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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: 11 S 2299/05
Rechtsgebiete: ARB 1/80, EWGRL 64/221, EWGRL 04/38, LVwVfG, AAZuVO, StPO


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 6
ARB 1/80 Art. 7
ARB 1/80 Art. 14
EWGRL 64/221 Art. 9 Abs. 1
EWGRL 04/38 Art. 31 Abs. 1
EWGRL 04/38 Art. 31 Abs. 3
EWGRL 04/38 Art. 38 Abs. 2
LVwVfG § 3 Abs. 3
LVwVfG § 45 Abs. 1
LVwVfG § 45 Abs. 2
LVwVfG § 46
AAZuVO § 4 Abs. 3 Satz 2 (F. 1995)
StPO § 456a
1. Eine unter Verstoß gegen die Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig (wie BVerwG, Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.). Ist das Verwaltungsverfahren abgeschlossen, vermag an der Rechtswidrigkeit der Verfügung auch die spätere Aufhebung der RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG (mit Wirkung vom 30.04.2006) nichts zu ändern. Dies gilt ungeachtet dessen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , NVwZ 2005, 224 ff., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist; denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.

2. Es stellt - vorbehaltlich des Vorliegens eines "dringenden Falls" - eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG dar, wenn im Ausweisungsverfahren gegen einen nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst im Verwaltungsverfahren eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie eingeschaltet wird (wie BVerwG, Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O., unter Aufgabe der Senatsrechtsprechung in den Urteilen vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff., und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -).

3. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob ein "dringender Fall" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, ist die Sachlage zu dem Zeitpunkt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.

4. Bei der Dringlichkeitsprüfung im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist darauf abzustellen, ob eine Verzögerung der Ausweisungsentscheidung durch die Einschaltung einer "zweiten Stelle" hinnehmbar ist. Ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, ist (demgegenüber) für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges maßgeblich.

5. Ob ein "dringender Fall" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hat, bei dem die Einschaltung einer "zuständigen Stelle" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich war, unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 2299/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. September 2005 - 3 K 3786/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung in die Türkei.

Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. 1991 heiratete er eine türkische Staatsangehörige, die seit 1975 in Deutschland lebt, 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erhalten hatte und als angestellte Friseurin beschäftigt war. Nach der Eheschließung reiste der Kläger mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu seiner in Köln lebenden Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Am 06.11.1992 erteilte ihm die Stadt Köln erstmals eine befristete Aufenthalterlaubnis, die in der Folgezeit verlängert wurde. Am 19.07.1993 wurde der gemeinsame Sohn der Eheleute geboren. Am 25.11.1997 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1998 lebt der Kläger von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist die Ehe geschieden.

Von Juli 1993 bis März 1995 arbeitete der Kläger bei der Firma xx xxxxxxx Ab April 1995 bis Dezember 2002 war der Kläger bei der Firma Axxxxx Gxxxxxxxxxxxxxxxxxxx als Metallputzer beschäftigt. Als die Gießerei Ende 2002 ihren Betrieb aufgab, wurde er arbeitslos. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 - 14 K Ls 203 Js 79186/02 - wurde der Kläger wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Schaffung einer Einnahmequelle hatte der Kläger im Januar/Februar 2003 zusammen mit anderen Mittätern 500 g aus den Niederlanden eingeführtes Kokain an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft sowie darüber hinaus versucht, an diesen Ermittler weitere 5 kg Kokain (bzw. Kokainimitat) zu verkaufen. Das Strafgericht hat die Taten bei allen Tatbeteiligten als minder schweren Fall angesehen, weil von vornherein auf der Käuferseite bei beiden Geschäften verdeckte Ermittler eingeschaltet gewesen seien. Bei der Strafzumessung ist das Strafgericht beim Kläger von einem erheblichen Maß an krimineller Energie ausgegangen und hat berücksichtigt, dass der Kläger bei der zweiten Tat eine Waffe mit sich geführt sowie im wesentlichen den telefonischen Kontakt aus Deutschland zu den Lieferanten aus Holland gehalten habe.

Wegen der genannten Straftat wurde der Kläger am 09.02.2003 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt in Untersuchungshaft in die JVA Mannheim genommen. Als Anschrift des Klägers war in diesem Haftbefehl die Kxxxxxxxxx xx in Kxxx angegeben, von wo der Kläger allerdings nach den Daten des Ausländerzentralregisters am 29.05.2000 "nach unbekannt" abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 28.02.2003 hörte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Der Kläger machte sinngemäß (nur) geltend, mit einer Ausweisung nicht einverstanden zu sein.

Mit Schreiben vom 06.03.2003 und 14.03.2003 teilte die Stadtverwaltung Köln dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe, von seiner Ehefrau getrennt lebe und die Wohnung Kxxxxxxxxx xx leer stehe.

Am 23.06.2003 ging beim Regierungspräsidium Karlsruhe die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11.06.2003 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger von April 1999 bis zu seiner Inhaftierung bei seiner (seinerzeit noch anderweitig verheirateten) Lebensgefährtin Lxxxx Bxx in deren Wohnung in der Oxxxx Straße x Kxxx gewohnt habe, ohne dort gemeldet gewesen zu sein.

Im September 2004 wurde der Kläger in die JVA Köln verlegt.

Mit Verfügung vom 12.10.2004 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger erfülle die Ist-Ausweisungstatbestände des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG stehe dem Kläger nicht zu, da er zwar über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfüge, aber nicht als Minderjähriger, sondern erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist sei. Er könne aber auch dann ausgewiesen werden, wenn er diesen Schutz genieße. Aufgrund der am 11.03.2004 abgeurteilten Straftat liege ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund vor. Vom Kläger gehe auch nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus. Bei schwerwiegenden Straftaten wie dem unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge dürfe im allgemeinen allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens eine hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen bejaht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger bis zu seiner Verurteilung vom 11.03.2004 nicht vorbestraft gewesen sei. Bei der begangenen schweren Betäubungsmittelstraftat habe der Kläger eine erhebliche kriminelle Energie offenbart, die auch in Zukunft - zur eigenen Bereicherung - die Begehung schwerer Betäubungsmittelstraftaten erwarten lasse. Weder die Ehe noch die Geburt eines Kindes noch der Umstand, dass der Kläger in Deutschland bei verschiedenen Firmen erwerbstätig gewesen sei, habe ihn von der Begehung der schweren Betäubungsmittelstraftaten abhalten können. Angesichts des hohen Ranges der durch den Kläger gefährdeten Rechtsgüter seien geringere Anforderungen an den Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu stellen. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ausweisung des Klägers auch allein aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt wäre. Dies dürfe aber wohl der Fall sein, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass insbesondere schwere Betäubungsmittelstraftaten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen hätten.

Eine Ausweisung aus rein generalpräventiven Gründen sei aber nur dann rechtlich zulässig, wenn der Kläger keine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 habe. Sollte der Kläger (noch) assoziationsrechtlich privilegiert sein, wovon zu seinen Gunsten ausgegangen werde, könne er nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung nach §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Die Ausweisung verstoße insbesondere nicht gegen Art. 6 GG, da der Kläger von Ehefrau und Sohn getrennt lebe. Es sei davon auszugehen, dass zu dem Sohn keine Lebens- und Beistandsgemeinschaft mehr, sondern nur noch eine bloße Begegnungsgemeinschaft bestanden habe. Selbst wenn der Kläger seinem Sohn bis zu seiner Inhaftierung Lebenshilfe im Sinne einer Beistandsgemeinschaft geleistet hätte, stünde in Anbetracht der schweren Betäubungsmittelstraftaten und der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr die Vater-Kind-Beziehung der Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers durch die Ausweisung und Abschiebung in die Türkei nennenswerte Schäden davontragen werde, da er bei seiner Mutter lebe und von dieser ausreichend versorgt werde. Außerdem könnten die privaten Belange des Klägers und seines Sohnes auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AuslG angemessen berücksichtigt werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen supranationale Rechtsvorschriften. Da spezialpräventive Gründe vorlägen, die nach Art. 14 ARB 1/80 eine Ausweisung rechtfertigten, könne insbesondere der Assoziationsratsbeschluss 1/80 keine Ausweisungsbeschränkung darstellen. Auch Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei insbesondere in keiner Weise ersichtlich, dass der Kläger zu einem seinem Heimatland völlig entfremdeten "faktischen Inländer" geworden sei, dem eine Rückkehr in die Türkei nicht zugemutet werden könne.

Im Zusammenhang mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung führte das Regierungspräsidium Folgendes aus: Es bestehe die begründete Besorgnis, dass der Kläger während eines Klageverfahrens, welches erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen könne, erneut strafbare Handlungen begehen werde. Die fortbestehende qualifizierte Wiederholungsgefahr bestehe nicht nur für die Zeit nach der Haftentlassung, sondern auch - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges; auch im Strafvollzug würden erwiesenermaßen viele Straftaten, insbesondere auch Betäubungsmittelstraftaten, begangen. Es liege daher im besonderen öffentlichen Interesse - auch allein aufgrund der bekanntermaßen völlig überfüllten Strafanstalten -, dass das gesetzliche Abschiebegebot nach § 49 AuslG zum rechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen werde. Eine Freigabe zur Abschiebung sei bereits zum Halbstrafentermin möglich bzw. werde - wie andere Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern bzw. Strafvollstreckungsbehörden zeigten - im Ausnahmefall auch schon vor dem Halbstrafentermin erteilt. Darüber hinaus dürfe die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung auch aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine möglichst zeitnah zu der Anlasstat getroffene und vollzogene Sanktion besonders wirksam sei. Je dringender das Bedürfnis sei, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Tat und Schwere abzuhalten, um so eher bedürfe es einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Die durch die Ausweisung angestrebte Generalprävention verliere gerade dann erheblich an Wirkung, wenn der Ausgewiesene auch nach der Begehung schwerwiegender Straftaten wegen der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren unter Umständen noch mehrere Jahre im Bundesgebiet verbleibe.

Gegen die Ausweisung hat der Kläger Klage erhoben und im Klageverfahren zur Begründung ausgeführt, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für den Erlass der Verfügung nicht zuständig gewesen. Örtlich zuständig sei die Behörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt habe oder zuletzt gehabt habe. Der Kläger sei seit September 2004 in Köln gemeldet und habe seinen Lebensmittelpunkt schon seit seiner Einreise in das Bundesgebiet in Köln gehabt. Durch die Verbüßung einer Untersuchungshaft werde typischerweise kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet. Außerdem habe der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung bereits nicht mehr in der JVA Mannheim, sondern in der JVA Köln eingesessen. Die Ausweisung verstoße außerdem gegen den Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80. Der Kläger sei 1992 im Zuge der Familienzusammenführung zu seiner assoziationsberechtigten türkischen Ehefrau in das Bundesgebiet eingereist und habe bis zu seiner Inhaftierung seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland gelebt. Danach sei er im Sinne des Art. 7 ARB 1/80 assoziationsrechtlich privilegiert. Die für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern entwickelten Grundsätze müssten auf die Ausweisung von Assoziationsberechtigten übertragen werden. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Die für eine Ermessensentscheidung erforderlichen spezialpräventiven Gründe lägen nicht vor. Der Kläger habe einen Schlussstrich unter seine strafrechtliche Vergangenheit gezogen. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht mehr gegeben. Auch liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend geltend gemacht, das Regierungspräsidium Karlsruhe sei für die Ausweisungsentscheidung zuständig gewesen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Verfügung schon seit längerem in der JVA Mannheim eingesessen sei. Eine spätere Verlegung nach Köln sei nicht bekannt gewesen und auch unerheblich.

Mit Beschluss vom 02.12.2004, dem Regierungspräsidium Karlsruhe zugegangen am 20.12.2004, hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Ausweisung des Klägers ab dem 09.05.2005 (d.h. nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe) von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen.

Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Köln mit Schriftsatz vom 02.09.2005 - auch rückwirkend - der Fortführung des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe zugestimmt.

Mit Urteil vom 05.09.2005 (3 K 3786/04) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hat dabei seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Frage, ob das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Ausweisungsverfahren örtlich zuständig gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, denn die Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 sei jedenfalls rechtswidrig und daher aufzuheben, weil sie gegen Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 verstoße. Der Kläger habe, wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei, durch seine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben und diesen Status auch nicht dadurch verloren, dass er zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine zeitliche Freiheitsstrafe verbüße. Es könne dahingestellt bleiben, ob die erworbene Rechtsstellung in Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 materiell-rechtlich beendet werden dürfe, denn für den Kläger fänden die für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe Anwendung, denen vorliegend nicht Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 02.06.2005 <Dörr und Ünal>, InfAuslR 2005, 289 ff.) seien im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auch die für EU-Bürger geltenden verfahrensrechtlichen Maßstäbe anzuwenden. Die Ausweisung des Klägers verstoße gegen Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.02.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850; im Folgenden: RL 64/221/EWG). Nach dieser Vorschrift habe, sofern keine Rechtsmittel gegeben seien oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, außer in dringenden Fällen, erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes zu entscheiden, wobei diese Stelle eine andere sein müsse als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig sei. In Baden-Württemberg regele § 6a Abs. 1 AGVwGO in Fällen, in denen - wie beim Kläger - die Ausweisung vom Regierungspräsidium verfügt worden sei, den Wegfall des in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Vorverfahrens, das der Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes diene. Damit könne eine vom Regierungspräsidium verfügte Ausweisung nur noch unmittelbar mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden. In diesem Verfahren werde die Ausweisung jedoch im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG nur auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft. Die angefochtene Ausweisungsverfügung erweise sich damit als rechtswidrig, weil es an der für diesen Fall von der Richtlinie geforderten gesonderten Einschaltung einer "zuständigen Stelle" vor Erlass der Verfügung fehle. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren erfülle nicht die Anforderungen an ein Rechtsmittelverfahren, welche nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfüllt sein müssten, damit vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf eine vorherige Stellungnahme durch eine gesonderte Stelle verzichtet werden könne, da in einem solchen Verfahren eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht stattfinde. Ohne das in § 68 VwGO geregelte Vorverfahren entspreche damit das deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren, welches auf eine bloße Überprüfung der Grenzen einer fremden Ermessensentscheidung (§ 114 VwGO) beschränkt und zudem erst zeitlich nach dem Erlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stattfinde, den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht.

Im vorliegenden Fall sei auch nicht der Ausnahmefall des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG gegeben, wonach "in dringenden Fällen" die vorherige Einschaltung einer "zuständigen Stelle" unterbleiben könne. Zwar habe das Regierungspräsidium die Ausweisungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt, weil die Besorgnis bestehe, der Kläger werde während eines erfahrungsgemäß mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens erneut strafbare Handlungen begehen. Zudem bestehe die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten - wenn auch abgeschwächt - für die Zeit des Strafvollzuges. Diese Bewertung halte das Gericht, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004, für nicht zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich sei. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ein Verzicht der Vollstreckungsbehörde gemäß § 456a StPO auf die Vollstreckung der Rest-Freiheitsstrafe unter der Bedingung einer Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch nicht erteilt worden und habe auch noch nicht im Raum gestanden. Angesichts dessen rechtfertige auch die von Seiten der Beklagten angeführte abstrakte Möglichkeit, dass der Kläger auch in der JVA weitere Straftaten begehen könne, keine andere Beurteilung. Darauf, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Vorliegen eines besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht werden könne, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft am 02.12.2004 die Freigabe zur Abschiebung ab dem 09.05.2005 erklärt habe, komme es für die Beurteilung, ob ein "dringender Fall" im Sinne von Art. 9 RL 64/221/EWG vorliege, nach Auffassung der Kammer nicht an. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei der Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung. Da Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG die vorherige Einschaltung einer "zuständigen Stelle" vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetze, könne die Frage, ob ein dringender Fall vorliege und somit das in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer "zuständigen Stelle" der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise nicht vorauszugehen habe, nur nach der sich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung darstellenden Sachlage beurteilt werden.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Berufung gegen dieses Urteil gemäß §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen, weil die Kammer bezüglich der Frage, ob Art. 9 RL 64/221/EWG verletzt sei, von den Urteilen des erkennenden Senats vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 (VBlBW 2004, 481 ff.) - und vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 - abweiche. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2005 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 18.10.2005, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen am 09.11.2005, hat der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Berufung eingelegt und die Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beurteilung der Frage der Dringlichkeit sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 05.03.1980, NJW 1980, 2630 ff.) allein Sache der Verwaltung. Durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme solle den Gerichten im Rahmen der verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet verliehen werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe habe darüber hinaus die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet. Insofern liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 - ) ein dringender Fall i.S.d. RL 64/221/EWG vor. Die (andere) ex-post-Beurteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sei diesbezüglich unbeachtlich. Zudem bestehe im vorliegenden Fall auch angesichts der hohen Rückfallgefahr des Klägers am Vorliegen eines dringenden Falles im Sinne der genannten Bestimmung kein Zweifel. Es sei schlicht falsch, dass für das Regierungspräsidium Karlsruhe zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 nicht ersichtlich gewesen sei, dass eine Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet in absehbarer Zeit möglich gewesen sei, weil noch keine Freigabeentschließung der Staatsanwaltschaft erteilt worden sei. Denn dann könne nie ein dringender Fall im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bejaht werden, weil die Strafvollstreckungsbehörde in Ausweisungsfällen die für den Vollzug der Ausweisung (Abschiebung) erforderliche Freigabe erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung bzw. frühestens dann erteile, wenn der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig sei, was erst mit Zustellung der vollziehbaren Ausweisungsverfügung der Fall sei. Die für die Abschiebung erforderliche Entschließung nach § 456a StPO werde von der Ausländerbehörde sinnvollerweise erst dann bei der zuständigen Strafvollstreckungsbehörde beantragt, wenn der Betroffene ausgewiesen worden bzw. vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die besondere Dringlichkeit habe sich im vorliegenden Fall bereits aus der Besorgnis ergeben, die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Das Regierungspräsidium habe von der Tatsache ausgehen müssen, dass die Freigabe zur Abschiebung von der Strafvollstreckungsbehörde bei vollziehbarer Ausreisepflicht in der Regel zum Halbstrafenzeitpunkt oder spätestens zwischen dem Halbstrafenzeitpunkt und dem Zweidrittel-Zeitpunkt erteilt werde. Aus der Sicht von Oktober 2004 sei deshalb bei realistischer Betrachtungsweise, ausgehend vom bekannten Beginn der Untersuchungshaft des Klägers und der ebenfalls bekannten Verurteilung zu vier Jahren und sechs Monaten, eine Freigabe zur Abschiebung bereits innerhalb eines Zeitraumes von weit unter einem Jahr (Mai 2005) in Betracht gekommen, bzw. bei vorzeitiger Haftentlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe innerhalb eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren (Februar 2006). Die Freigabe sei tatsächlich erwartungsgemäß zum 09.05.2005 erteilt worden. Bei realistischer Betrachtungsweise habe daher im Oktober 2004 die begründete Besorgnis bestanden, dass sich die vom Kläger ausgehende Gefahr vor Rechtskraft einer abschließenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die von ihm erhobene Anfechtungsklage realisieren werde, so dass das Regierungspräsidium bei Erlass der Ausweisungsverfügung zu Recht vom Vorliegen eines dringenden Falles ausgegangen sei.

