Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: 11 S 2916/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 130 Abs. 2
VwGO § 166
VwGO § 173
ZPO § 118 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 118 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 571 Abs. 2
Im Prozesskostenhilfeverfahren sind Erklärungen und Unterlagen des Antragstellers vom Gericht des ersten Rechtszugs auch dann zu berücksichtigen, wenn diese zwar nicht innerhalb der vom Gericht hierfür gesetzten Frist, jedoch noch vor einer Abhilfeentscheidung über die Beschwerde gegen einen zunächst auf das Fehlen der Unterlagen gestützten ablehnenden Beschluss vorgelegt werden.

Lässt das Ausgangsgericht die nachgereichten Unterlagen und Erklärungen bei seiner Abhilfeentscheidung unberücksichtigt, kann das Beschwerdegericht den ablehnenden Beschluss des Ausgangsgerichts auf Antrag des Antragstellers aufheben und die Sache an das Ausgangsgericht zur erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zurückverweisen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 2916/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebung

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 23. Januar 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. November 2007 - 3 K 1690/07 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Anträge der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts an das Verwaltungsgericht Freiburg zurückverwiesen.

Gründe:

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaften und auch sonst zulässig erhobenen Beschwerden der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23.11.2007, mit welchem ihre Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Bevollmächtigten abgelehnt worden sind, hat - nach entsprechenden Anträgen der Kläger auf ein solches Vorgehen - in der Sache dergestalt Erfolg, dass dieser Beschluss entsprechend § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgehoben wird und die Prozesskostenhilfegesuche der Kläger an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden.

Das Verwaltungsgericht durfte die Entscheidung über die Prozesskostenhilfegesuche der Kläger nicht treffen, ohne sich inhaltlich mit der Frage der Erfolgsaussichten ihrer Rechtsverfolgung auseinander zu setzen und damit über diese Gesuche in der Sache zu entscheiden (zur Zurückverweisung in diesen Fällen vgl. allgemein VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.07.2003 - 7 S 536/03 -, VBlBW 2004, 36 und vom 26.03.1979 - VII 3206/778 -, ferner OVG Hamburg, Beschluss vom 13.12.1989 - Bs IV 606/89 -, juris, und OVG Saarland, Beschluss vom 28.09.2007 - 1 D 399/07 -, juris und vom 28.06.1996, NVwZ-RR 1997, 391; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 150 Rn 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 572 Rn. 23) .

Zwar hat das Verwaltungsgericht die Prozesskostenhilfeanträge der Kläger am 21.11.2007 zunächst zu Recht nach § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO mit der Begründung abgelehnt, diese hätten trotz einer entsprechenden - dem Kläger-Bevollmächtigten ordnungsgemäß zugestellten - Aufforderung durch das Gericht innerhalb der gesetzten Frist nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO notwendige Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben und somit ihre Hilfsbedürftigkeit insgesamt nicht glaubhaft gemacht. Allerdings haben die Kläger dem Verwaltungsgericht die notwendigen Erklärungen und Belege am 10.12.2007 mit der Einlegung ihrer Beschwerde vorgelegt und damit auch in der Sache glaubhaft gemacht, dass sie nach ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Insbesondere ist es den in Mazedonien ansässigen und einkommenslosen Klägern nach § 90 Abs. 2 Nr. 4 und 8 SGB XII nicht im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO zumutbar, das ihnen verbliebene Vermögen einzusetzen. Denn dieses Vermögen besteht nach ihrem glaubhaften Vortrag nur aus einem von ihnen selbst bewohnten Haus und dem Hausrat, der zur Zeit überdies zum Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts sukzessive verkauft wird.

Die Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Abhilfeentscheidung über die eingelegte Beschwerde zu berücksichtigen. Denn bei der richterlichen Frist nach § 118 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO zur Glaubhaftmachung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist; vielmehr sind ein nach Ablauf der Frist eingehendes, nachgeholtes Vorbringen und nachgereichte Belege im Rahmen der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich zu berücksichtigen (Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 166 Rn. 200; Zöller/Philippi, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl. 2005, § 118 Rn. 17). Dies ergibt sich schon daraus, dass die nachgereichten Erklärungen und Belege regelmäßig auch einen erneut zu stellenden Prozesskostenhilfeantrag stützen könnten (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003, a.a.O., m.w.N.; Kalthoener/ Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl. 2003, Rn. 509; Zöller/Philippi, a.a.O., § 127 Rn. 48 ff.; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, a.a.O., § 127 Rn. 102) und sich deshalb die Berufung auf den Ablauf der nach § 118 Abs. 2 Satz 4 gesetzten Frist als eine überflüssige Förmelei darstellen würde (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 118 Rn. 42). Dabei steht der Berücksichtigung auch nicht entgegen, dass die Kläger die ausstehenden Unterlagen und Erklärungen erst vorgelegt haben, nachdem das Verwaltungsgericht bereits eine auf § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO gestützte Ablehnungsentscheidung getroffen hatte. Zwar wird in der Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO als eine gegenüber § 173 VwGO i.V.m. § 571 Abs. 2 ZPO speziellere Regelung die Berücksichtigung von erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen und Erklärungen durch das Beschwerdegericht ausschließt, weil es sinnwidrig wäre, dem Ausgangsgericht die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist zwingend vorzuschreiben und gleichzeitig das Beschwerdegericht zu verpflichten, die später eingereichten Erklärungen und Belege zu berücksichtigen (BAG, Beschluss vom 03.12.2003 - 2 AZB 19/03 -, MDR 2004, 415; LAG Hamm, Beschluss vom 04.08.2005 - 4 Ta 434/05 -, juris; LAG Nürnberg, Beschluss vom 15.04.2003 - 6 Ta 134/02 -, AR ES 1290 Nr. 34; kritisch hierzu Schneider, MDR 1989, 965). Allerdings trifft die für diese Auffassung maßgebliche Erwägung, dass anderenfalls das Beschwerdegericht zu einer inhaltlichen Prüfung eines Prozesskostenhilfegesuchs gezwungen würde, ohne dass sich das Ausgangsgericht mit der Sache selbst befassen konnte, in dem - hier gegebenen - Fall der Nachreichung der Unterlagen und Erklärungen noch vor einer Entscheidung des Ausgangsgerichts nach § 148 Abs. 1 VwGO über eine Abhilfe der Beschwerde nicht zu. Denn bis zu der Entscheidung über die Nichtabhilfe und die Vorlage der Angelegenheit an das Beschwerdegericht ist eine Zuständigkeit des Beschwerdegerichts nicht begründet (J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 148 Rn. 2). Auch entspricht es gerade dem Sinn des Abhilfeverfahrens, über eine Selbstkontrolle und die Berücksichtigung auch neuer Tatsachen und Beweismittel nach § 173 VwGO i.V.m. § 571 Abs. 2 ZPO für eine Verkürzung der Verfahren und eine Entlastung des Beschwerdegerichts zu sorgen und gleichzeitig bei zunächst fehlender Sachentscheidung des Ausgangsgerichts dem Beschwerdeführer die Instanz zu erhalten (vgl. J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O.; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 148 Rn. 1 jeweils m.w.N.).

Eine Kostenentscheidung unterbleibt, da die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wurde (J. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, a.a.O., § 130 Rn. 12).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück