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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 26.01.2000
Aktenzeichen: 11 S 1785/99
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 1
Hat das Strafgericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesezt, ist der Tatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG auch dann nicht erfüllt, wenn diese Entscheidung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung widerrufen worden ist (im Anschluß an BVerwG, Urteil vom 16.11.1999 - BVerwG 1 C 11.99 -).
11 S 1785/99

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluß

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung und Abschiebungsandrohung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Peter, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und den Richter am Verwaltungsgericht Pfaundler

am 26. Januar 2000

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. April 1999 - 9 K 1121/99 - geändert.

Die aufschiebende Wirkung der beim Verwaltungsgericht Freiburg anhängigen Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 15. März 1999 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21. April 1999 wird - hinsichtlich der Ausweisungsverfügung - wiederhergestellt bzw. - hinsichtlich der Abschiebungsandrohung - angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller erstrebt mit der vorliegenden Beschwerde vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Wirkungen der ihm gegenüber verfügten, für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung und der dieser beigefügten Abschiebungsandrohung, der ihm vom Verwaltungsgericht versagt worden ist.

Der 1957 geborene geschiedene Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger. Im Herbst 1972 reiste er erstmals zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Sommer 1983 kehrte er vorübergehend nach Italien zurück, um Anfang November 1985 erneut ins Bundesgebiet einzureisen. Zuletzt wurde ihm am 21.5.1997 eine bis zum 26.2.2002 befristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.

Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet wurde der Kläger mehrfach strafrechtlich verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Singen mit Urteil vom 1.10.1997 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten, die im Hinblick auf eine günstige Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem der Antragsteller den Auflagen und Weisungen aus dem Bewährungsbeschluß nicht nachgekommen war, indem er auf die ihm auferlegte Geldbuße in Höhe von 2.000,-- DM keinerlei Zahlungen geleistet hatte, widerrief das Amtsgericht Singen mit Beschluß vom 7.9.1998 die Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe. Nach Verbüßung der Halbstrafe wurde der Antragsteller, der seine Haft am 10.11.1998 angetreten hatte, am 16.2.1999 entlassen.

Mit Verfügung vom 15.3.1999 wies das Regierungspräsidium Freiburg - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus, forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Verfügung zu verlassen und drohte ihm für den Fall, daß er diese nicht innerhalb der gesetzten Ausreisefrist verlassen haben würde, die Abschiebung nach Italien an. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG seien dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26.11.1998 - 13 S 1419/97 - (InfAuslR 1999, 112) zufolge auch in den Fällen eines Bewährungswiderrufs gegeben. Die Ausländerbehörde sei danach grundsätzlich zur Ausweisung verpflichtet, ohne daß ihr ein Ermessensspielraum zustehe, es sei denn, es liege ein vom Regelfall abweichender atypischer Ausnahmefall vor oder der Ausländer genieße erhöhten Ausweisungsschutz. Beides treffe im vorliegenden Fall nicht zu.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers wies das Regierungspräsidium Freiburg mit Widerspruchsbescheid vom 21.4.1999 zurück.

Über die daraufhin am 28.4.1999 beim Verwaltungsgericht Freiburg erhobene Klage - 9 K 1120/99 - ist noch nicht entschieden.

Den gleichzeitig angebrachten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 29.4.1999 abgelehnt.

Am 14.5.1999 wurde der Antragsteller nach Italien abgeschoben.

Mit Beschluß vom 22.7.1999 hat der Senat auf den Antrag des Antragstellers die Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Der Antragsteller begründet seine Beschwerde damit, daß die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichend begründet sei und die Ausweisung sich überdies als rechtswidrig erweise, da sie ausschließlich auf den hier nicht eingreifenden Tatbestand der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG gestützt sei.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verweist auf das erwähnte Urteil des beschließenden Gerichtshofs.

II.

Das mit der Beschwerde weiter verfolgte Begehren des Antragstellers ist ungeachtet seiner Abschiebung nach Italien zulässig. Diese läßt sein schützenswertes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entfallen. Insbesondere hat sich durch die zwangsweise Abschiebung die Abschiebungsandrohung nicht erledigt (vgl. GK-AuslR <September 1999> II-§ 50 Rn. 81 m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß dem Antragsteller der erstrebte vorläufige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenüber den Wirkungen der für sofort vollziehbar erklärten Ausweisungsverfügung und der ihr beigefügten - kraft Gesetzes sofort vollziehbaren - Abschiebungsandrohung zu gewähren ist, da seinem Aussetzungsinteresse Vorrang zukommt.

1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung vom 15.3.1999 zu Unrecht auf den Tatbestand der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG gestützt.

In dem das angeführte Urteil des beschließenden Gerichtshofs betreffenden Revisionsverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 16.11.1999 - 1 C 11.99 - entschieden, daß der Tatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (Ist-Ausweisung) auch dann nicht erfüllt sei, wenn die Entscheidung des Strafgerichts, die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung auszusetzen, zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung widerrufen worden ist. Dies folge aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ("nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist"), aus Sinn und Zweck der Vorschrift, ihrer Stellung im Gesamtzusammenhang der ausweisungsrechtlichen Vorschriften und aus der rechtlichen Ausgestaltung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung.

Der Senat schließt sich dieser - bereits in seinem Urteil vom 27.10.1999 - 11 S 1526/99 - vertretenen - Auffassung auch für den hier in Rede stehenden Tatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG an (vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 17.9.1996, InfAuslR 1997, 29; a.A. Hailbronner, AuslR <Oktober 1997> § 47 AuslG Rn. 13). Da dessen Wortlaut insoweit mit dem des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG übereinstimmt, als es danach gleichfalls darauf ankommt, daß der Ausländer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, kann § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG nicht anders ausgelegt werden. Im übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil auch auf die hier in Rede stehende Vorschrift Bezug genommen und ausgeführt, daß die der gestuften Ausweisungsregelung zugrundeliegende typisierende Betrachtung des Gesetzgebers auch insoweit an eine qualifizierte strafgerichtliche Verurteilung anknüpft.

Konnte die Ausweisung des Antragstellers danach nur auf §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG gestützt werden, hätte es einer Ermessensentscheidung bedurft, an der es hier ersichtlich fehlt, weil das Regierungspräsidium sich für den von ihm angenommenen Fall, daß ein vom Regelfall abweichender atypischer Ausnahmefall nicht vorliege und der Ausländer auch keinen erhöhten Ausweisungsschutz genieße, zur Ausweisung verpflichtet sah und Ermessenserwägungen auch nicht hilfsweise anstellte (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 11 S. 11 <17 ff.>).

2. War danach die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ausweisungsverfügung wiederherzustellen, war jene hinsichtlich der beigefügten Abschiebungsandrohung mangels einer vollziehbaren Ausreisepflicht anzuordnen (vgl. § 49 Abs. 1 AuslG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 20 Abs. 3, 14 Abs. 1 sowie 13 Abs. 1 Satz 2 GKG; die Abschiebungsandrohung erhöht den Streitwert nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.6.1997, Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 94 S. 12).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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