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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 15.05.2002
Aktenzeichen: 11 S 255/02
Rechtsgebiete: AuslG, ARB 1/80


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 1
AuslG § 47 Abs. 3 Satz 1
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 1
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 2
ARB 1/80 Art. 7 Satz 1
ARB 1/80 Art. 7 Satz 2
ARB 1/80 Art. 13
ARB 1/80 Art. 14 Abs. 1
Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 steht gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unter dem Vorbehalt der Beschränkungen des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Die Neuregelung des Ausweisungsrechts durch das Ausländergesetz vom 9.7.1990 entspricht diesen Vorgaben (im Anschluss an OVG Münster, Urteil vom 13.06.2001 - 17 A 5552/00 -, NVwZ 2001, 1438).

Die Regelvermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG enthebt im Falle eines türkischen Staatsangehörigen, der dem Schutz der Art. 6 oder 7 ARB 1/80 unterfällt, nicht von einer Prüfung, ob spezialpräventive Gründe für die Ausweisung, also eine von dem Ausländer ausgehende konkrete Wiederholungsgefahr weiterer schwerer Straftaten, im Einzelfall tatsächlich gegeben sind.

Eine im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch gegebene Heroinabhängigkeit, der noch nicht mit einer angeleiteten Therapie begegnet wurde, stellt einen konkreten Anhaltspunkt für die ernsthafte, von dem Ausländer ausgehende Gefahr künftiger schwerer Straftaten auf dem Gebiet des Drogenhandels dar, wenn der Ausländer zuvor bereits in dieser Hinsicht auffällig wurde.

Die Teilnahme am illegalen Drogenhandel, auch etwa durch Aufrechterhalten seiner Strukturen im Wege des Straßen-Kleinverkaufs, stellt regelmäßig eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 10.2.1995 - 1 B 221.94 -, Buchholz 402.24 § 48 AuslG Nr. 5).

Der Umstand, dass ein zum Ausweisungsanlass führendes Drogengeschäft durch einen polizeilichen "Lockspitzel" zustande kam, führt nicht zur Annahme eines atypischen Sachverhalts im Sinne des Regel-Ausnahmeverhältnisses des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG, wenn die verdeckten Ermittler nicht einen gänzlich Unbeteiligten, gar Widerstrebenden, zu einer solchen Straftat verleitet haben, der Ausländer vielmehr schon zuvor Kontakte zur Drogenszene hatte, er selbst Heroin konsumierte und somit über ein notwendiges Wissen um Lieferanten und Hintermänner verfügte.


11 S 255/02

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und den Richter am Verwaltungsgericht Maußhardt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30. Januar 2001 - 9 K 66/00 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung (nebst Abschiebungsandrohung) aus der Bundesrepublik Deutschland.

Er wurde am 2.11.1972 in Ulm geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Gemeinsam mit seinen fünf Geschwistern wuchs er im Bundesgebiet bei seinen Eltern auf. Der Vater ist Maschinen-Arbeiter, die Mutter bezieht seit November 1987 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Im Alter von 16 Jahren erhielt der Kläger am 27.12.1988 von der Ausländerbehörde der Stadt Ulm eine Aufenthaltsberechtigung.

Nach der Schulausbildung absolvierte der Kläger eine Lehre in einem Metall-Beruf. Im Anschluss an die Gesellenprüfung im Jahre 1992 war er bei unterschiedlichen Firmen in diesem Beruf tätig. Am 10.6.1996 heiratete er in der Türkei eine türkische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren, später aber in die Türkei zurückgekehrt war. Nach der Eheschließung kam die Ehefrau im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet und erhielt eine befristete Aufenthaltserlaubnis bis zum 19.11.1999. Die Eheleute wohnten gemeinsam mit zwei jüngeren Schwestern und den Eltern des Klägers in der elterlichen Wohnung.

Am 19.6.1998 wurde der Kläger im Rahmen eines Drogen-Schein-Geschäftes festgenommen. Mit Urteil des Landgerichts Ulm vom 24.2.1999, rechtskräftig seit 11.6.1999, wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Landgericht ging von folgenden Umständen aus: Der Kläger sei bereits als Jugendlicher mit Drogen in Kontakt gekommen und habe in der Zeit vor seiner Verhaftung gelegentlich Heroin geschnupft. Im Juni 1998 habe die Ulmer Kriminalpolizei Erkenntnisse besessen, dass der Kläger Kontakte zu einem im Raum Göppingen/Geislingen agierenden Heroinhändler unterhalte. Der Kläger habe seinerzeit mehrmals in Geislingen Fünf-Gramm-Portionen Heroin von diesem Händler gekauft. Daraufhin sei eine Vertrauensperson des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg an den Kläger herangetreten und habe signalisiert, einen Abnehmer für eine größere Menge, nämlich ein Kilogramm Heroin, zu haben. Der Kläger habe daraufhin diese Vertrauensperson an seine Lieferanten vermittelt und es sei vereinbart worden, ein halbes Kilogramm Heroin für DM 30.000,-- zu veräußern. Der Kläger selbst hätte bei diesem Geschäft mit DM 1.000,-- und einigen Gramm Heroin entlohnt werden sollen. In Durchführung dieses Geschäftes sei der Kläger sodann gemeinsam mit seinen Lieferanten festgenommen und ein Paket mit 504 g Heroin sei sichergestellt worden. Bei der Strafzumessung ging das Landgericht davon aus, dass auch unter Berücksichtigung, dass der Kläger durch eine Vertrauensperson der Polizei zum Handel mit der nicht geringen Menge Betäubungsmittel verleitet worden sei, von einem minder schweren Fall nicht ausgegangen werden könne. Es habe sich auf Seiten des Klägers nicht um eine bloße Gelegenheitstat gehandelt. Auch schon vor dem Auftreten dieser Vertrauensperson sei dem Kläger die Heroinszene nicht unbekannt gewesen. Er habe schon davor bereits mehrfach Heroin gekauft. Allerdings sei zu seinen Gunsten eine gewisse eigene Heroinsucht anzunehmen, die ihn für die Versuchung zu einem "großen" Geschäft anfälliger gemacht haben könne. Beim Ablauf dieses Geschäfts habe der Kläger eine nicht unerhebliche Rolle gespielt und sei als wichtiges Bindeglied zwischen der Vertrauensperson und den Mittätern aufgetreten. Er habe auch an der Übergabe selbst teilgenommen. Zu seinen Gunsten sei sein umfassendes Geständnis zu berücksichtigen gewesen. Auch sei er als Erstverbüßer besonders strafempfindlich. Schließlich sei es durch die Tat gelungen, eine größere Rauschgiftmenge aus dem Verkehr zu ziehen. Andererseits sei zu Lasten des Klägers zu sehen, dass es sich um eine ganz erhebliche Menge eines äußerst gefährlichen Rauschgiftes gehandelt habe. Die schließlich verhängte Strafe sei daher tat- und schuldangemessen.

