Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: 11 S 2289/08
Rechtsgebiete: AufenthG, EGRL 03/109


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1
AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
AufenthG § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
AufenthG § 28 Abs. 2
AufenthG § 55
EGRL 03/109 Art. 6
1. Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in der seit dem 28.07.2007 geltenden Fassung nach Artikel 1 Nr. 9 b) des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) sind auch Ausweisungsgründe nach §§ 53 ff. AufenthG.

2. Das "Vorliegen" eines Ausweisungsgrundes steht der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG "nicht entgegen", wenn der Ausweisungsgrund unter Berücksichtigung der in dieser Vorschrift bezeichneten Gesichtspunkte das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts nicht überwiegt. Ob das der Fall ist, hat die Ausländerbehörde in einer die gesetzliche Wertung des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nachvollziehenden einzelfallbezogenen Abwägung entsprechend dem Maßstab nach § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG festzustellen.

3. Das Gebot der einzelfallbezogenen Abwägung verbietet es, das (Übergewicht) Gewicht von Gründen öffentlicher Sicherheit oder Ordnung schematisch generalisierend zu bestimmen, indem die Anspruchsvoraussetzung im Regelfall nur dann als erfüllt angesehen wird, wenn der Ausländer in einem bestimmten Zeitraum nicht wegen einer bestimmten Straftat zu einer Strafe bestimmter Art und Höhe verurteilt worden ist.

4. Der Ausländerbehörde steht bei der Abwägung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kein Beurteilungsspielraum zu und es ist ihr auch kein Ermessen eröffnet. Die Abwägung unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung.

5. Die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG werden durch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AufenthG als lex specialis verdrängt.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 2289/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Niederlassungserlaubnis

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. Januar 2008 - 1 K 748/06 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1964 geborene Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 22.12.1998 mit einem Schengen-Visum zur Eheschließung mit einer Deutschen in das Bundesgebiet ein. Nach der Eheschließung am 09.04.1999 erteilte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis ihm am 14.04.1999 eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund vor Ablauf ihrer jeweiligen Geltungsdauer gestellter Anträge des Klägers wiederholt befristet verlängert wurde, zuletzt bis zum 25.03.2006. Über einen am 07.03.2006 gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde noch nicht entschieden.

Der Kläger war bis Ende September 2007 bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt und anschließend arbeitslos. Seit Juni 2009 ist er bei einer Glas-und Gebäudereinigungsfirma mit einem Einkommen von 400 EUR/Monat geringfügig beschäftigt. Seine Ehefrau ist seit Dezember 1995 ununterbrochen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Baden-Württemberg beschäftigt. Ihre Einkünfte aus dieser Beschäftigung belaufen sich nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen derzeit auf ca. 2.500 EUR/Monat. Die Eheleute leben seit März 1999 in einer Mietwohnung zu einem Mietzins einschließlich Nebenkosten von derzeit 600 EUR/Monat. Der Kläger ist in der gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert. Für ihn sind nach einer Auskunft des Bundesamts für Justiz vom 22.05.2009 im Bundeszentralregister folgende strafrechtliche Verurteilungen eingetragen:

1. 40 Tagessätze Geldstrafe wegen fahrlässigen Vollrausches (Amtsgericht Heidelberg, Urteil vom 05.12.2001). Der Kläger hatte im Zustand der Volltrunkenheit (2,42 Promille Blutalkohol) Polizeibeamte beleidigt und bedroht und versucht, auf einen Polizeibeamten mit Fäusten einzuschlagen. Später entschuldigte er sich bei den Polizeibeamten schriftlich und zahlte ihnen ein Schmerzensgeld. Datum der Tat: 02.04.2001.

2. 60 Tagessätze Geldstrafe wegen Beleidigung (Amtsgericht Heidelberg, Strafbefehl vom 29.08.2002). Der Kläger hatte einen Polizeibeamten, der wegen eines zu Lasten des Klägers erfolgten Diebstahls ermittelte, in angetrunkenem Zustand beleidigt. Datum der Tat: 30.05.2002.

3. 40 Tagessätze Geldstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, versuchter Körperverletzung und Beleidigung (Amtsgericht Heidelberg, Strafbefehl vom 29.11.2004. Der Kläger hatte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit aufgrund erheblichen Alkoholgenusses (2,00 Promille Blutalkohol) in einem Biergarten zwei Polizeibeamte beleidigt und sich mit Faustschlägen seiner vorläufigen Gewahrsamsnahme widersetzt. Datum der Tat: 05.07.2004.

Der Kläger beantragte bereits im März 2002 die unbefristete Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, nahm diesen Antrag aber im April 2002 zurück. Am 03.02.2005 beantragte er die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.01.2006 unter Hinweis auf die Straftaten wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes ab. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 21.02.2006 zurückgewiesen.

Am 15.03.2006 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit der er die Aufhebung der ergangenen Bescheide und die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt hat. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Nach Inkrafttreten der Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG aufgrund von Artikel 1 Nr. 9 b) des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 - hat der Beklagte mitgeteilt, dem Kläger könne auch nach der neuen Rechtslage keine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, so lange ein Ausweisungsgrund i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege.

Mit Urteil vom 29.01.2008 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Der Kläger habe nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Alle Voraussetzungen dieser Vorschrift, soweit sie nicht nach § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG unanwendbar seien, seien erfüllt. Die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 bis 7 und 9 AufenthG lägen unstreitig vor, wobei hinsichtlich der sprachlichen Kenntnisse gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur erforderlich sei, dass der Kläger sich auf einfache Art in deutsche Sprache verständigen könne, was ebenfalls unstreitig der Fall sei. Schließlich sei auch § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG erfüllt, ohne dass daneben § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG anwendbar sei. Unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Gesetzgebungsgeschichte, insbesondere aufgrund der Parallelität zur europarechtlich gebotenen Regelung in § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG, sei nach der Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in Bezug auf Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Abwägung zwischen diesen Gründen und den Interessen des Ausländers vorzunehmen und nicht mehr allein auf die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung oder eines Gesetzesverstoßes abzustellen. Die Versagung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG setze die Gefahr weiterer Straftaten oder Rechtsverstöße durch den Ausländer voraus. Diese Gefahr sei bei dem seit über drei Jahren straffrei gebliebenen Kläger nicht festzustellen. Er habe die Straftaten weniger aus krimineller Energie, sondern aus seiner Unfähigkeit heraus begangen, beim Alkoholkonsum das richtige Maß zu finden. Zwischenzeitlich habe er entweder seinen Alkoholkonsum deutlich reduziert oder sich zumindest soweit unter Kontrolle, dass er keine alkoholbedingten Straftaten mehr begehe. Schon deshalb seien bei der Abwägung die Dauer seines bisherigen Aufenthalts und seine Bindungen im Bundesgebiet nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Im übrigen fielen diese Abwägungsgesichtspunkte auch entscheidend zu seinen Gunsten ins Gewicht. Generalpräventive Gründe kämen angesichts des Deliktscharakters und der fehlenden Schwere der Straftaten ersichtlich nicht in Betracht. Das Urteil wurde dem Beklagten am 26.02.2008 zugestellt.

Auf Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 13.08.2008, dem Beklagten zugestellt am 21.08.2008, die Berufung zugelassen. Mit am 10.09.2008 eingegangenem Schriftsatz vom selbem Tag hat der Beklagte die Berufung begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei schon § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt. Die Abwägung nach dieser Vorschrift falle in der Regel nur dann zu Gunsten des Ausländers aus, wenn er in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe, einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden sei. Mehrere Verurteilungen unterhalb dieser Schwelle wie beim Kläger seien aufenthaltsrechtlich schädlich. Ungeachtet dessen sei § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt. Diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung sei nach Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes neben § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG anwendbar. Der Grundsatz "lex specialis derogat legi generali" greife nicht ein. Da die Niederlassungserlaubnis als stärkste Stufe der Aufenthaltsverfestigung eine fortgeschrittene Integration zum Ausdruck bringe, dürfe das dafür erforderliche Maß an Integrationsleistungen nicht hinter dem für die Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels zurückbleiben. Eine andere Auslegung sei auch nicht wegen des übereinstimmenden Wortlauts mit § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG geboten. Zwar sei diese Vorschrift an Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG orientiert, wonach die Versagung eines Daueraufenthaltsrechts nicht allein mit dem Vorliegen eines Ausweisungsgrundes begründet werden könne, weshalb eine schematische Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dort nicht möglich sei. § 9 Abs. 2 AufenthG sei jedoch eine nationale Regelung. Der Gesetzgeber habe den gemeinschaftsrechtlichen Maßstab nicht auf die Niederlassungserlaubnis übertragen wollen. Andernfalls hätte er in der amtlichen Begründung nicht wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass § 5 AufenthG neben § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG anwendbar sein solle. Auch habe die Richtlinie 2003/109/EG ihm bei der Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nur als Vorbild gedient. Ein identischer Bedeutungsgehalt sei daher nicht zwingend.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29.01.2008 - 1 K 748/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und erwidert: § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG sei lex specialis zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aus den Gesetzesmaterialien gehe eindeutig hervor, dass mit der Gesetzesänderung der Wortlaut an den Text des neuen § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angepasst werden sollte. Beide Gesetzesformulierungen seien absichtlich wortgleich gefasst und daher nicht unterschiedlich auslegbar. Ungeachtet dessen sei die Regelvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schon wegen Vorliegens eines Ausnahmefalls unanwendbar. Die Ausnahme sei im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer in Deutschland, die mehrjährige eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, die Geringfügigkeit der Verurteilungen und den Umstand geboten, dass die Straftaten mehr als vier Jahre zurücklägen. Sein Lebensunterhalt sei durch den Verdienst seiner Ehefrau gesichert.

Die Vertreterin des Beklagten hat dem Kläger in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll zugesichert, dass seine Aufenthaltserlaubnis verlängert werde.

Dem Senat liegen die Ausländerakten des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und die Akten des Amtsgerichts Heidelberg in den oben genannten Strafverfahren vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Gegenstand der Nachprüfung durch den Senat ist nur die im angegriffenen Urteil ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ex nunc (§ 128 VwGO). Zwar kann auch an der rückwirkenden Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 32.06 - BVerwGE 129, 226), insbesondere auch bei einem unbefristeten Aufenthaltstitel (BVerwG, Urteil vom 09.06. 2009 - 1 C 7.08 - juris; Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 14.97 - NVwZ 1999, 306). Der Kläger hat eine Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Erteilung in erster Instanz jedoch nicht beantragt und Anhaltspunkte für ein dahingehendes spezifisches Rechtsschutzinteresse waren und sind nicht erkennbar. Die erst nach Klageerhebung, aber noch vor der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 am 28.07.2007 eingeführte Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG (§ 4 Abs. 1 Satz Nr. 4, §§ 9a bis 9c AufenthG), die der Niederlassungserlaubnis grundsätzlich gleichgestellt ist (§ 9 a Abs. 1 Satz 2 AufenthG), jedoch weitergehende Rechte vermittelt (insbesondere EU-Mobilität, vgl. Art. 1 lit. b und Art. 14 ff. Richtlinie 2003/109/EG), ist ebenfalls nicht Streitgegenstand. Eine entsprechende Klageänderung wäre zudem nicht sachdienlich, da sie den Streitstoff im Hinblick auf die weitergehenden Voraussetzungen nach §§ 9 a bis 9 c AufenthG deutlich erweiterte.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO verpflichtet, dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (1.) zwar nicht schon unter den erleichterten Voraussetzungen als Ehegatte einer Deutschen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (2.). Er kann diesen Aufenthaltstitel aber nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beanspruchen (3.). Alle Voraussetzungen dieser Vorschrift, soweit sie - modifiziert - anwendbar sind, sind erfüllt, insbesondere steht das "Vorliegen" des wegen der Straftaten des Klägers erfüllten Ausweisungsgrundes der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht entgegen (3.a)). Die für alle Aufenthaltstitel geltenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, soweit sie nicht durch besondere Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG als lex specialis verdrängt werden, sind ebenfalls erfüllt (3.b)).

1. Bei einer Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen, wenn es um die Frage geht, ob schon aus Rechtsgründen eine Erlaubnis erteilt oder versagt werden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.06.2004 - 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88>). Das gilt auch für Verpflichtungsklagen, die auf die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels gerichtet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.01.2002 - 1 C 6.01 - BVerwGE 115, 352), und auch für die gerichtliche Kontrolle eines der Behörde eröffneten Ermessens (BVerwG, Urteil vom 07.04.2009 - 1 C 17.08 und 1 C 28.08 - juris unter Aufgabe der bisherigen Rspr., wonach insoweit die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens maßgebend war). Etwas anderes gilt nur, wenn eine gesetzliche Anspruchsvoraussetzung selbst auf einen anderen Zeitpunkt abstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.04.2009, a. a. O. Rn. 10; Urteil vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370).

Danach ist hier grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung maßgebend. Der rechtlichen Beurteilung sind deshalb die heutige Sachlage und das Aufenthaltsgesetz in seiner derzeitigen Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 1 a des Gesetzes vom 22.12.2008 (BGBl.I S. 2965) zugrunde zu legen. Ein Fall des § 104 Abs. 1 AufenthG, in dem nach dem vor dem 01.01.2005 geltenden Recht (Ausländergesetz 1990) zu entscheiden ist, liegt nicht vor. Der Kläger hat seinen im März 2002 gestellten Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im April 2002 zurückgenommen. Den vorliegenden Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis hat er erst im Februar 2005 gestellt. Auch enthält das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 keine Übergangsvorschrift zur Fortgeltung der alten Fassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG für Anträge, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung gestellt wurden.

2. Der Kläger kann die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht schon unter den erleichterten Voraussetzungen als Ehegatte einer Deutschen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Denn jedenfalls die Voraussetzung nach dieser Bestimmung, dass "kein Ausweisungsgrund vorliegt", ist nicht erfüllt. Es liegt ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor.

a) Ein Ausweisungsgrund liegt i. S. der besonderen Erteilungsvoraussetzung für den Erwerb eines Aufenthaltstitels (ebenso wie i. S. der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) bereits dann vor, wenn der Tatbestand einer Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG gleichsam abstrakt erfüllt ist. Nicht erforderlich ist, dass der Ausländer wegen des Ausweisungsgrundes im Einzelfall auch (konkret) rechtsfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Denn mit dem Verweis auf Ausweisungsgründe nach §§ 53 ff. AufenthG sollen die öffentlichen Interessen bereits bei der Aufenthaltsgewährung und -verfestigung vorbeugend und in weiterem Umfang als bei der Beendigung der Aufenthalts durch Ausweisung zur Geltung gebracht werden (vgl. <zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 AuslG 1990> BVerwG, Urteil vom 28.09.2004 - 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94 m. w. N.). Demnach kommt es in diesem Zusammenhang weder auf eine Gefahrenprognose noch auf eine Interessenabwägung oder darauf an, ob der Ausländer - wie der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG - besonderen Ausweisungsschutz genießt.

Beim Kläger liegt ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Er hat mit seinen im April 2001, im Mai 2002 und im April 2004 verübten Straftaten nicht nur vereinzelte Verstöße gegen Rechtsvorschriften begangen. Zudem ist jedenfalls seine Vorsatzstraftat vom April 2004 (Verurteilung Nr. 3) nicht i. S. des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG geringfügig (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17.97 - InfAuslR 1998, 383 <385>; Urteil vom 24.09.1996 - 1 C 9.94 - InfAuslR 1997, 63). Zwar kann auch bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausnahmsweise ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu verneinen sein, wenn besondere Umstände des Einzelfalls zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt (BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 1 C 23.03 - NVwZ 2005, 601). Solche Umstände sind bei der vorsätzlichen Straftat, die der Verurteilung Nr. 3 zugrunde liegt, indes nicht zu erkennen.

