Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 30.03.2009
Aktenzeichen: 11 S 3249/08
Rechtsgebiete: ARB 1/80, ArGV, AufenthG, VwGO


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 10 Abs. 1
ArGV § 8 Abs. 1 Nr. 1
ArGV § 5
AufenthG § 4 Abs. 5
AufenthG § 105 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 7 Satz 2
Zur Ablehnung eines Abänderungsantrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO im Falle eines nach erfolglosem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in die Türkei ausgereisten türkischen Staatsangehörigen, der unter Berufung auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 26. Oktober 2006, Rs. C-4/05 - Güzeli - (Slg 2006, I-10279) und vom 14. Dezember 2006, Rs. C-97/05 - Gattoussi - (Slg. 2006, I-11917) sowie das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. Juli 2008 - 13 S 708/08 - (VBlBW 2009, 112) veränderte Umstände und ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 i. V. m. einer ihm vor dem 01.01.2005 erteilten unbefristeten Arbeitsberechtigung geltend macht.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 3249/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz, Abänderungsverfahren

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 30. März 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.

Der Streitwert des Abänderungsverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste nach Eheschließung mit einer Deutschen am 22.09.2002 mit einem Visum in das Bundesgebiet ein. Vor Ablauf des Visums erteilte ihm das Landratsamt Heilbronn zur Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft eine bis zum 16.12.2003 befristete Aufenthaltserlaubnis, deren Geltungsdauer später bis zum 02.10.2005 verlängert wurde. Am 03.01.2003 erteilte das Arbeitsamt Heilbronn dem Antragsteller eine unbefristete Arbeitsberechtigung für eine berufliche Tätigkeit jeder Art. Der Antragsteller war danach vom 05.05.2003 bis zum 28.07.2004 bei der Firma D., ab August 2004 bis Ende März 2005 bei der Firma Ö. und ab April 2005 bei der Firma R. beschäftigt.

Am 01.10.2005 beantragte der Antragsteller die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit. Er und seine Ehefrau hätten sich im Dezember 2003 getrennt. Die Ehe sei seit dem 20.04.2004 geschieden. Er wolle seine Beschäftigung bei der Firma R. fortsetzen, bei der er nach wie vor einen Arbeitsplatz habe. Mit Verfügung vom 14.02.2006, dem Antragsteller zugestellt am 17.02.2006, lehnte das Landratsamt Heilbronn den Antrag ab und drohte dem Antragsteller die Abschiebung in die Türkei an. Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht Stuttgart, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Zur Begründung berief er sich auf einen Anspruch aus § 4 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 erster und dritter Spiegelstrich ARB 1/80. Er sei weiterhin bei der Firma R. beschäftigt. Seine Beschäftigungszeit bei der Firma Ö. müsse auf die Beschäftigungszeit bei der Firma R. angerechnet werden. Denn die Firma R. habe den Betriebsteil der Firma Ö., in dem er zuvor beschäftigt gewesen sei, übernommen. Mit Beschluss vom 31.05.2006 - 4 K 1726/06 - lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Die Beschwerde des Antragstellers wies der erkennende Gerichtshof mit Beschluss vom 20.07.2006 - 1 S 1461/06 - zurück. Nachdem das Landratsamt ihm anschließend die Abschiebung ankündigt hatte, reiste der Antragsteller am 09.10.2006 in die Türkei aus, wo er sich seither aufhält.

Am 18.05.2007 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Stuttgart Untätigkeitsklage erhoben, mit der er beantragt hat, die Verfügung des Landratsamts vom 14.02.2006 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, hilfsweise festzustellen, das die Ablehnung dieses Antrags rechtswidrig war und ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustand. Die zwischenzeitlich erfolgte Kündigung durch die Firma R. wegen Fernbleibens sei "Ergebnis der Abschiebung" und könne deshalb die streitige Verfügung nicht legitimieren. Zum Beweis für den behaupteten Teil-Betriebsübergang berufe er sich auf das Zeugnis der mit übernommenen Arbeitnehmer M.D. und A.K. sowie seines schon zuvor bei der Firma R. beschäftigten Bruders E.G.. Die Ablehnung des Verlängerungsantrags verstoße zudem gegen Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80, weil sie ihn bei der Ausübung seines Beschäftigungsrechts aus der unbefristeten und unbeschränkten Arbeitsberechtigung diskriminiere. Das folge aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 26.10.2006, Rs. C-4/05 - Güzeli - und vom 14.12.2006, Rs. C-97/05 - Gattoussi -. Das Verwaltungsgericht hat den kaufmännischen Leiter und Prokuristen der Firma R. als Zeugen vernommen und anschließend die Klage durch Urteil vom 31.01.2008 abgewiesen. Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen, am 18.02.2008 eingelegten und begründeten Berufung (11 S 562/08) verfolgt der Antragsteller sein Klagebegehren weiter. Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 verweist er noch auf das in einem ähnlich gelagerten Fall stattgebende Urteil des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 10.07.2008 - 13 S 708/08 -.