Das Verwaltungsgericht gehe schließlich zu Unrecht davon aus, dass bei der Beurteilung, ob ein dringender Fall vorliege, der Zeitpunkt des Verwaltungshandelns - allein - maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224) sei für türkische Staatsangehörige, die eine Rechtsposition nach ARB 1/80 inne hätten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt sei die Freigabe bereits erteilt gewesen, so dass eine Dringlichkeit unzweifelhaft zu bejahen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.09.2005 - 3 K 3786/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinen Urteilen vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 - (InfAuslR 2006, 110 ff.) und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (InfAuslR 2006, 114 ff.) ausgeführt, dass nach Abschaffung des behördlichen Widerspruchsverfahrens bei Ausweisungen von Regierungspräsidien in Baden-Württemberg die in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde ("Vier-Augen-Prinzip") nicht mehr gewährleistet sei. Die Ausweisung des Klägers sei daher wegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers rechtswidrig, da für die Annahme eines dringenden Falls im Sinne der Richtlinie keine Anhaltspunkte vorlägen. Die angegriffene Verfügung berücksichtige zudem nicht in ausreichendem Maße das Verhältnis des Klägers zu seinem in Deutschland lebenden Sohn und den durch Art. 6 GG garantierten Schutz durch den Staat. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts von 1997 sei das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden.

Das Landgericht Köln hat während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2006 - StVK 2/06 3252 VRs 203 Js 79186/02 - nach Verbüßung von mehr als zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11.03.2004 verhängten Freiheitsstrafe die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. In der Begründung heißt es, der vom Gericht beauftragte Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass beim Kläger keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fort bestehe. Zwar bestehe bei Drogendelinquenz eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 50 %; letzteres müsse allerdings relativiert werden, da der Kläger selbst nicht drogenabhängig sei. Positiv für den Kläger spreche, dass es sich bei dem Delikt und der gezeigten Kriminalität um einen Ausdruck einer lebensphasischen Veränderung gehandelt habe und Kriminalität kein eingeschliffenes Verhaltensmuster in der Biographie des Klägers sei. Der Kläger sei auch von der Haft deutlich beeindruckt und habe Reue gezeigt. Das Verhalten des Klägers während der Haft sei weit überwiegend positiv gewesen; er werde als freundlicher, ruhiger und unauffälliger Gefangener geschildert. Für eine positive Prognose spreche schließlich, dass der Kläger über feste soziale Bindungen verfüge. Er sei seit 1999 mit seiner Freundin/Verlobten Lxxxx Bxx zusammen, in deren Wohnung er nach seiner Entlassung auch wohnen werde. Der Kontakt zu seinem Sohn aus der mittlerweile geschiedenen Ehe habe auch während der Haftzeit aufrecht erhalten werden können. Der Kläger verfüge schließlich über eine Arbeitsstelle für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach dem vom Verurteilten im Anhörungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck könne erwartet werden, dass er unter dem Eindruck der Aussetzung der Reststrafe künftig keine Straftaten mehr begehen werde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Verwaltungsgericht Karlsruhe zugelassene Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt (vgl. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) und den inhaltlichen Anforderungen entsprechend fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.10.2004 zu Recht aufgehoben, denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar war entgegen der Auffassung des Klägers das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständig (dazu unter I.). Die Entscheidung verstößt jedoch gegen die auch für den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110 ff., und vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 ff.) erfahren hat und der sich der Senat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt (dazu unter II.). Die unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung ist wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist (dazu unter III).

I. Das Regierungspräsidium Karlsruhe war für den Erlass der Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004 örtlich zuständig, obwohl der Kläger vor seiner Inhaftierung (U-Haft in der JVA Mannheim) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln hatte und auch bereits vor Erlass der Ausweisungsverfügung in die JVA Köln verlegt wurde.

Weder im während des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Ausländergesetz noch in dem seit dem 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetz waren bzw. sind Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit enthalten (vgl. § 63 AuslG, § 71 AufenthG). Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen (vgl. auch Nr. 63.1.2.1 der nach Art. 84 Abs. 2 GG erlassenen AuslG-VwV vom 28.06.2000 des BMI, GMBl. 2000, S. 618 ff.). Die örtliche Zuständigkeit im Ausländerrecht richtet sich mithin in Baden-Württemberg nach der Aufenthalts- und Asyl- Zuständigkeitsverordnung (im Folgenden: AAZuVO) in der jeweils maßgeblichen Fassung und ergänzend nach § 3 LVwVfG (vgl. § 1 Abs. 1 LVwVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO in der bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens des Klägers geltenden Fassung vom 19.07.1995 (GBl. S. 586 ff, mit Änderungen vom 21.10.1996, GBl. S. 649 ff., und vom 23.03.1998, GBl. S. 187) bleibt, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, die Ausländerbehörde - örtlich - zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat. Ist der vorige gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt, ist die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, zuständig (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO). Eine nach Satz 2 begründete Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der Ausländer während der Haft in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AAZuVO).

Im vorliegenden Fall war bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens dem Regierungspräsidium Karlsruhe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung nicht bekannt. Der Kläger befand sich auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 07.02.2003 in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Unter der in dem o.g. Beschluss angegebenen Wohnanschrift Kxxxxxxxxx xx in Kxxx hat der Kläger sich vor seiner Inhaftierung unstreitig nicht aufgehalten. Anhaltspunkte für eine andere Wohnanschrift lagen dem Regierungspräsidium bei Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht vor. Vielmehr ergab sich aus dem Ausländerzentralregister, dass der Kläger am 29.05.2000 "nach unbekannt" verzogen war. Auch die Stadtverwaltung der Stadt Köln hat dem Regierungspräsidium auf entsprechende Nachfrage mitgeteilt (Schreiben vom 06.03.2003), dass der Kläger seine letzte Meldeanschrift ohne Abmeldung verlassen habe. Entgegen der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung bestand für das Regierungspräsidium auch keine Veranlassung für weitere Nachforschungen, nachdem selbst der Kläger bei seiner Anhörung vor Erlass der Ausweisungsverfügung keine weitergehenden Angaben zu seinem Aufenthalt vor der Inhaftierung oder zu seinen persönlichen Bindungen gemacht hat.

