.

d) Da ein Verstoß gegen Art. 9 RL 64/221/EWG im vorliegenden Fall nach alledem auszuschließen ist, bedarf es auch keiner weiteren Erörterung, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG hätte und ob die Heilungsvorschriften des § 46 LVwVfG Anwendung finden könnten. Die Voraussetzungen des § 46 LVwVfG dürften allerdings vorliegen, da, wie dargelegt, die Ausweisung als Regelausweisung zu verfügen war und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben nicht entgegenstanden (vgl. unten).

2. Auch die Anforderungen an die materiellen Voraussetzungen für die Ausweisung von freizügigkeitberechtigten EG-Angehörigen sind beim Kläger erfüllt.

a) Nach Art. 3 Abs. 1 RL 64/221/EWG darf bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein. Art. 3 Abs. 2 RL 64/221/EWG bestimmt, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen können. Diese Regelungen sind durch die hier anwendbaren Bestimmungen des § 12 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden. Danach ist die Ausweisung oder Abschiebung nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG). Die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden (§ 12 Abs. 2 AufenthG/EWG). Sie dürfen - außer bei Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit - nur angeordnet werden, wenn ein Ausländer durch sein persönliches Verhalten dazu Anlass gibt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 AufenthG/EWG). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Abs. 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen (§ 12 Abs. 4 AufenthG/EWG). Zudem bestimmt § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, dass Ausländer, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitzen, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden dürfen, und geht insoweit über die Vorgaben der Richtlinie hinaus.

Diesen Vorgaben wird die angefochtene Ausweisung gerecht, wobei weitgehend auf die Regelungen des nationalen Rechts zurückgegriffen werden kann.

Zunächst steht der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Mit dieser Regelung sollen Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis-EG den Aufenthaltsberechtigten im Hinblick auf den Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG gleichgestellt werden (vgl. Hailbronner, § 12 Aufenthaltsgesetz/EWG RdNr. 31). Auch nach nationalem Recht stand dem Kläger nach § 48 Abs. 1 AuslG ein entsprechender Ausweisungsschutz zu. Der Kläger, der die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG erfüllt, konnte nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Insoweit griff die - hier nicht widerlegte - Vermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG ein, da im Hinblick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck keine atypischen Umstände vorlagen. Die Behörde hat in der angegriffenen Verfügung dementsprechend bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG auf die Ausführungen zur Atypik im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG verwiesen.

Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob diese Regel-Vermutung auch im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG Anwendung findet. Denn das Tatbestandsmerkmal der "schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG ist gerichtlich voll nachprüfbar, und seine Voraussetzungen liegen unabhängig von dieser Vermutung beim Kläger vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind schwerwiegende Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG gegeben, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisungen ein deutliches Übergewicht hat (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, InfAuslR 1997, 8 [10]). Der besondere Ausweisungsschutz wirkt sich sowohl auf die Würdigung des in Frage stehenden Delikts als auch auf die jeweils zu beurteilende Wiederholungsgefahr aus; hinsichtlich beider Gesichtspunkte müssen "schwerwiegende Gründe" für die Ausweisung gegeben seien. Zum einen muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Eine in diesem Sinne hinreichende Gefahr, die eine Ausweisung nach § 48 Abs. 1 AuslG besonders geschützter Ausländer rechtfertigt, ist danach nicht gegeben, wenn lediglich eine entfernte Möglichkeit neuer Störungen besteht, weil sich nicht ausschließen lässt, dass der Ausländer erneut strafbare Handlungen begehen könnte (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, a.a.O.).