Am 15.12.2008 hat der Antragsteller beantragt,

"den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.5.2006 - 4 K 1726/06 - abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen."

Zur Begründung legt er dar: Die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zur aufenthaltsrechtlichen Bedeutung der Arbeitsberechtigung türkischer Arbeitnehmer stelle eine neue Tatsache dar, die es gebiete, ihm erneut den Inlandsaufenthalt zu erlauben. Er bitte um sachdienliche Auslegung des Antrags.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält den Antrag, der eindeutig als Abänderungsantrag i. S. des § 80 Abs. 7 VwGO zu verstehen und keiner anderweitigen Auslegung zugänglich sei, für unstatthaft, weil der Antragsteller freiwillig ausgereist sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Das tatsächliche Rechtsschutzziel des Antragstellers ist ungeachtet der Fassung seines Antrags, an die der Senat nicht gebunden ist (§ 122 Abs. 1 VwGO i. V.m. § 88 VwGO), zu ermitteln. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Beteiligten, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9). Ausgehend davon zielt der vorliegende Antrag ausschließlich auf die Abänderung des im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.5.2006 - 4 K 1726/06 - und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (nicht der Klage, vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.1987 - 1 C 19.95 - BVerwGE 78, 192 <209>) gegen die Verfügung des Landratsamts Heilbronn vom 14.02.2006.

Der Abänderungsantrag ist zwar nach 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO). Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Gegenstand dieses Abänderungsverfahrens ist die Prüfung, ob eine zuvor im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffene gerichtliche Entscheidung über die Bestätigung oder Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise geändert oder aufgehoben werden soll. Dabei geht es nicht um die ursprüngliche Richtigkeit der im vorangegangenen Verfahren getroffenen Entscheidung, sondern allein um die Fortdauer dieser Entscheidung. Das Abänderungsverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren, sondern ein gegenüber dem Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO selbständiges neues Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem eine abweichende Entscheidung zur aufschiebenden Wirkung des Widerspruches oder der Klage nur mit Wirkung für die Zukunft getroffen werden kann (BVerwG, Beschluss vom 29.01.1999 - 11 VR 13/98 - juris; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 06.12.2001 - 13 S 1824/01 - und vom 08.11.1995 - 13 S 494/95 - VBlBW 1996, 98 m. w. N.). Eine Veränderung der Umstände kann auch in einer Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage liegen, die von Einfluss für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes sowie der Interessenabwägung sind (vgl. Kopp, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rn. 197 und Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 388 jeweils m. w. N.).