b) Der Ausweisungsgrund ist auch nicht aufenthaltsrechtlich "verbraucht" (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 25.02.2002 - 11 S 160/01 - InfAuslR 2003, 233 und Beschluss des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 24.06.1997 - 13 S 2818/96 - InfAuslR 1997, 450, jeweils m. w. N.). Der bloße Zeitablauf reicht grundsätzlich für einen Verbrauch nicht aus. Der Gesichtspunkt des Verbrauchs eines Ausweisungsgrundes ist mit dem Gedanken der Verwirkung vergleichbar. Dieser erfordert sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment, d.h. neben den Zeitablauf müssen zusätzliche Umstände treten, aus denen der Betroffene berechtigterweise den Schluss ziehen darf, die Behörde werde von ihren Befugnissen keinen Gebrauch (mehr) machen. Zudem muss der Betroffene darauf vertraut haben, dass die Befugnis nicht mehr ausgeübt wird. Aus diesem Grund ist der Senat der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 04.03.2002 - 12 UE 203/02 - (AuAS 2002, 172 <173 f.>), wonach bereits eine Zeitspanne von etwas mehr als zwei Jahren ausreicht, um von einem Verbrauch des Ausweisungsgrundes auszugehen, nicht gefolgt (vgl. Senatsurteile vom 18.04.2007 - 11 S 1034/06 - und vom 15.09.2007 - 11 S 837/06 - InfAuslR 2008, 24). Umstände, aus denen der Kläger hätte schließen können, sein strafrechtlich geahndetes Verhalten werde beim Erwerb eines unbefristeten Daueraufenthaltsrechts folgenlos bleiben, liegen nicht vor. Die Ausländerbehörde hat zwar die Geltungsdauer seiner befristeten Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Deutschen am 03.04.2002 in Kenntnis der Straftat Nr. 1 und am 25.03.2004 in Kenntnis der Straftaten Nr. 1 und 2 offenbar jeweils unter Absehen vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 23 Abs. 2 und Abs. 3 i. V. m. § 17 Abs. 5 Alt. 1 AuslG 1990 verlängert. Ein aufenthaltsrechtlicher "Verbrauch" des Ausweisungsgrundes ist damit jedoch allenfalls in Bezug auf diese Straftaten und das Absehen vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes bei der Verlängerung des befristeten Aufenthaltsrechts eingetreten, nicht jedoch in Bezug auf den Erwerb eines unbefristeten Daueraufenthaltsrechts, insbesondere als Ehegatte einer Deutschen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Rechtsverstöße des Klägers sind auch sonst noch verwertbar. Insbesondere unterliegen sie wegen ihrer fortbestehenden Eintragung im Zentralregister und mangels Tilgungsreife, die wegen des Strafbefehls vom 29.11.2004 (Nr. 3) nach § 47 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 46 Abs. 1 Nr. 1 a) BZRG frühestens mit Ablauf des 29.11.2009 eintritt, nicht dem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG.

3. Der Kläger hat aber nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist einem Ausländer die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt (Nr. 1) und er besondere Integrationsanforderungen in Bezug auf den Lebensunterhalt (Nr. 2), die Altersvorsorge (Nr. 3), Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung (Nr. 4), die Berufsausübung (Nr. 5 und 6), die Kenntnisse der deutschen Sprache (Nr. 7) und der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (Nr. 8) und den Wohnraum (Nr. 9) erfüllt. Bei Ehegatten, die in ehelicher Lebensgemeinschaft leben, genügt es, wenn die Voraussetzungen zur Altersvorsorge und Berufsausübung durch einen Ehegatten erfüllt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Bei Ausländern, die vor dem 01.01.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sind, findet § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 8 AufenthG keine Anwendung und hinsichtlich der sprachlichen Kenntnisse (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7) ist nur erforderlich, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können (§ 104 Abs. 2 AufenthG). Sind diese besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt, besteht ein gesetzlicher Anspruch auf die Erteilung der Niederlassungserlaubnis ("wird erteilt"), wenn auch die für alle Aufenthaltstitel geltenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, soweit diese nicht durch besondere Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG als lex specialis verdrängt werden, erfüllt sind und kein allgemeiner zwingender gesetzlicher Versagungsgrund (z. B. nach § 5 Abs. 4 oder § 11 Abs. 1 AufenthG) vorliegt. All das ist hier der Fall.

a) Die hier nur anwendbaren (vgl. § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2, 4 bis 7 und 9 AufenthG sind erfüllt.

aa) Der Kläger besitzt i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis.

Die Formulierung "seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt" erfordert den ununterbrochenen fünfjährigen Besitz der Aufenthaltserlaubnis (vgl. zur nahezu wortgleichen Regelung in § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG BVerwG, Urteile vom 24.05.1995 - 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 und vom 22.01.2002 - 1 C 6.01 - BVerwGE 115, 352 jeweils m. w. Nachw.). Neben der nach § 6 Abs. 4 Satz 3 AufenthG anzurechnenden Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts mit einem nationalen Visum stehen auch Zeiten einer Erlaubnisfiktion zwischen dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis und ihrer Verlängerung nach § 81 Abs. 4 AufenthG oder (vor dem 01.01.2005) nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis gleich (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.1992 - 1 C 49.88 - NVwZ 1992, 1211). Darüber hinaus stehen den Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis Zeiten gleich, in denen der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besessen, aber nach einer vom Gericht inzident vorzunehmenden Prüfung einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gehabt hat (BVerwG, Urteile vom 29.09.1998 - 1 C 14.97 - NVwZ 1999, 306; vom 22.01.2002, a. a. O.; Urteil vom 08.05.2003 - 1 C 4.02 -BVerwGE 118, 166). Ob zur Berechnung der Fünfjahresfrist auf den Ablauf der letzten Aufenthaltserlaubnis abzustellen ist (so noch BVerwG, Urteil vom 24.05.1995, a. a. O. zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990) oder ob wie für alle anderen Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG der Entscheidungszeitpunkt maßgebend ist, der ununterbrochene fünfjährige Besitz der Aufenthaltserlaubnis im Falle der Beschreitung des Rechtswegs also zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz andauern muss (so aber BVerwG, Urteil vom 22.01.2002 a. a. O. zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990), kann offen bleiben. Denn beim Kläger ist die Fünfjahresfrist in jedem Falle gewahrt.