Dass die Ausweisung des Klägers hinsichtlich des den Anlass der Ausweisung bildenden Delikts, dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, die Anforderungen des § 48 Abs.1 Satz 2 AuslG erfüllt, ist nicht zweifelhaft (s. dazu etwa OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 24.2.1998 - 18 B 1466/96 -, InfAuslR 1998, 389 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.5.1997, a.a.O., S. 433 u. BVerwG, Beschlüsse vom 8.5.1996 - 1 B 136.95 -, InfAuslR 1996, 299 und vom 10.2.1995, - 1 B 221.94 -, InfAuslR 1995, 273f.; BVerfG, Beschluss vom 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 -, BVerfGE 51, 386 [397f.], sowie die Nachweise bei Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, RdNr. 21ff. zu § 48 und GK-AuslG, RdNr. 59 zu § 48). Schwerwiegende Gründe im Sinn der genannten Vorschriften sind zwar bei Betäubungsmitteldelikten nicht schon generell und schlechthin zu bejahen (s. dazu die zahlreichen Nachweise bei GK-AuslG, a.a.O.). Andererseits kann aber bereits beim mehrfachen Verkauf u.a. von Haschisch und dem hierin liegenden Verstoß gegen das Betäubungsmittelrecht ein schwerwiegenden Grund gegeben sein (s. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.12.1996 - 11 S 3101/96 -, AuAS 1997, 62). Der Kläger hat jedoch - darüber weit hinausgehend - während eines Zeitraums von einem Jahr Handel mit Heroin, einer der gefährlichsten Drogen überhaupt, betrieben, ohne dass Umstände gegeben wären, welche die grundsätzliche Gefährlichkeit dieser Straftaten im konkreten Fall auch nur ansatzweise in Frage stellen (vgl. oben). Dass die Gefahr des erneuten Handels mit Heroin (möglicherweise wiederum in der Nähe von Schulen) ein besonders gewichtiges Grundinteresse der Gesellschaft betrifft, bedarf keiner weiteren Ausführung (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 10.2.1995 a.a.O., S. 273f.; vom 17.2.1992, a.a.O.; vom 2.6.1983 - 1 B 80.83 -, InfAuslR 1983, 307).

Auch hinsichtlich des Gesichtspunkts der Wiederholungsgefahr ist die Annahme einer besonders schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt. Denn es besteht nicht lediglich eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen (s. dazu die Nachweise in der Rechtsprechung insbesondere des BVerwG bei GK-AuslG, a.a.O., RdNr. 64 zu § 48 und BVerwG, Urteil vom 16.11.1999 - 1 C 11.99 -, NVwZ-RR 2000, 320; s. auch Jakober/Welte, a.a.O., RdNr. 16 zu § 48), sondern die konkrete Gefahr der erneuten Begehung schwerer Drogendelikte, nachdem sich weder die wirtschaftliche und berufliche noch die private Situation des Klägers grundlegend verändert hat und er keine Maßnahmen ergriffen hat, seiner Neigung zur Drogenabhängigkeit nachhaltig zu begegnen. Es war im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vielmehr naheliegend, dass sich die auch zur Finanzierung der eigenen Rauschgiftabhängigkeit begangenen Straftaten wiederholen, soweit die Suchtgefährdung fortbesteht. Hiervon wird wiederum solange auszugehen sein, wie kein erfolgreicher Entzug und ggf. eine zusätzliche Therapie durchgeführt worden sind. Alleine die Verbüßung der Haftstrafe, die derzeitige Drogenabstinenz und die Absicht, in Zukunft drogenfrei zu leben, konnten nicht die Annahme einer ernsthaften Wiederholungsgefahr entkräften und eine Abkehr von früheren über Jahre andauernden Verhalten begründen, zumal die Suchtanfälligkeit und damit auch die hierdurch begünstigte Straffälligkeit in der Persönlichkeit des Klägers angelegt sind. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers. Er war vor seiner Inhaftierung Arbeitnehmer, lebte bei seinen Eltern in Mannheim und hatte eine feste Beziehung zu seiner in Frankenthal lebenden Freundin. Es ist zwar davon auszugehen, dass er die Beziehung zu dieser Frau nach der Haftentlassung fortsetzen will. Zu seinen Gunsten kann auch angenommen werden, dass er wieder eine Beschäftigung finden könnte. Hieraus ergibt sich jedoch nicht die Prognose, dass der Kläger in Zukunft keine einschlägigen Straftaten mehr begehen wird, da all diese potentiell günstigen wirtschaftlichen und familiären Umstände - worauf die Behörde zutreffend hingewiesen hat - auch schon im Zeitraum der Begehung der abgeurteilten Straftaten vorlagen, ohne dass sie ihn vom strafbaren Verhalten abgehalten hätten. Die Lebensgefährtin des Klägers hat ihn, soweit er sich bei ihr in Frankenthal aufgehalten hat, nach Mannheim gefahren und ihn zumindest auf diese Weise beim Drogenhandel unterstützt. Es dürfte ihr auch nicht entgangen sein, dass er selbst Heroin konsumierte. Von beidem konnte oder wollte sie ihn offensichtlich nicht abhalten.

Damit sind, unabhängig von der Vermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG, hier "schwerwiegende Gründe" im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, gegeben, ohne dass es im vorliegenden Fall darauf ankommt, ob nur die Verwirklichung der Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 AuslG "schwerwiegende Gründe" in diesem Sinne darstellen können (vgl. dazu Fischer, a.a.O., ZAR 1991, 7). Denn auch wenn man die Voraussetzungen für eine Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit (s. die Gesetzesüberschrift zu § 47 AuslG) mit den Voraussetzungen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG gleichsetzte, stünde diese Ausweisungsschranke der Ausweisung des Klägers nicht entgegen, der, wie dargelegt, die Ausweisungsgründe nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG verwirklicht hat.

Die Ausweisung des Klägers verstößt damit auch nicht gegen die Vorschrift des § 12 Abs. 4 AufenthG/EWG. Danach genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Entscheidungen oder Maßnahmen - u.a. die Ausweisung und Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG - zu begründen (vgl. hierzu aber die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten" [ABl. EG vom 21.6.2002, C 149/46], der die Ansicht vertritt, dass diese Garantie nicht für Personen gelten sollte, die wegen hinreichend schwerer Straften im Zusammenhang mit dem Terrorismus, dem Waffen-, Drogen- und Menschenhandel vorbestraft seien, a.a.O. Nr. 4.6.3). § 12 Abs. 4 AufenthG/EWG erfordert zusätzliche rechtfertigende Umstände für die Ausweisung. Eine Ausweisung aus Anlass einer strafgerichtlichen Verurteilung setzt voraus, dass "außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" (BVerwG, Urteil vom 27.10.1978 - I C 91.76 -, BVerwGE 57, 61 [65]; Beschluss vom 2.6.1983 - 1 B 80.83 -, InfAuslR 1983, 307 [308 m.w.N.]; Beschluss vom 15.5.1990 - 1 B 64.90 -, InfAuslR 1990, 293; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.6.1987 - 13 S 597/87 -, InfAuslR 1987, 328; EuGH, Urteil vom 19.1.1999 C-348/96 - Calfa -, Slg. 1999, 1ff., std. Rspr.). Die Ausweisung Freizügigkeitsberechtigter darf dabei nicht zum Zwecke der Abschreckung anderer Ausländer verfügt werden (BVerwG, Urteil vom 27.10.1978, a.a.O., S. 65), sondern erfordert immer eine konkrete Gefahr neuer Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Über das Vorliegen einer derartigen Wiederholungsgefahr ist aufgrund aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Es ist eine nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilende und deswegen nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verlangen, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören wird.

Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, ergibt sich aus den obigen Darlegungen, wonach spezialpräventive Gründe die Ausweisung des Klägers auch hinsichtlich des ihm innerstaatlich über gemeinschaftsrechtliche Vorgaben hinausgehend gewährten besonderen Ausweisungsschutzes rechtfertigen.

b) Schließlich kann der Kläger die Aufhebung einer Ausweisungsverfügung nicht deshalb beanspruchen, weil die Behörde die Wirkung der Ausweisung nicht bereits in der Verfügung befristet hat (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.2.1990 - 1 S 788/89, EZAR 124 Nr. 12). Denn die Entscheidung über die Befristung ist, wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist (BVerwG, Urteil vom 20.5.1980, Buchholz 402.24 § 10 Nr. 70 und Beschluss vom 31.3.1981, Buchholz 402.24 § 15 Nr. 3), nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung (a.A. HessVGH, Urteil vom 4.3.2002 a.a.O.). Ob dem Kläger als freizügigkeitsberechtigtem Ausländer aufgrund seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung nach Erlass der letzten Behördenentscheidung ein Anspruch auf Befristung zusteht, ist nicht Gegenstand des gegen die Ausweisung gerichteten Verfahrens (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 7.6.1979 und vom 16.10.1989, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.2.1990 a.a.O.). Es ist auch nicht erkennbar, weshalb es gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen sollte, wenn eine Befristung nicht unmittelbar mit der Ausweisung verbunden wird. Dagegen spricht bereits, dass sich die Dauer des Fortbestehens der festgestellten Wiederholungsgefahr ohne Anhaltspunkte aufgrund eines nach der Ausweisung liegenden Verhaltens des Ausländers nicht ausreichend beurteilen lässt. Von der Befristung zu unterscheiden ist der Anspruch darauf, unabhängig von der Bestandskraft der Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung und/oder einer Ausweisung einen Antrag auf die Erlaubnis der Einreise und des Aufenthalts zu stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 17.6.1997 a.a.O. - Shingara und Radiom). Dem steht nach der deutschen Rechtsordnung nichts entgegen. Der entsprechende Antrag wäre mit dem Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu verbinden, ggf. auch so auszulegen, dass gleichzeitig ein Befristungsantrag gestellt ist. Der Kläger kann damit auch im Hinblick auf die Beschränkung seiner Freizügigkeit durch die Ausweisung auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung verwiesen werden (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 3 und 4 AuslG, und zur Anwendung dieser Vorschrift bei nach Gemeinschaftsrecht freizügigkeitsberechtigten Ausländern BVerwG, Urteil vom 7.12.1999, - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = DVBl 2000, 429; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.12.2000 - 11 S 304/00 -; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschluss vom 22.9.1998 -10 B 11661/98 -, InfAuslR 1998, 496). Im Rahmen dieses Verfahrens wird auch zu berücksichtigen sein, dass er und seine Verlobte seit dem 27.7.2002 eine gemeinsame Tochter haben.

III. Die Ausweisung des Klägers verstößt schließlich auch nicht gegen Art. 2 Abs. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik vom 21.11.1957 (BGBl. 1959 II S. 949) und Art. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13. Dezember 1955 (BGBl 1959 II S. 997/1965 II S. 1099) - ENA -. Denn beim Kläger liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, die seine Ausweisung nach diesen Bestimmungen rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 -, DVBl. 1983, 174 = InfAuslR 1983, 34 = NVwZ 1983, 227 m.w.N.) erfordert dieses Merkmal so gewichtige Gründe, dass die Anwesenheit des Ausländers auch bei Anlegung strenger Maßstäbe nicht länger hingenommen werden kann; die Beurteilung ist daran auszurichten, dass die Ausweisung künftigen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorbeugen soll. Diese Voraussetzungen entsprechen denen des § 48 Abs. 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 [262 f.]). Ebenso stimmen die in bilateralen völkerrechtlichen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland - wie auch in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages -vorgesehenen besonders schwerwiegenden Ausweisungsgründe wiederum mit denen des Art. 3 Abs. 3 ENA überein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.11.1999 - 1 C 11.99 -, NVwZ-RR 2000, 320).

IV. Auch die Abschiebungsandrohung in der Verfügung des Beklagten vom 13.11.2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten.

Entsprechend dem zur Ausweisung Ausgeführten bedurfte es, unabhängig davon, ob die Abschiebungsandrohung oder erst die Abschiebung ebenfalls eine Maßnahme nach Art. 9 RL 64/221/EWG darstellt, auch insoweit keiner Stellungnahme der in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 RL 64/221/EWG genannten Stelle.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG soll die Abschiebung schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden. Die grundsätzlich nach der Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilende (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.5.1991, Buchholz 402.24 § 7 AuslG Nr. 43; Beschluss vom 11.7.1991 - 1 B 81.91; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 5.5.1992 - 13 S 1948/91 -) Rechtmäßigkeit einer solchen Abschiebungsandrohung setzt voraus, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist (§ 42 Abs. 1 und 2 AuslG) und dass die weiteren Anforderungen nach § 50 AuslG beachtet sind.

