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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 17.07.2001
Aktenzeichen: 11 S 573/01
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 1
Bei einem Ausländer, der wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot wiederholt strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen und dabei zuletzt zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist, begründet der Umstand, dass er sich nicht an gewaltsamen Aktionen der verbotenen Organisation (hier: PKK bzw. ERNK) beteiligt hat, keine Ausnahme von der Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 573/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung und Aufenthaltsbefugnis,

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Peter, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und den Richter am Verwaltungsgericht Mezger

am 17. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 2. Februar 2001 - 9 K 2014/00 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 16.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag, die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, kann keinen Erfolg haben. Denn das Antragsvorbringen stellt nicht entsprechend dem Darlegungserfordernis (vgl. § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO) einen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz oder eine dafür erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392 = NVwZ 2000, 1163).

Der Kläger wendet sich gegen die Verfügung des Beklagten vom 29.8.2000, mit der er ausgewiesen und eine Aufenthaltsbefugnis versagt wurde. Er beanstandet die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach bei ihm aufgrund der Verurteilung zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, ein Regelfall im Sinne von § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG vorliegt. Das Antragsvorbringen führt nicht auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung.

Der Kläger - ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, der 1993 als Asylbewerber nach Deutschland kam und bei dem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 3.7.2000 feststellte, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen - wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 14.10.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafurteils wollte der Kläger in Kenntnis des bestandskräftigen Betätigungsverbots für die PKK bzw. ERNK und trotz seiner erst am 10.12.1997 erfolgten Verurteilung wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gleichwohl im Auftrag der PKK bzw. ERNK weiterhin im Raum R. für sie tätig sein und für sie werben. Aus diesem Grunde übernahm er von einer nicht ermittelten Person 27 Exemplare der Propagandazeitschrift "Serxwebun" der Ausgabe vom Februar 1998, um sie an interessierte Personen zu verkaufen und den Verkaufserlös an die PKK bzw. ERNK abzuführen. Die Zeitschriften wurden am 11.3.1998 anlässlich einer polizeilichen Kontrolle sichergestellt. In Bezug auf die Strafzumessung führte die Strafkammer aus, die Verhängung einer Geldstrafe sei nicht in Betracht gekommen. Der Kläger sei drei Monate vor der Tat wegen Verstoßes gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu der empfindlichen Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden. Weder dieses Urteil noch zwei gegen ihn wegen einschlägiger Vorwürfe geführte Ermittlungsverfahren hätten ihn davon abgehalten, die vorliegende einschlägige Straftat zu begehen. Er habe sich daher als unbelehrbar erwiesen. Auch wenn die festgestellte Tätigkeit für die PKK als nicht gewichtig einzustufen sei, halte die Kammer die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Kläger für unerlässlich. Eine Strafaussetzung zur Bewährung könne nicht gewährt werden, da die ersichtliche Wirkungslosigkeit früherer Verfahren nicht erwarten lasse, dass der Kläger sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lasse.

Regelfälle im Sinn von § 47 Abs. 2 AuslG sind Fälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind demgegenüber durch atypische Merkmale gekennzeichnet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen. Ob ein Ausnahmefall gegeben ist, der in Abweichung von der gesetzlichen Regel der Ausweisung ein Ausweisungsermessen eröffnet, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Bei der Prüfung sind - unter Berücksichtigung der allgemeinen spezial- und generalpräventiven Überlegungen, auf denen der gesetzliche Tatbestand beruht - die Umstände einer Straftat einschließlich einer strafgerichtlichen Verurteilung und die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen in den Blick zu nehmen, wozu auch die anlässlich einer Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 2 AuslG in Rechnung zu stellenden Gesichtspunkte gehören (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.9.1994 - 1 B 90.94 -, 17.10.1995 - 1 B 238.94 -, 27.6.1997 - 1 B 123.97 -, 19.3.1999 - 1 B 20.99 - und 15.7.1999 - 1 B 20/99 -, Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nrn. 5, 8, 15, 17 bzw. 18). Es kommt darauf an, ob der Sachverhalt erheblich von der im Gesetz vorausgesetzten Normalsituation abweicht und es deshalb nach den einschlägigen normativen Wertungskriterien, zumal nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, angezeigt ist, dass über eine Ausweisung nur aufgrund einer Abwägung aller Belange im Rahmen einer einzelfallbezogenen Ermessensausübung entschieden wird (vgl. etwa Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, § 47 AuslG RdNr. 15; GK-AuslR, § 47 AuslG RdNr. 87 mit Hinweis auf die Amtliche Begründung zum Ausländergesetz, BT-Drs. 11/6321 S. 73).

