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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: 11 S 1534/08
Rechtsgebiete: EMRK, VwGO


Vorschriften:

EMRK Art. 8
VwGO § 123 Abs. 1
Zur Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei fehlender "Verwurzelung" i.S. des Art. 8 EMRK (im Anschluss an den Senatsbeschluss v. 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 1534/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Duldung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 16. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Mai 2008 - 4 K 1261/08 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO entsprechend begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21.05.2008, mit dem dieses den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für die Dauer von sechs Monaten eine Duldung zu erteilen, hilfsweise bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorläufig von einer Abschiebung abzusehen, abgelehnt hat, bleibt ohne Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat den Haupt- und Hilfsantrag des Antragstellers gemäß § 123 Abs. 1 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Seine Abschiebung erscheint bei der im Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich und es sprechen auch keine dringenden humanitären oder persönlichen Gründe für seine weitere Anwesenheit im Bundesgebiet, weswegen die Voraussetzungen des § 60 a Abs. 2 AufenthG und die des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben sein dürften.

Die Abschiebung ist insbesondere nicht im Hinblick auf eine gemäß Art. 6 GG geschützte Beistandsgemeinschaft aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Antragsteller hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass seine Eltern überhaupt des dringenden Beistands einer Pflegeperson bedürfen. Nach seinen eigenen Angaben im Antragsschriftsatz vom 24.04.2008 sind die Eltern des Antragstellers keine Pflegefälle. Auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen vom 30.05.3008 substantiieren nicht, dass die vom Antragsteller nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 18.06.2008 derzeit tatsächlich durchgeführten Hilfestellungen erforderlich sind. Bezüglich der Mutter wird im Attest nur ausgeführt, dass sie unter verschiedenen chronischen Krankheiten leidet. Bezüglich des Vaters wird lediglich dargelegt, dass dessen Krankheitsbefunde stabil seien, er (nur) mit Unterarmstützen mobil sei und verschiedene Tabletten einnehme. Dass für die Haushalts- und Lebensführung tatsächlich fremde Hilfe geboten ist, wird dagegen ärztlicherseits nicht ausgeführt. Insoweit heißt es lediglich, dass "laut Aussage des Pat." eine häusliche Betreuung und Pflege erforderlich sei. Durch die eigenen Aussagen der Eltern und die des Antragstellers aber wird hier eine verfassungsrechtlich geschützte Beistandsgemeinschaft nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Die Abschiebung ist auch nicht im Hinblick auf das gemäß Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des Antragstellers aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Senat hat zwar im Beschluss vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - (InfAuslR 2008, 29) ausgeführt, dass es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügt hat; der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können. Das steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 - und Urteil vom 25.04.2007 - 11 S 409/06 -), in der diese Frage ausdrücklich offen gelassen wurde.

Der Eingriff in das geschützte Privatleben des Antragstellers dürfte jedoch im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig sein. Die Abwägung insbesondere des öffentlichen Interesses an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet geht im Ergebnis zu Lasten seines privaten Interesses. Zu Gunsten des Antragstellers nimmt der Senat dabei an, dass bezogen auf das Kosovo ein erheblicher Grad der "Entwurzelung" gegeben sein dürfte. Es wird als wahr unterstellt, dass der seit 19.10.1992 in Deutschland lebende Antragsteller dort keine Familienangehörigen mehr hat und, wie er im Schriftsatz vom 18.10.2007 ausführt, die Heimatsprache "nur eingeschränkt versteht". Allerdings fällt insoweit auf, dass die durch Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 14.06.2007 (1 Ls 12 Js 9812/06) abgeurteilten Mittäter allesamt kosovoalbanischen Migrationshintergrund hatten und die Eltern des Antragstellers jedenfalls bei ihrer Asylanhörung am 29.10.1992 fließend albanisch sprachen. Dass der Antragsteller, der sich offenbar bis heute in einem kosovoalbanisch geprägten Umfeld bewegt, von seinen Eltern in einer anderen Sprache als Albanisch erzogen worden ist, trägt er nicht vor. Nachdem er die Eltern nach seinen Angaben bis heute bei Behörden- und Arztgängen begleitet, und er insoweit möglicherweise auch Übersetzungsdienste leistet, ist ihm jedenfalls zuzumuten, seine Albanischkenntnisse im Kosovo zu vervollkommnen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass ihn seine in Deutschland lebende Familie dort unterstützen wird, sodass auch insoweit keine unüberwindbaren Schwierigkeiten der Reintegration gegeben sein dürften.

Im Rahmen der Abwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK spricht wesentlich gegen den Schutz der privaten Interessen des Antragstellers, dass es ihm trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht hinreichend gelungen ist, sich in sozialer und kultureller Hinsicht zu "verwurzeln" und also erfolgreich in die bundesrepublikanische Gesellschaft zu integrieren. Der Antragsteller hat die Förderschule besucht und schließlich ohne jeden Schulabschluss verlassen. Auch die angefangene Ausbildung im Berufsbildungswerk Mosbach hat zu keinem Abschluss geführt. Eine Berufsausbildung hat der Antragsteller nicht erfolgreich abschließen können. Arbeit hat er bislang offenbar keine gefunden. Er lebt seit vielen Jahren insbesondere von staatlichen Leistungen. Frau oder Kinder hat der Antragsteller nicht. Außer dem langjährigen Aufenthalt in Deutschland, seiner Familie und Freunde spricht damit wenig für die Notwendigkeit eines weiteren Verbleibs im Bundesgebiet. Im Lichte der sogenannten Boultif/Üner-Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK (vgl. Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 - NVwZ 2007, 1279) ist zudem in die Abwägung einzustellen, dass der Antragsteller schon am 22.08.2003, am 10.05.2004 und am 21.02.2005 durch Diebstähle auffällig geworden und schließlich wegen einer Einbruchserie im Zeitraum von 04.11.2006 bis zum 17.12.2006, wenn auch mit Bewährung, so doch zu einer erheblichen Jugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten sowie einer Woche Dauerarrest verurteilt worden ist. Seit dem 17.12.2006 ist noch keine so lange Zeit verstrichen, dass angesichts der gravierenden Eigentumsdelikte eine Wiederholungsgefahr hinreichend ausgeschlossen werden könnte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt durch einen Aufenthaltstitel - i.S. einer "Handreichung des Staates" - legitimiert war und mithin kaum schutzwürdiges Vertrauen auf ein dauerhaftes Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.

Dass im Hinblick auf die Situation des Cousins x.x. eine dergestalt hinreichende Vergleichbarkeit zum Falle des Antragstellers vorliegt, dass dessen Abschiebung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gesperrt wäre, ist nicht glaubhaft gemacht. Der Cousin ist noch minderjährig und besucht offenbar relativ erfolgreich die Hauptschule. Zudem wiegen seine Straftaten weniger schwer, wie die geringere Jugendstrafe zeigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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