Bereits mit Schreiben vom 13.7.1998 hatte das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger zu einer möglichen Ausweisung angehört. Der Kläger trat dem mit Schreiben vom 17.8.1998 entgegen und trug vor, er sei in Ulm geboren und aufgewachsen, habe dort die Schule besucht, eine Lehre absolviert und in diesem Beruf gearbeitet. Er sei nicht vorbestraft und auch seine Eltern und fünf Geschwister lebten im Raum Ulm. Schließlich sei er verheiratet und auch seine Ehefrau wohne in Ulm. Bei dieser Sachlage sei eine Ausweisung unverhältnismäßig.

Mit Verfügung vom 3.8.1999 wies das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung heißt es, aufgrund seines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz habe der Kläger den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Da er jedoch im Bundesgebiet geboren sei und über eine Aufenthaltsberechtigung verfüge, könne er sich auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG berufen. Dies habe zur Folge, dass eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen könne. Nach der Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG lägen solche Gründe in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG bereits vor. Besondere Umstände, die ein Abweichen von dieser aufgestellten Regel gebieten könnten, seien nicht ersichtlich. Durch den Handel mit einer nicht geringen Menge einer der härtesten Drogen habe der Kläger in besonders schwerwiegender Weise gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger bereits in der Heroinszene bekannt sei und bei dem Drogengeschäft eine nicht unerhebliche Rolle gespielt habe. Obgleich es sich um eine erstmalige strafrechtliche Verurteilung wegen eines Rauschgiftdeliktes gehandelt habe, seien an eine eventuelle Wiederholungsprognose keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Angesichts des Handels mit einer der gefährlichsten Drogen, durch die schnelle und gravierende Abhängigkeit entstehen könne, sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung, also die Gesundheit eventueller weiterer potentieller Opfer, höher zu gewichten als das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik. Daneben habe das Vorliegen des besonderen Ausweisungsschutzes zur Folge, dass die an sich gegebene Ist-Ausweisung zu einer sogenannten Regel-Ausweisung herabgestuft werde. Ein Regelfall liege vor. Ein atypischer Geschehensablauf sei nicht erkennbar. Zwar sei der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland geboren, aufgewachsen und berufstätig gewesen. Auch sei er hier verheiratet. Das alles stelle aber noch keinen atypischen Fall dar. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass er der türkischen Sprache noch mächtig sei. Gegen eine Atypik spreche auch, dass er den Handel mit einer harten Droge von zunächst kleinen Mengen in größere Mengen gesteigert habe. Zudem sei er in der Ulmer Drogenszene bereits seit längerem bekannt. Sein Handel habe nicht mehr nur rein dem Eigenbedarf, sondern auch gewinnbringenden Gründen gedient. Es sei daher von untergeordneter Bedeutung, dass der Kläger erstmals wegen Beteiligung am Betäubungsmittelhandel verurteilt worden und das Rauschgift letzten Endes nicht in Umlauf gekommen sei. Zwar werde den Kläger die Ausweisung hart treffen. Er befinde sich aber in einem Alter, in dem er sich noch leicht an veränderte Lebensumstände anpassen könne. Auch bestehe für seine Ehefrau die Möglichkeit, zusammen mit dem Kläger in die Türkei zurückzukehren. Es könne daher nicht von einem atypischen Ausnahmefall ausgegangen werden. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 6 GG. Für die Ehefrau bestehe die Möglichkeit, zusammen mit dem Kläger die Ehe in der Türkei fortzusetzen. Ein Zusammenleben mit den Eltern sei angesichts des Alters des Klägers nicht mehr erforderlich. Auch gegen Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik aus dem Jahre 1927 verstoße die Ausweisung nicht, ebensowenig gegen Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.1955 (ENA). Angesichts des gezeigten strafrechtlich relevanten Verhaltens lägen besonders schwerwiegende Gründe vor, die die getroffene Ausweisung rechtfertigten. Dies auch deshalb, da diese Schutzvorschriften nicht über die Anforderungen des § 48 Abs. 1 AuslG hinausgingen. Nichts anderes gelte gemäß Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB). Nach Art. 14 ARB gelten die dort erwähnten Vergünstigungen nur vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt seien. Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Die Rückkehr in die Türkei sei nicht unzumutbar. Vorhandene Sprachkenntnisse könnten ohne Probleme vertieft werden. Aufgrund des Alters und vorhandener Bezüge zur Lebenskultur der Türkei erscheine ein Einleben in die dortigen Verhältnisse unter dem Gesichtspunkt, dass nach der Haftentlassung einer neuer Lebensabschnitt zu beginnen habe, nicht mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden.

Der Kläger hat am 11.8.1999 gegen die Verfügung des Beklagten Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Am 26.11.1999 beantragte der Kläger darüber hinaus, die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen. Zur Begründung in diesem Eilverfahren trug der Kläger vor, nach seiner Eheschließung im Jahre 1996 sei im Laufe des Jahres 1997 in der Beziehung eine schwere Belastung eingetreten, weil eine gewünschte Schwangerschaft trotz Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nicht eingetreten sei. In dieser Zeit der psychischen Belastung sei der Kläger Anfang 1998 in Kontakt zu Heroin geraten. Er habe dieses allerdings nur am Wochenende geschnupft und es sei nicht zu einer Abhängigkeit gekommen. Entgegen der Ansicht der Behörde könne nicht von einer Regel-Ausweisung ausgegangen werden. Aus vielen Gründen liege hier ein atypischer Geschehensablauf vor. Zum einen stamme die Straftat aus einer Zeit, als wegen der voraussichtlichen Kinderlosigkeit Spannungen zwischen den Eheleuten entstanden seien. Eine Abweichung vom Regelfall liege auch deshalb vor, weil es sich um ein Lockspitzel-Geschäft gehandelt habe. Der Kläger sei von einer staatlichen Behörde überredet worden, an einem schweren Verbrechen teilzunehmen. Deshalb lägen auch keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA vor, weshalb die Ausweisung rechtswidrig sei. Da der Kläger weiter dem Schutz des Art. 6 ARB unterfalle, könne er nur ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und wenn der Ausländer gerade durch sein persönliches Verhalten Anlass zur Ausweisung gebe. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellte, und nur gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit dafür spräche, dass er rückfällig werde. Das sei jedoch auszuschließen.

Mit Beschluss vom 12.4.2000 - 9 K 87/00 - lehnte das Verwaltungsgericht Sigmaringen den Eilantrag des Klägers ab. Im Hinblick auf den angeordneten Sofortvollzug wurde zur Begründung ausgeführt, aus der in der Vergangenheit zutage getretenen Neigung des Klägers, in persönlichen Konfliktsituationen sich zu deren Bewältigung illegaler Verhaltensweisen wie die des Drogenkonsums und -handels zu bedienen, wobei sich derartige Konfliktsituationen nach der Haftentlassung kaum ausschließen ließen, resultiere die konkrete Gefahr einer wiederholten Straffälligkeit. Die Ausweisung selbst begegne aller Voraussicht nach keinen Bedenken. Der dem Kläger zukommende Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, wonach eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich sei, sei hier überwunden. Gemäß der Regelvermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG lägen solche Gründe angesichts der vom Kläger im Strafverfahren abgeurteilten Deliktsgruppe nach § 47 Abs. 1 AuslG vor. Im Übrigen bewirke dieser Ausweisungsschutz, dass die Ausweisung des Klägers zu einer Regel-Ausweisung herabgestuft sei. Ein solcher Regelfall liege aber vor. Ein atypischer Sachverhalt, der zu einer abweichenden Beurteilung Anlass böte, sei nicht gegeben. Die Ausweisung widerspreche auch nicht einem anderweitigen Ausweisungsschutz des Klägers. Eine Privilegierung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei finde gemäß dessen Art. 14 Abs. 1 seine Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit. Diese Voraussetzungen lägen vor. Dasselbe gelte mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 ENA und nach Art. 2 und Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12.1.1927. Auch deren Ausweisungsschutz reiche nicht weiter als derjenige nach den §§ 47, 48 AuslG. Schließlich sei die Ausweisung aller Voraussicht nach auch verhältnismäßig. Im Hinblick auf die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und da davon auszugehen sei, dass der Kläger der türkischen Sprache und türkischen Umgangsformen und Gepflogenheiten mächtig sei, stelle die Ausweisung ein geeignetes, erforderliches und auch angemessenes Mittel der Gefahrenabwehr dar. Sie verstoße auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Die türkische Ehefrau des Klägers habe die Möglichkeit, mit ihm zusammen die Ehe in der Türkei fortzusetzen.

Mit Beschluss vom 22.3.2000 setzte das Landgericht Karlsruhe - Strafvollstreckungskammer - die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Ulm vom 24.2.1999 zur Bewährung aus und ordnete eine dreijährige Bewährungszeit an. Zur Begründung heißt es, nach der Vollstreckung von zwei Dritteln der erkannten Strafe könne der Strafrest unter Zurückstellung von Bedenken nach § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Kammer dies auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantworten könne. Dem Verurteilten könne eine positive Prognose unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit, seines Vorlebens, der Umstände seiner Taten, seines Verhaltens im Vollzug, seiner Lebensverhältnisse und der Wirkung, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten seien, gestellt werden. Weiter heißt es, der Kläger zeige sich motiviert, von den Drogen wegzukommen. Er habe sich aus der Haft heraus um eine ambulante Drogentherapie bemüht und auch eine prinzipielle Zusage einer psychosozialen Beratungsstelle erhalten. Er wolle diese Therapie durchführen, damit er in Zukunft bei psychischem Druck nicht wieder zu Drogen greife.

Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 12.4.2000 trug der Kläger unter anderem vor, entgegen der Ansicht in diesem Beschluss bestehe bei ihm keine Wiederholungsgefahr. Die verbüßte Haft habe ihn stark beeindruckt. Es sei daneben doch von einem atypischen Geschehensablauf auszugehen. Mangels Wiederholungsgefahr verstoße die Ausweisung auch gegen Art. 7 ARB 1/80, unter den er als Sohn von Gastarbeitern falle.

Der Kläger wurde am 4.7.2000 in die Türkei abgeschoben.

Mit Beschluss vom 26.9.2000 - 11 S 1071/00 - lehnte der erkennende Senat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass den besonderen Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 AuslG überwindende schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG in der Regel bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 47 Abs. 1 AuslG - was auf den Kläger zutreffe - vorlägen und Anhaltspunkte, die ein ausnahmsweises Abweichen von dieser Regel gebieten könnten, nicht aufgezeigt seien. Nur wenn ausnahmsweise festgestellt werden könne, dass von dem Ausländer keine neuen Verfehlungen ernsthaft drohten, komme ein Abweichung von dieser Regelvermutung in Betracht. Dies habe das Verwaltungsgericht, in nicht zu beanstandender Weise, verneint. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es lägen konkrete Anhaltspunkte für eine andauernde Gefährdung durch den Kläger vor, unterliege keinen durchgreifenden Zweifeln. Weiter seien auch keine atypischen Umstände gegeben, die ausnahmsweise ein Absehen von der Regel der Ausweisung gebieten könnten. Schließlich stehe die Ausweisung des Klägers auch im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80.

Im Hauptsacheverfahren hat der Kläger seine Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr näher begründet. Mit Urteil vom 30.1.2001 - 9 K 66/00 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage des Klägers auf Aufhebung der Verfügung des Beklagten vom 3.8.1999 abgewiesen. Es hat ausgeführt: Soweit die Klage gegen die Abschiebungsandrohung in der angegriffenen Verfügung gerichtet sei, sei sie nicht mehr zulässig, da die Abschiebung bereits im Juli 2000 vollzogen worden und die Abschiebungsandrohung damit gegenstandslos geworden sei. Im Übrigen sei die Klage nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat insoweit - größtenteils wörtlich - seine Ausführungen aus dem vorangegangen Eilverfahren wiederholt.

Auf Antrag des Klägers hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 16.1.2002 - 1 S 445/01 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Der Kläger trägt im Berufungsverfahren vor, er erfülle die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 und des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Die daraus resultierenden Rechte habe er auch nicht nachträglich verloren. Nach dem dann anwendbaren Art. 13 ARB 1/80 hätte die Ausweisung nicht auf die Vorschriften des Ausländergesetzes 1990, insbesondere dessen §§ 47, 48, gestützt werden dürfen. Art. 13 ARB 1/80 bestimme, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen keine gegenüber dem bestehenden Rechtszustand neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Diese "Stillhalteklausel" sei verletzt. Der Kläger könne sich auch unmittelbar auf diese Vorschrift berufen. Da die durch §§ 47, 48 AuslG eingeführten Ist- und Regel-Ausweisungstatbestände eine erhebliche Verschlechterung gegenüber § 10 Abs. 1 AuslG 1965 darstellten, seien diese Vorschriften auf ihn nicht anwendbar. Eine Ausweisung unter Betätigung des in § 10 Abs. 1 AuslG 1965 der Behörde eingeräumten Ermessens sei aber nicht erfolgt. Schließlich sei vorliegend auch nicht von einem konkreten Anlass zu der Annahme auszugehen, er werde weitere schwere Straftaten begehen, die die öffentliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen könnten. Damit rechtfertige auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 mit Blick auf den ihm zukommenden Ausweisungsschutz aus Art. 7 ARB 1/80 die Ausweisung nicht. Es gebe keine hinreichende Begründung, inwiefern von ihm im Falle seines Verbleibens im Bundesgebiet eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgehe. Die diesbezüglichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung und in den vorangegangenen gerichtlichen Entscheidungen seien unzureichend. Die Ausweisung verstoße auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Schutz der Familie sowie gegen Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK. Der Eingriff sei schon nicht "gesetzlich vorgesehen" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, da die §§ 47, 48 AuslG hier nicht anwendbar seien. Mangels Wiederholungsgefahr sei darüber hinaus die Ausweisung nicht notwendig. Dies gelte auch entsprechend für Art. 6 Abs. 1 GG. Zuletzt verstoße seine Ausweisung auch gegen das Europäische Niederlassungsabkommen. Er könne sich auf Art. 3 Abs. 3 ENA berufen. Auch hier gälten die oben dargelegten Grundsätze. Ein besonders schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit zur Rechtfertigung der Ausweisung sei, auch unter Berücksichtigung seiner familiären Bindungen, nicht gegeben. Mit Blick auf den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe - Strafvollstreckungskammer - vom 22.3.2000 scheide zudem die Annahme einer seine Ausweisung rechtfertigenden konkreten Wiederholungsgefahr grundsätzlich aus.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger zusätzlich geltend gemacht, die verfügte Ausweisung verstoße auch gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Als ein dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 unterfallender türkischer Staatsangehöriger könne er sich auch auf diese Vorschrift berufen. Zur Sachlage hat der Kläger noch vorgetragen, er habe zwischenzeitlich in der Türkei seinen regulären Wehrdienst abgeleistet. Dabei sei er zeitweise im Rahmen des türkischen NATO-Kontingents im Kosovo eingesetzt worden. Seine Ehefrau habe sich von ihm getrennt. Sie sei in die Türkei zurückgekehrt. Seit April 2002 seien sie geschieden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30.1.2001 - 9 K 66/00 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen vom 3.8.1999 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze, die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens sowie auf die Ausländerakten des Regierungspräsidiums Tübingen und der Stadt Ulm verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers gegen die Verfügung des Beklagten abgewiesen. Denn diese Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also der Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung vom 03.08.1999. Im Falle der Anfechtung einer Ausweisungsverfügung ist grundsätzlich auf diesen Zeitpunkt abzustellen (BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 - 1 C 13/99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688). Dies gilt selbst für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und damit - erst Recht - auch für türkische Staatsangehörige. Nach Erlass der Verfügung eingetretene Umstände und Erkenntnismittel sind auch für diesen Personenkreis grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Sie dürfen und müssen allenfalls bestätigend für die Richtigkeit einer im Blick auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt abgestellten Prognose über das künftige Verhalten des Klägers gewürdigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.05.2001 - 1 B 125/00 -, InfAuslR 2001, 312 = DVBl. 2001, 1530, sowie Beschl. v. 27.6.1997 - 1 B 132/97 - Juris -; Beschl. v. 16.11.1992 - 1 B 197.92 - Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 8).

Zu Unrecht rügt der Kläger, dass die angegriffene Ausweisung auf die §§ 47, 48 AuslG 1990 gestützt wurde. Art. 13 des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei - ARB 1/80 - steht dem, entgegen seinem Vorbringen, nicht entgegen. Zwar trifft es zu, dass der Kläger grundsätzlich dem Anwendungsbereich dieses Beschlusses unterfällt. Ob er sich dabei - als in Deutschland geborener, also nicht erlaubt zugezogener türkischer Staatsangehöriger der zweiten Generation - auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 berufen kann, kann offen bleiben (zu den Zweifeln im Einzelnen vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -). Denn jedenfalls hat der Kläger nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als Sohn eines türkischen Arbeitnehmers, der in Deutschland eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, das Recht, sich hier auf jedes Stellenangebot zu bewerben, nachdem seine Eltern in Deutschland seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt sind. Der Kläger hat auch stets erklärt, nach Haftentlassung an seiner bisherigen Berufstätigkeit festhalten zu wollen. Die Verbüßung der Strafhaft selbst ließ seine Rechte aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 jedenfalls unberührt. Weiter ist anerkannt, dass Art. 13 ARB 1/80 für den diesem Beschluss unterfallenden Personenkreis unmittelbare Wirkung hat (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15.02.2001 - 13 S 2500/00 -; EuGH, Urteil vom 20.09.1990 <Sevince> - Rs C 192/79 -, NVwZ 1991, 255, 256).

Art. 13 ARB 1/80 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind - wie hier beim Kläger -, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Art. 13 ARB 1/80 umfasst auch das Aufenthaltsrecht. Er verwehrt es den Mitgliedstaaten auch, neue Maßnahmen zu erlassen, die die Folge haben, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit verbunden der Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat strengeren Bedingungen unterworfen werden, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 01.12.1980 (vgl. Art. 16 ARB 1/80) in diesem Mitgliedstaat galten (OVG Münster, Urteil vom 13.06.2001, - 17 A 5552/00 -, zit. nach <juris> unter Hinweis auf EuGH, Urteil v. 11.5.2000 - Rs C 37/98 - <Savas>, Inf-AuslR 2000, 326 zur vergleichbaren Stillhalteklausel in Art. 41 Zusatzprotokoll).

Die hier angewandten Vorschriften der §§ 47, 48 AuslG 1990, die einerseits eine Ausweisung in bestimmten Regelfällen vorsehen und nur für Ausnahmefälle eine Ermessensentscheidung gebieten, andererseits Ausweisungen aber auch erschweren bzw. untersagen, verstoßen nicht gegen die "Stillhalte-Klausel" in Art. 13 ARB 1/80. Denn bei der gebotenen Gesamtschau stellt das Regelungsgefüge der §§ 47, 48 AuslG insoweit im Verhältnis zum früheren Rechtszustand nach § 10 Abs. 1 AuslG 1965 keine Verschlechterung dar. Vielmehr ist die frühere Praxis insoweit nur typisierend festgeschrieben worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, die Urteilsgründe liegen noch nicht vor; zit. nach Pressemitteilung Nr. 10/2002, www.bundesverwaltungsgericht.de). Hinzukommt, dass die Stillhalte-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 nicht isoliert betrachtet werden kann, weil sie ihrerseits nicht uneingeschränkt gilt. Sie steht vielmehr selbst unter dem Vorbehalt des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der den gesamten ersten Abschnitt des II. Kapitels, also die Art. 6 bis 13 ARB 1/80, unter den Vorbehalt von Beschränkungen des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten stellt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Der Vorbehalt erfasst nicht nur Einzeleingriffe durch Ausweisung eines von Art. 6 oder 7 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen. Er deckt vielmehr auch Rechtsänderungen, die zu einer Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Lage türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen führen, jedenfalls wenn diese Rechtsänderungen nicht arbeitsmarktpolitisch, sondern vielmehr aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit motiviert sind. Der Umfang dieses Vorbehaltes entspricht dabei dem in Art. 48 Abs. 3 des EG-Vertrages (nach Änderung Art. 39 Abs. 3 EG), der seinerseits durch Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 64/221 des Rates der EWG vom 25.2.1964 (Abl. 850) konkretisiert und - für Einzelakte - durch § 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde. Dies bedeutet, Einzelmaßnahmen wie auch Rechtsänderungen müssen an das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Personen anknüpfen, sie dürfen nicht auf generalpräventiven Motiven fußen und, was die öffentliche Ordnung betrifft, muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. zum Vorstehenden OVG Münster, Urteil vom 13.06.2001, a.a.O. m.w.N.). Die Neuregelung des Ausweisungsrechts durch das Ausländergesetz vom 9.7.1990 entspricht diesen Vorgaben. Mit der Neueinführung eines Systems von Ist- und Regelausweisungsgründen in § 47 AuslG - Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit - werden Tatbestände normiert, die ohne weiteres ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Daneben stellen die Regelungen aber auch sicher - gegebenenfalls unter Berücksichtigung des besonderen assoziationsrechtlichen Ausweisungsschutzes nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 - , dass im Einzelfall lediglich spezialpräventive Gesichtspunkte und nicht der Gedanke der Abschreckung Anderer vor ähnlichen Straftaten zum Maßstab des behördlichen Handelns werden (vgl. für den vorliegenden Fall sogleich unten). Damit wird dem Vorbehalt des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausreichend Rechnung getragen, die "Stillhalte-Klausel" des Art. 13 ARB 1/80 wird durch die Rechtsänderungen im Jahre 1990 nicht verletzt. Der Senat verweist wegen weiterer Einzelheiten insoweit auf die überzeugenden Gründe im Urteil des OVG Münster vom 13.06.2001, a.a.O.; im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg, Beschluss v. 23.1.2002 - 11 MA 4254/01 -, AuAS 2002, 51; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 17.4.2002 a.a.O) .

Durfte die angegriffene Ausweisungsverfügung damit auf die Vorschriften der §§ 47, 48 AuslG 1990 gestützt werden, so sind deren Voraussetzungen im Übrigen auch erfüllt. Auf Grund der durch das Landgericht Ulm abgeurteilten Straftat des Klägers ist der Ist-Ausweisungsgrund des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Da der Kläger den besonderen Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG genießt, konnte seine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen. Solche schwerwiegenden Gründe waren im maßgeblichen Zeitpunkt entgegen der Ansicht des Klägers gegeben.

Dabei kann offen bleiben, ob im Falle des Klägers bereits die gesetzliche Vermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG eingreift, wonach solche Gründe in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vorliegen. Soweit sich hierin die gesetzgeberische Einschätzung ausdrückt, aus generalpräventiven Gründen müsse bei einem Anwendungsfall einer Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit nach § 47 Abs. 1 AuslG zugleich von einem schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden, wäre diese Regel im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er als ein dem Schutzbereich des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unterfallender türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht aus generalpräventiven Motiven ausgewiesen werden kann (EuGH Urteil vom 10.02.2000 - Rs C 340/97 - <Nazli>, NVwZ 2000, 1029 = InfAuslR 2000, 161; OVG Münster, Urteil vom 13.06.2001, a.a.O). Soweit dieser Vorschrift darüber hinaus die Annahme zugrunde liegt, im Falle einer Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit nach § 47 Abs. 1 AuslG müsse aus spezialpräventiven Gründen im Regelfall von einem schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden, enthebt diese Regelvermutung nicht von einer Prüfung, ob solche spezialpräventiven Gründe, also eine vom Kläger ausgehende konkrete Wiederholungsgefahr weiterer schwerer Straftaten (vgl. EuGH Urteil v. 10.02.2000 a.a.O.), im Einzelfall tatsächlich gegeben ist, da eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG gerade darin liegen kann, dass eine "gesteigerte" Wiederholungsgefahr nicht feststellbar ist (VGH Bad.-Württ., Urteil v. 28.06.2001 - 13 S 2326/99 -, InfAuslR 2002, 72 <74>).

Auch ohne Heranziehung der Regelvermutung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG ist vorliegend ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben, der den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers überwindet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24/94 - , BVerwGE 101, 247 = NVwZ 1997, 297 = InfAuslR 1997, 8) liegt ein schwerwiegender Grund im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG in der hier allein in Betracht kommenden (vgl. oben) spezialpräventiven Ausprägung vor, wenn ein Ausweisungsanlass nach Art, Schwere oder Häufigkeit von besonderem Gewicht gegeben ist. Das ist bei der vom Kläger begangenen erheblichen Betäubungsmittelstraftat ohne weiteres zu bejahen. Daneben müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass auch künftig eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, a.a.O.). Diese vom Bundesverwaltungsgericht zu § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG entwickelten Grundsätze entsprechen im übrigen in vollem Umfang der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 im Verfahren <Nazli> (a.a.O.), wonach die Gefahr weiterer schwerer Straftaten gegeben sein und diese Wiederholungsgefahr konkret sein muss. Auch eine diesen Anforderungen entsprechende Wiederholungsgefahr ist im Fall des Klägers, bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt, zu bejahen.

Es kann offen bleiben, ob die Annahme in der angegriffenen Verfügung zutrifft (S. 3), an die anzustellende Wiederholungsprognose seien angesichts des gefährdeten Schutzgutes keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) und des EuGH (a.a.O.) könnten immerhin die Interpretation zulassen, dass im Anwendungsbereich der besonderen Ausweisungsschutzvorschriften nach § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG oder nach europa- bzw. assoziationsrechtlichen Vorgaben keine Abstriche vom allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstab (konkrete Anhaltspunkte für das ernsthafte Drohen neuer Verfehlungen bzw. konkrete Wiederholungsgefahr weiterer Straftaten) zu machen sind und dass eine Modifizierung nach allgemeinen polizeirechtlichen Regelungen (die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr kann umso geringer sein, je höher der zu befürchtende Schaden ist), möglicherweise nur dort in Betracht kommt, wo die Wiederholungsgefahr ein Abwägungskriterium im Rahmen einer Ermessensausweisung nach den §§ 45, 46 AuslG darstellt (in diesem Sinne wird der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab in der Kommentar-Literatur auch überwiegend zu § 45 AuslG erörtert, vgl. GK-AuslR II-§45 Rz 389 und hierauf lediglich verweisend in § 48 Rz 64 a.E.; differenzierend Hailbronner, AuslR, § 48 Rz 28, 30 und 32; ebenso Jakober/Welte, Aktuelles AuslR, § 48 Rz 14). Der Senat lässt die Frage jedoch offen. Denn vom Kläger ging im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung eine den allgemeinen Anforderungen entsprechende konkrete Wiederholungsgefahr tatsächlich aus.

Konkrete Anhaltspunkte für die ernsthafte vom Kläger ausgehende Gefahr künftiger Straftaten ergeben sich - auch in der Rückschau (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.5.2001 u. v. 27.6.1997, a.a.O.) - aus den Angaben des Klägers selbst. Der Kläger räumte während des Strafverfahrens ein, schon in der Zeit vor der abgeurteilten Tat Heroin konsumiert und dieses "5-grammweise" von seinem Lieferanten bezogen zu haben. Auch das Landgericht Ulm ging deshalb im Rahmen der Strafzumessung von einer "gewissen eigenen Heroinsucht" beim Kläger aus. Damit bestanden erhebliche Anhaltspunkte für eine beim Kläger bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit, die ohne grundlegende Veränderung der Haltung des Klägers und seiner Lebensumstände bzw. einer angeleiteten Therapie im maßgeblichen Zeitpunkt die Gefahr auch künftiger hierauf fußender Straftaten beinhaltete. Das weitere Vorbringen des Klägers nach Erlass der angegriffenen Verfügung entkräftet diese Einschätzung nicht - im Gegenteil. Sein pauschales Bestreiten eigener Betäubungsmittelabhängigkeit im Rahmen des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist angesichts des hohen Suchtpotentials der Droge Heroin und der vom Kläger angegebenen Mengen vorangegangenen Eigenerwerbs ("5-grammweise") unglaubhaft und wurde vom Kläger auch nicht durch weitere Nachweise belegt. Aber auch seine Angabe, zum Drogenkonsum und der Drogenstraftat sei es aufgrund schwerer persönlicher Konflikte gekommen, entlastet ihn insoweit nicht. Es war, worauf das Verwaltungsgericht bereits im vorangegangenen Eilverfahren hingewiesen hat, damals noch kein berücksichtigungsfähiger Wandel in der Haltung und den Lebensumständen des Klägers erkennbar. Eigene ernsthafte und nachhaltige Bemühungen, der Neigung, Konflikten mit Drogenstraftaten zu begegnen, künftig entgegenzutreten, wurden vom Kläger nicht vorgetragen und sind, bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt, auch nicht erkennbar. Es konnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zukünftig von - potenziell suchtauslösenden - persönlichen Konflikten freigestellt sein würde. Der Kläger beschränkte sich auch insoweit auf das Vorbringen, die Konflikte mit seiner Ehefrau seien gelöst. Angesichts der vorangegangenen Vorkommnisse genügt dieser Umstand keineswegs, die zutage getretenen Handlungs- und Verhaltensmuster als hinfällig zu betrachten. Gerade wegen der im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht einmal begonnenen Bewältigung der Suchtproblematik musste von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer von März 2000 bestätigt, in der Rückschau, diese Einschätzung nachdrücklich. Wird dort davon ausgegangen, der Kläger wolle sich nun einer Drogentherapie unterziehen, belegt dies, dass er im entscheidungserheblichen Zeitpunkt August 1999 auch nach eigenem Bekunden drogenabhängig war. Zum Motiv dieser Therapie führt der Beschluss aus, der Kläger wolle sie durchführen, damit er in Zukunft bei psychischem Druck nicht wieder zu Drogen greife. Das lässt den Rückschluss zu, dass diese Gefahr erst Recht im August 1999 - auch aus Sicht des Klägers - bestand.

Die somit vom Kläger ausgehende konkrete Wiederholungsgefahr bezog sich schließlich auch auf eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. schwere Straftaten. Das zu befürchtende "Betätigungsfeld" des Klägers war - ausgehend von der eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit - der Drogenbereich. Dem Kläger war, worauf auch das Landgericht Ulm im Strafurteil hingewiesen hat, die "Drogenszene" bereits vor dem auf das Ansinnen einer Vertrauensperson der Polizei in Gang gekommenen Geschäft schon bekannt. Er wurde keineswegs als völlig Unbeteiligter durch einen polizeilichen "Lockspitzel" in ihm wesensfremde Betäubungsmittelstraftaten verwickelt, sondern er nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit für ein Drogengeschäft. Indem der Kläger - wenn auch angesprochen durch Polizeibeamte - als Drogenkonsument, auch zur finanziellen Unterstützung seiner Abhängigkeit, über den strafbaren Erwerb hinaus in den Drogenhandel einstieg, realisierte sich ein schon in der Vergangenheit vorhandenes erhebliches Gefahrenpotential. Angesichts der Suchtwirkungen gerade von Heroin und der von einem Abhängigen aufzubringenden erheblichen Geldmittel musste mit einem solchen Verhalten auch weiterhin ernsthaft gerechnet werden, solange eine vorhandene Betäubungsmittelabhängigkeit nicht durch eine Therapie wirksam und dauerhaft überwunden ist. Die Teilnahme am illegalen Drogenhandel, auch etwa durch Aufrechterhalten seiner Strukturen im Wege des Straßen-Kleinverkaufs, stellt regelmäßig - und so auch hier - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10.2.1995 - 1 B 221.94 -, Buchholz 402.24 § 48 AuslG Nr. 5).

Damit war vorliegend der Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG überwunden.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG bewirkt des Weiteren die Herabstufung des verwirklichten Ist-Ausweisungstatbestandes zu einem Regel-Ausweisungstatbestand (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Gründe dafür, dass die Ausländerbehörde von der Regelausweisung absehen durfte, sind hier nicht gegeben. Die vom Ausländergesetz in § 47 Abs. 3 Satz 1 und auch an anderer Stelle verwendeten Worte "in der Regel" beziehen sich auf Regelfälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Den Gegensatz bilden Ausnahmefälle. Letztere sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der voller gesetzlicher Nachprüfung unterliegenden Beurteilung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind die Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung und die sonstigen Verhältnisse der Betroffenen nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigen; ein Ausnahmefall kann ferner gegeben sein, wenn der Ausweisung höherrangiges Recht entgegensteht, sie insbesondere mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 123/97 -, Buchholz 402.24 § 47 AuslG Nr. 15; Beschluss vom 15.1.1997 - 1 B 256/96 -, Buchholz a.a.O. Nr. 12; Beschluss vom 13.11.1995 - 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.7.2001 - 13 S 2326/95 -, VBlBW 2002, 34 = InfAuslR 2002, 72; Beschluss vom 6.5.1997 - 13 S 1997/96 -, InfAuslR 1997, 363 = VBlBW 1997, 434).

Ein atypischer Geschehensablauf im Hinblick auf die begangene Straftat oder eine Atypik im Hinblick auf die Lebensumstände des Klägers liegt nicht vor. In Bezug auf die abgeurteilte Straftat, die Anlass zur verfügten Ausweisung war, ist eine Atypik nicht darin zu sehen, dass sie auf eine Anregung einer polizeilichen Vertrauensperson zurückging. Angesichts der erheblichen Tatbeteiligung des Klägers an dem durchgeführten Drogengeschäft, der Art und Menge des gehandelten Rauschgifts und des Umstandes, dass die verdeckten Ermittler nicht einen gänzlich Unbeteiligten, gar Widerstrebenden, zu einer solchen Straftat verleitet haben, der Kläger vielmehr schon zuvor Kontakte zur Drogenszene hatte, er selbst Heroin konsumierte und somit über ein notwendiges Wissen um Lieferanten und Hintermänner verfügte, sind atypische Umstände insoweit nicht gegeben (vgl. insoweit bereits oben zu § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG; zu den vorgenannten Gesichtspunkten siehe auch BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 01.03.2000 - 2 BvR 2120/99 -, DVBl. 2000, 697 unter ausdrücklicher Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 9.6.1998, EuGRZ 1999, 660).

Eine Atypik ergibt sich auch nicht aus den persönlichen Lebensumständen des Klägers. Der Tatsache seines bereits verfestigten Inlandsaufenthaltes ist durch Anwendung der Ausweisungsschutzvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG bereits Rechnung getragen. Im übrigen unterscheidet sich der Kläger nicht von zahlreichen anderen Angehörigen der sog. zweiten Ausländergeneration, die zwar hier geboren, aufgewachsen und durchaus integriert erscheinen, gleichwohl ein jahrelang bestehendes Einbürgerungsangebot des Landes ihrer Geburt gemäß §§ 85, 86 AuslG in der ab dem 01.07.1993 gültigen Fassung nicht angenommen haben und schließlich mit Rauschgift in Kontakt kommen, betäubungsmittelabhängig und sodann straffällig werden. Auch die weiteren in § 45 Abs. 2 AuslG genannten Gesichtspunkte führen vorliegend nicht zu einem Ausnahmefall. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Verfügung (S. 3 und 4) verwiesen, denen der Senat folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Schließlich führt auch höherrangiges Recht, insbesondere verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, nicht zu einem Abweichen vom Regelfall. Soweit sich der Kläger auf Art 6 Abs. 1 GG beruft, der mit Blick auf die im maßgeblichen Zeitpunkt noch bestehende Ehe einschlägig sein könnte, verweist der Senat ebenfalls auf die angegriffene Verfügung (a.a.O.). Die Ehefrau des Klägers ist türkische Staatsangehörige und selbst erst im Jahre 1996 ins Bundesgebiet zugezogen. Eine Rückkehr in die Türkei zusammen mit ihrem Ehemann wäre ihr ohne weiteres zumutbar (gewesen).

Die angegriffene Ausweisungsentscheidung verstößt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei. Die daraus resultierenden Schutzwirkungen - gleichviel ob der Kläger (nur) Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 (vgl. oben) erfüllt oder auch Art. 7 Satz 1 oder gar Art. 6 - stehen, wie bereits dargelegt, ihrerseits unter dem Vorbehalt des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.02.2000, <Nazli>, a.a.O.) kann danach eine Ausweisung erfolgen, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen konkreten Anlass zu der Annahme gibt, dass er weitere schwere Straftaten begehen wird, die die öffentliche Ordnung im Aufnahmemitgliedstaat stören und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Gerade dies ist vorliegend aber gegeben (vgl. oben).

Aus denselben Gründen verstößt die Ausweisung des Klägers auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens - ENA -. Dessen Schutz geht grundsätzlich nicht weiter, als der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG (BVerwG, Urteil v. 11.06.1996 a.a.O.), der im Falle des Klägers aber überwunden ist (vgl. oben).

Die Ausweisungsverfügung verletzt auch nicht die Rechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Der Kläger ist seinem Heimatland keineswegs weitgehend entfremdet. Er hat im Jahre 1996 in der Türkei eine dort lebende türkische Staatsangehörige geheiratet und diese im Wege des Familiennachzuges anschließend mit nach Deutschland zu den Eltern genommen. Dass in diesem Familienverband nicht auch türkisch gesprochen worden ist, kann nicht angenommen werden. Ferner dürfte der Kläger hierdurch auch noch ausreichend mit türkischen Gepflogenheiten vertraut sein. Er ist damit noch nicht zu einem "faktischen Inländer" geworden, wobei auch insoweit zu berücksichtigen ist, dass er jedenfalls jahrelang ein durch die Behörden nicht einschränkbares Recht auf Einbürgerung (vgl. oben) nicht in Anspruch genommen hat. Diese auf den maßgeblichen Zeitpunkt bezogene Einschätzung wird ebenfalls durch nachträgliche Ereignisse bestätigt. Der Kläger hat nach seiner im Sommer 2000 erfolgten Abschiebung inzwischen in der Türkei Wehrdienst abgeleistet und - mit Ausnahme der Stationierungszeit im Kosovo - dort gelebt. Unverhältnismäßige Belastungen hat er nicht vorgetragen. Angesichts der von ihm im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ausgehenden Wiederholungsgefahr bezüglich weiterer schwerer Straftaten (vgl. oben) ist der Eingriff in seine Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK verhältnismäßig nach Abs. 2 der Vorschrift. Auch dieser Gesichtspunkt vermag daher nicht zur Annahme eines atypischen Ausnahmefalles zu führen.

Zuletzt steht auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie Nr. 64/221 des Rates der EWG vom 25.4.1964 der Ausweisung nicht entgegen. Der Kläger wirft mit seinem entsprechenden Vorbringen die Frage auf, ob seine durch das Regierungspräsidium Tübingen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Ausweisung einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG darstellt, weil § 6 a bwAGVwGO im Falle einer durch ein Regierungspräsidium getroffenen Entscheidung ein Widerspruchsverfahren, in dem auch die Zweckmäßigkeit der Verfügung überprüft wird (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ausschließt und deshalb vor Erlass der Ausweisungsverfügung gemäß der genannten Vorschrift die Stellungnahme einer unabhängigen Stelle einzuholen gewesen wäre. Eine solche Rechtsauffassung wurde im Falle von Staatsangehörigen der Europäischen Union in jüngster Zeit in Rechtsprechung (VG Stuttgart, Vorlagebeschluss vom 20.11.2001 - 6 K 1307/01 -, InfAuslR 2002, 66) und Literatur (Funke-Kaiser, GK-AuslR II § 2 Rz 166 f.; Gutmann, InfAuslR 2000, 361, 370) vertreten. Unabhängig von der Frage, ob diese Rechtsansicht zutrifft, kann sich der Kläger schon deswegen nicht auf Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG berufen, weil er nicht Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 64/221/EWG). Der Kläger kann auch nicht eine entsprechende Anwendung unter Hinweis darauf für sich in Anspruch nehmen, dass er dem Schutzbereich des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 unterfällt (vgl. oben.) Wie der EuGH (Urt. v. 10.02.2000 <Nazli> a.a.O. unter Nr. 54 und 55) entschieden hat, sollen die im Rahmen der Art. 48 - 50 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 39 - 41 EG) geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die in ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden. Daraus wird in der (deutschen) Rechtsprechung zutreffend gefolgert, dass die von ARB 1/80 begünstigten türkischen Staatsangehörigen im Falle einer Ausweisung denselben materiell-rechtlichen Schranken unterfallen, wie sie für Gemeinschaftsangehörige bestehen (vgl. etwa OVG Münster, Urteil v. 13.06.2001 a.a.O.). Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zählt aber als reine Verfahrensvorschrift nicht hierzu. Die Vorschrift gilt daher weiterhin allein für Unionsbürger und kann schon - unabhängig von ihrer Tragweite - der Ausweisung des Klägers nicht entgegenstehen. Im übrigen ist nicht erkennbar, dass sich für den vorliegenden Fall eine Änderung ergäbe, wenn das durch § 6 a bwAGVwGO abgeschaffte Widerspruchsverfahren noch existierte. Da ein Fall der Regelausweisung gegeben ist (vgl. oben), hätte auch eine Widerspruchsbehörde hier nur geprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind. Eine "Zweckmäßigkeits-Prüfung" wäre im Widerspruchsverfahren hier ohnehin nicht erfolgt.

Ist somit die Ausweisungsverfügung des Beklagten nicht zu beanstanden, gilt dasselbe auch für die erlassene Abschiebungsandrohung. Auch diese ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Klagabweisung im Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgte zu Recht, unabhängig davon, ob die dort gegebene Begründung, die Klage sei insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnisses nach erfolgter Abschiebung unzulässig, zutrifft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.

Beschluss

vom 15. Mai 2002

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 25 Abs. 2 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1 sowie § 13 Abs. 1 S. 2 GKG auf 4.000,- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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