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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.12.2008
Aktenzeichen: 11 S 1454/08
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG


Vorschriften:

AufenthG § 55 Abs. 1
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2
AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 6
1. Hat ein Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen eine behördliche Verfügung begangen, die eine ausländerrechtliche Mitwirkungspflicht (hier zur Beschaffung eines Identitätspapiers nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG) konkretisiert, kann er nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausgewiesen werden; der besondere Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schließt das nicht aus (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 08.06.2006 - 11 S 2135/05 - juris im Anschluss an VG Sigmaringen, Beschluss vom 04.10.2005 - 6 K 1323/05 - juris).

2. Eine solche Ausweisung setzt keinen Hinweis im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG voraus.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1454/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 2. Dezember 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. April 2008 - 5 K 970/06 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung, die aufgrund mangelnder Mitwirkung bei der Beschaffung gültiger Reisedokumente verfügt wurde.

Der nach seinen Angaben am xx.xx.1963 in Teheran geborene Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 01.08.1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 29.04.1992 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht gegeben seien. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 22.02.1993 (A 13 K 31024/92) ab. Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 07.11.1994 wurde der Kläger aufgefordert, an der Beschaffung von Rückreisedokumenten mitzuwirken. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und kam der Aufforderung nicht nach.

Mit Schriftsatz vom 05.04.1995 beantragte er unter Berufung auf exilpolitische Aktivitäten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 08.06.1995 ab; zugleich drohte es dem Kläger die Abschiebung in den Iran an. Seine Klage hiergegen wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 27.10.1995 (A 13 K 12807/95) ab.

Am 03.08.2000 stellte der Kläger einen weiteren Asylantrag und gab an, am 17.06.1996 in den Iran zurückgekehrt und Mitte Juli 2000 erneut auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein. Nach seiner Rückkehr in den Iran sei er festgenommen und fünf Tage lang festgehalten worden. Später sei er wegen der Teilnahme an einer Studentendemonstration drei Monate inhaftiert gewesen. Seinem Bruder sei es durch Beziehungen gelungen, ihn aus dem Gefängnis freizubekommen.

Mit Bescheid vom 14.12.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlägen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben seien. Zugleich drohte es dem Kläger erneut die Abschiebung in den Iran an. Mit Urteil vom 01.12.2003 wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe die hiergegen erhobene Klage ab (A 6 K 11359/02).

Mit Schreiben vom 29.01.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger erneut darauf hin, dass er, sofern er keinen gültigen Pass oder Passersatz besitze, einen solchen zu beschaffen oder bei der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken habe. Gegebenenfalls habe er persönlich bei seiner Heimatvertretung vorzusprechen. Für den Fall, dass er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, habe er mit Einschränkungen bei der Duldung hinsichtlich Erwerbstätigkeit, räumlicher Beschränkung und beim Ausweisersatz zu rechnen. Der Kläger gab daraufhin an, er habe "Angst, in die Botschaft zu gehen".

Mit auf § 15 AsylVfG gestützter Verfügung vom 04.03.2004 forderte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger auf, der Ausländerbehörde bis spätestens einen Monat ab Zustellung der Verfügung gültige Reisedokumente vorzulegen, andernfalls innerhalb der gesetzten Frist bei der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Frankfurt/Main vorzusprechen und einen Pass oder Passersatz zu beantragen. Die Verfügung enthielt den Hinweis, dass der Kläger, falls er sie nicht befolge, mit Einschränkungen hinsichtlich der Duldung und bei der Erteilung des Ausweisersatzes zu rechnen habe; ferner könne sich dann ein Abschiebungshaftgrund ergeben. Der Kläger erhob hiergegen Klage, die das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 07.05.2004 abwies (A 6 K 10673/04); das Urteil erwuchs am 29.05.2004 in Rechtskraft.

Am 18.08.2004 beantragte der Kläger, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und den Bescheid des Bundesamts vom 14.12.2000 hinsichtlich der Feststellung zu § 53 AuslG zu ändern. Er trug vor, nunmehr Mitglied der Constitutionalist Party of Iran (CPI) zu sein und an zahlreichen exilpolitischen Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Mit Bescheid vom 20.08.2004 lehnte das Bundesamt auch diese Anträge ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 16.08.2005 (A 6 K 11965/04) ab. Am 07.12.2005 wurde die Ehefrau des Klägers, die ihm nach Deutschland nachgereist war, in den Iran abgeschoben. Dem Kläger wurden die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gemäß § 1 a AsylbLG gekürzt.

Mit Schreiben vom 23.01.2006 teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Kläger mit, dass er wegen unzureichender Mitwirkung bei der Passbeschaffung ausgewiesen werden könne, und gab ihm Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Der Kläger trug mit Schreiben vom 02.02.2006 vor, er habe bisher bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung nicht vorgesprochen, weil er sich insbesondere wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten durch die iranischen Behörden bedroht fühle.

Mit Verfügung vom 08.03.2006 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zur Begründung wurde dargelegt, dass ein Ausländer gemäß § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG 2004 ausgewiesen werden könne, wenn er trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- oder Ausland mitgewirkt habe. Diese Voraussetzungen lägen vor. Auch auf die Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung hin sei der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht in geeigneter Weise nachgekommen. Einen erhöhten Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht. Die Ausweisung stehe im Ermessen und werde auf spezial- und generalpräventive Erwägungen gestützt. Der Kläger habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht bereit sei, das deutsche Recht zu achten. Weitere Rechtsverstöße müssten verhindert werden. Da die Ausweisung einen erheblichen Nachteil darstelle, könne damit gerechnet werden, dass sie bei Ausländern die Hemmschwelle erhöhe, bestehende Mitwirkungspflichten zu verletzen. Die Ausweisung sei schließlich verhältnismäßig. Schutzwürdige familiäre Belange des Klägers stünden ihr nicht entgegen. Duldungsgründe seien nicht erkennbar.

Am 06.04.2006 erhob der Kläger hiergegen Klage. Er trug vor, seine Ausweisung sei unverhältnismäßig. Bei einer Rückkehr in den Iran befürchte er Verfolgung, auch aus dem Grund, dass er nunmehr zum Christentum übergetreten sei. Deshalb habe er am 14.04.2008 einen weiteren Asylantrag gestellt, der bisher noch nicht verbeschieden sei. Bei einer Passbeantragung müsste er gegenüber den iranischen Behörden wahrheitswidrig behaupten, den Pass freiwillig zu beantragen. Auf die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen seine Mitwirkungspflichten sei er nicht ordnungsgemäß hingewiesen worden. Der Beklagte trug mit Schriftsatz des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.04.2008 vor, dass die Ausweisung ergänzend auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt werde.

Mit Urteil vom 29.04.2008 wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage ab. Die Ausweisung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Tag der mündlichen Verhandlung. Demzufolge finde die Ausweisung ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 2 AufenthG in der Fassung von Art. 1 Nr. 43 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970 - AuslRÄndG 2007). Die Ausweisung würde sich aber auch als rechtmäßig darstellen, wenn sie am Maßstab des § 46 Nr. 1 und 2 AuslG 2002 oder § 55 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG 2004 gemessen würde. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 1 b AufenthG 2007 lägen vor, weil der Kläger entgegen seinen Rechtspflichten aus der Passverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.03.2004 nicht an Passbeschaffungsmaßnahmen mitwirkt habe und mitwirke. Da die Passverfügung nicht aufgehoben worden sei, - der Kläger habe auch keinen entsprechenden Antrag gestellt -, verpflichte sie diesen weiterhin zur Mitwirkung. Das Vorbringen im neuen Asylfolgeantrag sei insoweit unbeachtlich. Umstände, die dem Kläger ein Vorsprechen bei der iranischen Auslandsvertretung unzumutbar machen würden, seien im Übrigen nicht ersichtlich. Der Beklagte habe auch dem Hinweiserfordernis des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG 2007 a.E. genügt. Zwar habe das Regierungspräsidium nicht in der Passverfügung auf die Möglichkeit der Ausweisung bei Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht hingewiesen. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Ausweisung sei aber durch Anhörungsschreiben vom 23.01.2006 erfolgt. Dies genüge im konkreten Fall, weil der Kläger hernach, und vor Erlass der Ausweisungsverfügung vom 08.03.2006, noch hinreichende Gelegenheit gehabt habe, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen. Das Regierungspräsidium habe des Weiteren sein Ausweisungsermessen sowohl in spezial- als auch in generalpräventiver Hinsicht rechtmäßig betätigt. Die Ausweisung könne schließlich auch auf den durch das AuslRÄndG 2007 unverändert gebliebenen Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt werden. Indem der Kläger über Jahre hinweg seinen Passpflichten nicht nachgekommen sei, habe er nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen Rechtsvorschriften und behördliche Entscheidungen oder Verfügungen verstoßen. Ein Hinweiserfordernis sei insoweit nicht gegeben. Da die Ermessenserwägungen des Beklagten zu § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auf den Ausweisungstatbestand in Nr. 2 der Norm übertragbar seien, sei hier ein Wechsel des Ausweisungsgrundes ohne weiteres möglich. Dies insbesondere, nachdem der Beklagte die Ausweisung mit Schriftsatz vom 24.04.2008 nun ausdrücklich auch auf diesen Tatbestand gestützt habe. Das Verwaltungsgericht ließ die Berufung gegen sein Urteil zu.

