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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 11 S 1455/05
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO
Vorschriften:
AufenthG § 60a | |
VwGO § 91 | |
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4 | |
VwGO § 123 | |
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3 | |
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Abschiebung
hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Vondung und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Wenger
am 18. Januar 2006
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24. Juni 2005 - 6 K 1307/05 - werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500.- EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24.06.2005, mit dem ihre Anträge auf Aussetzung ihrer Abschiebung abgelehnt wurden, sind zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und fristgerecht begründet (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) worden. Sie sind aber gleichwohl unzulässig. Der Zulässigkeit der Beschwerde des Antragstellers zu 1. steht die fehlende Angabe einer ladungsfähigen Anschrift entgegen (dazu 1.), der Zulässigkeit der Beschwerden der übrigen Antragsteller jedenfalls eine unzulässige Änderung der Anträge gegenüber den in der ersten Instanz verfolgten Begehren (dazu 2.).
1. Der Antragsteller zu 1. erfüllt nicht die für die Zulässigkeit seiner Beschwerde erforderliche Mindestvoraussetzung einer ladungsfähigen Anschrift im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat die Beschwerdeschrift auch nicht innerhalb der ihm gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesetzten Ausschlussfrist ergänzt. Nach dem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes analog anzuwendenden § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Senatsbeschluss vom 25.10.2004 - 11 S 1992/04 -, VBlBW 2005, 151 m.w.N.) ist notwendiger Inhalt der Klageschrift die Bezeichnung des Klägers, des Beklagten und des Gegenstands des Klagebegehrens. Zur Bezeichnung des Klägers gehört außer der Angabe des Namens grundsätzlich auch die Benennung einer ladungsfähigen Wohnungsanschrift und ihrer eventuellen Änderung (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO). Die Pflicht zur Angabe dieser Wohnungsanschrift entfällt nicht allein deswegen, weil ein Kläger anwaltlich vertreten ist, sondern - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitenden Gebots, den Zugang zu den Gerichten nicht unnötig zu erschweren - erst dann, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist.
Der Antragsteller zu 1. hat eine ladungsfähige Wohnanschrift in diesem Sinn nicht benannt. Er hält sich - auch nach Angaben seines Bevollmächtigten - nicht mehr unter der beim Verwaltungsgericht angegebenen Wohnanschrift auf. Dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller ist eine andere Wohn- adresse nicht bekannt (vgl. Schriftsatz vom 15.09.2005). Besondere Umstände, die es ausnahmsweise gestatten würden, von einer Angabe der Wohnungsanschrift abzusehen, weil dies dem Antragsteller zu 1. unmöglich oder unzumutbar wäre, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
2. Ob dieses Zulässigkeitshindernis auch den Beschwerden der übrigen Antragsteller entgegensteht, kann dahinstehen. Denn ihre Beschwerden sind auf Grund einer Änderung der in der ersten Instanz verfolgten Anträge unzulässig. In der ersten Instanz hatten sie beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre am selben Tag beabsichtigten Abschiebungen auszusetzen. Nach ihrer wenige Stunden nach Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung erfolgten Abschiebung begehren sie mit der Beschwerde nunmehr, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Aufhebung der Vollziehung der Abschiebung vom 24.06.2005 zu verpflichten.
Zwar ist das Rechtsschutzinteresse für ihre ursprünglichen Anträge auf Aussetzung der Abschiebung nach deren Vollzug entfallen, da das mit diesen Anträgen verfolgte Rechtsschutzziel nicht mehr erreichbar ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.10.2005 - 11 S 2011/05 -, vom 27.01.2004 - 11 S 2686/03 - und vom 26.11.2001 - 11 S 2215/01 -). Die Antragsteller zu 2. bis 5. waren auch gehindert, ihren Antrag auf die einstweilige Feststellung umzustellen, dass die Abschiebung am 24.06.2005 zu Unrecht erfolgt ist. Denn ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog scheidet im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nach § 123 VwGO grundsätzlich aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.01.1995 - 7 VR 16/94 -, NVwZ 1995, 586 = DÖV 1995, 515; Beschluss des Senats vom 13.04.2005 - 11 S 709/05 -). Vor diesem Hintergrund erscheint die von den Antragstellern zu 2. bis 5. gewählte Antragsänderung im Sinne des § 91 VwGO durchaus verständlich.
