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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: 11 S 2042/08
Rechtsgebiete: VwGO, SDÜ, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
SDÜ Art. 21
AufenthG § 59 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
Die Zulässigkeit eines Eilantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Sofortvollzug einer Ausweisung kann nicht unter Berufung auf eine anderweitige Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses verneint werden, wenn die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht ausschließlich unter Berufung auf die sofortige Vollziehung der Ausweisung zu vollstrecken beabsichtigt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG

Beschluss

11 S 2042/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung und Abschiebungsandrohung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 11. September 2008

beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin xxxx xxxxxxxxxx, xxxxxxxx, bewilligt. Er hat keine Raten auf die Prozesskosten zu zahlen.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Juni 2008 - 3 K 718/08 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17. März 2008 wird wiederhergestellt, soweit der Antragsteller ausgewiesen wurde (I.), und angeordnet, soweit dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria angedroht wurde (II. und III.).

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Wie sich aus Nachstehendem ergibt, hat die Beschwerde hinreichende Erfolgsaussicht. Dem Antragsteller ist mithin für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren, weil er - wie die dahingehende Erklärung zeigt - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO).

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.06.2008 ist zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) und begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung wiederherzustellen sowie hinsichtlich der Abschiebungsandrohung bezüglich des Zielstaates Nigeria anzuordnen, was bei sachdienlicher Auslegung des Eilantrags insoweit allein begehrt wird (vgl. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO), wie auch die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Beschwerdeverfahren klargestellt hat.

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, und zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners auch hinsichtlich der begehrten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.03.2008 verfügte Ausweisung. Bei der im Eilverfahren angezeigten und nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - der zur Zeit im psychiatrischen Krankenhaus in Emmendingen untergebrachte Antragsteller soll am 23.09.2008 nach Nigeria abgeschoben werden - bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners, der Antragsteller sei am 01.09.2007 i. S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und daher unabhängig vom Sofortvollzug der Ausweisung vollziehbar ausreisepflichtig. Aus diesem Grund kann das Rechtsschutzinteresse daher nicht verneint werden. Es kann aber auch nicht verneint werden, weil der Antragsteller nach der erlaubten Einreise und schon vor Erlass der Ausweisung aus anderen Gründen kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist.

a) Es spricht viel dafür, dass der Antragsteller erlaubt in das Bundesgebiet eingereist ist. Ausweislich der in den Akten enthaltenen Passkopien war der Antragsteller am 20.02.2002 legal mittels eines italienischen nationalen Visums Typ "D" (vgl. Art. 18 SDÜ i. d. F. der VO 1091/2001/EG) zum Familiennachzug, gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern, zur Mutter nach Italien eingereist. Dort absolvierte er nach den Feststellungen des Landgerichts Freiburg im Urteil vom 03.04.2008 - 3 KLs 230 Js 31378/07 AK 1/08 - einen Sprachkurs und eine Ausbildung zum Elektriker, die er 2004 erfolgreich abschloss. In der Folgezeit arbeitete er in Verona an verschiedenen Arbeitsplätzen, zuletzt bis Juli 2007 bei einem Verlag, und war dort unstreitig im Besitz einer bis 04.04.2007 gültigen italienischen Aufenthaltserlaubnis ("Permesso di soggiorno"). Nach Auskunft der Ausländerbehörde Verona an das italienische Konsulat in Freiburg vom 11.03.2008 hatte der Antragsteller am 03.04.2007 in Verona einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gestellt. Ob dieser Antrag eine Erlaubnisfiktion ausgelöst hat, wie sie vergleichbar etwa § 81 Abs. 4 AufenthG regelt, ist nicht hinreichend geklärt. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat dies unter Bezugnahme auf die Auskunft eines italienischen Rechtsanwalts sowie Vorlage von italienischen Rechtsakten substantiiert behauptet. Unklar ist weiter, ob der Antragsteller nicht vielleicht auf seinen Verlängerungsantrag eine italienische unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und wann dies geschehen sein könnte. In den Behördenakten (AS 313) ist jedenfalls ein Schreiben der Bundespolizei Weil am Rhein vom 17.12.2007 enthalten, wonach die italienischen Behörden mitgeteilt hätten: "Der o. g. xxxxx besitzt in Italien eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Zu welchem Zeitpunkt er diese Aufenthaltserlaubnis ausgestellt bekommen hat, wurde uns nicht mitgeteilt."

Vor diesem Hintergrund ist es gut möglich, dass der von Italien über Frankreich nach Deutschland eingereiste Antragsteller am 01.09.2007 nicht i. S. des § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt eingereist ist, weil er für diese Einreise und einen anschließenden dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und § 15 AufenthV i. V. m. Art. 21 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.06.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.06.1990 (BGBl II S. 1010), zuletzt geändert durch Verordnung 1931/2006/EG v. 20.12.2006 (ABl. L 405, S. 1) - SDÜ -, vom Erfordernis eines deutschen Aufenthaltstitels befreit war. Nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ können sich Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels (vgl. die Begriffsbestimmung in Art. 1 SDÜ) sind, aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchstaben a, c und e SDÜ aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen. Der Antragsteller war bis 04.04.2007 im Besitz eines für Art. 21 Abs. 1 SDÜ ausreichenden italienischen Aufenthaltstitels und könnte dies aufgrund einer danach erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch bei seiner Einreise gewesen sein. Sein italienisches Aufenthaltsrecht könnte er am 01.09.2007 auch hinreichend durch die im Vernehmungsvermerk des Bundespolizeiamts Weil am Rhein vom 11.10.2007 aufgeführte "italienische ID-Card" dokumentiert haben. Der Antragsteller ist zudem Inhaber eines bis 09.01.2012 gültigen nigerianischen Nationalpasses, der für Art. 21 Abs. 1 SDÜ genügt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sein Name auf der nationalen Ausschreibungsliste notiert war. Der in Bezug genommene Art. 5 SDÜ wurde zwar durch Art. 39 Abs. 1 der Verordnung 562/2006/EG über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen vom 15.03.2006 (ABl. L 105, S. 1) - Schengener Grenzkodex (SGK) - aufgehoben. Jedoch gelten die Bezugnahmen auf die Art. 2 bis 8 SDÜ als Bezugnahmen auf den Schengener Grenzkodex (Art. 39 Abs. 3 SGK). Nach dem mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, c und e SDÜ im Wesentlichen übereinstimmenden Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, c und e SGK sind weitere Einreisevoraussetzungen:

- Der Betroffene muss im Besitz eines oder mehrerer gültiger Reisedokumente sein, die ihn zum Überschreiten der Grenze berechtigen (a),

- er muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen, und er muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben (c) und

- er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen und darf insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein (e).

Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei seiner Einreise in das Bundesgebiet die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllt hat. Am 01.09.2007 war der Antragsteller jedenfalls u. a. im Besitz eines gültigen Reisepasses. Er hat bei der Vernehmung am 11.10.2007 angegeben, am 01.09.2007 zum Zwecke eines fünfwöchigen Besuches bei seinem in Dortmund lebenden Cousin eingereist zu sein. Hierfür, sowie zur Heimreise nach Verona, verfügte er damals offenbar über ausreichende Mittel. Da er in Italien nach Aktenlage nie straffällig geworden war, gab es keine Anhaltspunkte für eine Gefahr i. S. v. Art. 5 Buchst. e SGK.

b) Das Rechtsschutzinteresse kann auch nicht verneint werden, weil der Antragsteller schon vor Erlass der Ausweisung gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sofort vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, weil die Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 SDÜ am 01.12.2007 abgelaufen ist und der Antragsteller - offenbar bis heute - keinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt hat. Denn der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Abschiebung allein wegen und zusammen mit der Ausweisung, nicht aber wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht nach Ablauf der Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 SDÜ angedroht, die im angefochtenen Bescheid vom 17.03.2008 nicht erwähnt wird. Die Verneinung des Rechtsschutzinteresses würde in dieser Konstellation gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und das Gebot der "Waffengleichheit" verstoßen (ebenso: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.05.1997 - 13 S 1997/96 - InfAuslR 1997, 363; Hess. VGH, Beschluss vom 20.01.2004 - 12 TG 3204/03 - juris). Zwar kann die Ausländerbehörde wählen, auf welcher von mehreren möglichen Vollstreckungsgrundlagen sie den Aufenthalt eines Ausländers zwangsweise beenden möchte. Entscheidet sie sich jedoch für eine dieser Grundlagen und erlässt sie diesbezüglich einen sofort vollziehbaren Bescheid, muss sich der Ausländer mittels eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO - nicht zuletzt aus Gründen des Rechtsscheines - hiergegen zur Wehr setzen können. Der gemäß Art. 19 Abs. 4 GG garantierte vorläufige Rechtsschutz kann dann nicht allein mit dem theoretischen Argument versagt werden, die Abschiebung könnte auch aus anderen, von der Ausländerbehörde dafür aber nicht konkret in Anspruch genommenen Rechtsgründen vollzogen werden. Anderenfalls wäre der so Betroffene Vollzugsmaßnahmen gegebenenfalls schutzlos ausgeliefert, weil ihm eine Abschiebung auf dieser weiteren Grundlage jedenfalls vorerst nicht ernsthaft droht und ihm gerichtliche Hilfe gegen die bevorstehende Abschiebung auf der ersten Grundlage mit Hinweis auf die auch sonst bestehende Ausreisepflicht versagt wird.

2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch begründet. Für die - formell ordnungsgemäß begründete (vgl. § 80 Abs. 3 VwGO) - Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung besteht bereits kein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Darüber hinaus ist die aufschiebende Wirkung der Klage auch bezüglich der mit der Ausweisung verbundenen Abschiebungsandrohung in Bezug auf Nigeria anzuordnen, weil die Rechtmäßigkeit dieser Zielstaatsbezeichnung ernstlich zweifelhaft ist.

a) Die sofortige Vollziehung der Ausweisung eines Ausländers ist unter Beachtung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nur ausnahmsweise zulässig und bedarf mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eines besonderen, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehenden öffentlichen Interesses. Denn der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwer wiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Es muss daher die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung realisieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -, InfAuslR 1995, 397, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, ZAR 2007, 243). Davon kann nach Auffassung des Senats jedenfalls derzeit nicht ausgegangen werden, selbst wenn er zugunsten des Antragsgegners die Rechtmäßigkeit der Ausweisung unterstellte. Das Landgericht Freiburg hat mit Urteil vom 03.04.2008 - 3 KLs 230 Js 31378/07 AK 1/08 - gemäß § 63 StGB die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. In einem solchen Krankenhaus wird der Antragsteller seither festgehalten und behandelt. Nach Aktenlage wird er demnach voraussichtlich erst dann wieder frei kommen, wenn hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung eine Besserung dahingehend eingetreten ist, dass - jedenfalls im Bundesgebiet - die Begehung der vom Landgericht befürchteten weiteren erheblichen Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Hinzu kommt, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung derzeit aus Rechtsgründen auch gar nicht geeignet, jedenfalls aber nicht nötig sein dürfte, um die von der Behörde bekämpfte Gefahr weiterer Straftaten des Antragstellers durch Vollstreckung der gesetzlichen Ausreisepflicht zu verhindern. Denn da der Antragsteller schon vor Erlass der Ausweisung gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sofort vollziehbar ausreisepflichtig geworden und bis heute geblieben ist (siehe oben 1 b)), dürfte die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung - jedenfalls derzeit - keine zusätzliche Vollziehbarkeit der gesetzlichen Ausreisepflicht begründen und damit entgegen der Annahme der Behörde im angefochtenen Bescheid auch nicht zu einer weiteren Vollstreckungsgrundlage führen. Denn eine Vollziehbarkeit der gesetzlichen Ausreisepflicht infolge der Vollziehbarkeit einer Ausweisung tritt nach § 58 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG nur dann ein, wenn der Ausländer "durch" die Ausweisung als "sonstiger Verwaltungsakt" i. S. dieser Vorschrift "nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird". Das ist etwa der Fall, wenn der Ausländer bei Erlass der Ausweisung im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels war, der durch die - rechtsgestaltende - Ausweisung erlischt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Eine solche Situation liegt hier aber nicht vor.

Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Ausweisung vom Antragsgegner im Wesentlichen auf die Schuldvorwürfe in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 21.01.2008 gestützt wurde. Nach den Ausführungen des Landgerichts Freiburg im Urteil vom 03.04.2008 ist dem Antragsteller diesbezüglich jedoch keine Schuld vorzuwerfen, weil er sich im Zustand der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen befunden hatte (§ 20 StGB). Dies mag für die ausweisungsspezifische Frage der Gefahrenabwehr im Einzelfall ohne ausschlaggebende Relevanz sein. Nach den unwidersprochenen Angaben der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zeigt dessen Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus zwischenzeitlich jedoch guten Erfolg. Ob vor diesem Hintergrund die Ausweisung auf der Grundlage der §§ 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG auch heute noch (zum maßgebenden Zeitpunkt vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20) als rechtsfehlerfrei beurteilt werden kann, ist mindestens offen.

b) Auch die Bezeichnung des Zielstaates Nigeria in der Abschiebungsandrohung könnte gemäß § 59 Abs. 3 AufenthG rechtswidrig und deshalb aufzuheben sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, juris). Denn diesbezüglich kommt, unabhängig davon, dass Mutter und Geschwister des Antragstellers in Italien leben und auch sein Lebensmittelpunkt dort ist, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ernstlich in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 06.11.2007 dargelegt, dass die beim Antragsteller diagnostizierte paranoide Schizophrenie in Nigeria allenfalls bei Kostentragung durch ihn selbst behandelt werden könnte. Ausweislich seines Prozesskostenhilfeantrags verfügt der Antragsteller derzeit nicht über entsprechende Mittel. Anhaltspunkte dafür, dass Mutter oder Geschwister Behandlungskosten tragen könnten und würden, sind nach Aktenlage nicht gegeben. Im Urteil des Landgerichts Freiburg vom 03.04.2008 - 3 KLs 230 Js 31378/07 AK 1/08 - ist unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten xx. x. dargelegt, dass "ohne konsequente Behandlung eine weitere Verschlechterung der psychischen Erkrankung" des Antragstellers zu erwarten ist. Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, diese Verschlechterung werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aber nicht alsbald nach der Abschiebung in Nigeria eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33), sieht der Senat aufgrund der zitierten Ausführungen des Sachverständigengutachtens xx. x. keine hinreichende Grundlage.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Von einer Verdoppelung des Streitwerts entsprechend der Rechtsprechung bei im Inland für einen längerfristigen Aufenthalt erteilter Aufenthaltsgenehmigung (vgl. Senatsbeschluss vom 04.11.1992 - 11 S 2216/92 -, juris, und VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.12.2004 - 13 S 2510/04 -, EZAR-NF 019 Nr. 5) wird abgesehen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Antragsgegner den Antragsteller gemäß Art. 96 SDÜ im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausschreiben wird. Aufgrund der hier im Streit stehenden deutschen ausländerrechtlichen Maßnahmen erscheint deshalb auch die Verlängerung seines italienischen Aufenthaltsrechtes nicht wegen der partiellen Sperrwirkung des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 SDÜ gefährdet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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