Am 23.05.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, es genüge dem Hinweiserfordernis des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG 2007 a.E. nicht, wenn der Hinweis erst nach Erlass einer Mitwirkungsverfügung im Rahmen der Ausweisungsanhörung erteilt werde. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der Norm ("zuvor"). Das Urteil sei zudem fehlerhaft, indem es zur Beurteilung der Ausweisung auch § 55 AufenthG 2004 oder gar § 46 AuslG heranziehe, die von der Behörde selbst nicht für relevant erachtet worden seien. Da schließlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei, müsse das Vorbringen des Klägers im Asylfolgeantrag, insbesondere sein Übertritt zum Christentum, berücksichtigt werden. Auch aus diesem Umstand ergebe sich die Ermessensfehlerhaftigkeit der Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.03.2006 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlruhe vom 29.04.2008 - 5 K 970/06 - aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es dem Hinweiserfordernis des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG 2007 a.E. genüge, wenn der Hinweis erst nach Erlass einer Mitwirkungsverfügung im Rahmen der Ausweisungsanhörung erteilt werde, sei im Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte und ratio der Norm zu folgen. Hieraus ergebe sich, dass sich das Wort "zuvor" auf den Erlass der Ausweisungsverfügung und nicht auf die Unterlassung der Mitwirkung an Maßnahmen beziehe. Im vorliegenden Fall sei der Kläger im Übrigen ausreichend in der Passverfügung vom 04.03.2004 auf rechtliche Konsequenzen der Nichtmitwirkung hingewiesen worden. Zwischen dem Hinweis auf die Möglichkeit seiner Ausweisung vom 23.01.2006 und dem Erlass der Ausweisungsverfügung vom 08.03.2008 habe er zudem genügend Zeit gehabt, seinen Rechtspflichten nachzukommen. Die erneute Asylfolgeantragstellung berühre seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nicht.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren 5 K 970/06 vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird hierauf und auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130 a VwGO).

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 08.03.2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Ausweisung kann jedenfalls auf § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt werden. Das Regierungspräsidium hat die Verfügung zwar unter Inanspruchnahme von § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erlassen und sich erst mit Schriftsatz vom 24.04.2008 auf Absatz 2 Nr. 2 der Norm berufen. Die Verwaltungsgerichte haben jedoch umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein angefochtener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Im Falle einer Ermessensentscheidung der Behörde müssen die anzustellenden Erwägungen in beiden Fällen allerdings die gleichen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1989 - 4 C 40/88 -, NVwZ 1990, 259; Senatsurteil vom 13.09.2007 - 11 S 442/07 -, juris). Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