Der Kläger war bei Beantragung der Niederlassungserlaubnis am 03.02.3005 unter Anrechnung der Zwischenzeiten rechtmäßigen Aufenthalts aufgrund von Erlaubnis- und Fortbestandsfiktionen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990, § 81 Abs. 4 AufenthG) seit dem 14.04.1999 ununterbrochen im Besitz der Aufenthaltserlaubnis und damit deutlich mehr als fünf Jahre. Bis zur Berufungsverhandlung hat sich daran im Ergebnis nichts geändert. Allerdings ist die Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis am 25.03.2006 abgelaufen, ohne dass die Ausländerbehörde des Beklagten bislang über den zuvor gestellten Verlängerungsantrag entschieden hat. Jedoch gilt die Aufenthaltserlaubnis bis zu dieser Entscheidung als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Zwar kann die Fortbestandsfiktion den in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorausgesetzten Aufenthaltstitel für sich genommen nicht ersetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.01.2002, a. a. O.). Die Zwischenzeit rechtmäßigen Aufenthalts aufgrund der Fortbestandsfiktion ist als Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aber anzurechnen, wenn die Behörde dem Verlängerungsantrag stattgibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.1992, a. a. O.). Das ist beim Kläger bislang zwar nicht geschehen. Der Beklagte hat dem Kläger in der Berufungsverhandlung jedoch i. S. des § 38 LVwVfG rechtsverbindlich zugesichert, dass seine Aufenthaltserlaubnis verlängert wird. Das steht einer Stattgabe nahezu gleich und genügt, um die Zwischenzeit rechtmäßigen Aufenthalts aufgrund der Fortbestandsfiktion vom 26.03.2006 bis zur Berufungsverhandlung als Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG anzurechnen. Der Senat kann mithin offen lassen, ob dieser Zeitraum auch deshalb anzurechnen wäre, weil der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG) hat, oder ob eine Anrechnung unter diesem Aspekt ausscheidet, weil der Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht rechtshängig und seine inzidente gerichtliche Überprüfung deshalb ausgeschlossen ist.

bb) Auch der Lebensunterhalt des Klägers ist gesichert (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht bleiben. Es bedarf einer positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt in dieser Weise in Zukunft auf Dauer gesichert ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen deshalb eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen. Erforderlich ist ein Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 Rn. 19 - NVwZ 2009, 248). Diese Mittel können Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit sein. Ausreichend ist aber auch, dass der Ausländer einen realisierbaren Unterhaltsanspruch gegenüber einem Dritten hat und dieser den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel tatsächlich deckt (vgl. Bay.VGH, Urteil vom 01.10.2008 - 10 BV 08.256 - juris Rn. 24). Ob ein erwerbsfähiger Ausländer seinen Lebensunterhalt in diesem Sinne sichern kann, richtet sich seit dem 01.01.2005 nach den entsprechenden Bestimmungen des 2. Sozialgesetzbuchs - SGB II -; lebt er mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft i. S. des § 7 Abs. 3 SGB II, ist auf deren Bedarf und Einkommen abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 Rn. 19 - NVwZ 2009, 248). Ist der Ausländer in der gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz (§ 2 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).

Ausgehend davon ist der Lebensunterhalt des in der gesetzlichen Krankenversicherung krankenversicherten Klägers jedenfalls aufgrund der Einkünfte seiner Ehefrau und seines Unterhaltsanspruchs ihr gegenüber nachhaltig gesichert. Der erwerbsfähige, derzeit aber nur geringfügig beschäftigte und mangels hinreichender eigener Einkünfte daher nach wie vor i. S. des § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftige Kläger sowie seine erwerbstätige Ehefrau gehören gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1 und 3 a) SGB II zu einer Bedarfsgemeinschaft. Deren Unterhaltsbedarf setzt sich aus den auf den Kläger und seine Ehefrau entfallenden Regelsätze nach §§ 20, 28 SGB II sowie den Kosten der Unterkunft zusammen. Die Regelsätze betragen nach § 1 Satz 2 der Verordnung der Landesregierung über die Festsetzung der Regelsätze in der Sozialhilfe vom 16.01.2007 (GBl. S. 1) in der Fassung der Änderungsverordnung des Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 02.06.2009 (GBl. S. 253) für jeden Ehegatten 323 EUR, insgesamt also 646 EUR. Zusammen mit den monatlichen Kosten der Unterkunft von 600 EUR ergibt dies einen Gesamtbedarf von 1.246 EUR/Monat. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf (§ 21 SGB II) sind nicht ersichtlich. Dem Unterhaltsbedarf steht das monatliche Erwerbseinkommen des Klägers von 400 EUR und das seiner Ehefrau von netto 2.500 EUR gegenüber. Nach Abzug der Erwerbstätigenpauschale von jeweils 100 EUR (§ 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II) sowie der Freibeträge bei Erwerbstätigkeit von 60 EUR beim Kläger und 180 EUR bei seiner Ehefrau (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 Satz 1 SGB II) verbleiben beim Kläger 240 EUR/Monat und bei seiner Ehefrau 2.220 EUR/Monat. Anhaltspunkte für gesetzliche Unterhaltspflichten des Klägers oder seiner Ehefrau gegenüber Dritten sind nicht erkennbar, insbesondere gibt es keine unterhaltsberechtigten Kinder. Danach überschreitet das zu berücksichtigende monatliche Gesamteinkommen von 2.460 EUR den monatlichen Gesamtbedarf von 1.246 EUR deutlich mit der Folge, dass kein Anspruch des Klägers auf aufstockende Leistung zum Lebensunterhalt nach dem SGB II besteht. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Bedarfsgemeinschaft in absehbarer Zeit aufgehoben oder die Ehefrau des Klägers ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder verlieren könnte.

cc) Zwischen den Beteiligten ist ferner unstreitig und auch für den Senat steht nach der Aktenlage und dem Ergebnis der Berufungsverhandlung fest, dass die weiteren Integrationsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 und 6 AufenthG jedenfalls durch die Ehefrau des Klägers erfüllt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), dass der Kläger sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann (§ 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG i. V. m. § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und dass er für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehefrau über ausreichenden Wohnraum verfügt (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 4 AufenthG).

dd) Schließlich stehen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht entgegen.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in der seit dem 28.07.2007 geltenden neuen Fassung nach Artikel 1 Nr. 9 b) des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis voraus, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen. Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind - jedenfalls auch - Ausweisungsgründe (§ 55 Abs. 1 und 2 AufenthG). Anders als etwa bei § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG schließt ihr bloßes "Vorliegen" (s. o. 2. a)) die Erteilung der Niederlassungserlaubnis noch nicht aus. Sie dürfen vielmehr (nur) "nicht entgegenstehen". Das lässt sich nur durch eine die gesetzliche Wertung in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Ansehung des konkreten Einzelfalls nachvollziehende Abwägung feststellen. Abzuwägen sind das durch den Ausweisungsgrund berührte öffentliche Interesse auf der einen Seite und das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts auf der anderen Seite. Das Gewicht dieser Interessen wird dabei insbesondere durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Gesichtspunkte bestimmt, aber auch gegenseitig relativiert. Ausweisungsgründe stehen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis danach nicht entgegen, wenn sie unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Gesichtspunkte das private Interesse des Ausländers an der Gewährung eines nationalen Daueraufenthaltsrechts nicht überwiegen. Ob das der Fall ist, hat die Ausländerbehörde entsprechend dem Maßstab nach § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG festzustellen. Für dieses Verständnis der Norm sprechen nicht nur ihr mit § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG identischer Wortlaut, sondern vor allem Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in seiner vom 01.01.2005 bis zum 27.08.2007 geltenden Fassung bezog sich, anknüpfend an die zuvor für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung geltende Regelung in § 28 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990, nur auf strafrechtliche Verurteilungen. Vorausgesetzt wurde, dass der Ausländer in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt worden ist. Die Fassung der Vorschrift und ihr Verhältnis zur allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG führten in der Rechtspraxis zu Unklarheiten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.05.2007 - 13 S 1020/07 - InfAuslR 2007, 346; VG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2005 - 10 K 883/04 -; Renner, AuslR, 8. Aufl. § 9 Rn. 25). Anlass für ihre Änderung waren aber nicht diese Auslegungsschwierigkeiten, sondern die Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, mit der in §§ 9a bis 9c AufenthG die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG als weiterer Daueraufenthaltstitel neben der Niederlassungserlaubnis eingeführt wurde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG). Dabei sollte, wie § 9 a Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ausdrücklich regelt, zugunsten der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG eine materielle "Parallelität" mit der Niederlassungserlaubnis erreicht werden. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber zugleich aber auch für die Anspruchsvoraussetzung der Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG aufgegriffen. Er hat sie an den Text der Anspruchsvoraussetzung nach § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG angepasst, die ihrerseits die ordre-public-Klausel des Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG umsetzt. Diese Anpassung diene der "Parallelität" beider Aufenthaltstitel. Zugleich solle "möglichen Missverständnissen" bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift begegnet werden. Durch die Neufassung werde nun nach dem Vorbild des Artikels 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2003/109/EG "anstelle eines starren Kriteriums" eine Abwägung zwischen den Interessen des Ausländers und den Ordnungsbelangen vorgesehen. Dadurch werde auch vermieden, dass ein in dieser Hinsicht unnötiger Unterschied zwischen den Anforderungen entstehe, die für die Erteilung der jeweiligen dauerhaften Rechtsstellung nach § 9 AufenthG einerseits und nach § 9a AufenthG andererseits gestellt werden (BT-Drucksache 16/5065 S. 160). Die vom Bundesrat unter Hinweis auf mangelnde Praktikabilität beider Vorschriften erhobene Forderung, sie jeweils um einen Halbsatz zu ergänzen, wonach die Anspruchsvoraussetzung im Regelfall erfüllt sei, wenn der Ausländer in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden ist (BR-Drucksache 224/07 S. 3), fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.

Das Gebot der einzelfallbezogenen Abwägung verbietet danach, das (Über-)Gewicht von Gründen öffentlicher Sicherheit oder Ordnung schematisch generalisierend zu bestimmen, indem - vergleichbar zur früheren Fassung der Bestimmung - die Anspruchsvoraussetzung im Regelfall nur dann als erfüllt angesehen wird, wenn der Ausländer in einem bestimmten Zeitraum nicht wegen einer bestimmten Straftat zu einer Strafe bestimmter Art und Höhe verurteilt worden ist. Das liegt schon nach dem geänderten Gesetzeswortlaut nicht nahe. Es widerspricht aber auch der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der "anstelle eines starren Kriteriums" (vgl. BT-Drucksache 16/5065 a. a. O.) tretenden, auf einen flexibleren Entscheidungsspielraum ausgerichteten (vgl. Hailbronner, AuslR, A 1, § 9 Rn. 30 <Stand August 2008>) Neuregelung. Dies schließt es freilich nicht aus, die Abwägung in der Verwaltungspraxis im Regelfall zu Gunsten des Ausländers vorzunehmen, wenn er in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden ist (wie dies in den norminterpretierenden "ergänzenden Hinweisen" des Innenministeriums Baden-Württemberg zu Nummer 9.2.4.2. des Abschnitts A. der zusammengefassten Vorgaben des Innenministeriums zur Anwendung aufenthalts- und asylrechtlicher Regelungen ab dem 01.01.2005, Stand 15.06.2009, bestimmt wird). Ein pauschaler Umkehrschluss zu Lasten des Ausländers ist entgegen der Berufungsbegründung jedoch mit dem Abwägungsgebot unvereinbar und nicht zulässig. Wegen der Wortlautidentität sowie der vom Gesetzgeber beabsichtigten materiellen "Parallelität" mit § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ist die Abwägung zudem nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG vorzunehmen. Dabei ist der Behörde kein Beurteilungsspielraum und auch kein Ermessen eröffnet. Die Abwägung unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung. Der deutsche Gesetzgeber hat die ordre-public-Klausel nach Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG nicht - wie gemeinschaftsrechtlich konzipiert - als "Versagungsentscheidung" (vgl. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG) etwa nach Ermessen, sondern als eine die gesetzliche Wertung in Ansehung des konkreten Einzelfalls nachvollziehende Abwägung auf der Tatbestandsseite des Rechtsanspruchs ausgestaltet (a. A. offenbar Nr. 9a.2.1.5.2.1 und Nr. 9a.2.1.5.2.2 des Entwurfs der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, BR-Drucksache 669/09 S. 104 "Ermessensentscheidung"). Dies ist ein Vorgang der Rechtsanwendung, der nur ein zutreffendes Ergebnis haben kann. Für § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gilt wegen der gewollten materiellen "Parallelität" nichts Anderes.