Der Senat ist als Gericht der Hauptsache zur Entscheidung über den Abänderungsantrag berufen, da das Berufungsverfahren über die Klage gegen die Verfügung des Landratsamts Heilbronn vom 14.02.2006 bei ihm anhängig ist (11 S 562/08). Der Zulässigkeit des Abänderungsantrags steht auch nicht entgegen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage im - hier gegebenen - Falle der Abweisung der Anfechtungsklage im ersten Rechtszug nach § 80 b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels endet und diese Frist zum Zeitpunkt der Stellung des Abänderungsantrags bereits verstrichen war. Denn § 80 b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist nur anwendbar, wenn bei Klageabweisung in erster Instanz die aufschiebende Wirkung bereits bestanden oder die Behörde die Aussetzung der Vollziehung verfügt hat, nicht aber, wenn es - wie hier - darum geht, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs während des Rechtsmittelverfahrens erstmals anzuordnen (vgl. Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 4. Auflage, § 80 b Rn. 7; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 b Rn. 16). Der Senat unterstellt zugunsten des Antragstellers im übrigen, dass der dem Abänderungsantrag zugrunde liegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch in Bezug auf die Ablehnungsentscheidung in der Verfügung des Landratsamts statthaft ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20.11.2007 - 11 S 2364/07 - ESVGH 58, 142), insbesondere dass sie auch insoweit i. S. des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ist, als der von der Behörde abgelehnte Verlängerungsantrag nicht - auch - auf die "Erteilung" eines konstitutiven Aufenthaltstitels, sondern auf "Ausstellung" einer lediglich feststellenden (st. Rspr. vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16.03.2000, Rs. C-329/97 - Ergat - Slg. 2000, I-1487, Rn. 61, 62) Aufenthaltserlaubnis zum Nachweis eines Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG zielt (vgl. zur Anwendung der §§ 81, 84 Abs. 1 AufenthG auch in diesen Fällen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.04.2008 - 18 B 291/08 - InfAuslR 2008, 290; a. A. OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2007 - 4 Bs 241/06 - NVwZ-RR 2008, 60; VG Karlsruhe, Beschluss vom 29.05.2006 - 9 K 2044/05 - juris). Insoweit dürfte entgegen der Ansicht des Antragsgegners ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers auch nach dessen - erzwungener - Ausreise grundsätzlich zu bejahen sein. Ob das auch hinsichtlich der Vollziehbarkeit der durch die Ausreise möglicherweise erledigten Abschiebungsandrohung gilt, die zwar nicht Gegenstand des mit der Berufung angefochtenen Urteils, wohl aber des bislang unbeschiedenen Widerspruchs ist, erscheint zweifelhaft, kann aber letztlich offen bleiben. Denn der Abänderungsantrag hat ungeachtet dessen jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Der Antragsteller macht als veränderten Umstand - nur - "neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zur aufenthaltsrechtlichen Bedeutung der Arbeitsberechtigung türkischer Arbeitnehmer" geltend. Damit bezieht er sich erkennbar auf die von ihm zur Begründung seiner Berufung angeführten Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 26.10.2006, Rs. C-4/05 - Güzeli - (Slg. 2006, I-10279) und vom 14.12.2006, Rs. C-97/05 - Gattoussi - (Slg. 2006, I-11917) sowie das daran anknüpfende Urteil des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 10.07.2008 - 13 S 708/08 - (VBlBW 2009, 112) und seinen Vortrag im Berufungsverfahren, wonach ihm jedenfalls aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ein Recht auf weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit gemäß der Arbeitsberechtigung vom 03.01.2003 zustehe. Zwar handelt es sich dabei um höchstrichterliche und obergerichtliche Entscheidungen zur Klärung umstrittener europarechtlicher Fragen, die erst nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangen sind. Sie gebieten im Fall des Antragstellers aber jedenfalls derzeit keine abweichende Entscheidung zur aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs mit Wirkung für die Zukunft.

Zunächst erscheint die Richtigkeit der Schlussfolgerung des Antragstellers nicht zwingend, aus den genannten Urteilen des EuGH ergebe sich, dass ihm nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ein Recht auf weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit gemäß der Arbeitsberechtigung vom 03.01.2003 zustehe. Der Ausgang des Berufungsverfahrens ist insoweit vielmehr als offen anzusehen.

Im Urteil vom 14.12.2006 in der Rechtssache Gattoussi hat der EuGH Fragen zur Auslegung des Diskriminierungsverbots nach Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Tunesien vom 26.01.1998 beantwortet, die sich bei der Rechtmäßigkeit der nachträglichen Verkürzung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis eines tunesischen Staatsangehörigen stellten, dem vor dem 01.01.2005 eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt worden war und der einer Beschäftigung nachging. Der EuGH hat - anknüpfend an sein Urteil vom 02.03.1999 in der Rechtssache C-416/96 - Nour Eddline El-Yassini (Slg. 1999, I-1209) zum Diskriminierungsverbot nach Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens mit Marokko vom 27.04.1976 - entschieden, Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Tunesien sei dahin auszulegen, dass er Wirkungen auf das Recht eines tunesischen Staatsangehörigen entfaltet, sich im Gebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten, wenn dieser Staatsangehörige vom Aufnahmemitgliedstaat eine ordnungsgemäße Genehmigung erhalten hat, eine Berufstätigkeit für eine die Dauer seiner Aufenthaltserlaubnis übersteigende Zeit auszuüben. Auf solche aufenthaltsrechtlichen Wirkungen beruft sich auch der Antragsteller unter Hinweis auf das - unmittelbar anwendbare (EuGH, Urteil vom 08.05.2003, Rs. C-171/01 - Wählergruppe Gemeinsam - Slg. 2003, I-4301, Rn. 57; Urteil vom 25.07.2008, Rs. C-152/08 - Real Sociedad de Fútbol SAD und Nihat Kahveci - Rn. 29) - vergleichbare Diskriminierungsverbot nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 sowie seine unbefristete Arbeitsberechtigung vom 03.01.2003.

