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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 11 S 951/06
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, GG, EMRK


Vorschriften:

AuslG § 7
AuslG § 8
AuslG § 30 Abs. 3
AuslG § 43 Abs. 1 Nr. 4
AuslG § 45 Abs. 2
AuslG § 55 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8
1. Am Widerruf einer unbefristeten asylbezogenen Aufenthaltstitels nach Widerruf der Asylberechtigung besteht zwar grundsätzlich - wegen der Akzessorietät des Aufenthalts - ein gewichtiges öffentliches Interesse. Dieses genießt aber keinen Vorrang vor anderen gleich gewichtigen gegenläufigen (persönlichen oder öffentlichen) Belangen.

2. Bei Bewertung der schutzwürdigen persönlichen Belange des Ausländers kommt den von ihm während des asylbedingten Aufenthalts erbrachten Integrationsleistungen besondere Bedeutung zu. Bei einem den Umständen entsprechend erfolgreichen Verlauf der Integration kann es gegebenenfalls auch im (einwanderungspolitischen und bevölkerungspolitischen) öffentlichen Interesse liegen, den Ausländer - seine Integrationsleistungen nutzend - im Land zu halten

3. Die allgemeinen Versagungsgründe der §§ 7 und 8 AuslG und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der §§ 5 Abs. 1 und 2 AufenthG sind bei Bewertung der schutzwürdigen Belange nicht schematisch anzuwenden.

4. Zur Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK beim Widerruf der asylbezogenen Aufenthaltserlaubnis hier geborener oder aufgewachsener - integrierter - Kinder.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

11 S 951/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2006

am 26. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. April 2005 - 2 K 1041/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger, Staatsangehörige von Serbien-Montenegro, wenden sich gegen den Widerruf ihrer unbefristeten asylbezogenen Aufenthaltserlaubnisse und eine damit verbundene Abschiebungsandrohung. Die 1968 geborene Klägerin zu 1. reiste im Juni 1993 mit dem 1990 geborenen Kläger zu 2. (xxxxxxxxxx), aus dem Kosovo in das Bundesgebiet ein. Beide stellten Asylanträge, die abgelehnt wurden. Im Juli 1997 stellten sie einen Asylfolgeantrag und für die im Februar 1994 geborene Klägerin zu 3. (xxxxxxxxx) einen Erstasylantrag. Für die im Juli 1997 geborene Klägerin zu 4. (xxxxxxx) wurde im September 1997 Asyl beantragt. Entsprechend den stattgebenden Verpflichtungsurteilen erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) die Kläger mit Bescheiden vom 11.06.1999 (Kläger zu 1. und 2.), vom 30.06.1999 (Klägerin zu 3.) und vom 05.07.1999 (Klägerin zu 4.) als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Hierauf erhielten die Kläger mit Bescheiden vom 06.07.1999 (Kläger zu 1. und 2.) und vom 12.01.2000 (Klägerinnen zu 3. und 4.) unbefristete Aufenthaltserlaubnisse.

Der Ehemann und Vater der Kläger, xxxxx xxxxxx, war bereits im Januar 1992 (wieder) nach Deutschland eingereist und wurde geduldet. Sein im März 1998 gestellter Asylantrag blieb ohne Erfolg (Bescheid des Bundesamts vom 03.04.1998). Seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, hilfsweise einer Aufenthaltsbefugnis, lehnte der Beklagte ab. Auf seine Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Sigmaringen den Beklagten, den Antrag auf Aufenthaltsbefugnis neu zu bescheiden. Die hiergegen zugelassene Berufung des Beklagten ist beim Senat anhängig (11 S 1524/06) und ist mit Urteil vom heutigen Tag ebenfalls zurückgewiesen worden.

Mit Bescheid vom 08.07.2003, bestandskräftig seit 30.11.2003, widerrief das Bundesamt die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung der Kläger und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Daraufhin widerrief das Landratsamt Bodenseekreis mit Verfügung vom 16.01.2004 die unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse und drohte den Klägern unter Setzung einer Ausreisefrist von 3 Monaten ab Bekanntgabe die Abschiebung nach Serbien-Montenegro oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Widerruf nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG sei rechtlich gedeckt und ermessensgerecht. Ein dem entzogenen Aufenthaltstitel gleichwertiges und nicht asylbedingtes Aufenthaltsrecht bestehe nicht. Grundsätzlich bestehe bei abgelehnten Asylbewerbern ein öffentliches Interesse, dass sie nach erfolgloser Antragstellung das Bundesgebiet wieder verließen. Den Klägern könne trotz langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet zugemutet werden, zusammen mit dem Ehemann/Vater in den Kosovo zurückzukehren. Anhaltspunkte für eine vollständige wirtschaftliche und soziale Eingliederung lägen nicht vor. Die Kläger hätten lange Jahre Sozialhilfeleistungen bzw. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten; erst seit der Arbeitsaufnahme des Ehemanns, der selbst nie Sozialhilfe bezogen habe, könne die Familie den Lebensunterhalt selbst bestreiten. Die Kläger fielen auch nicht unter die Anordnung des IM Baden-Württemberg vom 15.06.2001 nach § 32 AuslG oder unter den sog. Mittelstandserlass und auch der Ehemann werde lediglich geduldet. Von noch bestehenden Beziehungen zum Kosovo müsse ausgegangen werden. Trotz bisher polizeilicher und strafrechtlicher Unauffälligkeit der Kläger überwögen insgesamt die für den Widerruf sprechenden öffentlichen Belange deren persönliche Bleibeinteressen.