Die Anwendung von § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird auch nicht durch den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen; dieser ist insbesondere nicht spezieller. Das hat der Senat bereits mit Beschluss vom 8. Juni 2006 (- 11 S 2135/05 -, juris) im Hinblick auf entsprechende Ausführungen des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Beschluss vom 04.10.2005 - 6 K 1323/05 -, juris) entschieden. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen solchen Tatbestandsausschluss, etwa weil die Hinweispflicht des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht "umgangen" werden dürfte (a.A. bzgl. § 46 AuslG: OVG Bremen, Beschluss vom 31.03.2003 - 1 B 348/02 -, NördÖR 2003, 211 sowie Alexy in: Hofmann/Hoffmann, AuslR, 2008, § 55 Rn. 19 f.). Die Gesetzesmaterialien geben nichts dazu her, dass der Gesetzgeber sämtliche Ausweisungen wegen Verstößen gegen Mitwirkungspflichten von einer vorherigen Belehrung abhängig machen wollte. Die Materialien treffen vielmehr hierzu und zum Verhältnis der Ausweisungstatbestände in § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG keine Aussagen (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 183, 15/420 S. 90, sowie zur Vorgängernorm des § 46 AuslG: BT-Drs. 14/7386 <neu> S. 56, 11/6321 S. 72). Ebenso wenig sprechen Wortlaut, telos oder Systematik für die Annahme eines solchen Tatbestandsausschlusses. Die Ausweisungstatbestände in § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG haben nur teilweise überschneidende Anwendungsbereiche. Insoweit stehen sie in einem stimmigen Stufenverhältnis zueinander (überzeugend: VG Sigmaringen, a.a.O.). Weigert sich etwa ein Ausländer beharrlich, wichtigen ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten nachzukommen, sodass nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen vorliegen, ist ohne weiteres und insbesondere ohne speziellen vorherigen Hinweis die Ermessensausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eröffnet. Sind die Verstöße dagegen nur vereinzelt oder nur von geringem Gewicht, so wird die Ermessensausweisung lediglich dann ermöglicht, wenn der Ausländer zuvor - im Sinne einer Warnfunktion - hierauf hingewiesen worden ist. Die Hinweispflicht des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG dient insoweit mithin als Korrektiv für Ausweisungen unterhalb der Stufe des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Für ihre Ausdehnung, entgegen des Gesetzeswortlautes, auf Fälle des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG oder die Ableitung einer diesbezüglich tatbestandsausschließenden Wirkung sprechen nach Auffassung des Senats keine überzeugenden Argumente (im Ergebnis ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.06.2006 - 17 B 1080/05 -, www.ovg.nrw.de; Bayerischer VGH, Beschluss vom 05.04.2006 - 24 ZB 06.452 -, juris).

Gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Nach Absatz 2 Nr. 2 der Norm kann ein Ausländer nach Absatz 1 insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20) ist in vorliegender Konstellation nicht nur hinsichtlich der Beurteilung der Sach-, sondern auch der Rechtslage auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG hat allerdings - anders als Nr. 1 der Norm - durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) keine Änderung erfahren und ist im Übrigen textgleich mit der Vorgängervorschrift des § 46 Nr. 2 AuslG.

Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG liegen vor. Der Aufenthalt des Klägers beeinträchtigt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland, weil er nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen eine behördliche Verfügung verstoßen hat. Es liegen Verstöße gegen die dem Kläger im Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.03.2004 gemäß § 15 AsylVfG auferlegten Pflichten vor, gültige Reisedokumente vorzulegen bzw. solche bei einer persönlichen Vorsprache bei der iranischen Botschaft zu beantragen. Der Kläger ist dieser Passverfügung bis zum heutigen Tag nicht nachgekommen. Da er nicht nur in einem Fall oder wenigen Fällen gegen seine hierdurch konkretisierte Passpflicht verstoßen hat, sondern vielmehr seit Jahren und permanent hiergegen verstößt, liegt nicht nur ein vereinzelter Verstoß vor. Auch eine Geringfügigkeit kann aufgrund der jahrelangen und beharrlichen Verstöße, zumal nach gerichtlicher Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Passverfügung, nicht angenommen werden. Die sogenannte Passpflicht gehört zudem zu den grundlegendsten Pflichten des Ausländers im Ausländerrecht (vgl. Wenger in: Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 3 Rn. 3 sowie §§ 3 Abs. 1, 48 Abs. 3 AufenthG). Im Übrigen kann der Kläger seit Jahren, wie er genau wissen dürfte, vor allem aufgrund seiner Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung nicht abgeschoben werden und muss weiterhin geduldet sowie mittels Sozialleistungen staatlich versorgt werden. Da er 1996 in den Iran und im Jahr 2000 aus dem Iran in die Bundesrepublik gereist ist, spricht schließlich viel dafür, dass er tatsächlich über Reisedokumente verfügt (hat), die zur Verhinderung seiner Abschiebung unterdrückt werden. Dies alles verleiht den Verstößen ein besonderes Gewicht und lässt sie als nicht geringfügig erscheinen.

Die mit Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.03.2004 konkretisierte Passpflicht besteht auch heute noch. Die Verfügung erwuchs durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07.05.2004 (A 6 K 10673/04) in Bestandskraft. Sie wurde bis zum heutigen Tag nicht zurückgenommen, widerrufen oder sonst wie aufgehoben. Umstände, die dem Kläger ein Befolgen der Passpflicht unmöglich oder jedenfalls unzumutbar machen würden, sind im Übrigen nicht ersichtlich. Asylrechtsrelevante Umstände, die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG begründen könnten, sind hier ohne Relevanz, weil der Beklagte gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG an die entsprechenden (negativen) Feststellungen des Bundesamtes in den Bescheiden vom 14.12.2000 und 20.08.2004 gebunden ist. Soweit sich der Kläger auf seinen Übertritt zum Christentum beruft, ist zudem nicht erkennbar, inwiefern ihn dieser derzeit daran hindern könnte, seiner Passpflicht nachzukommen. Auch das Vorbringen des Klägers, er müsse gegenüber den iranischen Behörden wahrheitswidrig behaupten, seinen Pass freiwillig zu beantragen, lässt die Passpflicht nicht entfallen. Die Erklärung, freiwillig in den Iran zurückkehren zu wollen, erschöpft sich in der Bekundung der Bereitschaft, der bestehenden Ausreisepflicht ohne staatlichen Zwang Folge zu leisten. Diese Bekundung kann zumutbar auch vom Kläger erwartet werden (vgl. OVG Nordrhein-Westf., Urteil vom 18.06.2008 - 17 A 2250/07 -, juris; ebenso Senatsbeschluss vom 23.07.2008 - A 11 S 1695/08 -).

Ermessensfehler sind nicht gegeben und die Ausweisung ist auch verhältnismäßig. Da der Kläger schon seit Ablehnung seines Asylantrags durch den bestandskräftigen Bundesamtsbescheid vom 14.12.2000 vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), die Ausweisung bezüglich der Ausreisepflicht mithin keine weiteren Konsequenzen hat, können sich insbesondere im Hinblick auf seinen Vortrag, wegen des Übertritts zum Christentum und exilpolitischen Aktivitäten nicht in den Iran zurückkehren zu können, keine Ermessensfehler ergeben. Solche Fehler sind zudem weder in spezial- noch in generalpräventiver Hinsicht erkennbar, wie das Verwaltungsgericht schlüssig ausgeführt hat. Auch die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Ausweisung wurden vom Verwaltungsgericht zutreffend bejaht; auf dessen Ausführungen wird Bezug genommen (§ 130 b Satz 2 VwGO). Die vom Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung angestellten Erwägungen können im Übrigen in jeder Hinsicht auch für eine auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützte Ausweisung herangezogen werden. Denn das Regierungspräsidium hat zentral auf die beharrliche und gravierende Verletzung der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten, insbesondere die Verstöße gegen die Passverfügung vom 04.03.2004, und auf die künftige Vermeidung solcher Verstöße abgestellt.

Da die Ausweisung damit in vollem Umfang durch § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG getragen wird, kommt es auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich an, ob es bei Verstößen gegen Mitwirkungspflichten im Sinne des neu gefassten § 55 Abs. 2 Nr. 1 b AufenthG 2007 genügt, wenn der erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen erst nach Erlass einer Mitwirkungsverfügung und erst im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung erteilt wird. Zum Zwecke der Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass der Senat zur Bejahung dieser Frage neigt. Dem Hinweiserfordernis des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG dürfte im Fall der Ausweisung wegen Verstößen gegen ausländerrechtliche Mitwirkungspflichten Genüge getan sein, wenn der Hinweis dergestalt zeitlich vor der Ausweisung erfolgt, dass es dem Ausländer noch möglich ist, die Mitwirkungshandlung nachzuholen und hierdurch die drohende Ausweisung abzuwenden. Das ergibt sich insbesondere aus Sinn und Zweck des Hinweises. Durch ihn soll der Ausländer dahingehend gewarnt werden, dass seine Nichtmitwirkung aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben kann. Hierdurch soll er vor allem zur Mitwirkung bewegt werden. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG durch Art. 1 Nr. 43 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) "zur Beseitigung von Widersprüchen" im Hinblick auf die Vorgängernorm (vgl. hierzu Senatsurteil vom 13.09.2007 - 11 S 442/07 -, juris) ausdrücklich klarstellen (BT-Drs. 16/5065 S. 183 <zu Buchstabe a>).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

vom 2. Dezember 2008

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718) auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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