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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 11 S 1319/06
Rechtsgebiete: VwGO, StVollzG, FrhEntzG, AufenthG, LVwVfG, GVG


Vorschriften:

VwGO § 40 Abs. 1
StVollzG § 109 Abs. 1
FrhEntzG § 8 Abs. 1 Satz 3
FrhEntzG § 8 Abs. 2
AufenthG § 62
LVwVfG § 4 Abs. 1
LVwVfG § 7
GVG § 17a Abs. 2
GVG § 17a Abs. 4
Für die Klage eines ehemaligen Abschiebehäftlings gegen den Träger der Justizvollzugsanstalt auf Feststellung, dass die Durchführung der Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe nach § 8 Abs. 2 FEVG wegen eines unwirksamen Amtshilfeersuchens der Ausländerbehörde rechtswidrig war, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1319/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungshaft

hier: Verweisung an ein anderes Gericht

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 20. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 11. Mai 2006 - 9 K 2137/05 - aufgehoben.

Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.

Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11.05.2006, in dem der Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und der Rechtsstreit an das Landgericht Tübingen - Strafvollstreckungskammer - verwiesen wird, ist nach §§ 146 Abs. 1, 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 2 GKG statthaft und auch sonst zulässig; insbesondere hat der Kläger, ausgehend von seinen anwaltlich versicherten und nicht bestrittenen Angaben zum Zustellungszeitpunk, die Beschwerde rechtzeitig innerhalb der Zweiwochenfrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingelegt.

Die Beschwerde ist auch begründet. Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat den Verwaltungsrechtsweg für gegeben. Mit der Klage, die er ausdrücklich gegen den Leiter der Justivollzugsanstalt (JVA) Rottenburg des beklagten Landes - und nicht gegen das Regierungspräsidium Stuttgart - richtet, begehrt der Kläger bei sachgerechter Auslegung seines umgestellten Klagantrags nunmehr die Feststellung, dass die in der Durchführung der Abschiebehaft vom 04.10.2005 bis zum 03.01.2006 liegende Freiheitsentziehung durch die JVA rechtswidrig war. Zur Begründung macht er geltend, dass die JVA ihn nicht hätte festhalten dürfen, weil es an einem wirksamen Vollzugsersuchen des Regierungspräsidiums Stuttgart gefehlt habe. Das in der Abschiebehaftakte befindliche Formular "Ersuchen um Aufnahme zum Vollzug der Abschiebehaft" vom 04.10.2005 sei nicht vollständig ausgefüllt, insbesondere fehle die Angabe des Abschiebehaftbeschlusses, auf den es sich beziehe; das Formular sei zudem nicht unterschrieben, so dass es sich nur um einen Entwurf handle. Die JVA dürfe einen Ausländer aber nur aufgrund einer wirksamen Vollzugsanordnung in Haft nehmen, eine Haftvollstreckung ohne das zwingend erforderliche wirksame Vollzugsersuchen stelle eine rechtswidrige Freiheitsentziehung durch die JVA dar.

Dieser Streitgegenstand (Antrag und zugrunde liegender Lebenssachverhalt) gehört nach § 40 Abs. 1 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg an. Es handelt sich zum einen unstreitig um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, nämlich um die Befugnis der JVA, dem Kläger auf der Grundlage von an sie als Hoheitsträger gerichteten gesetzlichen Vorschriften (vgl. Art. 104 Abs. 1 GG) die Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) zu entziehen, indem sie ihn in Abschiebungshaft nahm. Zum anderen ist diese Streitigkeit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht - dem Landgericht (Strafvollstreckungskammer) - zugewiesen. Dies ergibt sich aus folgendem:

1. § 62 AufenthG schreibt vor, unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer in Abschiebungshaft (Vorbereitungs- oder Sicherungshaft) zu nehmen ist. Beim Kläger, der mehrfach untergetaucht war, ging es um die Haft zur Sicherung seiner Abschiebung (Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Für die Anordnung der Abschiebungshaft bedurfte es, den Anforderungen des Art. 104 Abs.1 GG entsprechend, eines richterlichen Beschlusses aufgrund eines förmlichen Gesetzes. Ein solcher - sofort vollziehbarer - Beschluss (Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 04.10.2005) auf der Grundlage von § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. §§ 1, 4 ff., 6 Abs. 1 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen - FEVG -) lag vor. Den erforderlichen Antrag (§ 3 FEVG) hatte das hierfür und für die nachfolgende Organisation der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber sachlich und örtlich zuständige Regierungspräsidium Stuttgart gestellt (vgl. § 4 Abs. 1 und 4 sowie § 6 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 der Aufenthalts- und Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO - in der aktuellen Fassung vom 30.07.2004). In Baden-Württemberg vollziehen die Regierungspräsidien als Vollstreckungsbehörden Abschiebungshaftbeschlüsse freilich nicht selbst in eigenen Einrichtungen (§ 8 Abs. 1 Satz 3 FEVG), sondern lassen die Vollziehung im Wege der Amtshilfe (vgl. §§ 2 Abs. 3 Nr. 1, 4 - 8 LVwVfG) durch die Justizvollzugsanstalten durchführen (§ 8 Abs. 2 FEVG). Wird die Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe durch die JVA vollzogen, gelten die Vorschriften der §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes - StVollzG - entsprechend und damit auch die Vorschriften der §§ 109 ff. StVollzG über die gerichtlichen Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen "zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs" (§ 109 Abs. 1 StVollzG), die den Strafvollstreckungskammern bei den Landgerichten zugewiesen und damit den Verwaltungsgerichten entzogen sind (§ 40 Abs. 1 VwGO). Die Spezialzuweisung der §§ 109, 110 StVollzG bezieht und beschränkt sich auf alle "spezifisch vollzugsbehördlichen Verwaltungsmaßnahmen"; zum Gebiet des Strafvollzugs gehören sie nur, wenn sie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und dem Gefangenen aufgrund des Strafvollzugsgesetzes ausgestalten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.09.2003 - 4 S 2023/03 -, Juris, m.w.N.).

2. Um eine derartige Streitigkeit gegen eine spezifisch vollzugsbehördliche Maßnahme der JVA Rottenburg nach § 8 Abs. 2 FEVG i.V.m §§ 171, 109 Abs. 1 StVollzG geht es vorliegend aber nicht. Denn der Kläger wendet sich, wie er ausdrücklich betont, nicht gegen ihn beeinträchtigende konkrete Einzelgebote oder Verbote im Rahmen der Vollzugsplanung, der Unterbringung, des Schriftverkehrs, der Aus- und Weiterbildung, der Religionsausübung, Gesundheitsfürsorge, Freizeitgestaltung oder zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ordnung oder Disziplin (vgl. dazu insbesondere den Katalog von Einzelrechten und -pflichten der Vollzugshäftlinge in §§ 3 - 101 StVollzG). Er greift nicht die Art und Weise (das "Wie") des Vollzugs der Abschiebungshaft an, sondern stellt - dem rechtlich vorgelagert - schon das Recht der JVA zur Durchführung der Abschiebehaft im Wege der Amtshilfe überhaupt (das "Ob") in Frage, da es bereits an einem - zur Amtshilfe erst ermächtigenden - wirksamen Amtshilfeersuchen nach § 8 Abs. 2 FEVG i.V.m. §§ 4 ff. LVwVfG fehle. Dieser Streit über die Berechtigung, in Amtshilfe tätig zu werden und - damit zusammenhängend - über die Rechtsnatur und die Formerfordernisse eines Amtshilfeersuchens nach § 4 Abs. 1 LVwVfG sowie über die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen dem Regierungspräsidium als der ersuchenden und der JVA als der ersuchten Behörde (vgl. allgemein dazu § 7 Abs. 2 LVwVfG) fällt nicht unter die Sonderzuständigkeit der Strafvollstreckungskammern nach § 8 Abs. 2 i.V.m. §§ 171, 109 Abs. 1 StVollzG. Es handelt sich nicht um eine Haftvollzugsstreitigkeit im eigentlichen Sinn (Ausgestaltung des Vollzugs), sondern um eine Auseinandersetzung darüber, welche Anforderungen verwaltungsverfahrensrechtlich an die Übertragung der Durchführung des Haftvollzugs im Wege der Amtshilfe zu stellen sind. Zur Entscheidung über diesen - öffentlichrechtlichen - "Amtshilfestreit" sind die Verwaltungsgerichte berufen. Darauf, ob die Feststellungsklage des Klägers Erfolg hätte, kommt es nicht an. Der Senat bemerkt lediglich, dass ein Erfolg der Klage angesichts der Kompetenzabgrenzung zwischen Ausländerbehörde und ersuchter JVA und im Hinblick auf das nicht isoliert zu betrachtende, sondern im Gesamtkontext mit den übrigen Haftunterlagen auszulegende Ersuchensschreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2005 durchaus fraglich erscheint.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

Eine Kostenentscheidung für das vorliegende Beschwerdeverfahren zu Lasten des Beklagten ist nicht zu treffen, da der Beklagte die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs auch im Beschwerdeverfahren nicht gerügt hat und es deshalb im vorliegenden Beschwerdeverfahren an einem unterliegenden Teil im Sinne des allein in Betracht kommenden § 154 Abs. 1 VwGO fehlt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.05.2001 - 4 S 667/00 -, InfAuslR 2001, 282, m.w.N. sowie Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl., § 41 RdNr. 45).

Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG gegeben ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.03.1994 - 4 B 223/93 -, Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 9; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 09.04.1991 - 6 S 138/91 -).

Ende der Entscheidung

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