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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: 11 S 1410/02
Rechtsgebiete: AuslG, EMRK


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 1
EMRK Art. 8
1. Eine Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG kann allenfalls in höchst seltenen, außergewöhnlichen Fällen dem verfassungsgerichtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit widersprechen (wie BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 -, NVwZ 1994,189).

Dies kommt - unter Berücksichtigung des differenzierten Regelungsgefüges von Ausweisung und Abschiebung im Ausländergesetz - nur bei Sachverhalten in Betracht, die sich entweder durch ein extrem gemindertes spezial- oder generalpräventives Ausweisungsinteresse oder durch ein extrem erhöhtes dauerhaftes persönlich-familiäres Bleibeinteresse auszeichnen.

2. Auch eine Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG ist ergänzend daraufhin zu prüfen, ob sie nach Maßgabe des Art. 8 Abs. 2 EMRK unverhältnismäßig in Schutzgüter des Art. 8 Abs. 1 EMRK (Privat- oder Familienleben) des Ausländers eingreift. Dies ist allerdings nur in außergewöhnlichen Einzelfällen denkbar, die hinsichtlich des (gesteigerten) Gewichts der Schutzgüter nach Art. 8 Abs. 1 EMRK oder hinsichtlich der (geminderten) Bedeutung der öffentlichen Ausweisungszwecke des Art. 8 Abs. 2 EMRK signifikante Besonderheiten aufweisen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1410/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Paehlke-Gärtner

am 23. Oktober 2002

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 22. Mai 2002 - 11 K 295/02 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere rechtzeitig beim Verwaltungsgericht eingelegte und rechtzeitig gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss vom 22.5.2002 hat keinen Erfolg. Wie das Verwaltungsgericht sieht auch der Senat keinen Anlass, dem - seinerseits zulässigen - Antrag des Antragstellers stattzugeben und die begehrte aufschiebende Wirkung der Klage (11 K 294/02) gegen die - die Ausreisepflicht des Antragstellers nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG selbstständig auslösende - Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 2 und 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 7.1.2002 anzuordnen (vgl. § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 VwGO i.V.m. § 72 Abs. 1 AuslG und § 12 LVwVG). Denn mit den dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellt der Antragsteller die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, dass die streitgegenständlichen Regelungen bei summarischer Prüfung nach Lage der Akten rechtmäßig sind und daher das öffentliche Interesse an der - vom Gesetzgeber als Regelfall ausgestalteten - sofortigen Vollziehung beider Regelungen das Interesse des Antragstellers überwiegt, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Deutschland bleiben zu dürfen.

1. Ob der Verlängerung der dem Antragsteller zuletzt bis zum 1.4.1999 befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis Regelversagungsgründe in Gestalt der zahlreich begangenen (Straf-)Rechtsverstöße des Antragstellers entgegenstehen (vgl. §§ 13, 7 Abs. 2 Nr. 1, 46 Nr. 2 AuslG), bedarf keiner Entscheidung. Denn der Antragsgegner hat den Antragsteller wegen des Gewichts dieser strafrechtlichen Verurteilungen in der Verfügung vom 7.1.2002 zugleich aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Die Ausweisung bildete, wie sich aus dem Tenor (Entscheidungsreihenfolge) und den Gründen der Verfügung ergibt, die rechtslogisch vorrangige Grundlage für die nachfolgende Ablehnungsentscheidung. Damit lag die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr - wie von § 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AuslG vorausgesetzt - im (grundsätzlichen) Ermessen der Ausländerbehörde, sondern ihr stand bereits die "absolute" gesetzliche Sperre des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegen. Diese Sperre trat mit der Wirksamkeit der Verfügung (§ 43 Abs. 1 LVwVfG) ein und bestand unbeschadet der bezüglich der Ausweisung ausgelösten aufschiebenden Wirkung der Klage fort (vgl. § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Nach dem insofern formal ausgestalteten Mechanismus des Ausländergesetzes lösten allein die wirksam gewordene Ausweisung und die hieran geknüpfte (kraft Gesetzes vollziehbare) Ablehnungsentscheidung die - vollziehbare - Ausreisepflicht des Antragstellers aus (§ 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, 72 Abs. 1 AuslG). Aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sind in derart gelagerten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis gleichwohl aber nicht nur die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Ausweisung zu prüfen. Die Prüfung hat sich vielmehr auch darauf zu erstrecken, ob materiellrechtlich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestehen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 28.11.1991 - 1 S 2601/91 -. VBlBW 1992, 155 f., und vom 18.12.1991 - 11 S 1275/91 -, VBlBW 1992, 309 ff.).

2. Vorliegend sind - mit dem Verwaltungsgericht und entgegen der Beschwerdebegründung - derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Antragstellers nicht zu erkennen.

2.1 Der Antragsteller, ein 1976 geborener, 1989 nach Deutschland zu seinen Eltern eingereister und von 1992 bis 1999 im Besitz befristeter Aufenthaltserlaubnisse befindlicher lediger tunesischer Staatsangehöriger, trat seit 1993 häufig strafrechtlich in Erscheinung. Er wurde deswegen seit 1994 neunmal strafrechtlich verurteilt, darunter wegen mehrerer Betäubungsmitteldelikte (Urteil vom 10.8.1994: Handeltreiben in 15 Fällen; Urteil vom 20.11.1996: Unerlaubter Besitz <Heroinbriefchen>; Urteil vom 25.6.1998: Unerlaubter Besitz <Heroinbriefchen>; Urteil vom 18.9.2001: Unerlaubter Besitz <6 Heroinbriefchen>), wegen durchweg brutaler Körperverletzungsdelikte (Urteil vom 28.2.1996: Gemeinschaftlich begangene schwere Körperverletzung <Eintreten auf das wehrlose Opfer>; Urteil vom 10.5.2000: Gefährliche Körperverletzung <Schlag mit Glas auf den Kopf des Opfers>) sowie wegen Diebstählen (Urteil vom 26.5.1999: Geringwertige Sachen; Urteil vom 8.11.2001: Diebstahl von Bekleidungsgegenständen). Der Antragsteller war deswegen im Februar 1997 und erneut im Februar 2001 jeweils ohne Erfolg ausländerbehördlich verwarnt worden. Er beging zudem jeweils während der Bewährungszeit neue Verfehlungen, weshalb er die im Urteil vom 10.5.2000 (gefährliche Körperverletzung) verhängte Freiheitsstrafe von 5 Monaten verbüßen musste. In den Urteilen vom 18.9.2001 (BTM) und vom 8.11.2001 (Diebstahl) wurden schließlich Freiheitsstrafen von insgesamt vier Monaten ohne Bewährung (im letzteren Fall im Rahmen einer Gesamtfreiheitsstrafe) ausgeworfen. Der Antragsteller erfüllte damit (u.a.) den Ausweisungsgrund des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Dies bedeutet, da er unstreitig keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG besitzt und bei der Ausweisung auch kein Heranwachsender (mehr) war (§ 48 Abs. 2 Satz 2 AuslG), dass die Ausweisung nach dem abgestuften System des Ausländergesetzes zwingend erfolgen musste (sog. Ist-Ausweisung), ohne dass der Ausländerbehörde insofern noch Ermessen eingeräumt war.

2.2 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die obligatorische Ausweisung in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG bestehen nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.12.1993 - 1 B 160.93 -, VBlBW 1994, 189 = InfAuslR 1994, 101; Beschl. v. 30.12.1993 - 1 B 185.93 -, NVwZ 1994, 584 = InfAuslR 1994, 181, Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 1, § 47 RdNr. 5 m.w.N.; a.A. teilweise GK-AuslR, § 47 RdNr. 55 m.w.N.). Die Vorschrift greift nur bei wenigen strafgerichtlichen Rechtsverstößen von - für sich oder in der Gesamtschau - besonderer Schwere oder Gefährlichkeit ein. Hierzu gehören - wegen ihrer gravierenden Folgen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Konsumenten wie auch wegen der schwierigen Verfolgbarkeit - auch vorsätzliche mit Freiheitsstrafen geahndete Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz. Mit der zwingenden Ausweisung in solchen Fällen verfolgt § 47 Abs. 1 AuslG ein gesteigertes, spezial- und generalpräventiv determiniertes öffentliches Präventionsinteresse (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 2.7.2001 - 13 S 2326/99 -, VBlBW 2002, 34 = InfAuslR 2002, 72). In generalpräventiver Hinsicht besteht ein dringendes Bedürfnis, andere Ausländer über die strafrechtliche Sanktion hinaus von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten; in spezialpräventiver Hinsicht geht die Vorschrift angesichts des Gewichts der Straftaten von einer erheblichen kriminellen Energie des Täters aus, aufgrund derer die erneute Begehung vergleichbarer Straftaten - ausgehend von einer mit zunehmender Schwere geringeren Anforderungen unterliegenden Wiederholungswahrscheinlichkeit - ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (so zutreffend OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5.3.1998 - 18 B 1718/96 -, InfAuslR 1998, 393).

Mit diesem unter besonders strengen Voraussetzungen an legitime Ziele anknüpfenden Anforderungsprofil verstößt § 47 Abs. 1 AuslG nach gefestigter Rechtsprechung weder gegen die Menschenwürde oder das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Erforderlichkeit, Geeignetheit, Angemessenheit; vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.12. und 30.12.1993 a.a.O. sowie Beschluss vom 4.10.1995 - 1 B 139.95 -, Buchholz 404.24 § 47 AuslG Nr. 7). Dabei ist § 47 Abs. 1 AuslG nicht isoliert zu sehen, sondern als Bestandteil des Systems der §§ 45 ff. AuslG und des übrigen Regelungsgefüges des Ausländergesetzes in den Blick zu nehmen. Danach kommt insbesondere das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn (Angemessenheit, Zweck-Mittel-Relation) in vielfacher Weise auf der Ebene sowohl der Ausweisung (aufenthaltsbeendende Grundverfügung) als auch der Abschiebung (Vollstreckung) effektiv zur Geltung. Auf der Ausweisungsebene geschieht dies durch das - nach Schwere und Gefahr der Straftaten einerseits sowie besonderer aufenthalts- oder grundrechtlicher Schutzpositionen der Ausländer andererseits - abgestufte System der Ist-, Regel- und Ermessensausweisungstatbestände (§§ 45 - 48 AuslG). Ferner ist § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG in die Beurteilung mit einzubeziehen, wonach die Wirkungen der Ausweisung in der Regel - unter Berücksichtigung der dann maßgeblichen öffentlichen und persönlichen Belange (Zweckerreichung, Verhalten nach der Ausweisung, Vorliegen eines aktuellen Aufenthaltsrechts etc) - zu befristen sind (zu diesem Gesichtspunkt vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.9.2002 - 11 S 862/02 -). Zusätzlich sind auf der Vollstreckungsebene weitere Feinsteuerungen möglich bzw. rechtlich geboten. Im Falle einer aus rechtlichen, tatsächlichen oder humanitären Gründen im Inland (Trennung von Angehörigen) oder wegen Gefahren im Abschiebezielstaat rechtlich unzulässigen oder unzumutbaren Abschiebung kann bzw. muss gegebenenfalls die Abschiebung ausgesetzt werden (Duldung, vgl. §§ 55 Abs. 2 - 4, 56 sowie § 53 AuslG); diese Duldung kann nach bestimmter Zeit - ungeachtet der Ausweisung - wieder zu einem Aufenthaltsrecht in Form einer Aufenthaltsbefugnis, ja sogar einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erstarken (vgl. §§ 30 Abs. 4, 31 und 35 AuslG; zu den Voraussetzungen i.E. vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 9.7.2002 -11 S 2240/01 -).

2.3 Vor diesem Hintergrund sind, worauf das Bundesverwaltungsgericht zutreffend hinweist, Konstellationen kaum vorstellbar, in denen eine Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen könnte und nach vorrangigem Verfassungsrecht unterbleiben müsste. Es könnte sich allenfalls um höchst seltene, außergewöhnliche Fälle handeln, welche die Gültigkeit des § 47 Abs. 1 AuslG sonst aber nicht in Frage stellen (vgl. Beschlüsse vom 10.12.1993 und vom 30.12.1993 a.a.O.).

Die Ausländerbehörden dürfen sich in Ausweisungsfällen nach § 47 Abs. 1 AuslG bei Begründung ihrer Entscheidung dementsprechend auf der Prüfungsebene nationalen Rechts grundsätzlich mit der Feststellung des Tatbestands der Norm begnügen. Auf die Vereinbarkeit mit übergeordnetem Verfassungsrecht brauchen sie nur bei ganz außergewöhnlichen Sachverhalten einzugehen, die sich durch ein extrem gemindertes spezial- oder generalpräventives Ausweisungsinteresse auszeichnen. Ein - für einen Ausnahmefall nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG ausreichender - insofern nur atypischer Geschehensablauf, der schon gegeben sein kann, wenn die spezial- und generalpräventiven Zwecke des § 47 Abs. 1 AuslG "nicht in dem erforderlichen Ausmaß zum Tragen kommen" (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.7.2001 - 13 S 2326/99 - a.a.O.), genügt hierfür keinesfalls. In gleicher Weise können im persönlich-familiären Bereich des Ausländers nur Einzelfälle eines extrem erhöhten dauerhaften Bleibeinteresses in Betracht kommen (verneinend allerdings Hailbronner, Ausländerrecht, § 47 RdNr. 12 a).

Von einem derart außergewöhnlichen Sonderfall kann beim Antragsteller nicht die Rede sein. Seine - von zahlreichen, teilweise wiederholten und unter Bewährungsbruch begangenen Straftaten (mit Schwerpunkt Betäubungsmittel- und Gewaltkriminalität) gekennzeichnete - Biografie passt in das Bild des von § 47 Abs. 1 AuslG erfassten Ausländers. Außergewöhnliche Umstände, die auf ein extrem gemindertes general- oder spezialpräventives Präventions- interesse hindeuten, liegen offensichtlich nicht vor. Angesichts der raschen Abfolge der Straftaten und der Missachtung zweier ausländerrechtlicher Verwarnungen muss vielmehr im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisung (Januar 2002) noch von einer erheblichen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Auch extrem schutzwürdige persönliche Verhältnisse sind beim Antragsteller offensichtlich nicht gegeben, da er im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisung 25 Jahre alt, ledig und kinderlos war und sich auch wirtschaftlich nicht altersentsprechend integriert hatte. Die Ausweisung würde daher ersichtlich auch einer "hilfsweise" rechtlichen Überprüfung am Maßstab einer Regelausweisung nach dem - beim Antragsteller durch die Verurteilung vom 8.11.2001 ebenfalls erfüllten - § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG standhalten.

2.4 Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Ausweisung auch nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht zu beanstanden. Dieser - gesonderten - Prüfung sind - wovon zutreffend auch das Verwaltungsgericht ausgeht - Behörden und Gerichte allerdings nicht schon wegen des zwingenden Charakters des § 47 Abs. 1 AuslG enthoben. Zwar stellen die einzelnen Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) noch keine nach Art. 25 Satz 2 GG dem Ausländergesetz vorgehenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts dar (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.2.2001 - 13 S 2501/00 -, InfAuslR 2001, 286 m.w.N.). Jedoch ist die EMRK, ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, durch Zustimmungsgesetz vom 7.8.1952 (BGBl. II, S. 685, 953) gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transponiert worden. Seither ist sie Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.3.1987 - 2 BvR 740/81 -, BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427) und gilt, wie auch andere in deutsches Recht transponierte zwei- und mehrseitige völkerrechtliche Verträge (etwa Europäisches Niederlassungsabkommen - ENA - sowie bilaterale Niederlassungsabkommen) mit unmittelbarer Wirkung neben dem Ausländergesetz und ergänzt dessen Regelungen (begünstigend) für den erfassten Personenkreis. Ein solches (begünstigendes) Ergänzungsverhältnis zwischen innerstaatlichen Rechtsmaterien und der EMRK ist - außerhalb des Ausländerrechts - in der obergerichtlichen Rechtsprechung mehrfach bejaht worden (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 26.3.1987, a.a.O, <zur Auswirkung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auf die Auslegung des § 383 Abs. 2 StPO>; BVerwG, Urt. v. 16.12.1989 - 4 CN 9.98 -, BVerwGE 110, 203 = NVwZ 2000, 810 = InfAuslR 2000, 171 <Schranken setzende Wirkung des Öffentlichkeitsgebots des Art. 6 Abs. 1 EMRK im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO>). Im Bereich des Ausländergesetzes wird die kumulative Anwendbarkeit der EMRK - auch nach Wegfall der "Unberührtklausel" des § 55 Abs. 3 AuslG 1965 - teilweise aus dem gesetzlichen Vorbehalt des § 1 Abs. 1 AuslG (so GK-AuslR § 1 RdNr. 17; Hailbronner, Komm. zum AuslG, § 1 RdNr. 14), überwiegend aber aus dem Geltungs- und Anwendungsvorrang des EMRK-Transformationsgesetzes vor den Regelungen des Ausländergesetzes bzw. (zusätzlich) aus dem Prinzip der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlichen Rechts hergeleitet (vgl. Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 1 AuslG RdNr. 48; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.2.2001, a.a.O. sowie Urt. vom 26.7.2001 - 13 S 2401/99 -, VBlBW 2002, 78 = InfAuslR 2002, 2 ff.). Diese Grundsätze wendet der erkennende Gerichtshof auch auf das Verhältnis zwischen § 47 Abs. 1 AuslG und Art. 8 EMRK an. Der Gesetzgeber habe beim Erlass des Ausländergesetzes 1990 Art. 8 EMRK und die bis dahin ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vorgefunden. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 47 Abs. 1 AuslG könne nicht entnommen werden, dass diese Bestimmung die Anwendung der EMRK auf bestimmte Ausweisungen ausschließen und damit eine Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland begründen wolle. Auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass ein Art. 8 EMRK etwa zu entnehmender weitergehender Ausweisungsschutz bei Anwendung des Ausländergesetzes zu beachten ist (vgl. Beschlüsse vom 22.2.1993 - 1 B 7.93 -, InfAuslR 1993, 257 und vom 21.8.1997 - 1 B 163.97 - <JURIS>). An dieser ursprünglich mit § 55 Abs. 3 AuslG 1965 begründeten Auffassung (Beschluss vom 22.2.1993, a.a.O.) hat das Bundesverwaltungsgericht auch unter Geltung des Ausländergesetzes 1990 in einem Fall der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG ausdrücklich festgehalten (Beschl. vom 21.8.1997, a.a.O.). Nach all dem steht auch für den Senat außer Frage, dass Art. 8 EMRK auch bei Ausweisungen nach § 47 Abs. 1 AuslG ergänzend zu prüfen ist. Die Vorschrift stellt sich strukturell - insofern vergleichbar mit § 48 AuslG - als (völkerrechtlich vermittelter) Fall eines besonderen Ausweisungsschutzes dar.

Von dieser (kumulativen) Anwendbarkeit des Art. 8 EMRK (auch) bei der Ist-Ausweisung ist die Frage zu trennen, welche inhaltlichen Anforderungen diese Vorschrift stellt. Art. 8 Abs. 1 EMRK untersagt die Ausweisung aus den dort genannten Gründen nicht schlechthin, sondern knüpft sie lediglich an die Voraussetzung, dass dies nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen Ziele und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Diesen Zielen und den Kriterien der Verhältnismäßigkeit (Zweck-Mittel-Relation) wird das oben dargelegte differenzierte Regelungswerk der Ausweisungsgründe und des Abschiebungsschutzes im Ausländergesetz indessen weitestgehend gerecht. Es ist daher davon auszugehen, dass eine nach nationalem Recht nach Maßgabe der strengen grundrechtlichen Vorgaben (insbesondere Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2, 6 und 20 Abs. 3 GG) verhältnismäßige Ausweisung grundsätzlich auch dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK entspricht (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 9.12.1997 - 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13; Urt. v. 17.6.1998 - 1 C 27.96 -, BVerwGE 107, 158 = DVBl 1998, 1028). Dies gilt auch für die durch besonders schwere bzw. gefährliche Rechtsverstöße und ein dementsprechend hohes (spezial- und generalpräventives) Aufenthaltsbeendigungsinteresse gekennzeichnete Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG. Korrekturen wegen Unverhältnismäßigkeit sind daher auch nach dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK nur in außergewöhnlichen Einzelfällen denkbar, die entweder hinsichtlich des (gesteigerten) Gewichts der Schutzgüter (Privat- und Familienleben) oder hinsichtlich der (geminderten) Bedeutung der öffentlichen Ausweisungsziele (insbesondere öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) signifikante Besonderheiten aufweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK, soweit er sich mit dem des Art. 6 GG deckt, keinen weitergehenden Schutz vermittelt als dieser (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.9.1998 - 1 C 8.98 -, NVwZ 1999, 303 = InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 17.6.1998, a.a.O.), sodass Einzelkorrekturen gegenüber einem (innerstaatlich nicht zu beanstandenden) Ausweisungsgebot ernstlich wohl nur im Hinblick auf das Schutzgut des "Privatlebens" in Art. 8 Abs. 1 EMRK in Betracht kommen dürften, zu dem die Gesamtheit der in Deutschland gewachsenen Bindungen gehören, wie sie in § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG umschrieben sind.

2.5 Signifikante Besonderheiten in diesem Sinne liegen beim Antragsteller nicht vor, so dass seine Rechte aus Art. 8 EMRK durch die Ausweisung nicht verletzt werden. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung oder zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Die Ausweisung greift aufgrund ihrer Rechtsfolgen (insbesondere: Einreisesperre und Pflicht zur Ausreise) zwar in den Schutzbereich des Privatlebens des Antragstellers ein und berührt zudem den Schutzbereich des Familienlebens, der auch faktische Beziehungen zwischen Eltern und volljährigen Kindern umfasst. Dieser Eingriff dient jedoch zur Verteidigung der Ordnung, zum Schutz der Rechte anderer und zur Verhinderung strafbarer Handlungen und ist für die Durchsetzung dieser Zwecke auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Beim Antragsteller war - indiziert nicht nur durch den Tatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (Verurteilung wegen einer BTM-Straftat zu Freiheitsstrafe im Urteil vom 18.9.2001), sondern nachhaltig belegt durch sein unbelehrbares strafrechtliches Verhalten vor und nach dieser Tat - von der erheblichen Gefahr wiederholter schwerer Verstöße gegen die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit anderer auszugehen. Seine Ausweisung entspricht daher einem aus spezialpräventiven Gründen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) wie aus generalpräventiven Erwägungen (Verteidigung der Rechtsordnung) dringenden sozialen Bedürfnis und ist gegenüber diesem nicht unangemessen. Die legitimen öffentlichen Ausweisungszwecke wiegen daher im vorliegenden Fall keineswegs geringer "als dies im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 AuslG typischerweise der Fall ist" (so VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.7.2001, a.a.O., im Hinblick auf die dort fehlende Wiederholungsgefahr). Die Tatsache, dass der Antragsteller im Juli 2001 eine Therapiezusage erhalten und die Therapie zwischenzeitlich angetreten hat, schmälert die von ihm im maßgeblichen Zeitpunkt ausgehende Wiederholungsgefahr nicht. Denn die Therapie bietet nur den Anfang und die Chance eines Heilungsprozesses, ein Erfolg ist erst längere Zeit nach Therapieabschluss ablesbar und war beim Antragsteller bei Erlass der Ausweisungsverfügung, als er die Therapie noch gar nicht angetreten hatte, noch in keiner Weise absehbar. Im Übrigen beschränkte sich die vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr eben nicht nur auf Betäubungsmitteldelikte oder damit zusammenhängende Beschaffungskriminalität, sondern es waren gleichzeitig auch weitere schwere Straftaten gegen Körper und Gesundheit anderer Bürger zu befürchten. Auch von einer außergewöhnlichen Beeinträchtigung des Privatlebens des Antragstellers ist nicht auszugehen. Der Antragsteller ist insbesondere nicht zu einem - in Deutschland außergewöhnlich integrierten und seinem Herkunftsland völlig entfremdeten - "faktischen Inländer" geworden. Er reiste erst mit 13 Jahren nach Deutschland ein und bestreitet auch nicht, dass er - wenn auch schwerfällig - noch arabisch spricht. Dafür, dass er ansonsten außer seiner Staatsangehörigkeit, keine - über seine Eltern vermittelten - nennenswerten sozio-kulturellen Beziehungen zu Tunesien mehr hatte, hat der Antragsteller auch in der Beschwerdebegründung nichts Hinreichendes dargelegt. Zudem spricht die geringe soziale wie wirtschaftliche Integration des Antragstellers in Deutschland dagegen, dass er sich "aufgrund seiner gesamten Entwicklung" derart in Deutschland eingerichtet hat, dass ihm "wegen der Besonderheiten des Falles" ein Leben in Tunesien nicht mehr zuzumuten ist (zu diesen Anforderungen vgl. BVerwG, Urt. v. 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303 = InfAuslR 1999, 54). Schließlich wird der Antragsteller auch hinsichtlich seiner familiären Beziehungen durch die Ausweisung keineswegs außergewöhnlich schwer betroffen. Wie dargelegt, war er bei der Ausweisung bereits 25 Jahre alt sowie ledig und kinderlos. Dass ein "besonders inniges" Verhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern bestand (zu diesem Gesichtspunkt vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.7.2001, a.a.O.), ist nicht dargetan. Abgesehen davon, würde dieser Umstand allein angesichts der erheblichen Wiederholungsgefahr auch keineswegs ohne weiteres ausreichen, um die Ist-Ausweisung des Antragstellers unverhältnismäßig erscheinen zu lassen (anders der Sachverhalt im Urteil vom 26.7.2001 a.a.O.). Ferner liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Eltern des Antragstellers hilfebedürftig und deswegen unabweislich gerade auf den Beistand des Antragstellers angewiesen wären. Der Senat kann daher auch offen lassen, ob eine sich hieraus ergebende Unzumutbarkeit der Trennung von den Angehörigen (angesichts des erheblichen Ausweisungsinteresses in Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG) im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung selbst hätte führen müssen, oder ob es ausgereicht hätte, diese Belange gegebenenfalls auf der Ebene der Abschiebung (Abschiebungsschutz in Form einer Duldung) zur Geltung zu bringen (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.9.2002 - 11 S 862/02 -; verneinend bei voraussichtlich fehlendem Recht auf Wiederkehr VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.7.2001, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 25 Abs. 2, 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 14 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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