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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 20.02.2001
Aktenzeichen: 11 S 2836/00
Rechtsgebiete: AuslG
Vorschriften:
AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 2 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Ausweisung
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Peter und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und Albers
am 20. Februar 2001
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 9. November 2000 - 9 K 2691/99 - wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen, mit dem das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers als rechtswidrig aufgehoben hat, die vom Regierungspräsidium Freiburg unter dem 25.11.1999 im Weg der Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verfügt worden ist. Der Beklagte beanstandet die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach bei dem Kläger kein Regelfall im Sinn von § 47 Abs. 2 AuslG vorliegt. Der Senat hat jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung.
Der Kläger - ein im Januar 1979 geborener lediger rumänischer Staatsangehöriger, der seit 1991 in der Bundesrepublik Deutschland lebte und zuletzt eine bis 19.1.2001 befristete Aufenthaltserlaubnis erhielt - ist wegen eines Betäubungsmitteldelikts ausgewiesen worden, welches gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in der Regel die Ausweisung nach sich zieht. Das Amtsgericht Offenburg - Jugendschöffengericht - verurteilte ihn am 23.9.1999 wegen Beihilfe zum verbotenen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einem Jugendarrest von vier Wochen, wobei es nach § 52 JGG aussprach, dass im Hinblick auf die erlittene (zweiwöchige) Untersuchungshaft von der Vollstreckung des Arrestes abgesehen wird. Nach den Feststellungen des Strafurteils hatte der Kläger am 28.4.1999 einen Freund nach Frankfurt a.M. gefahren, wo dieser, wie der Kläger wusste, Haschisch erwerben wollte; der mit Haschisch handelnde Freund hatte sich bei der Unternehmung - ohne Beisein des Klägers - Haschisch im Gesamtnettogewicht von 978 g beschafft. In dem Strafurteil heißt es: Der Kläger, der zum ersten Mal vor Gericht stehe, sei für seinen Chauffeurdienst nicht besonders belohnt worden, er habe dies aus Freundschaft und Langeweile getan. Aus seiner Beihilfehandlung gingen keine erheblichen schädlichen Neigungen hervor, auch verlange die Schwere der Schuld nicht die Verhängung einer Jugendstrafe.
Regelfälle im Sinn von § 47 Abs. 2 AuslG sind Fälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind demgegenüber durch atypische Merkmale gekennzeichnet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen. Ob ein Ausnahmefall gegeben ist, der in Abweichung von der gesetzlichen Regel der Ausweisung ein Ausweisungsermessen eröffnet, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Bei der Prüfung sind - unter Berücksichtigung der allgemeinen spezial- und generalpräventiven Überlegungen, auf denen der gesetzliche Tatbestand beruht - die Umstände einer Straftat einschließlich einer strafgerichtlichen Verurteilung und die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen in den Blick zu nehmen, wozu auch die anlässlich einer Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 AuslG in Rechnung zu stellenden Gesichtspunkte gehören (s. zum Ganzen die ständige Rechtsprechung). Es kommt darauf an, ob der Sachverhalt erheblich von der im Gesetz vorausgesetzten Normalsituation abweicht und es deshalb nach den einschlägigen normativen Wertungskriterien, zumal nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, angezeigt ist, dass über eine Ausweisung nur aufgrund einer Abwägung aller Belange im Rahmen einer einzelfallbezogenen Ermessensausübung entschieden wird (vgl. etwa Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, § 47 AuslG RdNr. 15; GK-AuslR, § 47 AuslG RdNr. 87 mit Hinweis auf die Amtliche Begründung zum Ausländergesetz, BT-Drs. 11/6321 S. 73).
Das Verwaltungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat der Sache nach im Wesentlichen ausgeführt, das Betäubungsmitteldelikt des - ansonsten unbescholtenen - Klägers, der weder an der Anbahnung noch an der Durchführung des Drogengeschäfts beteiligt gewesen sei, entspreche nach seinem Gewicht nicht dem in § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG als Regelfall ins Auge gefassten Bild kriminellen Handelns. Es ist von daher zu der Beurteilung gelangt, der vorliegende Sachverhalt weiche insgesamt so erheblich von der in § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG vorausgesetzten Normalsituation ab, dass ein Ausnahmefall anzunehmen sei. Es hat dabei vor allem auf das Gewicht des Betäubungsmitteldelikts des Klägers, die Erwägungen des Jugendschöffengerichts hinsichtlich der strafgerichtlichen Ahndung und die sonstige Unbescholtenheit des Klägers abgestellt. Seine Beurteilung liegt auch nach Auffassung des Senats nahe. Sie wird in tatsächlicher Hinsicht durch das Vorbringen des Beklagten nicht entkräftet. Gleiches gilt für die rechtliche Einordnung.
Der Beklagte wendet ein, § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sehe im Interesse wirksamer Bekämpfung der Drogenkriminalität die Regelausweisung vor, deshalb erfasse der Tatbestand, der keine Bestrafung voraussetze, auch Beihilfehandlungen, Delikte mit "weichen" Drogen sowie Delikte ohne Gewinnstreben. Indessen betrifft das die nach dem Tatbestand vom Gesetzgeber abstrakt-generell grundsätzlich für geboten erachtete Ausweisung, wobei das Gesetz - gleichsam zur Korrektur - gerade eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Regel der Ausweisung zulässt. Das Verwaltungsgericht hat im Sinn einer ausländerrechtlichen Wertung als bloßer "Jugendverfehlung" erwähnt, dass nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG die Verhängung eines Zuchtmittels nach dem Jugendgerichtsgesetz einer Einbürgerung nicht entgegensteht. Es hat dabei nicht etwa, wie der Beklagte wohl meint, angenommen, der Kläger habe einen Einbürgerungsanspruch. Es hat - ohne Rechtsverstoß - in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG lediglich ergänzend ein "weiteres Indiz" für die Einschätzung erblickt, das Betäubungsmitteldelikt des Klägers weiche nach seinem Gewicht von dem in § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG als Regelfall ins Auge gefassten Bild kriminellen Handelns erheblich ab. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht herausgestellt, der Kläger sei zur Tatzeit Heranwachsender gewesen. Dabei kann entgegen der Ansicht des Beklagten nicht deshalb von einer unzulässigen Umgehung des § 48 Abs. 2 Satz 2 AuslG gesprochen werden, weil der Kläger keinen besonderen Ausweisungsschutz nach dieser Vorschrift genießt. Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht hervorgehoben, der Kläger habe sich ansonsten nichts zuschulden kommen lassen. Der Beklagte zeigt nicht auf, inwiefern der vorliegende Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention - im Unterschied zu der vom Beklagten sinngemäß beanstandeten Annahme des Verwaltungsgerichts, nach der es beim Kläger an jeglichen Anhaltspunkten für eine Wiederholungsgefahr fehlt - als Regelfall einzustufen sein soll. Eine solche Einstufung unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention erscheint als unangemessene Härte.
Der Beklagte lässt insgesamt unbeachtet, dass die Annahme eines Ausnahmefalls prinzipiell nur die - hier in Rede stehende - Regelausweisung auf der Grundlage des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ausschließt. Bei Vorliegen eines Ausnahmefalls kann eine Ausweisung im Weg der Ermessensentscheidung in Betracht kommen, wobei eine einzelfallbezogene Ermessensausübung geboten ist. Das Verwaltungsgericht hat das angeführt und betont, das Regierungspräsidium habe in der angefochtenen Verfügung jedoch auch nicht hilfsweise Ermessenserwägungen angestellt.
Die Berufung ist ferner nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, "ob die ...§§ 85 ff AuslG auf die Rechtsfolgewirkungen der Vorschriften der §§ 45 ff AuslG angewandt werden können", verleiht dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung. Ein Klärungsbedarf für ein Verfahren der Grundsatzberufung ist hinsichtlich einer derartigen Fragestellung nicht zu erkennen. Der Beklagte äußert unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 - (NVwZ 1997, 1119), es verbiete sich grundsätzlich, die für eine bestimmte Problemlage in einem Abschnitt des Ausländergesetzes getroffene Regelung ganz oder teilweise auf Regelungen eines anderen Abschnitts zu übertragen. Soweit das Verwaltungsgericht die Bestimmung des § 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG im Rahmen der Einschätzung des Gewichts des Betäubungsmitteldelikts des Klägers als Ausdruck einer ausländerrechtlichen Wertung erwähnt hat, handelt es sich nicht um eine solche Übertragung einer gesetzlichen Regelung. Zudem ist die ergänzende Bezugnahme auf diese ausländerrechtliche Wertung nicht entscheidungstragend.
Über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung eines Rechtsanwalts braucht nicht entschieden zu werden, weil der Kläger im Zulassungsverfahren obsiegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts des Zulassungsverfahrens beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG und § 14 Abs. 3 und 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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