Es ist jedoch fraglich, ob die Schlussfolgerungen, die der EuGH bei der Auslegung der Diskriminierungsverbote nach Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien und nach Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens mit Marokko gezogen hat, ohne Weiteres auf Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 und die Fallgestaltung des Antragstellers übertragen werden können. Dagegen könnte vor allem der Unterschied in der Systematik des Assoziationsratsbeschlusses einerseits und der Abkommen mit Tunesien und Marokko andererseits sprechen. Denn diese Abkommen enthalten keine dem Art. 6 ARB 1/80 entsprechende oder ähnliche Vorschrift, wonach türkische Wanderarbeitnehmer abhängig von der Dauer der Ausübung ordnungsgemäßer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis genau festgelegte Rechte beanspruchen können, die bezwecken, sie allmählich in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats einzugliedern (so ausdrücklich der Schlussantrag des Generalanwalts vom 23.03.2006 in der Rechtssache Güzeli, Rn. 55, mit dem er sich gegen die Anwendung von Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ausspricht). Allerdings hat der EuGH diesen Einwand in seinem Urteil vom 26.10.2006 in der Rechtssache Güzeli ohne nähere Auseinandersetzung übergangen. Er hat im Hinblick auf einen im konkreten Fall in Rede stehenden Arbeitgeberwechsel unter Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche Auflage vielmehr vorrangige - vom vorlegenden VG Aachen nicht gestellte - Fragen zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 2 ARB 1/80 beantwortet (Rn. 18-46). Zu Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 hat er sich - ohne auf Details der auf die deutsche Rechtslage zum Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht zugeschnittenen Vorlagefragen des VG Aachen einzugehen - auf die knappe Aussage beschränkt, Ansprüche nach dieser Bestimmung setzten ebenso wie solche nach Art. 6 ARB 1/80 die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt voraus (Rn. 48) und erst bei Bejahung dieser Voraussetzung stelle sich die Frage, ob sich der Betroffene auf Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 berufen könne (Rn. 51). Sodann hat er nur noch festgestellt, der Kläger des Ausgangsverfahrens berufe sich insoweit auf die in der Rechtssache Nour Eddline El-Yassini als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens mit Marokko bezeichnete Fallgestaltung, dass der Aufnahmemitgliedstaat dem Arbeitnehmer in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen habe (Rn. 52), um abschließend auszuführen, es sei "Sache des vorlegenden Gericht, festzustellen, ob eine solche Fallgestaltung im Ausgangsverfahren vorlag, wobei insbesondere die Verurteilung von Herrn Güzeli wegen Verstoßes gegen die in seiner Aufenthaltserlaubnis enthaltenen Auflagen zu berücksichtigen" sei (Rn. 53). Diese "Zurückverweisung" an das vorlegende Gericht könnte allerdings darauf hindeuten, der EuGH sei damit stillschweigend von der Übertragbarkeit der in der Rechtssache Nour Eddline El-Yassini entwickelten Rechtssätze auf Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ausgegangen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.07.2008, a. a. O.). In Anbetracht der mangelnden Auseinandersetzung mit dem im Schlussantrag zu Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 vorgetragenen systematischen Einwand sowie der Tatsache, dass sich auch die konkreten Antworten des EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache Güzeli nicht auf Art. 10 Abs. 1, sondern nur auf Art. 6 Abs. 1 und 2 ARB 1/80 beziehen, erscheint es aber fraglich, ob die Frage nach der Übertragbarkeit der in den Rechtssachen Nour Eddline El-Yassini und Gattoussi entwickelten Rechtssätze auf Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 vom EuGH bereits hinreichend klar und abschließend entschieden ist.