Das Regierungspräsidium Tübingen wies den Widerspruch der Kläger gegen diese Verfügung mit Bescheid vom 22.04.2004 zurück: Der Widerruf sei gemessen am Gesetzeszweck des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG ermessensfehlerfrei erfolgt. Die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Asylgrundrechts seien nach dessen Wegfall nicht mehr erheblich, Vertrauensschutz auf ein fortbestehendes Aufenthaltsrecht sei nicht gegeben. Die für den weiteren Aufenthalt der Kläger sprechenden Individualinteressen seien umfassend berücksichtigt, müssten aber nicht gegenüber dem öffentlichen Widerrufsinteresse zurücktreten. Zwar treffe die Erwägung des Landratsamts, dass bei abgelehnten Asylbewerbern ein besonderes öffentliches Rückkehrinteresse bestehe, bei den Klägern, bei denen es sich um aufenthaltsberechtigte Asylberechtigte gehandelt habe, nicht zu. Dieser Umstand mache die Verfügung aber nicht fehlerhaft, da er in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände nicht von ausschlaggebendem Gewicht sei. Bei den Klägern komme ein zwingender gleichwertiger unbefristeter Aufenthaltstitel (unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung nach §§ 24, 27 oder 35 AuslG) wegen der nicht anrechenbaren asylbedingten Aufenthaltszeiten nicht in Betracht und auch die Voraussetzungen der §§ 25 und 26 AuslG lägen nicht vor. Auch ein "zurückgestuftes" befristetes Aufenthaltsrecht nach § 32 AuslG oder nach §§ 17 ff. (Familiennachzug) scheide aus. Die Rückkehr der Kläger in den Kosovo sei nicht einfach, aber zumutbar. Sie befänden sich in einer vergleichbaren Situation wie viele abgelehnte und lediglich geduldete Kosovaren, die ebenfalls ausreisen müssten. Unter Eliminierung der asylbedingten Aufenthaltszeit sei es den Klägern über einen beachtlichen Zeitraum nicht gelungen, eine eigenständige Existenz aufzubauen. Die Erwerbstätigkeit des Ehemanns stelle zwar eine Einkommensquelle dar, sie beruhe aber nicht auf einem gesicherten Aufenthaltsstatus. Die Klägerin, ihr Ehemann und deren nicht im Bundesgebiet geborenes Kind seien im Herkunftsland aufgewachsen und hätten einen wesentlichen Teil ihres Lebens im Kosovo verbracht. Unter diesen Umständen sei den Klägern eine reibungslose Integration im Herkunftsland möglich.

Mit Beschluss vom 31.03.2004 - 2 K 451/04 - gab das Verwaltungsgericht Sigmaringen einem vorläufigen Rechtsschutzantrag der Kläger statt und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die streitige Verfügung wieder her; die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beklagten blieb ohne Erfolg (Beschluss des Senats vom 11.02.2005 - 11 S 1170/04 -).

Mit ihrer am 18.05.2004 erhobenen Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter: Sie seien nach teilweise mehr als 11-jährigem Aufenthalt sozial, wirtschaftlich und schulisch völlig in Deutschland integriert. Von regelmäßiger Sozialhilfe oder sonstigen öffentlichen (Hilfs)Leistungen seien sie seit der Asylanerkennung unabhängig. Lediglich im März 2002 hätten sie eine einmalige Leistung zum Ankauf von Möbeln erhalten. Schulden aus einem "Nutzungsentgelt" aus Unterbringung zahlten sie seit Juli 2002 in Raten an die Gemeinde xxxxxxxxxxxxxxxx zurück. Es sei unzutreffend, die Leistungen aus der Erwerbstätigkeit des Ehemannes auszuklammern. Dessen Integration und die der Kläger sei ohne die begehrte Aufenthaltsbefugnis gefährdet. Von einer "reibungslosen" Reintegration der Kläger zu 2. - 4. im Kosovo könne nicht die Rede sein. Diese hätten außer der Staatsangehörigkeit keinen Bezug mehr zum Herkunftsland. Auch die nächsten Verwandten der Kläger (Schwager der Klägerin zu 1. mit Familie) lebten in Deutschland. Der Beklagte trat der Klage entgegen. Die Klägerin zu 1. verdiene aus ihren zwei Arbeitsstellen lediglich 683,-- EUR monatlich, ihr Ehemann sei derzeit arbeitslos.

Mit Urteil vom 28.04.2005 - 2 K 1041/04 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Widerrufsverfügung und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die Kläger hätten zwar weder einen Anspruch auf einen unbefristeten noch auf einen befristeten asylunabhängigen Aufenthaltstitel. Die Widerrufsentscheidung sei jedoch ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe die schutzwürdigen persönlichen Bindungen der Kläger i.S.v. § 45 Abs. 2 AuslG falsch eingeschätzt und nicht im erforderlichen Maß berücksichtigt. Die Ermessensentscheidung beruhe auch in Gestalt des Widerspruchsbescheids auf tatsächlich wie rechtlich unzutreffenden Erwägungen. Trotz des anfänglichen Hinweises auf die aufenthaltsrechtlichen Unterschiede zwischen Asylbewerbern und Asylberechtigten bewerte das Regierungspräsidium deren Schutzposition letztlich doch gleich. Unzutreffend sei auch die weitere Erwägung, dass es den Klägern über einen beachtlichen Zeitraum nicht gelungen sei, eine eigenständige Existenzgrundlage aufzubauen. Indem es bei seiner Betrachtung die asylbedingte Aufenthaltszeit der Kläger ausdrücklich "eliminiert" habe, habe das Regierungspräsidium nur den Zeitraum vor der Asylanerkennung von 1993 bis 2000 in den Blick genommen. Nach § 45 Abs. 2 AuslG komme es aber auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung an. Nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse habe bei den Klägern ein wirtschaftlicher Integrationsprozess stattgefunden. Von Dezember 2000 an - mit Ausnahme März bis Mai 2002 - seien die Kläger zuzüglich des Einkommens des Ehemanns nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen gewesen. Der kurzfristige Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe durch den Ehemann könne einem Sozialhilfebezug nicht gleichgestellt werden. Zu Unrecht habe das Regierungspräsidium auch das Erwerbseinkommen des Ehemanns unberücksichtigt gelassen. Es verkenne, dass der aufenthaltsrechtliche Status des Ehemanns/Vaters von dem der Kläger abhänge und nicht umgekehrt. Würde den Klägern ihr Aufenthaltsrecht belassen, hätte dem Ehemann zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG erteilt werden können. Schließlich treffe es auch für den Kläger zu 2. nicht zu, dass er einen wesentlichen Teil seines Lebens im Kosovo verbracht habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 20.04.2006 - 11 S 1563/06 - zugelassen. Zur Berufungsbegründung trägt der Beklagte vor: Von einer Fehleinschätzung der Belange der Kläger könne keine Rede sein. Aus dem zeitlichen Zusammenhang der Verfahren der Kläger und des Ehemannes könne nicht auf eine Voreingenommenheit der Entscheider geschlossen werden. Die ursprüngliche Fehleinschätzung des Aufenthaltsstatus der Kläger als Asylberechtigte habe das Regierungspräsidium korrigiert. Auch dessen Erwägungen zur wirtschaftlichen Integration der Kläger könnten nicht beanstandet werden. Das Verwaltungsgericht gehe von einer gesicherten Existenzgrundlage der Kläger aus, obwohl der Ehemann kein gesichertes Aufenthaltsrecht habe, was rechtlich berücksichtigt werden könne. Die Erwägungen zur Krankenversicherung bezögen sich auf die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts, wo sie relevant seien. Die Klägerin habe insofern sowie gegenüber der Bundesknappschaft Falschangaben gemacht, das von der Beklagten eingeleitete Strafverfahren sei allerdings nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Der Ehemann habe offensichtlich von 2000 bis Juni 2003 ohne Arbeitsgenehmigung gearbeitet. Im Hinblick auf die Daueraufenthaltsrichtlinie EU und deren Umsetzung sei erheblich, dass der Lebensunterhalt des Ausländers und seiner Familienangehörigen durch feste und regelmäßige Einkünfte und Beiträge zur Alters-, Pflege- und Krankheitsabsicherung gesichert sei. Hieran fehle es bei den Klägern. Die Aussage im Widerspruchsbescheid zur überwiegend im Kosovo verbrachten Lebenszeit der Kläger gelte ersichtlich nur für Personen, die nicht im Bundesgebiet geboren seien. Die minderjährigen Kläger zu 2. bis 4. hätten zwar überwiegend deutsche Lebensverhältnisse kennen gelernt. Dies sei wegen der Fixierung auf die Eltern aber nur bedingt prägend. Sie sprächen albanisch und könnten auch wieder albanisch lesen und schreiben lernen. Insofern teilten sie das Schicksal anderer im Bundesgebiet geborener Kinder, die Deutschland aufgrund der Ausreisepflicht der Eltern wieder verlassen müssten. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht hätten die Kinder nicht.

Eine tragfähige Grundlage für einen Vergleich des Inhalts, den Klägern und dem Ehemann/Vater Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, sehe der Beklagte nicht. Der Lebensunterhalt der Kläger sei nicht i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert. Das monatliche Existenzminimum der Familie betrage 2.107,45 EUR, verfügbar seien zur Zeit (Juni 2006) aber nur 1312,-- EUR Familiennettoeinkommen zuzüglich Kindergeld von 462,-- EUR. Eine günstige Prognose bezüglich des Lebensunterhalts könne auch für die Zukunft nicht gestellt werden. Allein die Tatsache, dass seit 2000 keine Sozialleistungen mehr in Anspruch genommen würden, reiche für eine vollständig gelungene wirtschaftliche und soziale Integration der Kläger nicht aus. Es fehle vor allem auch an einer ausreichenden Altersvorsorge. Der Beklagten könne auch nicht der Vorwurf gemacht werden, durch Verweigerung eines Aufenthaltsrechts dem Ehemann die Annahme einer Vollzeitbeschäftigung verwehrt zu haben. Im Übrigen bestehe bei Herrn xxxxxxx der Verdacht, dass er zeitweise mehr als 400,-- EUR (nämlich 420,-- EUR) bei der Firma xxxxxxxx verdient habe und damit den Rahmen der ihm erteilten Arbeitserlaubnis überschritten habe. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren werde in Gang gesetzt. Außerdem müsse Herr xxxxxxx von Februar bis Ende Juni zu Unrecht erbrachte Leistungen der Agentur für Arbeit aus Arbeitslosengeld zurückerstatten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28.04.2005 - 2 K 1041/04 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen ihre Auffassung, dass sie im maßgeblichen Zeitpunkt wirtschaftlich und sozial integriert gewesen seien. Vor allem die Kläger zu 2. bis 4. seien nahezu ausschließlich durch die deutschen Lebensverhältnisse geprägt. Es bestehe nach wie vor der Verdacht, dass das Landratsamt keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern eine bereits vorgefasste Meinung umgesetzt habe. Die Kläger bzw. Herr xxxxxx zahlten nach wie vor Nutzungsentgeltansprüche der Gemeinde xxxxxxxxxxxxxx ab. Herr xxxxxx habe eine Vollzeitstelle bei einer Abbruchfirma in Aussicht, erhalte dafür aber keine beschäftigungsrechtliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Die Vorwürfe sozialrechtlicher Rechtsverstöße hätten sich schon bisher als haltlos erwiesen.

In der mündlichen Verhandlung wurde bezüglich der aktuellen Einkommensverhältnisse geklärt, dass die Klägerin zu 1. und ihr Ehemann nach wie vor mtl. jeweils 400,-- EUR bei er Firma "xxxx xxxxxxx" verdienen und die Klägerin zu 1. wiederum seit Mai als Zimmermädchen im Gasthof xxxxxxxxx arbeitet und dafür weitere 600,-- EUR brutto (abzüglich Sozialversicherungsbeiträge 470,-- EUR netto) erhält. Der Vertreter des Beklagten hat im Hinblick auf § 114 Satz 2 VwGO sein Ermessen ergänzt: Im Rahmen von Art. 8 EMRK werde berücksichtigt, dass die Familie zusammen mit den Kindern gemeinsam in den Kosovo zurückkehren würde. Damit werde die Familieneinheit gewährleistet, Art. 8 EMRK gebe kein Recht auf Familienleben in Deutschland und führe erst Recht nicht zu einer Ermessenreduzierung auf Null zugunsten eines Aufenthaltsrechts. Wichtig sei im Hinblick auf die Familiennachzugsrichtlinie, dass der Familienunterhalt in Form der Altersvorsorge nicht ausreichend gesichert sei. Herr xxxxxx habe seinerzeit 1998/99 die Möglichkeit gehabt, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, diese aber nicht genutzt.

Mit weiterem nachgelassenem Schriftsatz vom 27.07.2006 hat der Beklagte ausgeführt, beim Widerruf seien die wirtschaftlichen Belange der Betroffenen maßgeblich zu berücksichtigen, wie der Senat in einem ähnlichen Fall (Urteil vom 22.02.2006 - 11 S 1066/05 -) entschieden habe. Bei Herrn xxxxx sei sein Privat- und Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK nicht fest verankert, weil er nicht aufenthaltsberechtigt, sondern nur geduldet sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten der Kläger und des Ehemannes/Vaters Herrn xxxxxx im Verfahren 11 S 1524/06 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Verfügung des Landratsamts Bodenseekreis vom 16.01.2004 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 22.04.2004 im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Denn der auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG verfügte Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse der Kläger leidet - auch in der Fassung des Widerspruchsbescheids und unter Einbeziehung der im gerichtlichen Verfahren ergänzten Erwägungen - an Ermessensfehlern und ist deswegen rechtswidrig, was auch die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung nach sich zieht (§§ 113 Abs. 1, 114 VwGO).

I. Die streitige Widerrufsverfügung, ein negativ statusverändernder Verwaltungsakt, ist sowohl bezüglich der Rechts- als auch der Ermessensvoraussetzungen nach der nach nationalem Recht insoweit (materiellrechtlich) maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens im April 2004 zu beurteilen (vgl. dazu allgemein Kopp/Schenke, VwGO § 113 Rnrn. 41, 46 ff.). Ermächtigungsgrundlage ist mithin der damals geltende § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis - mit Wirkung für die Zukunft - widerrufen werden, wenn die Anerkennung eines Ausländers als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als ausländischer Flüchtling erlischt oder unwirksam wird. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG liegen bei allen Klägern vor, da deren durch Bescheide vom 11.06.1999, 30.06.1999 und 05.07.1999 zugesprochener Status als Asylberechtigte und als Konventionsflüchtlinge nach § 51 Abs. 1 AuslG mit Unanfechtbarkeit des Widerrufsbescheids des Bundesamts am 30.11.2003 erloschen ist (vgl. §§ 73 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6, 75 AsylVfG a.F. sowie Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rn. 52). Der Beklagte hat entgegen seiner Auffassung jedoch das ihm eingeräumte Handlungsermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechenden Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Er hat dieses Ermessen, das nur zwei Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet - nämlich das unbefristete Aufenthaltsrecht zu widerrufen oder aber vom Widerruf abzusehen - im ersteren Sinn zu Lasten der Kläger ausgeübt, dabei deren rechtlich schützenswerte Interessen aber nicht mit dem ihnen zukommenden und auch auf die öffentliche Interessenlage durchschlagenden Gewicht in seine Erwägungen eingestellt. Diese Defizite bei der Belangerhebung (Abwägungsebene) haben potenziell auch auf das Entscheidungsergebnis durchgeschlagen.

1. Der Beklagte ist zunächst allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass ein Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse hier nicht schon deswegen ausscheidet, weil den Klägern sofort ein dem entzogenen Recht gleichwertiger unbefristeter Aufenthaltstitel aus asylunabhängigen Rechtsgründen - und ohne Anrechnung asylbezogener Aufenthalts- und Bleiberechte - zu erteilen gewesen wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 - 1 C 13.02 -, NVwZ 2003, 1275 ff. = InfAuslR 2003, 324 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 22.02.2006 - 11 S 1066/05 -, Juris, und vom 16.10.1996 - 13 S 2408/95 -, EzAR 214 Nr. 5; ebenso OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.09.2000 - 1 M 2888/00 -, Juris). Denn ein derartiger gebundener Anspruch stand keinem der Kläger zu. Die Kläger erfüllten - wenn teilweise auch knapp - schon die zeitlichen Anforderungen für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach §§ 24 - 26 AuslG nicht, ganz abgesehen davon, dass die bisherigen Aufenthaltszeiten, da funktional asylabhängig, gar nicht als Anwartschaft hätten angerechnet werden dürfen (so BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O unter Verwerfung der abweichenden Auffassung des Senats im zugrunde liegenden Urteil vom 10.04.2002 - 11 S 331/02 -, InfAuslR 2002, 289 ff.).

2. Ermessensfehler in der Bewertung des damaligen Aufenthaltsstatus der Kläger sind dem Beklagten auch insofern nicht unterlaufen, als er sich im Widerspruchsbescheid mit der Frage befasst - und diese verneint - hat, ob den Klägern ein Anspruch auf einen gegenüber der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geringerwertigen - nämlich befristeten - Aufenthaltstitel zustand. Denn die Kläger erfüllten (mangels eines Aufenthaltstitels ihres Ehemanns/Vaters) weder die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 17 ff. AuslG noch hätte ihnen eine Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG i.V.m. mit der Anordnung des Innenministeriums vom 15.06.2002 - 4-13-JUG/104 - für erwerbstätige Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und der Bundesrepublik Jugoslawien erteilt werden dürfen. Zwar gehörte die Familie xxxxxxx insofern zum erfassten Personenkreis des Erlasses vom 15.06.2001, als sie sich zum Stichtag 2001 weit mehr als 6 Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet aufhielt. Jedoch waren damals weder die Klägerin zu 1. noch ihr Ehemann bereits zwei Jahre lang dauerhaft beschäftigt und lag beim Ehemann aufgrund der damals noch verwertbaren Straftaten zudem ein Ausschlussgrund nach Nr. III 1b) der Anordnung vor. Schließlich schied aus Rechtsgründen damals die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG aus. Zwar lagen im Hinblick auf die schützenswerten Belange der Kläger (langer Aufenthalt, davon mehrere Jahre rechtmäßig, gelungene Integrationsbemühungen, dazu im Einzelnen noch unten) möglicherweise Abschiebungs- und Ausreisehindernisse nach § 55 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG vor und hätte auch das Fehlen einer vollständigen Unterhaltssicherung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG der Erteilung nicht entgegengestanden, da hier ein Ausnahmefall von der Regel anzunehmen gewesen wäre. Jedoch waren die Kläger nicht vollziehbar ausreisepflichtig, da die Widerrufsverfügung nicht vollziehbar war (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG).

3. Der Gesichtspunkt eines fehlenden anderweitigen befristeten Aufenthaltstitels ist allerdings ambivalent. Steht dem Ausländer ein solcher Anspruch zu, so stellt sich, da der Streitgegenstand des Widerrufsverfahrens nicht teilbar ist (VGH Bad.- Württ., Urteil vom 16.10.1996 - 13 S 2408/95 -, a.a.O.), die Frage, ob ihm deswegen die überschießende unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu belassen oder ob diese zu entziehen und er auf den neu zu erteilenden befristeten Aufenthaltstitel zu verweisen ist, wofür gute Gründe sprechen können (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.02.2006 a.a.O.). Steht dem Ausländer, wie hier, ein befristeter Aufenthaltserlaubnisanspruch nicht zu, so mindert dies seine Schutzwürdigkeit im Rahmen des Widerrufsermessens nicht notwendigerweise. In diesem Fall hat der Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis die besonders einschneidende Folge, dass damit sein Aufenthaltsrecht und damit die gesamte in Deutschland begründete Existenz "steht und fällt". Dies hat die Ausländerbehörde bei Ausübung ihres Ermessens zu bedenken. Das Fehlen eines befristeten asylunabhängigen Auffangaufenthaltsrechts darf daher nicht einseitig als Fingerzeig für die Berechtigung (Verhältnismäßigkeit) des Widerrufs gesehen werden, sondern gebietet eine sorgfältige ergebnisoffene Bewertung der für und gegen die damit verbundene Aufenthaltsbeendigung sprechenden öffentlichen und persönlichen Interessen.

4. Die Notwendigkeit einer solchen angesichts der existentiellen Betroffenheit (drohende Aufenthaltsbeendigung) sorgfältigen Ermessensprüfung hebt auch das Bundesverwaltungsgericht hervor (Urteil vom 20.02.2003 a.a.O.). Es betont zu Recht, dass das der Ausländerbehörde vom Gesetzgeber in § 43 Abs. 1 AuslG (= § 52 Abs. 1 AufenthG) eingeräumte Ermessen nicht an bestimmte Vorgaben geknüpft ist, sondern einen weiten Spielraum eröffnet. Dabei darf die Behörde zwar grundsätzlich davon ausgehen, dass in den Fällen des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (= § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) ein gewichtiges öffentliches Interesse" an dem Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung besteht, falls nicht aus anderen Gründe ein gleichwertiger Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Dieses öffentliche Interesse ist Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass mit dem Wegfall einer für die Gewährung des Aufenthaltstitels wesentlichen Voraussetzung das Aufenthaltsrecht selbst beendet werden kann (Hailbronner, Ausländerrecht, § 52 AufenthG Rn. 33). Es wird insofern zwar als "gewichtig" eingestuft. Dies bedeutet aber nicht, dass es absolut oder auch nur grundsätzlich (regelmäßig) Vorrang vor gleichgewichtigen gegenläufigen (persönlichen oder öffentlichen) Belangen genießt (zu weitgehend daher wohl VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.1996, a.a.O.). Vielmehr ist das mit der Akzessorietät zwischen Asyl und Aufenthalt begründete öffentliche Widerrufsinteresse schlicht mit dem ihm (grundsätzlich) beizumessenden Gewicht in die Ermessenserwägungen einzustellen und - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - mit anderen öffentlichen Belangen und mit den schutzwürdigen Belangen des Ausländers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen. Diese schutzwürdigen Belange lassen sich beispielhaft dem Katalog des § 45 Abs. 2 AuslG entnehmen, der allerdings eine andere Konstellation, nämlich die Aufenthaltsbeendigung durch Ermessensausweisung betrifft (vgl. dazu auch Nr. 43.1.4.3 AuslG-VwV, sowie allgemein für ausländerrechtliche Ermessensentscheidungen Nr. 7.1.2.1 ff. AuslVwV sowie nach neuem Recht Nr. 52.1.4.3 der vorläufigen Anwendungshinweise AufenthG - VAH -) Dazu gehören vornehmlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O; Urteil des Senats vom 22.02.2006 a.a.O.), aber auch Duldungsgründe. Hinzuweisen ist darauf, dass Behörden und Gerichte bei der Bewertung und Gewichtung der persönlichen Belange nicht daran gebunden sind, ob dem Ausländer deswegen jeweils eine der im Gesetz typisierten Aufenthaltsgenehmigungen erteilt werden dürfte oder nicht. Auf solche speziellen typisierten Erteilungsvoraussetzungen kommt es nicht an. Vielmehr bleibt es bei dem Grundsatz, dass die speziellen Beschränkungen oder Vergünstigungen bei den gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht auf die in anderen Kapiteln des Ausländergesetzes geregelten Instrumentarien zu übertragen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr.10). Demgemäß kann bei Ausübung des Widerrufsermessens dem Ausländer nicht schematisch entgegengehalten werden, dass er die besonderen Anforderungen eines typisierten Aufenthaltstitels oder aber die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht erfüllt. Zulässig ist allerdings, die hinter diesen Voraussetzungen stehenden (öffentlichen wie persönlichen) Belange in flexibler Weise und ihrer Bedeutung im Einzelfall gemäß zu gewichten und in die Gesamtabwägung einzustellen. Bei Würdigung des Aufenthalts von Asylberechtigten ist schließlich von Bedeutung, dass der Gesetzgeber dieses Aufenthaltsrecht übergangslos durch Gewährung eines "hochwertigen" Aufenthaltstitels, nämlich der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis abgesichert hat (§ 68 Abs. 1 AsylVfG a.F.; heute: Aufenthaltserlaubnis ohne Bindung an allgemeine Erteilungsvoraussetzung und Übergang in eine Niederlassungserlaubnis nach 3 Jahren, vgl. §§ 25 Abs. 1 Satz 1, 26 Abs. 3, 5 Abs. 3, erster Halbsatz AufenthG). Ziel dieser Absicherung war und ist es, die Integration des verfolgten Ausländers in die deutsche Gesellschaft nach Möglichkeit zu fördern. Demgemäß kommt den von dem Asylberechtigten während dieser Aufenthaltsphase erbrachten - vom Gesetz gewollten - Integrationsleistungen besondere Bedeutung zu. Sie sind uneingeschränkt im Fall eines späteren (Ermessens)Widerrufs, mit dem das Aufenthaltsrecht insoweit "belastet". ist, als schutzwürdige persönliche Belange des Ausländers in den Entscheidungsvorgang einzustellen (vgl. Beschluss des Senats vom 10.11.2005 - 11 S 650/05 -, VBlBW 2006, 282 ff.). Gelingt diese Integration nicht, was insbesondere durch Begehung von Straftaten belegt sein kann, indiziert dies ein erhebliches öffentliches Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der Gefahrenabwehr; ohne dass der Ausländer sich insofern - gemäß dem oben erwähnten Verbot der schematischen Anwendung von Anforderungen aus anderen Gesetzeskapiteln - schematisch auf die Vergünstigungen besonderen Ausweisungsschutzes nach §§ 48 AuslG, 56 AufenthG berufen kann (dazu Beschluss des Senats vom 10.11.2005 a.a.O.). Verläuft die Integration hingegen den Umständen entsprechend erfolgreich, so kann es je nach Lage im Einzelfall auch mit öffentlichen einwanderungs- und auch bevölkerungspolitischen Belangen vereinbar, ja sogar im öffentlichen Interesse wünschenswert sein, den betreffenden Ausländer - seinen Integrationswillen und seine Integrationsleistungen nutzend - im Land zu halten und deshalb von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Für die Beurteilung des Integrationserfolgs oder -misserfolgs ist zwar, wie dargelegt, der Zeitraum bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens maßgeblich. Gleichwohl sind nachfolgende Erkenntnismittel insofern von Bedeutung, als ihnen Anhaltspunkte dafür entnommen werden können, ob sich die damalige Einschätzung des Sachverhalts als richtig erweist oder nicht. Insofern können die diesbezüglichen Grundsätze bei Prüfung der Ausweisung nutzbar gemacht werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.05.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 ff. = InfAuslR 2001, 312 ff.; Beschluss vom 16.10.1989 - 1 B 106.89 -, InfAuslR 1990, 4 ff.). Hinsichtlich der Vereinbarkeit des Widerrufs mit Art. 8 EMRK ist ohnehin ausschnittsweise die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen, soweit es um den Stand des Privat- und Familienlebens der Kläger geht (inzwischen st. Rspr., vgl. etwa EGMR Urteil vom 22.04.2003 - 42703/98 - <Radovanovic ./. Österreich>; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.01.2004 - 10 S 1610/03 -, VBlBW 2004, 308).

5. Diesen Anforderungen werden die Ermessenserwägungen des Beklagten im Verwaltungs- wie (ergänzend) im gerichtlichen Verfahren nicht in vollem Umfang gerecht.

Zwar treffen die vom Verwaltungsgericht angenommenen Ermessensfehler insoweit nicht zu, als dem Beklagten vorgehalten wird, bei Bewertung der wirtschaftlichen Integration ausschließlich den Zeitraum des asylverfahrensbedingten Aufenthalts zwischen 1993 und 2000 in den Blick genommen, den nachfolgenden Zeitraum bis 2004 (Zeitraum des rechtmäßigen Aufenthalts nach Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte), während dessen die Kläger beruflich besser Fuß gefasst hätten, hingegen nicht berücksichtigt zu haben. Denn im Widerspruchsbescheid hat das Regierungspräsidium die wirtschaftliche Lage der Kläger gerade "unter Eliminierung der asylbedingten Aufenthaltszeit" gewürdigt und auch im gerichtlichen Verfahren hat der Beklagte die Einkommensverhältnisse der Kläger und ihres Ehemanns/Vaters ab 2000 bis heute detailliert dargestellt. Entgegen dem Verwaltungsgericht hat der Beklagte (im Widerspruchsbescheid) auch grundsätzlich erkannt, dass die Kläger als aufenthaltsberechtigte Asylberechtigte bezüglich ihrer Bleibeinteressen nicht schlechthin mit abgelehnten Asylbewerbern gleichgestellt werden dürfen. Schließlich ist die - zumindest missverständliche - Erwägung im Widerspruchsbescheid, auch der Kläger zu 2. als "nicht im Bundesgebiet geborenes Kind" sei "im Herkunftsland aufgewachsen" und habe "einen wesentlichen Teil (seines) Lebens im Kosovo verbracht", durch klarstellende Äußerungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren behoben worden (§ 114 Satz 2 VwGO).