Entgegen dem Antragsvorbringen begründet der Umstand, dass der Kläger nicht aufgrund eines Straftatbestands des Strafgesetzbuches verurteilt wurde, keinen Ausnahmefall im Sinn des § 47 Abs. 2 AuslG. Denn die Regelung des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG knüpft an eine qualifizierte strafgerichtliche Verurteilung an, ohne danach zu differenzieren, welches Rechtsgut durch die Straftat verletzt wurde. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass eine Ausweisung aufgrund einer derartigen Verurteilung typischerweise geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegenzuwirken. Soweit der Kläger einwendet, er habe sich in keinem Fall an gewaltsamen Aktionen der PKK beteiligt, seine Tätigkeit sei "nach außen hin kaum erkennbar" gewesen, ist nicht ersichtlich, inwiefern darin eine Abweichung von der im Gesetz vorausgesetzten Normalsituation liegen soll. Denn Gewaltanwendung und Erkennbarkeit in der Öffentlichkeit gehören nicht zum Typus eines Verstoßes gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot. Das Fehlen solcher Umstände ist daher auch kein atypisches Merkmal des hier in Rede stehenden Falles. Soweit geltend gemacht wird, beim Kläger bestehe in ausländerrechtlicher Hinsicht keine besondere Gefährlichkeit, er sei innerhalb der PKK "lediglich als Zeitungsausträger, keinesfalls in irgendeiner leitenden Funktion" tätig gewesen, kann auch dies keinen Ausnahmefall begründen. Zwar ist die zuletzt festgestellte Tätigkeit für die PKK - isoliert betrachtet - nicht als besonders gewichtig einzustufen. Die Tat gewinnt aber deshalb an Bedeutung, weil der Kläger nach den strafgerichtlichen Feststellungen über einen längeren Zeitraum wiederholt für die PKK bzw. ERNK tätig war und er sich weder durch polizeiliche Ermittlungen (insbesondere Hausdurchsuchungen), die wegen einschlägiger Vorwürfe geführt wurden, noch durch die Verhängung einer empfindlichen Geldstrafe wegen eines Verstoßes gegen ein vereinsrechtliche Betätigungsverbot von der Fortsetzung seiner Aktivitäten abhalten ließ. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger keine völlig untergeordnete Rolle innerhalb dieser Organisation spielte. Denn aus den beiden Strafurteilen geht hervor, dass der Kläger nicht nur als "Zeitungsausträger" fungierte, sondern auch Spenden und Erlöse aus dem Zeitungsverkauf an die verbotene Organisation weiterleitete und damit einen Beitrag zur Finanzierung der PKK leistete. Darin liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Denn der Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 22.11.1993 liegt zugrunde, dass die Tätigkeit der PKK (einschließlich ihrer Teilorganisation ERNK) gegen die Strafgesetze verstößt, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Soweit der Kläger darauf abstellt, ein Strafrest sei nach Zweidrittelverbüßung zur Bewährung ausgesetzt worden, begründet auch dies keinen Ausnahmefall (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25.3.1994 - 1 B 30.94 -, EZAR 032 Nr. 10). Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Klägers hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Ausweisung beeinträchtige nicht die schützenswerte Belange des Klägers oder seiner Familie; insoweit habe die Behörde berücksichtigen dürfen, dass eine Abschiebung nicht in Betracht komme und daher die Beeinträchtigung seiner Familie gering sei. Diese Erwägungen werden durch das Antragsvorbringen nicht entkräftet.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat einstimmig ab (vgl. § 124 a Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 25 Abs. 2, § 13 Abs. 1 Satz 2 und § 14 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 GKG und § 5 ZPO entsprechend.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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