Ungeachtet dessen bedeutete die Übertragung der zu den Diskriminierungsverboten nach Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien und nach Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens mit Marokko entwickelten Rechtssätze auf Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 aber auch nicht zwangsläufig, dass die Versagung eines weiteren Aufenthaltsrechts für den Antragsteller gegen Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 verstieße. Das wäre nach den Ausführungen unter Rn. 52 und 53 des Urteils in der Rechtssache Güzeli vielmehr nur der Fall, wenn die vom EuGH in der Rechtssache Nour Eddline El-Yassini als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot beschriebene Fallgestaltung vorläge, dass der Aufnahmemitgliedstaat dem Arbeitnehmer in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.1999, a. a. O. Rn. 64). Das ist beim Antragsteller nach der innerstaatlichen Rechtslage aber zweifelhaft. Denn nach deutschem Recht hat eine vor dem 01.01.2005 erteilte unbefristete Arbeitsberechtigung kein von einem befristeten Aufenthaltsrecht unabhängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortsetzung einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts e r l i s c h t die Arbeitsberechtigung vielmehr k r a f t G e s e t z e s gemäß § 288 Abs. 1 Nr. 5 SGB III i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 der - auch nach dem 31.12.2004 fort geltenden - Arbeitsgenehmigungsverordnung vom 17.09.1998 (zuletzt geändert durch Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes vom 21.12.2008, BGBl. I S. 2917) - ArGV -, wenn der Ausländer keine der in § 5 ArGV bezeichneten Voraussetzungen mehr erfüllt, die auf ein vorläufiges Bleiberecht im Bundesgebiet Rücksicht nehmen und dem Ausländer die Fortsetzung seiner Beschäftigung nur bis zur Beendigung des Aufenthalts erlauben sollen (BVerwG, Urteil vom 01.07.2003 - 1 C 18.02 - BVerwGE 118, 249 und Urteil vom 01.07.2003 - 1 C 32.02 - InfAuslR 2004, 54). Danach wäre die Arbeitsberechtigung des Antragstellers bereits vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet erloschen. Nach dem Ablauf der zuletzt bis zum 02.10.2005 verlängerten Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis dürfte das Erlöschen aufgrund des zuvor gestellten Verlängerungsantrags wohl zwar zunächst nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 3 ArGV vorläufig aufgeschoben gewesen sein, sofern dieser Antrag - was der Senat zugunsten des Antragstellers unterstellt (s. o.) - die Fiktion eines fortbestehenden Aufenthaltsrechts nach § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt hat, die an die Stelle der Erlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 AuslG getreten ist, auf die § 5 Nr. 3 ArGV immer noch verweist. Mit Zustellung der vollziehbaren Ablehnungsentscheidung am 17.02.2006 wäre dieser Aufschubgrund jedoch entfallen (vgl. § 84 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Da andere Aufschubgründe i. S. des § 5 ArGV nach Aktenlage ebenfalls nicht mehr erfüllt gewesen sein dürften - wegen der durch den Ablehnungsbescheid begründeten vollziehbaren Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 i. V. m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) lag insbesondere die Voraussetzung nach § 5 Nr. 4 ArGV nicht vor und Anhaltspunkte für den anschließenden Besitz einer Duldung i. S. des § 5 Nr. 5 ArGV gibt es nach Aktenlage nicht - wäre die Arbeitsberechtigung mithin spätestens am 17.02.2006 kraft Gesetzes erloschen. Ungeachtet dessen ergäbe sich aus einem vorläufigen Aufschub ihres automatischen Erlöschens nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 3 bis 6 ArGV aber auch kein "überschießendes" Arbeitsrecht (BVerwG, Urteile vom 01.07.2003, a. a. O.).

Allerdings wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung im Anschluss an das Urteil des EuGH in der Rechtssache Gattoussi die Ansicht vertreten, die Auslegung des nationalen deutschen Arbeitsgenehmigungsrechts nach Maßgabe der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2003 (a. a. O.) lasse die Rechtsprechung des EuGH zu den aufenthaltsrechtlichen Wirkungen deutscher Arbeitserlaubnisse und -genehmigungen "leerlaufen" (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.09.2007 - 13 S 1059/07 - InfAuslR 2008, 3 und Urteil vom 10.07.2008, a. a. O.) bzw. "höhle" die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsverbots nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 "aus" (OVG Hamburg, Urteil vom 29.05.2008 - 4 Bf 232/07 - juris). Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, dass der EuGH es gerade ausdrücklich als "Sache des vorlegenden Gerichts" ansieht, festzustellen, ob der Aufnahmemitgliedstaat dem Betroffenen in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte verliehen hat (vgl. Urteil vom 26.10.2006, a. a. O., Rn. 53; ebenso bereits im Urteil vom 02.03.1999, a. a. O., Rn. 64). Aus dem Urteil in der Rechtssache Gattoussi folgt möglicherweise schon deshalb nichts Anderes, weil der EuGH aufgrund der Vorlageentscheidung des nationalen Gerichts davon ausging, der Betroffene habe aufgrund seiner unbefristeten Arbeitsgenehmigung, die ihm "weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen" habe, unter vergleichbaren Umständen wie in der Rechtssache Nour Eddline El-Yassini darauf vertrauen dürfen, über die Geltungsdauer seiner befristeten Aufenthaltserlaubnis hinaus zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt zu sein (vgl. Rn. 30, 39, 42). Diese Annahme dürfte jedoch - wie dargelegt - gerade nicht der innerstaatlichen deutschen Rechtslage entsprechen. Dementsprechend halten andere Obergerichte auch an der bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2007 - 18 B 722/07 - InfAuslR 2007, 331, BayVGH, Beschlüsse vom 13.02.2008 - 10 ZB 07.3197 - und vom 26.01.2007 - 24 C 06.3378 - juris).

Ungeachtet dessen stellt sich im Hinblick auf einen möglichen Vertrauensschutz im übrigen auch die Frage, wie sich der mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 eingetretene Systemwandel beim Beschäftigungsrecht ausländischer Arbeitnehmer "vertrauensmindernd" auswirkt. Denn die Arbeitsberechtigung galt ab diesem Zeitpunkt aufgrund der Übergangsregelung in § 105 Abs. 2 AufenthG möglicherweise nur noch als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung (vgl. § 39 AufenthG) fort und das Recht des Antragstellers zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit ergab sich ab diesem Zeitpunkt deshalb möglicherweise nur noch aus seiner nach § 101 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG fort geltenden befristeten Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 28 Abs. 5 AufenthG).

Allen diesen Fragen wird der Senat im Berufungsverfahren gegebenenfalls nachzugehen haben. Allerdings wird insoweit möglicherweise zunächst die noch für dieses Jahr angekündigte Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Urteil des OVG Hamburg vom 29.05.2008 (a. a. O.) im Verfahren 1 C 16.08 abzuwarten sein (vgl. http://bverwg.de: "Presseinformation" - "Wichtige Verfahren im laufenden Jahr").

Bei der danach hinsichtlich eines sich aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ergebenden Aufenthaltsrechts als offen zu bezeichnenden Prozesslage in der Hauptsache ist eine von der Einschätzung der Erfolgsaussicht unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.05.2004 - 1 VR 1/04, 1 VR 1/04 (1 C 35/03) - InfAuslR 2005, 103 m. w. N.). Diese ergibt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles, dass das § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zugrunde liegende öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern durch Fernhaltung des Antragstellers nach Ablehnung seines Verlängerungsantrags sein privates Interesse an einer sofortigen vorläufigen Rückkehr in das Bundesgebiet bis zur Entscheidung der Hauptsache auch weiterhin überwiegt. Die einwanderungspolitischen Nachteile bei einer sofortigen Wiedereinreise des Antragstellers und einer späteren Erfolglosigkeit seiner Berufung, soweit mit ihr ein sich aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht geltend gemacht wird (nur insoweit ist der vorliegende Abänderungsantrag auf veränderte Umstände i. S. des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gestützt), mit der Folge einer erneuten Aufenthaltsbeendigung sowie gegebenenfalls Abschiebung des Antragstellers wiegen schwerer als der Nachteil für den Antragsteller, nicht sofort, sondern erst nach einem erfolgreichen Abschluss des Berufungsverfahrens wieder in die Bundesrepublik Deutschland zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit aufgrund der Arbeitsberechtigung vom 03.01.2003 einreisen zu dürfen. Entscheidend fällt insoweit zu Lasten des Antragstellers ins Gewicht, dass er nichts dafür substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass er in Deutschland noch über einen konkreten Arbeitsplatz verfügt oder dass ihm ein konkretes Stellenangebot vorliegt, welches ihm die Ausübung des behaupteten Rechts auf Ausübung einer Beschäftigung i. S. des Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ermöglicht. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Antragsteller hält sich zudem bereits über zweieinhalb Jahre in der Türkei auf, ohne dass etwas dafür ersichtlich oder vorgetragen ist, ob er dort einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens nachgehen könnte. Zu den Umständen, unter denen der Antragsteller in der Türkei lebt, ist nichts vorgetragen.

Aus den genannten Gründen sieht der Senat schließlich auch keine Veranlassung zu einer Abänderung von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück