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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 11 S 1823/01
Rechtsgebiete: VwGO, VwZG, AuslG, ARB 1/80


Vorschriften:

VwGO § 56
VwZG § 15 Abs. 1 Buchstabe a
AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 48 Abs. 2 Satz 2
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AuslG § 47 Abs. 3
ARB 1/80 Art. 7 Satz 1
ARB 1/80 Art. 13
ARB 1/80 Art. 14
1. Zu den Anforderungen an die Nachforschungs- und Ermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts vor der öffentlichen Zustellung einer Gerichtsentscheidung.

2. Zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 auf einen im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen.

3. Durch das Eingreifen des Vorbehalts für die Geltung eines nach dem 1. Abschnitt des ARB 1/80 begründeten Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechts nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 wird nicht die Anwendbarkeit des innerstaatlichen deutschen Ausländerrechts ausgeschlossen.

4. Im Recht der Europäischen Gemeinschaften gibt es keine Rechtsgrundlage für eine Ausweisung.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 1823/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und Albers

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 9. Juni 2000 - 9 K 577/99 - wird aufgehoben. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. November 1999 - 9 K 577/99 - ist unwirksam.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung sowie die Androhung und Anordnung seiner Abschiebung.

Der am 3.10.1978 im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Seine Eltern sowie seine beiden Geschwister leben im Bundesgebiet. Der Kläger ist hier aufgewachsen und lebte bei seinen Eltern. Sein Vater war seit 1971 im Bundesgebiet als Arbeitnehmer tätig, seit dem Jahr 1993 ist er berufsunfähig und erhält eine Rente. Die Mutter des Klägers ist (seit 1981) unselbständig erwerbstätig.

Der Kläger hat die Schule mit dem Hauptschulabschluss abgeschlossen. Eine Lehre als Heizungsbauer endete am 16.2.1997, nachdem ihm sein Lehrherr aufgrund von Fehlzeiten und unkonzentrierter Arbeitsleistung gekündigt hatte. In der Zeit vom 16.4.1997 bis 26.6.1998 war der Kläger (als Lagerarbeiter) unselbständig erwerbstätig; dieses Beschäftigungsverhältnis hat er durch Kündigung beendet. Am 30.7.1998 hat er sich in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim zum Strafantritt gestellt. Aus einer Berufsausbildungsanzeige vom 14.1.1999 ergibt sich, dass der Kläger in der Justizvollzugsanstalt am 14.8.1998 ein Berufsausbildungsverhältnis zum Kfz-Mechaniker begonnen hat, das 42 Monate (bis 13.8.2001) dauern sollte. In der Zeit vom 10.11.1998 bis 30.11.1998 besuchte der Kläger einen Lehrgang (Lichtbogenhandschweißen).

Der Kläger hat geltend gemacht, mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt zu sein. Eine Eheschließung hat nicht stattgefunden.

Dem Kläger wurde im Oktober 1994 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Der Kläger ist im Bundesgebiet wie folgt bestraft worden:

- Mit (rechtskräftigem) Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Konstanz vom 15.5.1995 wurde der Kläger wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis richterlich verwarnt und ihm wurde eine Weisung erteilt. Er hatte im Alter von 16 Jahren am 28.12.1994 (gegen 2.45 Uhr) auf öffentlichen Straßen einen Pkw geführt.

- Durch (rechtskräftiges) Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Konstanz vom 24.5.1995 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls in vier Fällen zu einer Jugendstrafe von neun Monaten verurteilt; die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. - Aus diesem Urteil ergibt sich, dass gegen den Kläger im Jahr 1994 ein Verfahren wegen Diebstahls geringwertiger Sachen nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt wurde. - Der Verurteilung vom 24.5.1995 liegt zugrunde, dass der Kläger - teilweise gemeinsam mit seinem Bruder - in der Zeit von August bis Oktober 1994 folgende Straftaten begangen hat:

o Im August 1994 entwendete der Kläger an zwei Tagen von Motorrädern jeweils einen Vollvisierhelm.

o Am 9.10.1994 beteiligte er sich an einem Diebstahl von alkoholischen Getränken und Konservendosen aus einem Keller (Wert der Diebesbeute: insgesamt 1.300,-- DM).

o Am 13.10.1994 schlug der Kläger - gemeinsam mit drei Mittätern - auf einen anderen ein, der durch diese Schläge einen Nasenbeinbruch sowie Prellungen am ganzen Körper erlitt.

o Zwischen dem 25. und 27.10.1994 entwendete der Kläger - gemeinsam mit einem anderen - aus einem Lagerraum einen Videorecorder.

- Durch (rechtskräftiges) Urteil des Amtsgerichts Konstanz vom 9.10.1996 wurde der Kläger wegen Diebstahls in drei Fällen (Datum der letzten Tat: 21.4.1996) - unter Einbeziehung der Verurteilung vom 24.5.1995 - zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Jugendstrafe wurde auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

- Durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Konstanz vom 10.12.1997 wurde der Kläger gemeinsam mit einem anderen wegen einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einer Bedrohung - unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Konstanz vom 9.10.1996 - zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde nach Verwerfung der (auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten) Berufung des Klägers durch Urteil des Landgerichts Konstanz vom 8.6.1998 rechtskräftig. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Kläger - gemeinsam mit einem anderen - am 27.12.1996 (gegen 2.50 Uhr) sich entschlossen hatte, "die Geschädigten, ohne dass ein Grund vorgelegen hätte, zu verprügeln". Während sein Mittäter auf einen Geschädigten einschlug, schlug der Kläger mit den Fäusten auf den anderen Geschädigten ein. Nachdem dieser versucht hatte davonzulaufen, folgte ihm der Kläger und brachte ihn mittels eines Fußtritts zu Fall. Dem am Boden liegenden Geschädigten trat der Kläger mit seinen schweren Schuhen mehrfach gegen den Körper und gegen das Gesicht, so dass der Geschädigte einen Kieferbruch und zwei bis drei Zahnabsplitterungen davon trug. Darüber hinaus erlitt er mehrere multiple Prellungen und Schürfungen. Durch die Schläge und Tritte erlitt er eine Platzwunde am Kinn, die mit zwölf Stichen genäht werden musste, sowie ein gebrochenes Kiefergelenk, das einen zweiwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Während dieser Zeit konnte der Geschädigte, da das Kiefergelenk fixiert werden musste, seinen Mund nicht öffnen. - Bevor der Kläger und sein Mittäter den Tatort verließen, drohten sie den beiden Geschädigten in ernst zu nehmender Weise, sie umzubringen, falls sie die Polizei aufsuchen sollten. - Das Landgericht hat in dem Berufungsurteil u.a. ausgeführt: Nach der Art und den Umständen der Tat handele es sich um eine Jugendverfehlung. Angesichts der mehrfachen, teilweise einschlägigen Vorverurteilungen und des doppelten Bewährungsbruchs müsse davon ausgegangen werden, dass beim Kläger schädliche Neigungen vorlägen. Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel kämen wegen der Schwere der Schuld nicht in Betracht. Vielmehr sei die erneute Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich. Dabei sei für die einheitliche Jugendstrafe unter Einbeziehung des Urteils vom 9.10.1996 von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren auszugehen. Bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe habe zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden können, dass er im Wesentlichen geständig gewesen sei. Zudem sei zu seinen Gunsten auch eine gewisse alkoholbedingte Enthemmung strafmindernd in Ansatz zu bringen gewesen, auch wenn bei der Tat keine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe. Beim Kläger seien positive Entwicklungsansätze zu erkennen. Er habe eine dauerhafte Anstellung und eine feste Freundin. Er bedauere seine Tat und leiste Schmerzensgeld an den Geschädigten. Auch die Teilnahme an einem Anti-Aggressivitäts-Training spreche für den Kläger. Es sei jedoch nicht anzunehmen, dass durch dieses Training die wesentlichen Ursachen der Tat vollständig aufgearbeitet hätten werden können, da eine Konfliktsituation oder Provokationen der hier zu beurteilenden Tat gerade nicht vorausgegangen seien. In der Straftat zeige sich eine große Brutalität, die ihren Ausdruck darin finde, dass der Kläger nur "just for fun" unbeteiligte Personen verprügeln und erheblich verletzen wollte. Es sei auch zu erheblichen Verletzungsfolgen gekommen und nur dem Zufall zu verdanken, dass die Tritte in das Gesicht des Geschädigten nicht zu noch gravierenderen Verletzungen geführt hätten. Strafschärfend wirkten sich auch die Vorstrafen des Klägers aus. Es liege ein doppelter Bewährungsbruch bei einer hohen Rückfallgeschwindigkeit vor.

Am 30.7.1998 trat der Kläger die Jugendstrafe an.

Nach Anhörung des Klägers ordnete das Regierungspräsidium Freiburg mit Verfügung vom 2.12.1998 die Ausweisung des Klägers an, verbunden mit der Androhung der Abschiebung in die Türkei und der Anordnung der Abschiebung aus der Haft. Die sofortige Vollziehung der Ausweisung wurde angeordnet. Zur Begründung der Verfügung wurde ausgeführt: Der Tatbestand einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG sei erfüllt. Da der Kläger jedoch besonderen Ausweisungsschutz genieße, könne die Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und nach Ermessen erfolgen. Das Fehlverhalten, das der Verurteilung des Klägers zugrunde liege, stelle einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass dar. Auch die erforderliche Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und die mehrfachen Verurteilungen zu Haftstrafen, die ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten vermochten, sei hinreichend Beleg für die Annahme, dass auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihm ausgehe. Die Ermessensausübung, bei der besonders § 45 Abs. 2 AuslG zu beachten sei, führe zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung und Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Die Ausweisung verstoße nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Art. 3 ENA stehe der Ausweisung ebenfalls nicht entgegen. Die Ausweisung des Klägers verstoße auch nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Ein besonderer Ausweisungsschutz aufgrund des Art. 14 ARB 1/80 komme nicht in Betracht. Eine beschäftigungsrechtliche Privilegierung stehe dem Kläger nicht zu, nachdem sein letztes Arbeitsverhältnis entfallen sei, weil er seit seiner Inhaftierung dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland aus selbst verschuldeten Gründen nicht mehr angehöre.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.2.1999 - dem Kläger zugestellt am 26.2.1999 - wies das Regierungspräsidium Freiburg den Widerspruch des Klägers gegen diese Verfügung zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Verfügung sei nicht zu beanstanden. Angesichts der Summe der vom Kläger begangenen Straftaten, der zunehmenden Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt und der schließlich mit äußerster Brutalität am 27.12.1996 begangenen gefährlichen Körperverletzung sehe das Regierungspräsidium vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Folgen für die Opfer der letztgenannten Tat in der seitherigen Entwicklung des Klägers zwar durchaus positive Ansätze, vermöge diesen indes kein derartiges Gewicht beizumessen, dass nunmehr nur noch von der entfernten Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten auszugehen sei. Die Verhältnisse des Klägers hätten sich seit der Entscheidung des Landgerichts Konstanz vom 8.6.1998 nicht in einer Weise verändert, dass sich nunmehr eine andere Prognoseentscheidung geradezu aufdrängen würde. Angesichts der massiven Rechtsgutverletzungen in der Vergangenheit bestehe nach wie vor die hinreichend konkrete Gefahr der Begehung weiterer vergleichbarer Straftaten. Dem langjährigen Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik werde in ausreichendem Maße dadurch Rechnung getragen, dass er im Hinblick auf die ihm erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz genieße und die in seinem Fall als Regelfall vorzunehmende Ausweisung zur Ermessensausweisung herabgestuft werde. Gründe, die ausnahmsweise eine darüber hinausgehende Berücksichtigung dieses Umstandes erfordern würden, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Auch den Beziehungen zu seiner jetzigen Lebenspartnerin sei keine schützenswerte Bedeutung beizumessen. Es seien auch keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar, dass mit der Maßnahme in sonstiger Weise unverhältnismäßige Folgen für den Kläger verbunden wären.

Ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war beim Verwaltungsgericht Freiburg (Beschluss vom 3.8.1999 - 9 K 578/99 -) und beim erkennenden Senat (Beschluss vom 1.9.1999 - 11 S 2077/99 -, mit dem der Antrag auf Zulassung der Beschwerde abgelehnt wurde) erfolglos. Der Kläger wurde am 2.9.1999 in die Türkei abgeschoben.

Mit der - am 23.3.1999 erhobenen - Klage erstrebte der Kläger die Aufhebung der Ausweisungsverfügung.

Mit - am 3.9.1999 eingegangenem - Schriftsatz vom 2.9.1999 teilte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass sein Mandat beendet sei. Ein Schreiben des Berichterstatters des Verwaltungsgerichts vom 1.10.1999 an den Kläger unter der Adresse der Justizvollzugsanstalt Adelsheim kam mit dem Vermerk zurück, der Empfänger sei in die Türkei verzogen.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.11.1999 hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Entscheidung verwiesen.

Mit Beschluss vom 15.11.1999 hat das Verwaltungsgericht die öffentliche Zustellung der für den Kläger bestimmten Ausfertigung des Gerichtsbescheids angeordnet, da sein Aufenthalt unbekannt sei. Die entsprechende Benachrichtigung wurde an der Anschlagtafel des Verwaltungsgerichts in der Zeit vom 18.11.1999 bis zum 8.12.1999 ausgehängt.

Mit Schriftsatz vom 19.1.2000 - am selben Tag beim Verwaltungsgericht eingegangen - zeigten die derzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers die künftige Vertretung des Klägers an und teilten dessen Anschrift in der Türkei mit. Mit Schriftsatz vom 10.2.2000 beantragte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Er machte geltend, der Gerichtsbescheid sei nicht wirksam zugestellt worden, da die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vorgelegen hätten.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9.6.2000 hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 9.6.2000 festgestellt, dass das Verfahren durch Gerichtsbescheid der Kammer vom 12.11.1999 beendet worden sei. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag auf mündliche Verhandlung sei wegen Fristversäumnis unzulässig. Da der Gerichtsbescheid am 3.12.1999 als zugestellt gelte, sei die Rechtsmittelfrist am 3.1.2000 abgelaufen. Die Bekanntgabe des Gerichtsbescheids sei zu Recht durch öffentliche Zustellung erfolgt, da der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt gewesen sei. Nachdem das Schreiben des Berichterstatters vom 1.10.1999 zurückgesandt worden sei, seien weitere Nachforschungen über den Aufenthaltsort des Klägers in der Türkei nicht erforderlich gewesen. Es sei plausibel erschienen, dass sich der Kläger - nach seiner Abschiebung aus der Haft - tatsächlich (mit unbekanntem Wohnort) in der Türkei aufhalte. Weitere Nachforschungen, etwa durch Anfrage beim Meldeamt und beim zuständigen Polizeirevier seien ebenso wie Nachfragen bei den früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers im Antrags- und Klageverfahren nicht notwendig und nicht erfolgversprechend gewesen. Auch eine Anfrage bei den Eltern des Klägers sei dem Gericht nicht zumutbar gewesen.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 15.8.2001 (11 S 1432/00) gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen vor: Der Antrag auf mündliche Verhandlung sei rechtzeitig gestellt worden, da die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids unwirksam gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe nicht alles Erforderliche zur Ermittlung des Aufenthalts des Klägers und zur Ermittlung eines Empfangsbevollmächtigten getan. In der Sache komme dem Kläger der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 7, 14 ARB 1/80 zu. Danach sei eine Ausweisung unzulässig, wenn bei einem Inländer eine verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 9. Juni 2000 - 9 K 577/99 - sowie die Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 2. Dezember 1998 und dessen Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1999 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf das Urteil des Verwaltungsgerichts, auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlüsse sowie auf die angefochtene Verfügung und den Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, der Behördenakten sowie der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Freiburg (im Klageverfahren sowie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) und des erkennenden Senats (im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren 11 S 2077/99 und 11 S 1994/01) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist - nach ihrer Zulassung durch den Senat - statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 3 VwGO (in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung; vgl. § 194 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess [RmBereinVpG] vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3987) sind erfüllt. Der Kläger hat rechtzeitig eine Begründung der Berufung vorgelegt, einen Antrag gestellt und die Berufungsgründe vorgetragen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind - zum einen - die Frage der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 9.6.2000 und - zum andern - die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung. Denn der Kläger macht - sinngemäß -geltend, sowohl durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, das Klageverfahren sei durch den (rechtskräftigen) Gerichtsbescheid vom 12.11.1999 beendet worden, als auch durch die Ausweisungsverfügung, die Grundlage seiner Abschiebung war und ihn an einer Wiedereinreise hindert, beschwert zu sein. Das Ziel der Berufung, dieses Urteil und die Ausweisungsverfügung aufzuheben, hat der Kläger durch seinen im Berufungsverfahren gestellten Antrag und die dazu vorgetragene Begründung hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Unter Beachtung der Dispositionsbefugnis des Klägers und des Gesetzesbefehls zur Sachentscheidung im Berufungsverfahren (vgl. dazu insbesondere § 130 Abs. 1 VwGO in der seit 1.1.2002 geltenden Fassung durch das RmBereinVpG) ist daher das Berufungsbegehren als darauf gerichtet anzusehen, - zunächst - die Frage der rechtskräftigen Beendigung des Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht (dazu A) und - da dies nicht der Fall ist - über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung zu entscheiden (dazu B).

A) Die Berufung hat insoweit Erfolg, als der Kläger sich gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 9.6.2000 wendet. Dieses Urteil ist aufzuheben. Denn die darin getroffene Feststellung, das Klageverfahren sei durch den Gerichtsbescheid vom 12.11.1999 beendet, ist unrichtig. Der Gerichtsbescheid ist nicht wirksam ergangen. Dementsprechend ist - zur Klarstellung - die Unwirksamkeit dieses Gerichtsbescheids festzustellen.

Voraussetzung für die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung, das (Klage-)Verfahren sei durch den Gerichtsbescheid beendet worden, wäre, dass der Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung verspätet, d.h. nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids gestellt worden ist (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dies wiederum würde voraussetzen, dass der Gerichtsbescheid ordnungsgemäß (wirksam) zugestellt worden ist (§§ 84 Abs. 1 Satz 3, 116 Abs. 1 Satz 2, 56 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit den Vorschriften des VwZG[Bund]). Bereits daran fehlt es. Der Gerichtsbescheid vom 12.11.1999 sollte auf Grund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 15.11.1999 öffentlich zugestellt werden, da das Verwaltungsgericht davon ausging, dass der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt sei (§ 56 VwGO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Buchstabe a VwZG). Eine solche öffentliche Zustellung ist jedoch nur als "letztes Mittel" der Bekanntgabe dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln; es sind zuvor gründliche und sachdienliche Bemühungen um Aufklärung des gegenwärtigen Aufenthaltsorts des Empfängers erforderlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.4.1994 - 1 B 69.94 -, Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 2; Urteil vom 18.4.1997 - 8 C 43.95 - BVerwGE 104, 301 = NVwZ 1999, 178 m.w.N.; ebenso VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.12.1990, VBlBW 1991, 340; zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige öffentliche Zustellung vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26.10.1987, NJW 1988, 2361; zur Unwirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nach der § 15 Abs. 1 Buchstabe a VwZG weitgehend entsprechenden Bestimmung des § 203 Abs. 1 ZPO s. auch BGH, Urteil vom 19.12.2001, NJW 2002, 827). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.

Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zwar zutreffend die rechtlichen Anforderungen an eine öffentliche Zustellung dargestellt, es ist jedoch diesen Anforderungen tatsächlich nicht gerecht geworden. Das Verwaltungsgericht hat gegen die ihm obliegende Nachforschungs- und Ermittlungspflicht verstoßen. Es hat sich zur Feststellung des Aufenthaltsorts des Klägers damit begnügt, dass ein Schreiben des Berichterstatters, das nach der - dem Verwaltungsgericht bekannten - Abschiebung des Klägers aus der Justizvollzugsanstalt Adelsheim an diese gerichtet war, mit dem (zu erwartenden) Vermerk zurückgesandt wurde, der Kläger sei in die Türkei "verzogen". Weitere Bemühungen um Aufklärung des Aufenthaltsorts des Klägers hat das Verwaltungsgericht nicht unternommen, obwohl solche Bemühungen zumutbar und erfolgversprechend waren. So wurde weder eine Anfrage an die Meldebehörde (vgl. dazu VG Stuttgart, Beschluss vom 16.1.1998, InfAuslR 1998, 182) noch an die früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichtet, obwohl diese möglicherweise wegen der Abrechnung ihrer Anwaltsgebühren Kenntnis vom Aufenthalt des Klägers hätten haben können. Es wurde auch kein Zustellungsversuch unter der (dem Verwaltungsgericht bekannten) Anschrift des Klägers vor seinem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt unternommen. Schließlich wäre im konkreten Fall dem Verwaltungsgericht eine Anfrage bei den Eltern des Klägers nach dessen Aufenthaltsort zumutbar und auch erfolgversprechend gewesen. Soweit das Gericht insoweit darauf verweist, der Kläger sei volljährig gewesen und er habe seit seiner Abschiebung (am 2.9.1999) und der Mandatsniederlegung durch seinen früheren Bevollmächtigten ca. 10 1/2 Wochen lang (bis zum Beschluss der Kammer über die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids) das Klageverfahren nicht betrieben (wobei eine Betreibensaufforderung nach § 87b VwGO freilich nicht ergangen ist), haben diese (möglichen) Obliegenheitsverletzungen des Klägers das Verwaltungsgericht nicht von der Verpflichtung befreit, alle zumutbaren und erfolgversprechenden Ermittlungen zur Aufklärung des Aufenthaltsorts des Klägers durchzuführen, bevor eine öffentliche Zustellung - als letztes Mittel der Bekanntgabe - hätte erfolgen dürfen. Das Verwaltungsgericht durfte nicht ohne Verstoß gegen die ihm obliegende Nachforschungs- und Ermittlungspflicht davon ausgehen, "dass sich der erwachsene Kläger ohne bekannten Aufenthaltsort im Ausland aufhält". Eine Anfrage bei den Eltern des Klägers in Konstanz hätte auch erfolgversprechend sein können, da der Kläger in Konstanz (am 3.10.1978) geboren wurde, bis zum Strafantritt (in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim, von wo aus er abgeschoben wurde) bei seinen Eltern gewohnt hat und sich die Eltern wie auch seine deutsche Verlobte und andere Verwandte mit bekannten Anschriften in Deutschland sich sehr für ihn eingesetzt haben. Insofern hatte der Kläger bereits im Widerspruchsverfahren vorgebracht, außer den (in der Türkei lebenden) Großeltern mütterlicherseits befinde sich die gesamte Familie seit ca. 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Gerichtsbescheid ist demnach unwirksam, da er unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugestellt wurde. Auf die weitere Frage, ob das Verwaltungsgericht überhaupt durch Gerichtsbescheid entscheiden durfte, nachdem die gesetzlich vorgeschriebene vorherige Anhörung des Klägers (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ebenfalls im Wege einer - hier unzulässigen - öffentlichen Zustellung bekannt gegeben wurde, kommt es nicht mehr an.

Es kann hier dahinstehen, ob eine Heilung des Zustellungsmangels in Bezug auf den Gerichtsbescheid erfolgen konnte und möglicherweise erfolgt ist. Geht man davon aus, dass § 9 Abs. 2 VwZG (in Verbindung mit § 56 Abs. 2 VwGO) über die in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten - hier nicht einschlägigen - Fälle hinaus auch auf die Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids entsprechend anwendbar ist (vgl. dazu z.B. Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, Komm., 11. Aufl., § 56 VwGO, RdNr. 23, m.w.N.), so konnte bereits aus diesem Grund keine Heilung erfolgen. Aber auch dann, wenn man davon ausgeht, dass eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 9 Abs. 1 VwZG (in Verbindung mit § 56 Abs. 2 VwGO) erfolgt ist, ergibt sich kein anderes Ergebnis. In diesem Fall würde der Gerichtsbescheid als in dem Zeitpunkt zugestellt gelten, in dem ihn der Kläger bzw. sein (jetziger) Prozessbevollmächtigter nachweislich erhalten hat. Dies wäre frühestens der Zeitpunkt, zu dem der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht hatte, so dass der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt worden wäre; dies hätte zur (gesetzlichen) Folge, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gelten würde (§ 84 Abs. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hätte auf den Antrag des Klägers zur Sache entscheiden müssen. An einer solchen Entscheidung fehlt es jedoch.

B) Bei dieser Sach- und Rechtslage entscheidet der Senat über das Klagebegehren, mit dem der Kläger die Aufhebung der Ausweisungsverfügung erstrebt. Das Verwaltungsgericht hat nicht nur eine Zwischenentscheidung, sondern mit dem angefochtenen Urteil eine das Klageverfahren abschließende Endentscheidung getroffen. Eine Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (etwa gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil kein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt hat.

Die - zulässige - Anfechtungsklage ist nicht begründet. Die angefochtene Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 2.12.1998 - in Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 15.2.1999 (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) -, mit der die Ausweisung des Klägers angeordnet und ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht sowie die Abschiebung aus der Haft angeordnet wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

I. Die Ausweisung des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Bei der rechtlichen Beurteilung der Ausweisung kommt es ausschließlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens an, hier mithin auf den Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 15.2.1999 (ständige Rechsprechung; vgl. dazu u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 -1 B 224.94 - InfAuslR 1995, 150, und vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 - InfAuslR 1996, 137, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 = NVwZ 1997, 297 = InfAuslR 1997, 8 = VBlBW 1997, 172, vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 = InfAuslR 1997, 193, vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -InfAuslR 1997, 296, und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273, Beschlüsse vom 14.7.2000 - 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18, vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 - NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312, und vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 - NVwZ 2002, 339 = InfAuslR 2002, 63; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996 - 11 S 2511/96 -, vom 28.7.1999 - 11 S 2387/98 - und vom 19.4.2000 - 11 S 1387/99 - ESVGH 50, 241 = NVwZ 2000, 1070 = VBlBW 2001, 25). Der Fall des Klägers gibt keine Veranlassung, davon abzuweichen.

Das Regierungspräsidium ist zu diesem Zeitpunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG für eine Ausweisung des Klägers erfüllt waren. Denn der Kläger war (zuletzt) durch das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Konstanz vom 10.12.1997 (bestätigt durch das Berufungsurteil des Landgerichts Konstanz vom 8.6.1998) wegen vorsätzlicher Straftaten (gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung) rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 2 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Für den Kläger greifen zwar mehrere Ausweisungsschutzvorschriften ein, die jedoch in seinem Fall nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führen.

Zunächst war in seinem Fall der Ausweisungsschutz aus § 48 Abs. 2 Satz 2 AuslG zu beachten. Danach wird ein Heranwachsender, der - wie der Kläger - im Bundesgebiet aufgewachsen ist und mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, nur dann (überhaupt) ausgewiesen, wenn er die Voraussetzungen eines Ausweisungstatbestands nach § 47 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfüllt. Dieser Schutz findet auf den Kläger jedoch keine Anwendung, da seine Ausweisung nach Maßgabe des § 47 Abs. 2 Nr. 1 und des Abs. 3 AuslG - als Ermessensausweisung - erfolgt ist.

Auch der weitere besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG steht der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung kann ein Ausländer, der - wie der Kläger - eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren ist, nur dann (überhaupt) ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diese Maßnahme rechtfertigen. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Diese Beurteilung ist an den Ausweisungszwecken auszurichten und in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Bei einer spezialpräventiven Ausweisung muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, welches sich bei Straftaten vor allem aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Hinzu kommen müssen Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und somit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Dabei sind in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 5.5.1998, BVerwGE 106, 351 = InfAuslR 1998, 383, und vom 29.9.1998, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 16 = InfAuslR 1999, 54, jeweils m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind - wie in der angefochtenen Verfügung und im Widerspruchsbescheid zu Recht ausgeführt wird - beim Kläger erfüllt. Dem Ausweisungsanlass kommt in seinem Fall ein besonderes Gewicht zu. Seine Straftaten sind zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen. Nach Art und Schwere haben sie ein besonderes Gewicht, wie dies auch in der zuletzt verhängten Strafe von 2 Jahren und 2 Monaten Jugendstrafe zum Ausdruck kommt. Daran ändert der Umstand nichts, dass es sich bei den Taten des im Tatzeitpunkt heranwachsenden Klägers um Jugendverfehlungen gehandelt haben mag. Besonders die Straftaten, die der letzten Verurteilung zugrunde liegen, lassen ein vom Kläger ausgehendes hohes Gewaltpotential erkennen. Das Landgericht Konstanz hat (in dem Berufungsurteil vom 8.6.1998) die Würdigung des Verhaltens des Klägers durch das Jugendschöffengericht bestätigt, dass sich in der Straftat (gefährliche Körperverletzung) eine große Brutalität gezeigt habe, dass es auch zu erheblichen Verletzungsfolgen gekommen und es nur dem Zufall zu verdanken sei, "dass die Tritte in das Gesicht des Geschädigten ... nicht zu noch gravierenderen Verletzungen geführt haben". Zum maßgeblichen Zeitpunkt lagen auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Kläger eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft droht und somit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Nach Auffassung des Senats ist diesem Erfordernis allerdings nicht schon genügt, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Vielmehr bedarf es wegen des bestehenden besonderen Ausweisungsschutzes einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Begehung erneuter ähnlich schwerer Straftaten. Diese Voraussetzung war hier jedoch erfüllt. Der Kläger ist seit seinem 16. Lebensjahr straf- und ordnungsrechtlich in erheblichem Maße für die Allgemeinheit gefährlich auffällig geworden und hat bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung keine Änderung seines Verhaltens gezeigt. Er hat ersichtlich die Warnfunktion des häufigen Einschreitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft sowie der Strafgerichte missachtet und trotz der zweimaligen Verhängung erheblicher Jugendstrafen sein gefährliches Fehlverhalten fortgesetzt und gesteigert. Dies gilt sowohl hinsichtlich der von ihm begangenen zahlreichen Diebstahlsdelikte als auch besonders hinsichtlich der Körperverletzungen. Im Oktober 1994 war er an einer Körperverletzung beteiligt, bei der ein Geschädigter einen Nasenbeinbruch sowie Prellungen am ganzen Körper erlitt. Wegen dieser Tat und vier Diebstahlsdelikten wurde er im Mai 1995 zu einer Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wegen mehrerer Diebstahlsdelikte wurde er im Oktober 1996 erneut zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Bereits im Dezember 1996 hat der Kläger ein weiteres schweres Körperverletzungsdelikt begangen. Er hat ohne Anlass, offenbar aus Spaß an der Verletzung anderer Menschen - wie das Schöffengericht und das Landgericht übereinstimmend festgestellt haben: "just for fun" - auf einen anderen eingeschlagen, diesen mit einem Fußtritt zu Fall gebracht und sodann den am Boden liegenden Geschädigten mit seinen schweren Schuhen mehrfach gegen den Körper und gegen das Gesicht getreten, so dass dieser einen Kieferbruch und Zahnabsplitterungen sowie Prellungen und Schürfungen davontrug. Durch die Umstände der Tatbegehung hat der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie erkennen lassen. Das Landgericht Konstanz hat (in dem Urteil vom 8.6.1998) im Rahmen der Strafzumessung festgestellt, dass beim Kläger "ein doppelter Bewährungsbruch bei einer hohen Rückfallgeschwindigkeit" vorliegt. Die spätere Teilnahme an einem Anti-Aggressivitäts-Training - mit dem Lernziel, in Konfliktsituationen gelassen zu reagieren und nicht aus Hilflosigkeit zuzuschlagen oder aus ohnmächtiger Wut zu drohen - hat das Landgericht zutreffend dahin gewertet, es sei nicht anzunehmen, dass damit die wesentlichen Ursachen der Tat vollständig hätten aufgearbeitet werden können, da eine Konfliktsituation oder Provokationen der brutalen Tat gerade nicht vorausgegangen waren. Die Richtigkeit dieser Beurteilung wird auch durch die Stellungnahme des Bewährungshelfers des Klägers vom 13.10.1998 nicht in Frage gestellt.

Das Regierungspräsidium hat auch über die Ausweisung, die nach dem - hier erfüllten - Tatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG grundsätzlich als Regel-Rechtsfolge erfolgen soll, im Fall des Klägers zu Recht unter pflichtgemäßer Ermessensausübung entschieden. Dies war hier - zum einen - nach § 47 Abs. 3 Satz 3 AuslG und auch - zum anderen - nach § 47 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 1 AuslG geboten. Die Behörde hat sowohl die gesetzlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 AuslG als auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten (vgl. § 40 LVwVfG). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich und werden zudem vom Kläger im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht. Die Erwägungen der Ausländerbehörde in der Ausweisungsverfügung und im Widerspruchsbescheid genügen den rechtlichen Anforderungen, die an die Ausübung des Ermessens zu stellen sind. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt der Begründung dieser Bescheide (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren gebietet keine andere rechtliche Beurteilung der Ausweisung.

Der Kläger macht geltend, ihm komme "der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 7, 14 ARB 1/80 zu". Dies erscheint fraglich (dazu 1.). Auch bejahendenfalls wäre jedoch die Ausweisung rechtmäßig verfügt worden (dazu 2.).

1. Es ist bereits fraglich, ob der Kläger sich überhaupt mit Erfolg auf eine Rechtsposition auf Grund des Assoziationsratsbeschlusses EWG - Türkei Nr. 1/80 - ARB 1/80 - berufen kann.

Art. 6 ARB 1/80 kommt für den Kläger nicht zur Anwendung, da er bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung sein letztes Arbeitsverhältnis selbst beendet hatte und sich in Strafhaft befand. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er zu diesem Zeitpunkt noch dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland angehört hat (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.1997 - 1 B 135.97 -, Buchholz 402.240 § 6 AuslG 1990 Nr. 13).

Für den Kläger kommt allenfalls die Regelung in Art. 7 Satz 1 (1. oder 2. Spiegelstrich) ARB 1/80 in Betracht. Die Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, dass der Kläger eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, ist nicht erfüllt. Die während der Strafhaft begonnene Ausbildung zum Kfz-Mechaniker hat der Kl ebenso wie die zuvor begonnene Ausbildung zum Heizungsbauer nicht im Bundesgebiet abgeschlossen; die Teilnahme an einem Lehrgang reicht nicht aus.

Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 lautet:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."

Es ist aus mehreren Gründen nicht zweifelsfrei, ob der Kläger sich auf diese Vorschrift berufen kann.

a) Zwar ist der Kläger als Kind seiner - als Arbeitnehmerin dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden - Mutter ein "Familienangehöriger" in diesem Sinne und erfüllte auch die zeitlichen Anforderungen an die Dauer des ordnungsgemäßen Wohnsitzes (3 bzw. 5 Jahre), da er in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde, hier aufgewachsen ist und seit dem Jahr 1994 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war. Es könnte jedoch fraglich sein, ob er die tatbestandliche Voraussetzung einer Zuzugsgenehmigung für eine Einreise zur Familienzusammenführung (vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 3.4.2001, NVwZ-RR 2001, 793) erfüllt, nachdem er hier geboren ist und daher eine Nachzugserlaubnis nicht besitzt. Die Rechtswirkungen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 knüpfen an die Einreise des Ausländers an (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 15.7.1997 - 1 C 24.96 -, InfAuslR 1998, 4 = Buchholz 402.240 § 6 AuslG Nr. 11, wonach eine genehmigungsfreie Einreise zum Zweck der Familienzusammenführung der Zuzugsgenehmigung gleichstehen kann). Die - im Unterschied zu Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 bestehende -tatbestandliche Voraussetzung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, dass die Familienangehörigen die Genehmigung erhalten haben, zu dem im Bundesgebiet lebenden türkischen Arbeitnehmer zu ziehen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12.12.1995 - 1 C 35.94 -, BVerwGE 100, 130 = NVwZ 1996, 116 = InfAuslR 1996, 165), hat auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) betont. So hat der EuGH beispielsweise in der Sache Akman (Urteil vom 19.11.1998, Slg. 1998, I-7537 [dort RdNr. 37] = NVwZ 1999, 281) entschieden, dass Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 "anders als Satz 1 nicht verlange, dass die Kinder die Genehmigung erhalten haben, zu ihren Eltern im Aufnahmestaat zu ziehen" (Kursivschrift durch den Senat). In der Sache Kadiman (Urteil vom 17.4.1997, Slg. 1997, I-2133 = NVwZ 1997, 1104 = InfAuslR 1997, 281 = EuGRZ 1997, 578) hat der EuGH (RdNr. 39) ausgeführt, Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 regle - im Unterschied zu Art. 6 ARB 1/80 - "die Rechte im Bereich der Beschäftigung der Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers ausschließlich nach Maßgabe der Dauer ihres Wohnsitzes im Aufnahmemitgliedstaat. Dafür heißt es in Artikel 7 Satz 1 ausdrücklich, dass der Familienangehörige von dem betreffenden Mitgliedstaat die Genehmigung erhalten haben muss, dort "zu" dem türkischen Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört, "zu ziehen", während Artikel 6 die Zuerkennung der Rechts, die er dem Arbeitnehmer verleiht, nicht von den Voraussetzungen abhängig macht, unter denen das Recht auf Einreise und Aufenthalt erlangt worden ist" (Kursivschrift durch den Senat). Es ist jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich, ob die Regelung in Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausdrücklich nur eine beschäftigungsrechtliche - und damit implizierte aufenthaltsrechtliche - Privilegierung von Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers enthält, die im Wege des Familiennachzugs legal zu ihm eingereist sind, erweiternd auch auf die - beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche - Situation von (türkischen) Familienangehörigen der sog. zweiten Generation anzuwenden ist. Ein Erstrecht-Schluss (argumentum a maiore ad minus) ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, da es sich bereits vom Ansatz her um unterschiedliche Fallgestaltungen handelt.

Allerdings könnte man auch davon ausgehen, dass es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift bei im Bundesgebiet geborenen Kindern türkischer Arbeitnehmer einer solchen Nachzugserlaubnis (als Einreisegenehmigung) nicht bedarf (so BayVGH, Urteil vom 15.11.2001 - 10 B 00.1873 - EZAR 029 Nr. 17; auch Huber, Handbuch des Ausländerrechts, B 402, Art. 7 ARB 1/80, RdNr. 8; Gutmann in GK-AuslR, IX-1, Art. 7, RdNr. 27). In diesem Fall kann der (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis, die dem Kläger ersichtlich als Kind zum Zweck des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes der Familie zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (vgl. § 17 Abs. 1 AuslG) erteilt wurde, möglicherweise die Bedeutung der Zuzugsgenehmigung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zukommen.

b) Es könnte weiter fraglich sein, ob der Kläger sich auf das Bewerbungsrecht oder das Zugangsrecht des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 berufen kann. Denn es ist nicht ersichtlich und der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er sich im Sinne von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 um ein konkretes Stellenangebot bewerben wollte (Bewerbungsrecht, Art. 7 Satz 1 [1. Spiegelstrich] ARB 1/80), zumal da dieses Recht unter dem Vorbehalt des Vorrangs der Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft steht. Ebenso ist nicht ersichtlich und der Kläger hat auch hierzu nicht konkret vorgetragen, dass er den freien Zugang zu einer von ihm gewählten Beschäftigung (Zugangsrecht, Art. 7 Satz 1 [2. Spiegelstrich] ARB 1/80) nutzen wollte; dies ist hier insbesondere bedeutsam, weil der Kläger sein letztes Arbeitsverhältnis zum 26.6.1998 (auf eigenen Wunsch) beendet hat und sich (erst) am 30.7.1998 als Selbststeller bei der Justizvollzugsanstalt Adelsheim zum Strafantritt gestellt hat. Ein (möglicherweise erlangtes) Recht des Klägers auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt könnte deshalb - bei entsprechender Anwendung von Art. 6 ARB 1/80 (vgl. dazu Gutmann a.a.O. RdNr. 84) - bereits vor der Ausweisung erloschen sein, weil der Kläger - im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 nicht "unverschuldet" - beschäftigungslos war. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung und des Widerspruchsbescheids befand er sich im Strafvollzug. Insoweit weist im Übrigen der Fall des Klägers auch einen wesentlichen Unterschied zu dem (zu Art. 6 ARB 1/80 ergangenen) Urteil Nazli des EuGH (vom 10.2.2000, Slg. 2000, I-957 = EuGRZ 2000, 50 = InfAuslR 2000, 161 = NVwZ 2000, 1029) auf, in dem entschieden wurde, dass bei einem türkischen Arbeitnehmer nach 13 Monaten Untersuchungshaft wegen einer Straftat (für die er später zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und die gesamte Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde) und fehlender Ausübung einer Beschäftigung während dieser Zeit keine - auch nur vorübergehende - Abwesenheit vom Arbeitsmarkt vorliege. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dem Kläger habe der freie Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 7 Satz 1 [2. Spiegelstrich] ARB 1/80 zugestanden.

2. Jedoch selbst dann, wenn man zugunsten des Kläger davon ausgeht, dass er ein - durch eine beschäftigungsrechtliche Position nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 impliziertes - Aufenthaltsrecht erlangt hatte und zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt noch besaß, kann dieses Recht nur unter dem in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 geregelten Vorbehalt der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, bestanden haben. Dieser Vorbehalt greift im Fall des Klägers jedenfalls ein und hat die Geltung einer (möglichen) Privilegierung beendet.

Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setzt den nationalen Behörden Grenzen, wie sie für eine Ausweisung gegenüber einem Unionsbürger gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 10.2.2000 <Nazli>, a.a.O.; auch BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 = InfAuslR 1997, 8 = NVwZ 1997, 297 = VBlBW 1997, 172, und vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 - InfAuslR 1999, 54 = NVwZ 1999, 303 = Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 16; OVG NRW, Beschluss vom 2.4.2001, NVwZ 2002, 366). Der Begriff der öffentlichen Ordnung setzt damit voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und eine Ausweisung ist nur dann gerechtfertigt, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet. Diesen Anforderungen wird die Ausweisung des Klägers jedoch gerecht. Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung in seinem Fall nicht allein mit der Tatsache einer strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Es hat diese Maßnahme ferner nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen und hat sie auch nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Ausweisung bestehen auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die Ausweisung des Klägers - wie ausgeführt - zu Recht auf der gesetzlichen Grundlage der §§ 47 und 48 AuslG verfügt wurde. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass - entgegen der Ansicht des Klägers - türkische Staatsangehörige, auch wenn ihnen die beschäftigungs- und aufenthaltsrechtlichen Privilegierungen nach dem ARB 1/80 zugute kommen, keine Freizügigkeit im Bereich der Europäischen Union genießen und sich daher der Maßstab für die Beschränkungen ihres Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechts - durch das Eingreifen des Vorbehalts für die Geltung dieses Rechts nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 - nicht aus § 12 AufenthG/EWG (in Verbindung mit der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964, ABlEG. 1964 S. 850) ergibt. Auch wenn die Anforderungen an eine Beschränkung dieser Rechtsposition der Sache nach denen der Beschränkung der Freizügigkeit von Unionsbürgern entsprechen, wird damit - auch für Unionsbürger - nicht etwa die Anwendbarkeit des innerstaatlichen deutschen Rechts ausgeschlossen. Unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat, darf ein behördlicher Eingriffsakt wie die Ausweisung in der Bundesrepublik Deutschland nur dann erlassen werden, wenn dafür eine dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechende gesetzliche Grundlage besteht. Diese Voraussetzung wird (u.a.) auch für den Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) gefordert, da nach Art. 8 Abs. 2 EMRK der Eingriff "gesetzlich vorgesehen" sein muss (vgl. zur Erfüllung dieser Voraussetzung im Fall eines türkischen Staatsangehörigen durch § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG EGMR, Entscheidung vom 4.10.2001, EuGRZ 2002, 582 <Adam>). Im (primären und sekundären) Recht der Europäischen Gemeinschaften gibt es keine Rechtsgrundlage für eine Ausweisung. Vielmehr hat sich der Gemeinschaftsgesetzgeber insoweit darauf beschränkt, unabhängig vom Recht der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, lediglich die Anforderungen an eine - nach mitgliedstaatlichem Recht erfolgende - Beendigung des Aufenthalts von Unionsbürgern im Blick auf den Gemeinschaftsbezug - d.h. auf deren Entfernung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (vgl. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG) - von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen. Auch § 12 AufenthG/EWG und § 4 Abs. 1 FreizügV/EG enthalten keine selbständige Rechtsgrundlage für eine Ausweisung, setzen diese Maßnahme vielmehr voraus (vgl. § 15 AufenthG/EWG) und bestimmen lediglich die - beschränkenden -inhaltlichen Voraussetzungen dahin, dass entsprechend der Vorgabe durch die Richtlinie 64/221/EWG des Rates (vom 25.2.1964, ABlEG. 1964 S. 850), die zur Konkretisierung der Vorbehalte in Art. 48 Abs. 3 EWG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 3 EG) erlassen wurde, die Ausweisung nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der Volksgesundheit (sowie unter Beachtung der weiteren in der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Beschränkungen, s. dazu § 12 Abs. 2 bis 9 AufenthG/EWG und § 4 Abs. 2 FreizügV/EG) zulässig ist. Eine Ausweisung kann weder auf der Rechtsgrundlage des Europäischen Gemeinschaftsrechts noch des § 12 AufenthG/EWG oder des § 4 FreizügV/EG erfolgen. Vielmehr stellen die §§ 45 bis 48 AuslG als abstrakt-generelle Regelungen, die in einem ordnungsgemäßen förmlichen Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtlich einwandfrei zustande gekommen sind, die erforderliche und ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Ausweisung sowohl von türkischen Staatsangehörigen, die durch die Regelungen des ARB 1/80 privilegiert sind, als auch von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern dar. Dementsprechend sind sowohl die Tatbestände, die erst eine Ausweisung ermöglichen (§ 45 Abs. 1, § 46 und § 47 Abs. 1 und 2 AuslG), als auch die Tatbestände, die eine Ausweisung ausschließen oder von besonderen Anforderungen abhängig machen (§ 48 AuslG, auch § 45 Abs. 2 und § 47 Abs. 3 AuslG), zunächst nach nationalem (deutschem) Ausländerrecht - gleichsam auf einer ersten Stufe - für alle Ausländer zu beachten. Sodann müssen für aufenthaltsrechtlich privilegierte Ausländer (z.B. für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger oder für türkische Staatsangehörige, die durch die Regelungen des ARB 1/80 privilegiert sind) - gleichsam auf einer zweiten Stufe - zusätzliche Anforderungen für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme erfüllt sein, falls diese sich (wie beim Kläger) nach nationalem (deutschem) Ausländerrecht als rechtmäßig erweist.

Im Fall des Klägers waren auch die - auf der zweiten Stufe zu beachtenden -besonderen Voraussetzungen für die Ausweisung erfüllt. Die Ausweisung ist aus spezialpräventiven Gründen erfolgt. Beim Kläger liegen insbesondere auf Grund der von ihm (durch seine Straftaten) bewiesenen Gewaltbereitschaft und der von ihm begangenen Diebstahlsdelikte schwerwiegende Ausweisungsgründe vor, die außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellen, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefährdungen berührt. Er hat - wie ausgeführt - durch sein persönliches Verhalten gezeigt, dass von ihm erhebliche Gefahren ausgehen, die zu dem für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung maßgebenden Zeitpunkt nicht durch objektiv erkennbare Umstände in ihrer Bedeutung gemindert waren.

Ohne Erfolg beruft der Kläger sich darauf, dass eine Ausweisung dann unzulässig sei, "wenn bei einem Inländer eine verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt ist". Dieses Vorbringen geht schon deswegen ins Leere, weil in seinem Fall die Vollstreckung der (letzten) Strafe nicht (mehr) zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es erfolgte bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung auch nicht eine Aussetzung der Vollstreckung der Rest-Jugendstrafe zur Bewährung. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt insoweit auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) deswegen vor, weil für den Kläger die Chance einer vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug unter Aussetzung der Vollstreckung der Rest-(Jugend-)Strafe zur Bewährung (anders als bei deutschen Straftätern in vergleichbarer Lage) durch die Ausweisung nicht besteht. Insoweit liegt kein vergleichbarer Sachverhalt vor, der eine Gleichbehandlung gebieten würde, weil der Kläger als Ausländer im Unterschied zu deutschen Staatsangehörigen dem besonderen Regime des Ausländerrechts unterliegt.

Die Ausführungen des Klägers zum Aufenthaltsrecht von "dauerhaft im Bundesgebiet ansässigen Unionsbürgern" wie auch die lediglich als Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie über das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen angeführten Regelungen sind für den Fall des Klägers rechtlich unerheblich, da er als türkischer Staatsangehöriger kein Unionsbürger ist.

Im Übrigen kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Es ist bereits - wie ausgeführt - fraglich, ob für den Kläger die Regelungen des ARB 1/80 überhaupt Anwendung finden. Ferner steht auch Art. 13 ARB 1/80 unter dem Vorbehalt des Art. 14 ARB 1/80 (vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.6.2001, NVwZ 2001, 1438). Jedenfalls aber beruht die Ausweisung im Fall des Klägers nicht auf neuen Beschränkungen im Sinn dieser Vorschrift. Insbesondere hat das Regierungspräsidium den Kläger nicht in Anwendung des Regel-Ausweisungstatbestands des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG ausgewiesen. Die Ausweisung ist vielmehr - wie ausgeführt - nach Ermessen erfolgt. Dies entspricht für den hier vorliegenden Fall einer Ausweisung aus Anlass der Begehung von Straftaten einer Ermessens-Ausweisung auf der Rechtsgrundlage des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965 (vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.9.2001 - 11 S 999/01 -).

II. Soweit der Kläger mit seinem - uneingeschränkten - Klagebegehren auch die Aufhebung der Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung in der angefochtenen Verfügung erstrebt, kann die Klage ebenfalls keinen Erfolg haben. Denn diese - auf der Rechtsgrundlage des § 50 AuslG ergangenen - Maßnahmen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Im Übrigen macht der Kläger insoweit auch keine Gründe geltend, die rechtliche Bedenken begründen könnten.

Die Frage einer Befristung der Ausweisung und Abschiebung ist nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens (vgl. dazu auch die beim Verwaltungsgericht Freiburg anhängige Klage, Az: 1 K 1643/00).

Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung über eine Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts besteht keine Veranlassung (vgl. Art. 234 Abs. 2 EG). Klärungsbedürftige assoziationsrechtliche Rechtsfragen, die hier entscheidungserheblich wären, hat weder der Kläger angeführt noch sind solche ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000 EUR festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 und § 25 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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