Gemessen daran stehen Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach der maßgebenden Sachlage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht entgegen. Der Senat kann insoweit offen lassen, ob nach den von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG implementierten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG) Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung grundsätzlich immer schon dann "nicht entgegenstehen", wenn vom Ausländer, wie wohl das Verwaltungsgericht angenommen hat, keine Gefahr - mehr - ausgeht und ob insoweit ein vergleichbarer Maßstab wie für die Beschränkung der Freizügigkeit von Unionsbürgern gilt. Dagegen könnte sprechen, dass die Versagung eines Daueraufenthaltsrechts kein aufenthaltsbeendender Rechtsakt der Gefahrenabwehr ist, sondern lediglich eine aufenthaltsrechtliche Verfestigung ausschließt, und dass die Richtlinie 2003/109/EG differenzierte Regelungen in Bezug auf Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung enthält, je nachdem, ob diese als Versagungs- oder Entziehungsgrund greifen (vgl. insbesondere einerseits Art. 6 Abs. 1 und andererseits Art. 12 Abs. 1 sowie Erwägungsgründe Nr. 8 und 16). Darauf kommt es hier indes nicht an, weil die Abwägung ungeachtet dessen - auch unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Straftaten und strafrechtlichen Verurteilungen - zu Gunsten des Klägers ausfällt.

Die Straftaten des Klägers haben nach ihrer Art und Schwere kein erhebliches Gewicht. Sie waren in erster Linie durch erheblichen Alkoholkonsum bedingt und nicht von hoher krimineller Energie getragen. Alle Straftaten wurden zudem mit relativ geringen Geldstrafen geahndet. Die letzte Straftat vom 05.07.2004 liegt inzwischen über fünf Jahre und die darauf folgende letzte strafrechtliche Verurteilung vom 29.11.2004 liegt mehr als viereinhalb Jahre zurück. All das mindert und relativiert ihr Gewicht nach der gesetzlichen Wertung des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG jedenfalls im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung erheblich. Selbst der von den Behörden des Beklagten in der Verwaltungspraxis für eine Abwägung zugunsten des Ausländers angenommene Regelfall - keine Verurteilung in letzten drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen - liegt nunmehr vor. Des Weiteren ist die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr, wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat und worauf der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 130 b Satz 2 VwGO), als gering einzuschätzen. Demgegenüber wiegen die privaten Interessen des Klägers am Erhalt des nationalen Daueraufenthaltsrechts deutlich schwerer. Der Kläger hält sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er ist zwar beruflich nicht voll integriert, war aber die überwiegende Zeit seines Aufenthalts in Deutschland erwerbstätig und verfügt auch derzeit wieder über eine, wenn auch nur geringfügige Beschäftigung. Besonderes Gewicht hat die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bindung an seine deutsche Ehefrau im Bundesgebiet, mit der er bereits seit April 1999 in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen lebt.

b) Auch die für alle Aufenthaltstitel geltenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, soweit diese nicht durch besondere Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG als lex specialis verdrängt werden, sind erfüllt.

aa) Die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG sind nicht anwendbar. Sie werden durch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AufenthG als lex specialis verdrängt.

Zwar gelten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG als "vor die Klammer gezogene" materielle Anforderungen grundsätzlich für die Erteilung aller Aufenthaltstitel i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, also auch für die Niederlassungserlaubnis. Anderes gilt aber, soweit in Bezug auf alle oder einzelne dieser Voraussetzungen gesetzlich Abweichendes bestimmt ist. Das kann ausdrücklich geschehen (vgl. z. B. § 5 Abs. 3 AufenthG sowie § 27 Abs. 3 Satz 2, § 28 Abs. 1 Sätze 2 und 3 und § 38 Abs. 3 AufenthG). Es kann sich aber auch aus der Regelungssystematik sowie Sinn und Zweck besonderer Erteilungsvoraussetzungen ergeben, soweit sie hinsichtlich einzelner allgemeiner Anforderungen für den Erwerb eines - verfestigten - Aufenthaltsrechts speziellere und abschließende Regelungen treffen. Das gilt vor allem für die Daueraufenthaltsrechte nach §§ 9, 9 a AufenthG. Der Gesetzgeber macht deren Erwerb von einem Geflecht besonderer Integrationsanforderungen abhängig (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 9, § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 AufenthG). Soweit sich einzelne dieser Anforderungen mit allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen überschneiden, gehen sie als lex specialis vor. Das gilt beispielsweise für die Sicherung des Lebensunterhalts (§ 2 Abs. 3 AufenthG) beim Erwerb einer Niederlassungserlaubnis. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 3 und 6 AufenthG verdrängt insoweit als speziellere Vorschrift die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Die Sicherung des Lebensunterhalts wird hier nicht nur "in der Regel", sondern zwingend vorausgesetzt. Davon kann nur nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 Sätze 3 und 6 AufenthG abgesehen werden (siehe auch Wenger in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, ZuwG, § 9 AufenthG Rn. 6).