Der Beklagte hat gleichwohl, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ausführt, die schutzwürdigen, gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Belange und Bindungen der Kläger nicht mit dem ihnen gebührenden Gewicht in seine Erwägungen eingestellt. Die Kläger sind seit 1993 in Deutschland. Aufgrund ihrer 1997 gestellten Asylfolge- bzw. Erstanträge wurden sie 1999 als Asylberechtigte und politische Flüchtlinge anerkannt und waren ab diesem Zeitpunkt aufenthaltsberechtigt. Die sodann am 06.07.1999 bzw. 12.01.2000 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse eröffneten in rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit zu dauerhafter Integration. Von dieser Möglichkeit haben die Kläger im Rahmen der damaligen persönlichen Umstände auch Gebrauch gemacht. Die Klägerin zu 1. war mit Erfolg bemüht, sich eine ihrem Bildungs- und Ausbildungsstand entsprechende berufliche Grundlage zu schaffen, indem sie seit 2000 eine durchgehende Beschäftigung bei einer Reinigungsfirma und eine weitere Saisonbeschäftigung als Hausmädchen in einem Beherbergungsbetrieb innehatte. Mehr an beruflichem Engagement konnte von der Klägerin angesichts ihrer Erziehungsaufgabe für ihre 1990, 1994 und 1997 geborenen minderjährigen Kinder nicht abverlangt werden. Die Klägerin zu 1. behielt die genannten Beschäftigungen bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bei und übt sie bis heute aus. Sie war und ist - wie die Entwicklung nach 2004 bis heute bestätigt - aufgrund dieser langjährigen Tätigkeiten bei denselben Arbeitgebern ihren Möglichkeiten entsprechend beruflich gut integriert. Auch wirtschaftlich konnte und kann sich die Familie eine Existenz verschaffen, die es ihr ermöglichte, ab 2000 unter Einbeziehung des Kindergelds und der Einkünfte ihres Ehemanns im wesentlichen ohne Leistungen der Sozialhilfe auszukommen. Dem misst der Beklagte eine zu geringe Bedeutung bei. Indem er darauf abstellt, dass eine "vollständige" wirtschaftliche Integration und eine auf Dauer - einschließlich ausreichender Alterversorgung - gesicherte Existenzgrundlage verlangt werden müsse, bei den Klägern aber bis heute nicht vorliege, geht er von Anforderungen aus, die zwar für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis maßgeblich sein können (gesicherter Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG, Familienzusammenführungsvoraussetzungen nach Art. 7 der RL 2003/86/EG vom 22.9.2003), die beim Widerrufsermessen nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG/§ 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) aber nicht schematisch verlangt werden können. Schutzwürdig beim Widerrufsermessen können auch nachhaltige Bemühungen sein, beruflich und wirtschaftlich Fuß zu fassen, auch wenn diese Anstrengungen noch nicht vollständig zum Erfolg geführt haben. Dem werden die Erwägungen des Beklagten, der auch im gerichtlichen Verfahren von der Forderung nach vollständiger Lebensunterhaltssicherung nicht abgerückt ist, nicht ausreichend gerecht. Der Beklagte verkennt auch, dass für die Beurteilung des Grades der wirtschaftlichen Integration der Kläger auch das Einkommen des Ehemanns und Vaters xxxxx xxxxx einbezogen werden durfte und darf. Dieser leitete und leitet, da ihm wegen nachträglicher Antragstellung kein Familienasyl und ein darauf fußender eigener Aufenthaltstitel zustand (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG a.F.), seinen Aufenthaltsanspruch ausschließlich vom Aufenthaltsrecht der Kläger ab. Bei einer solchen Konstellation sah § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG in besonderen Härtefällen - hierzu zählte auch die Inanspruchnahme des "Stammberechtigten" durch Kinderbetreuung (vgl. GK-AuslR, § 17 Rn. 125) - vor, dass auch auf die Erwerbstätigkeit eines nachziehenden geduldeten Familienangehörigen zurückgegriffen werden konnte. Nach heutigem Recht erlaubt es § 2 Abs. 3 AufenthG sogar vorbehaltlos, die Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen zu berücksichtigen.

Hat der Beklagte nach all dem an die wirtschaftlich-berufliche Integration der Kläger zu hohe Anforderungen gestellt, so hat er andererseits der durchaus erfolgreichen sozialen Integration und dem Gewicht ihres langjährigen Aufenthalts zu geringe Bedeutung geschenkt. Die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2. sind seit 1993 in Deutschland. Der Kläger zu 2. hat seine prägenden Kinder- und Jugendjahre hier verbracht. Die Kläger zu 3. und 4. sind gar in Deutschland geboren. Die Kläger hatten zunächst ein verfahrensbezogenes Aufenthaltsrecht als Asylbewerber (Aufenthaltsgestattung), welches sich dann in ein unbefristet gewährtes Aufenthaltsrecht als Asylberechtigte wandelte. Letzteres Aufenthaltsrecht blieb mehrere Jahre bis zum Zugang der Widerrufsverfügung vom 16.01.2004 wirksam (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) fortbestehen. Während des gesamten Zeitraums seit 1993 waren und sind die Kläger strafrechtlich negativ nicht in Erscheinung getreten. Soweit der Beklagte der Klägerin zu 1. Falschangaben in Sozialversicherungsangelegenheiten vorgehalten hat, konnte dies nicht hinreichend belegt werden. Die Klägerin zu 1. versteht und spricht, wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt worden ist, auch ausreichend deutsch. Die Dolmetscherin musste nur hilfsweise in Anspruch genommen werden. Die Kläger zu 2. und 4. haben sich sprachlich und schulisch ersichtlich voll in die hiesigen Verhältnisse eingelebt. Bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens waren die Kinder 14, 10 und 6 Jahre alt, heute beträgt ihr Alter 16, 12 und 8 Jahre. Der Kläger zu 2. besucht die Hauptschule, die Klägerin zu 4. die Grundschule und die Klägerin zu 3. eine Förderschule mit Aussicht, auf die Hauptschule zu wechseln.

6. Diesen positiven Integrationsgesichtspunkten, den sich hieraus ergebenden schutzwürdigen Belangen der Kläger am Verbleib in Deutschland und dem damit - insbesondere hinsichtlich der Kläger zu 2.- 4. - teilweise gleichgerichteten öffentlichen (einwanderungs- und bevölkerungspolitischen) öffentlichen Interesse hat der Beklagte nicht das gebotene Gewicht beigemessen. Dies gilt nicht nur für das nationale Recht, sondern vornehmlich auch im Hinblick auf die Rechte der Kläger aus Art. 8 Abs. 1 EMRK auf Achtung ihres Privatlebens. Wegen der zu beachtenden Kriterien im Einzelnen verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 - und das Urteil des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 -. Danach kann die Beendigung eines Aufenthaltsrechts in Deutschland - sei es durch Ausweisung wegen Straftaten oder, wie hier, durch Widerruf eines asylbezogenen Aufenthaltstitels - einen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens darstellen. Art. 8 EMRK fungiert insofern als Abwehrrecht (EGMR, Entsch. vom 16.06.2005 - 60654/00 <Sisojeva ./. Lettland>). Zum schützenswerten Privatleben gehören die gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen in dem Staat, in dem der Ausländer geboren oder aufgewachsen ist. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung kann insbesondere für solche Ausländer in Betracht kommen, deren Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland quasi deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind. Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bundesrepublik Deutschland faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem Heimatland nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (zum Begriff des "faktischen Inländers" im Zusammenhang mit dem "Schutz des Familienlebens" vgl. etwa EGMR, Urteile vom 26.03.1992 <Beldjoudi>, InfAuslR 1994, 86 ff., und vom 26.09.1997 <Mehemi>, InfAuslR 1997, 430; s. auch BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303 ff., und OVG Schleswig, Urteil vom 23.02.1999 - 4 L 195/98 - <juris>). Erforderlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ist grundsätzlich eine aufenthaltsrechtliche Verankerung, die in Fällen bloßer Duldungen regelmäßig nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.06.1997 - 1 C 18/96 -, NVwZ 1998, 189 ff., und vom 29.03.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24 ff. sowie Beschluss des Senats vom 25.09.2003 - 11 S 1795/03 -, InfAuslR 2004, 70 ff.). Auch der EGMR hat in seinen einschlägigen Entscheidungen jeweils maßgeblich auf die Bedeutung eines bestehenden Aufenthaltsrechts abgestellt (vgl. etwa Entscheidung vom 07.10.2004 (<Dragan>, NVwZ 2005, 1043).

Die Kläger verfügten sämtlich über ein solches - auf Integration angelegtes - Aufenthaltsrecht, das ihnen entzogen worden ist. Der dadurch bewirkte Eingriff in das Privatleben der Kläger war daher mit den diesen Eingriff rechtfertigenden in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Belangen unter Berücksichtigung der Erforderlichkeit (Verhältnismäßigkeit) abzuwägen, insbesondere mit dem Belang der "öffentlichen Ordnung" zu dem das Interesse an einer wirksamen Einwanderungskontrolle gehört (vgl. Nachweise im Beschluss des Senats vom 10.05.2006 a.a.O.). Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau mussten hierbei vornehmlich die Belange der Kläger zu 2. - 4. in den Blick genommen werden, die als Kleinkinder nach Deutschland eingereist bzw. hier geboren sind und mehrere Jahre ein gesichertes Aufenthaltsrecht besaßen. Sie besuchen alle die Schule, Anhaltspunkte für strafbares oder unangepasstes Verhalten sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Es ist auch davon auszugehen, dass sie die deutsche Sprache einwandfrei beherrschen. Diese Gesichtspunkte und die sich daran im Lichte des Art. 8 EMRK anschließenden Fragen - ob die Kläger zu 2. - 4. "faktische Inländer" mit entsprechender Verwurzelung in Deutschland sind und ob und wie stark die innerfamiliären Verhältnisse noch von der nationalen Herkunft geprägt sind (sog. Stichwort: familienbezogene Gesamtbetrachtung, vgl. Beschluss des Senats vom 10.05.2006 a.a.O.) - hat der Beklagte weder in den Bescheiden noch in seinen ergänzenden Ausführungen in der im gerichtlichen Verfahren, in der mündlichen Verhandlung und im nachgereichten Schriftsatz vom 27.07.2006 ausreichend berücksichtigt. Er hat stattdessen vorrangig den Belang der Familieneinheit in den Blick genommen und sich auf die Erörterung konzentriert, dass Herr xxx-xx kein faktischer Inländer im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EGMR sei, kein ausreichendes Einkommen habe und gegen sozial- und arbeitserlaubnisrechtliche Pflichten verstoßen habe. Darauf kam es indessen nicht entscheidend an. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte bei einer ordnungsgemäßen Abwägung zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Widerrufs gekommen wäre. II. Ist nach all dem die Widerrufsverfügung mit Wirkung ex tunc aufzuheben, besteht die unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Kläger nach neuem Recht als übergeleitete Niederlassungserlaubnis fort (§§ 101 Abs. 1 Satz 1, 26 Abs. 3 AufenthG). Mangels Ausreisepflicht kann daher auch die Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben und war ebenfalls aufzuheben (§§ 50 Abs. 1, 49 Abs. 1, 42 Abs. 1 AuslG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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