Die Abschiebungsandrohung durfte ergehen, da der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig war. Er besaß nach seiner - unter Anordnung des Sofortvollzugs verfügten - Ausweisung die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr (vgl. § 42 Abs. 1 AuslG). Die Klage gegen die Ausweisungsverfügung hat diese Wirkung unberührt gelassen. Bedenken gegen die Androhung der Abschiebung nach Italien bestehen im Hinblick auf § 50 Abs. 3 und § 53 Abs. 1, 2 oder 4 AuslG nicht; sie sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Im vorliegenden Fall ist eine Ausreisefrist von einem Monat nach Zustellung der Verfügung gesetzt worden. Nach rein nationalem Recht wäre das Absehen von der nach § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG zu setzenden Frist ausnahmsweise zulässig gewesen. Die entsprechenden Voraussetzungen lagen hier vor. Denn der Kläger befand sich in öffentlichem Gewahrsam (vgl. § 49 Abs. 2 AuslG), sodass hier die gesetzliche Ausnahmeregelung des § 50 Abs. 5 AuslG eingreift. Nach § 12 Abs. 7 AufenthG/EWG ist demgegenüber in der Verfügung die Frist mitzuteilen, innerhalb welcher der EG-Angehörige den Mitgliedstaat zu verlassen hat. Außer in dringenden Fällen darf die Frist nicht weniger als einen Monat betragen. Diesen Anforderungen wurde genügt.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

VI. Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht ist zuzulassen, da die Voraussetzung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfüllt ist. Den dargestellten Fragen der Auslegung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG kommt grundsätzliche Bedeutung zu. Sie sind auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt.

VII. Der Senat sieht demgegenüber hinsichtlich der in dieser Entscheidung erörterten Fragen der Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts von einer Vorlage nach Art. 234 EG-Vertrag an den Europäischen Gerichtshof ab.

Eine Vorlagepflicht besteht nicht. Art. 234 Satz 3 EG begründet die Vorlagepflicht nur für Gerichte, deren Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann. Zur Einholung einer Vorabentscheidung ist der Senat danach nicht verpflichtet (Art. 234 Satz 3 EG). Diese Entscheidung ist nach der vom Senat zugelassenen Revision mit diesem Rechtsmittel anfechtbar. Zu dem revisiblen Recht, das der Kontrolle in diesem Verfahren unterliegt, gehört auch das Recht der Europäischen Gemeinschaften (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.6.1970 - VII C 35.69 -, BVerwGE 35, 277; weitere Nachweise bei Eichberger in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Komm., § 137 VwGO, RdNr. 39 ff). Die Vorlagepflicht wird vom Europäischen Gerichtshof zwar auch für Gerichte, deren Entscheidungen angefochten werden können, dann angenommen, wenn diese Zweifel an der Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten haben. Für die Feststellung der Ungültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht hat der Europäische Gerichtshof die alleinige Kompetenz. Auch danach ist eine Vorlagepflicht hier nicht gegeben, da es nicht auf die Frage der gemeinschaftsrechtlichen Gültigkeit der Richtlinie ankam (vgl. hierzu auch Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in: Bergmann/Kenntner (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 63ff.). Vielmehr stellen sich hier ausschließlich Fragen auf der Ebene der Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht. Dementsprechend schied auch eine Aussetzung des Verfahrens aufgrund anhängiger Vorabentscheidungsersuchen aus (vgl. Kenntner, a.a.O., S. 88).

Der Senat sieht von einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ab. Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vor (hier: Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache) und besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 234 EG, wird in der Regel anstelle der Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Revision zuzulassen sein, um im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs zu ermöglichen. Diese Zurückstellung der Vorlage bis zum Revisionsverfahren gewährleistet, dass der Europäische Gerichtshof dann auf die gesicherten Grundlagen einer fundierten, abschließend systematisch-dogmatisch aufbereiteten Würdigung des Streitstoffs nach nationalem Recht zurückgreifen kann, was die Überzeugungskraft seiner Vorabentscheidungen erhöht.

Beschluss

vom 28. November 2002

Der Streitwert wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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