Sollten die Anträge "die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen", wörtlich im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gemeint sein, wären die geänderten Anträge unzulässig. Die Anwendung dieser Bestimmung kommt in Verfahren nach § 123 VwGO weder unmittelbar noch entsprechend in Betracht, da ein § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechender Antragsinhalt, die Rückgängigmachung der Vollziehung, durch einen unmittelbar darauf gerichteten Anordnungsantrag - etwa auf Rückabwicklung der Vollziehung - erreicht werden kann (vgl. Beschluss des Senats vom 07.09.2005 - 11 S 1244/05 - m.w.N.). Das kann aber dahinstehen. Denn auch dann, wenn die geänderten Anträge dahin auszulegen sind, die Abschiebung rückabzuwickeln, ist bereits die Antragsänderung im vorliegenden Beschwerdeverfahren unzulässig. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Nachdem mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (vom 01.11.1996, BGBl. I S. 1626) zur Entlastung der Oberverwaltungsgerichte unter anderem die Zulassungsbeschwerde gegen Beschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingeführt worden war (§ 146 Abs. 4 bis 6 VwGO a.F.), beabsichtigte die Bundesregierung im Jahr 2001, das Zulassungserfordernis für Beschwerden dieser Art (wieder) ersatzlos entfallen zu lassen (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bereinigung des Rechtmittelrechts im Verwaltungsprozess, BT-Drs. 14/6393, S. 2, 7. u. 14). Dieser Vorschlag stieß auf den Widerstand des Bundesrates (vgl. BT-Drs. 14/7744, S. 1 f.) und konnte sich nicht durchsetzen. Letztlich wurde der Vermittlungsausschuss angerufen, auf dessen Beschlussempfehlung die heutige Fassung des § 146 Abs. 4 VwGO beruht (zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Bader in: Bader u.a., Komm. z. VwGO, 2. Aufl., § 146 Rn. 16). Nach diesem im Vermittlungsausschluss gefundenen Kompromiss ist zwar das Zulassungserfordernis abgeschafft worden. Allerdings wird seither eine Entlastung der Oberverwaltungsgerichte gegenüber einer herkömmlichen Beschwerde durch § 146 Abs. 4 Satz 3 und Satz 6 VwGO n.F. erzielt.
Danach muss sich die Beschwerdebegründung mit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinander setzen und hat der Verwaltungsgerichtshof nur die dargelegten Gründe zu prüfen. Mit dieser der Entlastung der Oberverwaltungsgerichte dienenden Qualifizierung der Beschwerdebegründung einerseits und der Beschränkung des Prüfungsumfangs andererseits in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz - zumal schon bei Erhebung der Beschwerde - regelmäßig nicht vereinbar (so - jedenfalls im Ergebnis - auch OVG Saarl., Beschluss vom 10.11.2004 - 1 W 37/04 - <juris>; OVG Hamburg, Beschluss vom 02.10.2002 - 4 BS 257/02 -, NVwZ 2003, 1529, Beschluss vom 22.08.2003 - 4 Bs 278/03 -, NwZ-RR 2004, 621; OVG Nordr.-Westf., Beschluss vom 25.07.2002 - 18 B 1136/02 -, NVwZ-RR 2003, 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Komm. z. VwGO, § 146 Rn. 13 c; ebenso für den Fall einer Antragserweiterung VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.09.2004 - 12 S 1750/04 -, VBlBW 2004, 483). Das gilt insbesondere dann, wenn mit der Antragsänderung auch eine wesentliche Änderung der zu prüfenden rechtlichen Gesichtspunkte einhergeht, was hier der Fall ist. Denn die Antragsteller zu 2. bis 5. machen mit ihren Beschwerdeanträgen Folgenbeseitigungsansprüche geltend. Diese Ansprüche erfordern zwar - wie die in der Vorinstanz verfolgten Ansprüche auf Aussetzung der Abschiebung -, dass die Abschiebung fehlerhaft war. Sie haben aber weitergehende Voraussetzungen. So knüpfen sie nicht nur an die Rechtswidrigkeit des Eingriffs (der Abschiebung) an, sondern verlangen darüber hinaus, dass der durch den Eingriffsakt geschaffene Zustand rechtswidrig ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23.05.1989 - 7 C 2.87 -, BVerwGE 82, 76 = NJW 1989, 2272; VG Stuttgart, Beschluss vom 01.07.2003 - 11 K 2173/03 -, NVwZ 2004, Beil I Nr. 3, S. 23).
Ungeachtet dessen dürfte eine Antragsänderung allerdings dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nur so effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann (vgl. etwa OVG Saarl., Beschluss vom 24.01.2003 - 9 W 50/02 - <juris> bei Antragsänderung nach Anhängigkeit der Beschwerde; OVG Hamburg, a.a.O.). Das ist hier indessen nicht der Fall. Die Antragsteller zu 2. bis 5. hätten ihr Begehren von vorneherein mit einem Antrag beim Regierungspräsidium und in der ersten Instanz verfolgen können und können dies auch weiterhin, ohne dass ihnen unzumutbare Rechtsnachteile entstehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 1 Nr. 1, 52 Abs. 2 u. 1 und 39 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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