Danach war das Regierungspräsidium Karlsruhe zumindest bis zur Übersendung der Anklageschrift vom 06.06.2003, aus der sich der frühere tatsächliche Aufenthalt des Klägers bei seiner Lebensgefährtin in der Oxxxx Straße x in Kxxx ergab, nach § 4 Abs. 3 Satz 2 AAZuVO für das Ausweisungsverfahren zuständig. Daran hätte auch die vor Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte Verlegung des Klägers in die JVA Köln nichts geändert (vgl. § 4 Abs. 3 S. 3 AAZuVO).

Nachdem durch die Übersendung der Anklageschrift der Aufenthaltsort des Klägers vor seiner Inhaftierung (d.h. von April 1999 bis Februar 2003) bekannt war, ist das Regierungspräsidium Karlsruhe im laufenden Ausweisungsverfahren allerdings örtlich unzuständig geworden. Gemäß § 3 Abs. 3 LVwVfG kann jedoch, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, nachdem die Stadt Köln mit Erklärung vom 02.09.2005 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens rückwirkend zugestimmt hat.

Eine Änderung der die örtliche Zuständigkeit begründenden Umstände liegt typischerweise bei einer Änderung äußerer Umstände, etwa bei einem Wohnsitzwechsel, vor. Nachdem im vorliegenden Fall aber gerade die Unkenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers der die Zuständigkeit begründende Umstand war, stellt umgekehrt dessen spätere Kenntnis eine Änderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände dar. Geht man davon aus, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe örtlich unzuständig geworden ist, lag auch kein sog. positiver Kompetenzkonflikt, d.h. eine Zuständigkeit von Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften, vor, der ein Zurückgreifen auf die zu § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ergangenen Regelungen in der AuslG-VwV (a.a.O., Nr. 63.2.2, insbes. Nr. 63.2.2.1 und 63.2.2.2.1) erfordert hätte. Für die Anwendung des § 3 Abs. 3 LVwVfG genügt auch die Zustimmungserklärung der Behörde eines anderen Bundeslandes (Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 44, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38, jeweils m.w.N.). Auch die Tatsache, dass die Stadt Köln der (Fort-)Führung des Ausweisungsverfahrens erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - rückwir- kend - zugestimmt hat, steht der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 LVwVfG nicht entgegen. Zwar wird teilweise (vgl. etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 38) die Auffassung vertreten, die Zustimmung könne wirksam bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erklärt werden. In dem als Beleg dafür angeführten Fall des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.04.1986 - 8 C 81/83 -, NVwZ 1987, 224 f.) war streitig, ob die im Widerspruchsverfahren erklärte Zustimmung zu berücksichtigen war, was das Bundesverwaltungsgericht bejaht hat. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Zustimmungserklärung nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erteilt werden kann, zumal § 45 Abs. 1 Nr. 5 LVwVfG die Nachholung erforderlicher Mitwirkungshandlungen grundsätzlich bis zur letzten Tatsacheninstanz zulässt.

Schließlich ist die Fortführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht der Behörden zweckmäßig, trotz Kenntnis des früheren Aufenthalts des Klägers das Ausweisungsverfahren durch das Regierungspräsidium Karlsruhe fortführen zu lassen, nachdem dieses dort bereits eingeleitet worden sowie die Anhörung erfolgt war und die Akten entscheidungsreif vorlagen. Auch die Interessen des Klägers sind dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt worden. Zwar ist die Rechtsverfolgung für den Kläger durch die räumliche Entfernung der für das Klage- und Berufungsverfahren zuständigen Gerichte (VG Karlsruhe bzw. VGH Mannheim) erschwert. Andererseits hängt die Durchführung des Ausweisungsverfahrens durch das Regierungspräsidium Karlsruhe ursächlich damit zusammen, dass der Kläger offensichtlich seine alte Wohnanschrift ohne Abmeldung verlassen hat und "nach unbekannt" verzogen ist, so dass jedenfalls der Ausländerbehörde der tatsächliche Aufenthalt des Klägers unbekannt war; diesen Umstand muss der Kläger sich zurechnen lassen.

II. Letztlich kommt es jedoch auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht entscheidungserheblich an. Denn die Verfügung des Regierungspräsidiums verstößt jedenfalls gegen die auch für den Kläger - ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13.09.2005 und vom 06.10.2005, a.a.O.) vorgenommen worden ist. Sie ist damit wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig.

1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 02.06.2005 <Dörr und Ünal>, InfAuslR 2005, 289 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts in den o.g. Urteilen vom 13.09.2005 und 06.10.2005 sind die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, auch auf türkische Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben.

Der Kläger war von Juli 1993 bis März 1995 bei der Fa. xxxxxxxxx und von April 1995 bis Dezember 2002 bei der Firma Axxxxx-xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx ordnungsgemäß, d.h. mit Besitz von Aufenthaltserlaubnissen, beschäftigt. Damit hat er - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Diesen Rechtsstatus hat er seither auch nicht verloren. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 07.07.2005 - C 383/03 - <Dogan>, InfAuslR 2005, 350 ff.) ist ein Verlust dieser Rechtsstellung insbesondere nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hat.

Möglicherweise hat der Kläger als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach drei- bzw. fünfjährigem Aufenthalt auch den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 1. oder 2. Spiegelstrich erworben. Der Kläger ist 1992 im Wege des Familiennachzugs zu seiner türkischen Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ausweislich der beigezogenen Behördenakten war die Ehefrau des Klägers - jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreise - als angestellte Friseurin bei der Firma Fxxxxxx beschäftigt. Wie lange die Ehefrau der Klägers danach noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, ist den Akten nicht zu entnehmen, kann aber - da nicht entscheidungserheblich - auch auf sich beruhen.

2. Nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG trifft, "sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben", die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen "außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes", vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann, wobei "diese Stelle eine andere sein muss als diejenige, welche für die aufenthaltsbeendende Maßnahme zuständig ist". Nach der vom EuGH in der Rechtssache Dörr und Ünal (Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 47) getroffenen Auslegung muss die gesonderte Stelle i.S.d. Richtlinie zur Gewährleistung eines hinreichend effektiven Schutzes eine sichere Garantie einer erschöpfenden Prüfung der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme geben. Nach der im Anschluss daran ergangenen o.g. Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 13.09.2005 und 06.10.2005, a.a.O.) wird in Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Deutschland verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird (behördliches Vorverfahren i.S.d. § 68 VwGO). Das deutsche verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, welches lediglich eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vorsehe, insbesondere bei behördlichen Ermessenserwägungen auf die Überprüfung beschränkt sei, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien bzw. von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei, genüge den Anforderungen an eine zweite zuständige Stelle nicht. Daraus folge, dass nach der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens bei von den Regierungspräsidien verfügten Ausweisungen (vgl. § 6a S. 1 AGVwGO; eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Regierungspräsidien vom 10.05.1999, GBl. S. 173, in Kraft getreten am 01.07.1999) die gemeinschaftsrechtlich geforderte Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde ("Vier-Augen-Prinzip") entfallen sei. Die gegen begünstigte Ausländer verfügten Ausweisungen seien daher wegen eines Verfahrensfehlers unheilbar rechtswidrig, es sei denn, es habe ein "dringender Fall" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen.

Der Senat hatte demgegenüber in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffes - etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeitskontrolle im Widerspruchsverfahren, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO - auszugehen sei und die vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde (Urteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, VBlBW 2004, 481 ff.; unter Fortführung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -; ebenso Senatsurteil vom 15.05.2005 - 11 S 2966/04 -). Im Hinblick auf die o.g. Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005 hat der Senat im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Dies gilt weiterhin und ungeachtet der Tatsache, dass Art. 31 der seit dem 01.05.2006 unmittelbar geltenden Richtlinie 2004/38/EG (vgl. dazu Groß, ZAR 2006, 61 ff., 64), die u.a. eine "genauere Definition der Verfahrensgarantien" bei der Ausweisung von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bezweckt (vgl. 22. Erwägungsgrund), - deren Anwendbarkeit auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige unterstellt - nicht die Einschaltung einer zweiten außergerichtlichen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens verlangt, sondern den gerichtlichen Rechtsbehelf ausreichen lässt (vgl. dazu im einzelnen unter III).

3. Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe am 12.10.2004 verfügte Ausweisung erfolgte im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens. Dies ist auch nicht deshalb unschädlich, weil ein "dringender Fall" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorgelegen hätte, bei dem die vorherige Einschaltung einer "zuständigen Stelle" entbehrlich gewesen wäre.

a) Entgegen der Ansicht des Beklagten unterliegt die Beurteilung, ob von einem "dringender Fall" i. S. von Art. 9 RL 64/221/EWG auszugehen ist, der gerichtlichen Überprüfung und ist nicht allein Sache der Verwaltung. In dem vom Beklagten für seine Auffassung herangezogenen Urteil des EuGH vom 05.03.1980 (Rs 98/79 <Pecastaing>, NJW 1980, 2630 ff.) heißt es zwar, dass durch das in Art. 9 RL 64/221/EWG vorgesehene Verfahren zur Prüfung und Stellungnahme den Gerichten nicht das Recht zur Prüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet habe verliehen werden sollen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Prüfung auch nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hat. Das verdeutlicht der Gerichtshof im Übrigen in derselben Entscheidung dadurch, dass er für die Ausübung derartiger Befugnisse durch die einzelstaatlichen Gerichte auf Art. 8 RL 64/221EWG und damit auf die nationale Rechtsordnung verweist. Nach der deutschen Rechtsordnung unterliegen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm grundsätzlich der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ohne dass eine Bindung an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Bewertungen besteht. Dies gilt auch für Prognoseentscheidungen wie z.B. die Beurteilung einer polizeirechtlichen Gefahr oder der Wiederholungsgefahr im Ausländerrecht. Eine Ausnahme von der eigenständigen Beurteilungspflicht der Verwaltungsgerichte muss sich aus dem jeweiligen materiellen Recht eindeutig ergeben, was hier nicht der Fall ist (vgl. zu dem Problemkreis etwa Kuntze in Bader u.a., VwGO, 3. Aufl., § 114 Rn. 30 ff.).

Die Auffassung, die Überprüfung der Dringlichkeit einer Maßnahme sei allein Sache der Verwaltung, ist im übrigen nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH überholt. Der EuGH hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 29.04.2004 (verb. Rs. C 482/01 und C 493/01 <Orfanopoulos und Oliveri>, NVwZ 2004, 1099 ff.) nicht wieder aufgegriffen und hat in seinem Urteil vom 02.06.2005 (<Dörr und Ünal>, a.a.O., Rn. 56) das Vorliegen eines dringenden Falles selbst geprüft und ausdrücklich verneint (vgl. dazu auch Gutmann, GK zum AufenthG, Bd. 5, IX-1 Art. 14 Rn. 124.6). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht von einer vollen gerichtlichen Überprüfung der Dringlichkeit der Maßnahme aus. So hat es in seinem Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) Kriterien zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Begriffs des "dringenden Falls" entwickelt und die Rechtssache zur erneuten Überprüfung an Hand dieser Kriterien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

b) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, das Merkmal der Dringlichkeit sei als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit "besonders eng auszulegen". Ein dringender Fall könne sich daher nicht schon aus der mit einer Ausweisung stets verbundenen Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergeben, sondern könne erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten sei. Ein dringender Fall komme demnach nur in Betracht, wenn die begründete Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des "Hauptverfahrens" realisieren. Dann sei auch eine Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde nicht hinnehmbar. Die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles ähnelten damit den Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa in BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053). Ein dringender Fall sei danach nicht schon dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet habe und diese Anordnung im gerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bestätigt werde. Vielmehr müsse ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt sein, das "Hauptverfahren" nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer "weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung" der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Ob ein dringender Fall in diesem Sinne zu bejahen sei, müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im Wege einer Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange beurteilt werden. Von Bedeutung sei hierbei vorrangig die Schwere der vom Ausländer ausgehenden Gefahr. Diese werde in der Regel entfallen, wenn und solange der Ausländer sich in Haft befinde. Die Annahme eines dringenden Falles komme unter solchen Umständen nur für den Fall in Frage, dass der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Zu berücksichtigen sei ferner, ob die Ausländerbehörde selbst den Fall als dringlich erachte und behandele. Die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und selbst die sofortige Vollziehung nicht anordne oder von der Anordnung nicht unverzüglich - gegebenenfalls nach gerichtlicher Bestätigung - Gebrauch mache.

c) Nach dieser Rechtsprechung, der auch der Senat im Grundsatz folgt, ist ein dringender Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht schon dann - gewissermaßen als Automatismus - anzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet wurde. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des 13. Senats des erkennenden Gerichthofs (Beschlüsse vom 22.03.2004 - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff., und vom 26.08.2005 - 13 S 1482/05 -) dürfte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt sein. Insgesamt ergibt sich bei der - auch nach Ansicht des Senats gebotenen - besonders engen Auslegung, dass ein dringender Fall grundsätzlich erst dann angenommen werden kann, wenn wegen der vom Ausländer ausgehenden Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung im Einzelfall nicht zu verantworten ist. Die vom Ausländer ausgehende Gefahr entfällt in der Regel, wenn und solange er sich in Haft befindet. Davon sind wiederum Ausnahmen in den Fällen denkbar, in denen konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten in der Haft vorliegen bzw. der Ausländer aus der Haft heraus abgeschoben werden soll und die Einschaltung einer zweiten Verwaltungsstelle - auch bei der gebotenen zügigen Bearbeitung - nicht durchführbar ist. Zu beachten ist dabei allerdings auch, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einem zu erwartenden Absehen von der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO (etwa nach Verbüßung der Hälfte oder zwei Dritteln einer gegen den Ausländer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe) der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und diese den Termin nicht so festlegen darf, dass die dem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich zustehenden Verfahrensgarantien unterlaufen werden, ohne dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt.

Fraglich ist, wie - insbesondere in Haftfällen - die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen ist, ein dringender Fall komme (nur) in Betracht, wenn die Besorgnis bestehe, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des "Hauptverfahrens" realisieren. Mit "Hauptverfahren" dürfte wohl das gerichtliche Hauptsacheverfahren (vgl. auch den 3. Leitsatz zum Urteil vom 13.09.2005, a.a.O., wo vom "gerichtlichen Hauptverfahren" die Rede ist). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, vor der behördlichen Ausweisungsentscheidung grundsätzlich eine Überprüfung durch eine zweite unabhängige Stelle zu gewährleisten, und davon in dringenden Fällen eine Ausnahme zuzulassen, kann es nach Ansicht des Senats bei der Dringlichkeitsprüfung aber nur darauf ankommen, ob eine Verzögerung durch die Einschaltung einer zweiten Stelle hinnehmbar ist oder die Gefahr besteht, dass sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens einschließlich des Kontrollverfahrens bei der anderen Stelle realisiert. Dies gilt umso mehr, als auch im Anschluss an die Einschaltung einer zweiten Stelle noch eine Ausweisungsentscheidung mit Sofortvollzug ergehen kann. Die aufgeworfene Frage ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer sich in Haft befindet und vor seiner bevorstehenden Entlassung oder seiner beabsichtigten Abschiebung aus der Haft noch ausreichend Zeit besteht, eine Überprüfung der Ausweisungsentscheidung durch eine zweite Stelle vornehmen zu lassen. Wenn nicht ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum vom Ausländer eine erhebliche Gefahr ausgeht, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines dringenden Falles nach Auffassung des Senats nicht vor. Auf die Frage, ob sich die vom Ausländer ausgehende Gefahr vor Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens realisiert, kommt es dann nur für die Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzuges an, deren Voraussetzungen aber - wie das Bundesverwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - nicht identisch sind mit denen der besonderen Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG. Gegenstand der Dringlichkeitsprüfung nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist vielmehr ausschließlich das "Hauptverfahren" auf Verwaltungsebene einschließlich der Kontrollentscheidung der "anderen Stelle".

d) Ebenso wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ist auch der Senat der Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob ein "dringender Fall" i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG vorliegt, auf die Sachlage zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem die Behörde ihre Ausweisungsentscheidung zu treffen hat.

Bereits die Verwendung der Gegenwartsform im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie (" ... trifft die Verwaltungsbehörde ...") legt es nahe, für die Beurteilung eines "dringenden Falles" auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung abzustellen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie die vorherige Einschaltung einer zuständigen Stelle vor der Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, d.h. vor Erlass der Ausweisungsverfügung, voraussetzt, spricht ebenfalls für eine solche Auslegung (ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, <juris>). Schließlich dient eine solche Auslegung auch der Verfahrenssicherheit, da sich allein aus der Beurteilung der Dringlichkeit bei Erlass der Ausweisungsverfügung ergibt, welches Verfahren im Einzelfall einzuhalten ist, d.h. ob vor dem Erlass noch eine zweite Stelle einzuschalten ist oder nicht.

Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung des Beklagten auch im Hinblick auf die Regelung in § 456a Abs. 1 StPO nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde u.a. von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn der Verurteilte ausgewiesen wird. Der Beklagte trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung stehe noch nicht fest, ob und wann der Ausländer aus der Haft abgeschoben werden könne (mithin nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dringender Fall anzunehmen sei), da die Vollstreckungsbehörde eine Entscheidung nach § 456a StPO erst treffe, nachdem die Ausweisung erfolgt und der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig sei.

Dieses vom Beklagten geschilderte Prozedere erscheint dem Senat aber nicht zwingend. Die Vollstreckungsbehörde kann unter den Voraussetzungen des § 456a StPO nach ihrem Ermessen auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen. Nach den für das Land Baden-Württemberg dazu erlassenen Richtlinien (AV d. JuM vom 17. Oktober 1996 - Die Justiz S. 500) prüft die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen, ob von der Vollstreckung abzusehen ist. Sie setzt sich hierzu mit der Ausländerbehörde in Verbindung, um festzustellen, ob gegen den Verurteilten eine Ausweisungsverfügung ergangen ist oder ob mit dem Erlass einer solchen Verfügung gerechnet werden kann (Ziffer III 2. a der Richtlinien). Die Maßnahme nach § 456a StPO wird regelmäßig bereits unmittelbar nach Rechtskraft bei Einleitung der Vollstreckung und ohne Rücksicht darauf getroffen werden können, ob bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt (Ziffer III 2 b Satz 1). In jedem Fall soll die Maßnahme nach § 456a StPO so frühzeitig angeordnet werden, dass die u.a. zur Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Ausländerbehörde rechtzeitig getroffen werden können (Ziffer III 2 b Satz 2). In der Regel ist nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen; bei besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung kann nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit von der weiteren Vollstreckung abgesehen werden (Ziffer III 1. c).

Daraus ergibt sich für den Senat, dass auch schon vor Erlass einer Ausweisungsverfügung eine Entscheidung nach § 456a StPO möglich und nach den o.g. Richtlinien sogar geboten ist. Sollte diese trotz entsprechender Bemühungen bei der Strafvollstreckungsbehörde dennoch nicht erwirkt werden können, wird man möglicherweise eine Prognoseentscheidung auf der Basis einer zu erwartenden Freigabe nach der Hälfte bzw. zwei Dritteln der verhängten Strafe ausreichen lassen können. Zu berücksichtigen ist aber auch hier, dass selbst bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft und einer zu erwartenden Freigabeentscheidung nach § 456a StPO der konkrete Abschiebungstermin regelmäßig durch die Ausländerbehörde selbst bestimmt wird und insoweit eine Abschiebung vor Einschaltung einer zweiten Stelle häufig nicht zwingend ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem o.g. Urteil vom 13.09.2005 (a.a.O.) die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht ausdrücklich entschieden. Zwar führt auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aus, Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG werde verletzt, " ... wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfindet noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Rahmen der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wird" und beendet seine diesbezüglichen Ausführungen mit der Feststellung, dass ein Verstoß - vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Falles - zu einem unheilbaren Verfahrensfehler führt (Rn. 13 a.E. des amtl. Urteilsabdrucks). Diese Ausführungen sprechen ebenfalls dafür, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung abzustellen und später eintretende Veränderungen unberücksichtigt zu lassen. In seinen weiteren Erwägungen (vgl. Rn. 19 des Abdrucks) ermöglicht das Bundesverwaltungsgericht allerdings (auch) die Berücksichtigung des behördlichen Verhaltens nach Erlass der verfügten Ausweisung, etwa indem es ausführt, die Annahme eines dringenden Falles scheide aus, wenn die Behörde das Verfahren nicht zügig betreibe und von der Anordnung des Sofortvollzuges - ggf. nach gerichtlicher Bestätigung - nicht unverzüglich Gebrauch mache. Insoweit dürfte es sich allerdings eher um einen Fall widersprüchlichen Verhaltens handeln, der eine Berufung auf das Vorliegen eines dringenden Falles durch die Behörde als unzulässig erscheinen lassen kann.

d) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, lag zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die Ausweisung des Klägers ein "dringender Fall", der ausnahmsweise die Einschaltung einer zweiten Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG entbehrlich gemacht hätte, nicht vor. Die Ausweisungsverfügung ist damit unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschriften ergangen.

Für die Annahme eines dringenden Falles sprach zwar, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Betäubungsmittelstraftat mit "harten" Drogen begangen und dabei - wie auch vom Strafgericht zu Recht betont - eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt hat. Das Regierungspräsidium hat das Verfahren auch zügig betrieben (nach Eingang des rechtskräftigen Strafurteils am 20.09.2004 erging bereits am 12.10.2004 die Ausweisungsverfügung) und seinerseits den Sofortvollzug angeordnet. Im Ergebnis zu Recht ist das Regierungspräsidium bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass im Falle des Klägers mit einer Freigabeentscheidung gemäß § 456a StPO nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gerechnet werden konnte und eine Abschiebung aus der Haft in Frage kam.

Diese Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, im Falle des Klägers eine besondere Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung zu begründen.

Wie dargelegt ist diese Merkmal als Ausnahme vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders eng auszulegen und erfordert eine Situation, bei der wegen der vom Ausländer unmittelbar drohenden erheblichen Gefahr ein weiteres Zuwarten mit der Ausweisung bzw. deren Vollzug nicht zu verantworten ist. Diese engen Voraussetzungen waren beim Kläger nicht gegeben. Der Kläger war zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden und befand sich seit dem 09.02.2003 in Strafhaft. Selbst eine Freigabeentscheidung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Haftstrafe (deren Erteilung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung allerdings keineswegs feststand), war frühestens zum 09.05.2005 zu erwarten; konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Freigabe bereits vor diesem Termin lagen nicht vor. Es stand mithin bei Erlass der Ausweisungsentscheidung vom 12.10.2004 bis zu einer eventuell möglichen Abschiebung aus der Haft (die ihrerseits nicht zwingend unmittelbar nach Freigabe zu erfolgen hatte) noch ein Zeitraum von sieben Monaten zur Verfügung. Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Zeitraum - unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien und der gebotenen zügigen Bearbeitung - ausreichend, eine beabsichtigte Ausweisungsverfügung durch eine zweite Verwaltungsstelle überprüfen zu lassen. Zu berücksichtigen war schließlich auch, dass im vorliegenden Fall die persönlichen Belange des Klägers (insbesondere sein lang dauernder Aufenthalt in der Bundesrepublik, davon seit 1997 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sowie sein Umgangsrecht mit seinem 1993 hier geborener Sohn) ein nicht unerhebliches Gewicht haben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund die bloß abstrakte Möglichkeit, der Kläger könne in der Strafhaft weitere Straftaten begehen, keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigt.

Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, weist der Senat noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall die Rechtsauffassung des Beklagten, für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei (ebenso wie bei der Beurteilung der materiellen Ausweisungsvoraussetzungen, vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224 ff.) auf die Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen, wohl nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (29.06.2006) war der Kläger auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 02.03.2006 über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen worden. Damit kommt eine Abschiebung aus der Haft nicht mehr in Betracht. Der Entscheidung des Landgerichts lag ein klinisch-forensisches Fachgutachten vom 06.02.2006 zu Grunde, welches zu dem Ergebnis gekommen war, beim Kläger bestehe keine Gefahr mehr, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses im Strafverfahren erstellte und dort auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten zu verstehende Gutachten möglicherweise bei der Beurteilung einer qualifizierten Wiederholungsgefahr als materielle Ausweisungsvoraussetzung einer kritischen Würdigung zu unterziehen wäre (zumal das Gutachten davon ausging, dass der Kläger nach Haftentlassung über eine Arbeitsstelle verfüge, wohingegen die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass er arbeitslos ist), dürfte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine unmittelbar drohende erhebliche Gefahr als Voraussetzung für eine besondere Dringlichkeit schwerlich zu begründen sein.

Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt sei ferner darauf hingewiesen, dass die vom Regierungspräsidium in der angefochtenen Verfügung enthaltene Erwägung, eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung sei (auch) aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wohl nicht tragfähig sein dürfte, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Ausweisungsentscheidung als solcher, sondern (nur) im Zusammenhang mit der Anordnung des Sofortvollzuges steht. Bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ist bei Beschränkungen der Freizügigkeit zur Gefahrenabwehr nur auf die auf Grund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen vorliegende Gefährdung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.). Es spricht einiges dafür, dass dies auch im Hinblick auf die Begründung des Sofortvollzuges (d.h. die sofortige Aufenthaltsbeendigung und damit unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit) gelten dürfte.

4. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 46 LVwVfG nicht in Betracht.

Nach § 46 LVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, ein eventueller Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG sei nach § 46 LVwVfG letztlich unbeachtlich, da die Stellungnahme einer im Vorfeld der Maßnahme zu beteiligenden Stelle angesichts der massiven kriminellen Energie des Antragstellers unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen die Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Ergebnis offensichtlich nicht hätte beeinflussen können.

a) Fraglich ist bereits, ob § 46 LVwVfG auf die Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften Anwendung findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinen Urteilen vom 13.09.2005 und 06.12.2005 (a.a.O.) nicht aufgeworfen, geht allerdings im Ergebnis - ohne nähere Begründung - von einem unheilbaren Verfahrensmangel aus.

§ 46 LVwVfG findet keine Anwendung bei sog. absoluten Verfahrensfehlern (vg. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 46 Rn. 18 m.w.N., Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 46 Rn. 22). Dies ist bei einem Verstoß gegen solche Vorschriften anzunehmen, die nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dienen, sondern dem Betroffenen eine eigene, unabhängig vom materiellen Recht durchsetzbare Rechtsposition gewähren wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1982 - 4 C 26.78 -, BVerwGE 64, 325 ff., Rn. 25). Wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedsländern (sog. "effet utile", vgl. dazu etwa Kenntner, Rechtsschutz in Europa, in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, S. 76) werden nach wohl überwiegender Meinung die Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts und solche nationale Vorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht beruhen, wie absolute Verfahrensvorschriften behandelt mit der Folge, dass eine Heilung nach § 46 LVwVfG ausscheidet (ebenso Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 46 Rn. 9, § 45 Rn. 187; VG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2006 - 5 K 5146/04 -, <juris>; z.T. a.A. Papier, DVBl 1993, 809 ff., 814). Für diese Auffassung spricht auch, dass die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die Heilung von Verfahrensmängeln von äußerster Zurückhaltung geprägt ist (vgl. dazu ausführlich Wahl, DVBl. 2003, 1285 ff, 1290, und Kment, ArchöR 2005, 571 ff., 584, 612, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). Es zeigt sich darin ein vom deutschen Verwaltungsverfahrensrecht grundlegend abweichendes Verständnis vom Verwaltungsverfahren in dem Sinn, dass Verfahrensregelungen nicht nur der wirksamen Durchsetzung materiellen Rechts dienen, sondern zugleich auch eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung bieten sollen.

b) Im Ergebnis kann die Frage der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auf gemeinschaftrechtliche Verfahrensvorschriften aber offen bleiben, denn selbst seine Anwendbarkeit unterstellt würde er im vorliegenden Fall nicht zu einer Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG führen. Die Verletzung einer Verfahrensvorschrift ist nämlich nach § 46 LVwVfG nur dann unbeachtlich, wenn "offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat." Eröffnet das materielle Recht im konkreten Einzelfall Ermessen, so ist im Regelfall nicht auszuschließen, dass sich die Verletzung der in § 46 LVwVfG genannten Vorschriften auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Deswegen sind in diesen Fällen Fehler grundsätzlich relevant (vgl. Kopp-Ramsauer, a.a.O., § 46 Rn. 32 m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 46 Rn. 66).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O.) dürfen türkische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. Der Senat hat seine gegenteilige Auffassung, es lasse sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger - und entsprechend assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - ausschließlich im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 f.; ebenso zuletzt Renner, ZAR 2005, 295 ff.) im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufgegeben. Nach der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung neben der Art und Schwere der begangenen Straftat die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen und die privaten Belange des Betroffenen umfassend abzuwägen. Hat der Betroffene Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 AufenthG (ehemals § 47 Abs. 1 und 2 AuslG - sog. Ist- oder Regelausweisungstatbestände -) verwirklicht, darf dies zwar in die Abwägung einbezogen werden, jedoch nicht im Sinne einer Regelvermutung oder sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Bei einer danach für die Ausweisung des Klägers erforderliche Ermessensentscheidung unter umfassender Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und ohne isolierte Betrachtung der Art und Schwere der vom Kläger verwirklichten Straftat kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zweite Stelle zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre. Unter diesen Umstände scheidet eine Heilung des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nach § 46 LVwVfG aus.

5. Eine Heilung des Verfahrensverstoßes nach § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 LVwVfG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach den genannten Vorschriften ist die Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Bereits der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, eine erschöpfende Prüfung aller Tatsachen und Umstände einschließlich der Zweckmäßigkeit vor der Ausweisungsentscheidung sicherzustellen, sprechen dagegen, die fehlende Prüfung durch eine zweite zuständige Stelle im Laufe des Gerichtsverfahrens noch nachholen zu können. Auch das o.g. gemeinschaftsrechtliche Prinzip des "effet utile" dürfte der nachträglichen Heilung auf Grund nationaler Verfahrensvorschriften entgegenstehen. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen, das Rechtsmittelverfahren etwa entsprechend § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, um Gelegenheit zur Nachholung der fehlenden Prüfung zu geben. Auch von der Beklagten wurde während des anhängigen Verfahrens nicht nachträglich eine zweite zuständige Stelle eingeschaltet. Eine solche Möglichkeit ist auch zwischenzeitlich entfallen, da die Änderung der AAZuVO vom 04.10.2005 (GBl. S. 678), mit der in § 10 Abs. 7 für Ausweisungsentscheidungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe das Regierungspräsidium Freiburg als zweite zuständige Stelle i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG bestimmt wurde, mit Ablauf des 30.04.2006 wieder außer Kraft getreten ist.

III. Die unter Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ergangene Ausweisungsverfügung des Klägers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass - nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens - die RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden ist. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - , a.a.O., und - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 ff.) für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Denn dieser Zeitpunkt ist (nur) für die Überprüfung der materiellen Voraussetzungen der Ausweisung maßgeblich, nicht aber dafür, welches Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.

1. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Freizügigkeitsrichtlinie, im Folgenden RL 2004/38/EG; ABl. L 229/35 vom 29.06.2005, in Kraft getreten am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, vgl. Art. 41;) ist die RL 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden. Damit ist zum 30.04.2006 auch Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG entfallen.

a) Ob und in welchen Teilen die neue Richtlinie, die nach ihrem Wortlaut nur für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen gilt und anders als die Richtlinie 64/221/EWG nicht nur Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, enthält, auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar ist, ist bisher ungeklärt (offen gelassen von Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -; bzgl. der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 Abs. 3 verneint, bzgl. Art. 30 Abs. 3 bejaht von VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.; aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG vgl. auch folgende Entscheidungen, die sich im Wesentlichen mit einer evt. Vorwirkung und der Geltung der materiell-rechtlichen Grundsätze des Art. 28 beschäftigen: Hess. VGH, Beschluss vom 02.05.2005 - 12 TG 1205/05 -, InfAuslR 2005, 295 ff.; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 06.06.2005 - 11 ME 39,05, NVwZ-RR 2005, 654 f. und vom 05.10.2005 - 11 ME 247/04 -, InfAuslR 2005, 453 ff.; zum Ganzen s. auch Gutmann, Die neue Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG und ihr Verhältnis zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, InfAuslR 2005, 401 ff.). Für die Anwendung zumindest der Verfahrensvorschriften könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die im Rahmen des Art. 39 geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen (vgl. zuletzt Urteil vom 11.11.2004 <Cetinkaya>, InfAuslR 2005, 13 ff.) und die verfahrensrechtlichen Garantien untrennbar mit dem materiellen Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit verbunden sind (vgl. Urteil vom 02.06.2005, a.a.O., Rn. 67).

b) Die in der RL 2004/38/EG enthaltenen Verfahrensvorschriften verlangen jedenfalls nicht (mehr) die Einschaltung einer unabhängigen Stelle neben der Ausländerbehörde vor Abschluss des behördlichen Verfahrens (ebenso Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.). Nach der Richtlinie ist lediglich erforderlich, dass gegen eine Ausweisungsentscheidung "ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates eingelegt werden kann (Art. 31 Abs. 1). Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen; dabei ist zu gewährleisten, dass die Entscheidung insbesondere (im Hinblick auf die gemäß Art. 28 Abs. 1 zu berücksichtigenden Gesichtspunkte) nicht unverhältnismäßig ist.

Aus alledem ergibt sich die Erforderlichkeit eines behördlichen "Vier-Augen-Prinzips" nicht mehr, so dass es ab dem 01.05.2006 gemeinschaftsrechtlich unbedenklich sein dürfte, wenn das Widerspruchsverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist. Durch den gerichtlichen Rechtsschutz (einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes, vgl. dazu Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie), der in Deutschland entsprechend den o.g. Vorgaben eine umfassende Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Ausweisungsentscheidung sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beinhaltet, wird den gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien genügt (Dass die vom Gemeinschaftsrecht geforderte rechtliche Prüfungsdichte in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert werde, war vom Senat bereits unter der Geltung des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG angenommen worden - vgl. Senatsurteil vom 21.07.2004 - 11 S 535/04 -, a.a.O.; er hat diese Rechtsprechung aber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 13.09.2005 und 06.10.2005, (a.a.O.) aufgegeben, vgl dazu unter II. 2. ).

2. Die Tatsache, dass damit ab dem 01.05.2006 das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Nachprüfung einer Ausweisungsentscheidung durch eine zweite behördliche Stelle ("Vier-Augen-Prinzip") ersatzlos weggefallen ist, führt allerdings nicht dazu, dass die gegen den Kläger unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erlassene Ausweisungsverfügung nunmehr als rechtmäßig anzusehen wäre. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), wonach für die gerichtliche Überprüfung von Ausweisungen von Unionsbürgern sowie von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist.

a) Ob und inwieweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eingetretene Veränderung der Sach- oder Rechtslage das Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beeinflusst, ist keine Frage des Prozessrechts-, sondern des zu Grunde liegenden materiellen Rechts (vgl. ausführlich zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage etwa Kopp/Schenke, 14. Aufl., § 113, Rn. 34 ff. und Rn. 47 ff., und Kleinlein, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch 1990, 149 ff., jeweils m.w.N.).

Die o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Anwendung materiellen Gemeinschaftsrechts über die Voraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern bzw. assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29.04.2004 <Orfanopoulos und Oliveri>, a.a.O.), wonach Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, nach der die Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann. Da die Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 39 EG eng auszulegen seien, müssten die Voraussetzungen der gegenwärtigen Gefährdung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolge. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auslegung des materiellen Gemeinschaftsrechts gefolgt und hat - möglicherweise sogar darüber hinausgehend - entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger bzw. assoziationsberechtigter Türken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr insgesamt der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich sei. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen müsse, zu dem die Ausweisung erfolge, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen seien.

c) Aus dieser zu den materiellen Ausweisungsvoraussetzungen ergangenen Rechtsprechung lässt sich nichts dafür herleiten, dass eine ursprünglich unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften von der Behörde rechtswidrig erlassene Ausweisungsverfügung durch eine spätere Änderung der Verfahrensvorschriften nachträglich als rechtmäßig zu behandeln wäre (a.A., allerdings ohne nähere Begründung, Nieders. OVG, Urteil vom 16.05.2006 - 11 LC 324/05 -). Ob ein behördlicher Verfahrensfehler vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung führt, richtet sich vielmehr nach dem während des Verwaltungsverfahrens geltenden Verfahrensrecht, mithin nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG.

Die (Übergangs-)Regelung in Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG bestimmt, dass die RL 64/221/EWG (erst) zum 30.04.2006 und damit nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden soll. Bereits dies spricht dagegen, dass die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG durch das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG auch für ergangene Ausweisungsentscheidungen überholt sind (ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2005 - 4 K 743/03 - <juris>).

Darüber hinaus entspricht es allgemeinen, aus dem Wesen und der Funktion des Rechts hergeleiteten Grundsätzen, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich für die Zukunft gelten, sofern nicht spezielle Übergangsvorschriften ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Neues Verfahrensrecht gilt damit im Zweifel, d.h. mangels Vorliegens anders lautender Überleitungsvorschriften, vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, und zwar i.d.R. (auch) für bereits anhängige, nicht jedoch für bereits abgeschlossene Verfahren oder Verfahrensabschnitte; letztere können nur nach dem im Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Recht beurteilt werden (vgl. dazu etwa Nieders. OVG, Urteil vom 15.03.2006 - 10 LB 7/06 -, m.w.N.; das Nieders. OVG bejaht in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG auf vor dem Inkrafttreten der Norm - 01.01.2005 - in das Bundesgebiet eingereiste oder geborene Kinder, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren erst eingeleitet werde; vgl. demgegenüber BverwG - Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, InfAuslR 2006, 244 ff., wonach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidungen, d.h. bereits abgeschlossene Verfahren, keine Anwendung findet). Ist ein belastender Verwaltungsakt unter Verletzung einer zur Zeit seines Erlasses geltenden Verfahrensvorschrift ergangenen und damit rechtswidrig, führt grundsätzlich der spätere Wegfall der Verfahrensvorschrift nicht zu einer Umwandlung eines rechtswidrigen in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 47, der davon spricht, dass der spätere Wegfall nicht eine "Metamorphose" eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in einen rechtmäßigen bewirke). Allenfalls kann der Gesetzgeber (unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze) die Verletzung der Verfahrensvorschrift für unbeachtlich erklären, wie dies etwa in §§ 45, 46 LVwVfG geschehen ist, mit der Folge, dass der Verwaltungsakt trotz seines rechtswidrigen Zustandekommens als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. Kleinlein, a.a.O., S. 161). Die Voraussetzungen für eine Heilung nach §§ 45, 46 LVwVfG sind aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben (vgl unter II. 4. und 5.).

Im Ergebnis hat daher das Außerkrafttreten der RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 und das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG zum 01.05.2006 keinen entscheidungserheblichen Einfluss auf die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung vom 12.10.2004. Diese ist vielmehr wegen eines unheilbaren Verfahrensmangels vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden.

IV. Ob die Ausweisung auch gegen materielles Gemeinschaftsrecht verstößt, ob insbesondere zum diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch von einer qualifizierten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann und die Verfügung im übrigen den an eine Ermessensausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. dazu im einzelnen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 und 1 C 30.02 -, a.a.O.), kann danach offen bleiben. Offen bleiben kann damit auch, ob das Regierungspräsidium im Hinblick auf das Umgangsrecht des Klägers mit seinem 1993 in der Bundesrepublik geborenen Sohn bei seiner Entscheidung die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG (vgl. dazu insbes. Kammerbeschluss des BVerfG vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122 ff.) ausreichend gewichtet hat.

V. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass bei einer Aufhebung der Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann.

VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

VII. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen das Außerkrafttreten des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zum 30.04.2006 auf in der Vergangenheit unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassene Ausweisungsverfügungen von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen hat, gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage ist vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geklärt; das Nieders. OVG hat in seinem - noch unveröffentlichten - Urteil vom 16.05.2006 (11 LC 324/05) eine von der Ansicht des zulassenden Gerichtshofs abweichende Rechtsauffassung vertreten; ebenso das VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263 ff.). Zwar handelt es sich bei Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG um außer Kraft getretenes Recht; die aufgeworfene Frage ist aber angesichts der Vielzahl der unter der Geltung dieser Vorschrift erlassenen und noch nicht bestandkräftig gewordenen Ausweisungen für einen nicht überschaubaren Personenkreis auf unabsehbare Zeit noch von Bedeutung; darüber hinaus kann die Frage auch Bedeutung haben für die Vielzahl der bei den Ausländerbehörden und Gerichten bereits anhängigen - sowie ggf. noch zu erwartenden - Verfahren auf Wiederaufgreifen von gemeinschaftsrechtswidrig erlassenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen (zur Zulassung der Revision bei auslaufendem oder außer Kraft getretenen Recht vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.10.1994 - 9 B 83.94 - , DVBl 1995, 569, und vom 20.10.1995 - 6 B 35/95 -, NVwZ-RR 1996, 712, jeweils m.w.N.). Das Revisionsverfahren bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Dringlichkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu klären sowie die entstandenen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffes "Hauptverfahren" im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2005 (a.a.O.) zu beseitigen.

Beschluss vom 29. Juni 2006

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats kommt der nur im Zuge der Anfechtung einer Ausweisung angefochtenen Abschiebungsandrohung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 -, InfAuslR 1982, 167 und vom 29.01.1982 - 1 B 1.92 -, BayVBl. 1982, 380). Das gilt unabhängig von der Relevanz des angedrohten Zielstaats oder des ausländerrechtlichen Status des Betroffenen (vgl. Beschluss des Senats vom 24.06.2004 - 11 S 1168/04 -) und ungeachtet dessen, dass bei der Anfechtung einer isolierten Abschiebungsandrohung der volle Regelstreitwert anzusetzen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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