Im Ergebnis nichts anderes gilt für die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. In Bezug auf Ausweisungsgründe als Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung (vgl. § 55 Abs. 1 AufenthG) trifft § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG unter Abweichung vom Regel-Ausnahmesystem nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die speziellere und abschließende Regelung (ebenso Wenger, a. a. O. § 9 Rn. 8; im Ergebnis ähnlich <"nur unter den Einschränkungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG anwendbar"> Jakober, Welte, Aktuelles Ausländerrecht, 112. Erg.-Lfg. 8/2008 zu § 9 AufenthG Rn. 40; offen gelassen bei Hailbronner, a. a. O., vgl. § 9 Rn. 33 einerseits und Rn. 35 andererseits; a. A. VG Neustadt, Urteil vom 06.12.2007 - 2 K 934/07 - juris). Auf die Frage, ob insoweit ein von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abweichender atypischer Ausnahmefall vorliegt, wie der Kläger meint, kommt es daher nicht an.

Das bloße "Vorliegen" eines Ausweisungsgrundes i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (s. o. 2. a)) soll eine aufenthaltsrechtliche Verfestigung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gerade nicht ausschließen (s. o. 3. a) dd)). Erforderlich ist vielmehr, dass der Ausweisungsgrund als Grund öffentlicher Sicherheit oder Ordnung i. S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (vgl. § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG) der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis "entgegensteht". Die dazu erforderliche Abwägung mit den privaten Interessen des Ausländers am Erhalt des Daueraufenthaltsrechts setzt das von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Regelfall zur Versagung eines Aufenthaltstitels führende "Vorliegen" eines Ausweisungsgrundes voraus. Die mit der Neufassung von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG einhergehende Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs dieser Vorschrift von einer nur auf strafrechtliche Verurteilungen abstellenden Schädlichkeitsklausel zu einer umfassenden ordre-public-Klausel konsumiert gleichsam die nur in atypischen Fällen unanwendbare starre Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und modifiziert sie zu einer relativen, eine Abwägung im Einzelfall erfordernden ausschließlichen Erteilungsvoraussetzung. Zwar widerspricht es vordergründig der Systematik des Aufenthaltsgesetzes, wenn die Anforderungen in Bezug auf Gründe öffentlicher Sicherheit oder Ordnung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als stärkste Stufe der Aufenthaltsverfestigung weniger streng sind als bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dieser Einwand greift jedoch aus teleologischen Gründen nicht durch. Würde allein das "Vorliegen" eines Grundes öffentlicher Sicherheit oder Ordnung (Ausweisungsgrund, § 55 Abs. 1 AufenthG) ungeachtet dessen Art oder Schwere oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr sowie der Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und der Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts bereits nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Regelfall "automatisch" zur Versagung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingen, wäre die vom Gesetzgeber in "Parallelität" zu § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gewollte Abwägung im Einzelfall sinn- und zwecklos. Denn die Niederlassungserlaubnis wäre ohnehin wegen Nichterfüllung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ohne sonstige Abweichungsmöglichkeit (etwa nach § 5 Abs. 3 AufenthG) regelmäßig zu versagen. Insoweit kommt entgegen der Ansicht des Beklagten auch der Gesetzesbegründung zu § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Zwar heißt es darin ausdrücklich "Wie in § 9 Abs. 4 soll durch die Neuregelung klargestellt werden, dass § 9 Abs. 2 Nr. 5 keine ausschließende Wirkung gegenüber den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen in § 5 hat. Dies gilt insbesondere für § 5 Abs. 4 Satz 1 sowie § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Nr. 5 und 5a" (BT-Drucksache 16/5065, S. 160). Eine vergleichbare Äußerung findet sich in der Begründung zur Neufassung von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG jedoch nicht, insbesondere wird dort nicht "klargestellt", dass § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG keine ausschließende Wirkung gegenüber § 5 Abs. 1 Nr.2 AufenthG hat. Vielmehr wird dort lediglich in Bezug auf die zur alten Fassung der Vorschrift entstandenen Unklarheiten ihres Verhältnisses zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG betont, der Gesetzgeber sei in der Vergangenheit "davon ausgegangen, dass der Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 neben der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 anwendbar bleibt, also das Vorhandensein von Ausweisungsgründen in der Regel und erhebliche Vorstrafen über der Schwelle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4 stets die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausschließen lassen." Hinsichtlich der neuen Fassung heißt es demgegenüber, dass sie nunmehr "anstelle eines starren Kriteriums" eine Abwägung vorsehe. Das ist im Kontext der Ausführungen zu den durch die alte Fassung der Vorschrift aufgetretenen "Unklarheiten" hinsichtlich der ergänzenden Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufentG auch als Aussage zu einem anderen Verhältnis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu § 9 Abs. 2 Satz1 Nr. 4 AufenthG zu verstehen. Abgesehen davon ist der Verweis in der Gesetzesbegründung zu § 9 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG auf die Anwendbarkeit insbesondere von "§ 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Nr. 5 und 5a" nach der Systematik von § 5 AufenthG nicht nachvollziehbar. Denn bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 oder 5a ist für eine Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schon deshalb kein Raum, weil in diesen Fällen ein Aufenthaltstitel gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zwingend zu versagen ist und Ausnahmen davon nur nach Maßgabe des § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in Betracht kommen.

bb) Die sonstigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG sind unstreitig erfüllt. Der Kläger ist insbesondere im Besitz eines gültigen Passes (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und von der nationalen Visumpflicht für längerfristige Aufenthalte (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. § 39 Nr. 1 AufenthV und § 81 Abs. 4 AufenthG befreit.

c) Schließlich liegen auch zwingende Versagungs- oder Ausschlussgründe nach § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG oder nach §§ 10 Abs. 1 und 3, 11 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vor.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Jedenfalls die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die besondere Erteilungsvoraussetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als lex specialis verdrängt, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig.

Beschluss vom 22. Juli 2009

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück