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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 06.12.2001
Aktenzeichen: 11 S 999/01
Rechtsgebiete: GKG
Vorschriften:
GKG § 5 | |
GKG § 49 Satz 1 | |
GKG § 54 Nr. 1 | |
GKG § 58 Abs. 1 | |
GKG § 58 Abs. 2 Satz 1 |
2. Aussichtslos im Sinn des § 58 Abs. 2 Satz 1 GKG ist die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen dann nicht, wenn die Staatskasse dem Kostenschuldner, dessen Anschrift im Ausland bekannt oder ohne größeren Aufwand zu ermitteln ist, die Kostenrechnung nebst Zahlungsaufforderung und gegebenenfalls Mahnungen übersenden kann oder wenn sie in geeigneten Fällen die deutsche Auslandsvertretung ersuchen kann, den Kostenschuldner zur freiwilligen Zahlung anzuhalten
11 S 999/01
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil
In der Verwaltungsrechtssache
wegen
Ausweisung
hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2001 durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und Albers sowie den Richter am Verwaltungsgericht Mezger
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. September 2000 - 1 K 496/99 - geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger - ein türkischer Staatsangehöriger - wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der Kläger wurde am 19. April 1979 in Istanbul geboren. 1981 zog seine Mutter mit ihm zu seinem schon seit längerem im Bundesgebiet lebenden Vater. Der Kläger wuchs bei seinen Eltern mit sechs Geschwistern und Halbgeschwistern (aus der ersten Ehe des Vaters) auf. Am 10. April 1995 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Er besuchte zuletzt die 12. Klasse eines Wirtschaftsgymnasiums. Seit dem 18. Januar 1998 befand er sich in Untersuchungshaft.
Mit Urteil vom 3. Juli 1998, rechtskräftig seit dem 11. Juli 1998, verurteilte das Landgericht Frankenthal (Pfalz) den Kläger wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und wegen schweren Raubes in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Kläger gemeinschaftlich mit weiteren Heranwachsenden zwischen dem 9. September 1997 und dem 17. Januar 1998 in sechs Fällen an fünf verschiedenen Tagen jüngere männliche Passanten in Speyer mit Waffen bedroht, um von ihnen Geld zu erlangen.
Mit Verfügung vom 10. November 1998 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger nach erfolgter Anhörung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffern 1 und 2 der Verfügung) und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei (Ziffer 3 der Verfügung). In der Begründung der Verfügung führte es im Wesentlichen aus: Aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung habe der Kläger einen Regel-Ausweisungstatbestand erfüllt. Er genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz, da er als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei. Danach könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen vor. Insbesondere bestünden Anhaltspunkte dafür, dass auch in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe. Für diese Annahme seien grundsätzlich weder eine wiederholte Verurteilung noch neuerliche Straftaten erforderlich. Bei Verurteilungen wegen Gewalttaten wie solchen, die der Kläger begangen habe, seien an die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten nur geringe Anforderungen zu stellen. Es reiche aus, wenn die Wiederholungsgefahr im weiteren Sinne nicht ausgeschlossen werden könne. Dies sei hier der Fall. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Entwicklung des Klägers seit seiner Festnahme. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lägen auch in generalpräventiver Hinsicht vor. Die Straftaten des Klägers wögen besonders schwer. Es bestehe deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des dem Kläger zukommenden besonderen Ausweisungsschutzes sei über seine Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden. Zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger auszuweisen. Dem stünden seine familiären Bindungen im Bundesgebiet und die anzunehmenden Eingliederungsschwierigkeiten in der Türkei nicht entgegen. Duldungsgründe seien nicht ersichtlich. Die Ausweisungsgründe seien besonders schwerwiegend im Sinn von Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens. Ob der Kläger unter den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) falle, könne offen bleiben. Denn jedenfalls sei seine Ausweisung gemäß Art. 14 ARB 1/80 aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Ausweisung des Klägers sei auch verhältnismäßig im Sinn von Art. 8 EMRK.
Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1999 zurück.
Der Kläger hat am 2. März 1999 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und zuletzt beantragt, Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. November 1998 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 1999 aufzuheben.
Mit Beschluss vom 22. Juni 1999 (1 K 490/99) hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Der Kläger wurde am 23. September 1999 in die Türkei abgeschoben. Mit Beschluss vom 11. April 2000 (11 S 1842/99) hat der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den Antrag des Klägers auf Zulassung der Beschwerde abgelehnt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat das Verwaltungsgericht die Eltern des Klägers und eine seiner Schwestern angehört. Diese haben angegeben, der Kläger sei außerstande, in der Türkei allein zurecht zu kommen. Er wohne mit seinem Freund Y., einem ebenfalls abgeschobenen Mittäter, in Istanbul in einer Wohnung, welche der Familie gehöre. Ihre beiden Mütter wechselten sich dort in ihrer Betreuung ab. Der Kläger besuche eine Privatschule. Er habe sein Fehlverhalten eingesehen. Bei einer Rückkehr nach Deutschland werde er sich nicht mehr gehen lassen. Auch werde die Familie ihn dann nicht mehr allein lassen und dafür sorgen, dass er nicht mehr straffällig werde. Er wolle in Deutschland studieren.
Mit Urteil vom 29. September 2000 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Die Ausweisung des Klägers sei rechtswidrig. Auf generalpräventive Erwägungen allein könne sie nicht gestützt werden. In spezialpräventiver Hinsicht sei sie nicht begründet. Es bestünden - bei nicht nur summarischer Prüfung aller Umstände und aufgrund der neuen Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe. Eine solche Wiederholungsgefahr ergebe sich nicht allein aus den Taten, die der Kläger begangen habe. Der Kläger und seine Familie hätten durch Hinweise auf nicht zu leugnende Umstände nun zur Überzeugung der Kammer dargetan, dass er als bei Begehung der Taten gerade 18 Jahre alter Schuljunge nicht mit gewachsener krimineller Energie, sondern aus Unreife, Unüberlegtheit und Schwäche gehandelt habe. Nach inzwischen gesicherten Erkenntnissen der Jugendpsychologie dürfe dies und mangels eindeutiger, gegenteiliger Anhaltspunkte müsse dies zugunsten des Klägers angenommen werden. Die Behörde könne Erwägungen zur Motivation des Klägers, die sich hier aufdrängten, nicht einfach "im Dunkeln" lassen. Es spreche viel dafür, dass sich der Kläger nur in der Gruppe stark gefühlt habe und sich gegenüber Gleichaltrigen habe beweisen wollen. Dass der Kläger dabei auch ein Messer und eine Schreckschusspistole eingesetzt habe, zeige durchaus die schädliche Neigung, zur Durchsetzung seiner Ziele mit Gewalt zu drohen, rechtfertige aber noch nicht zwingend den wohl vom Regierungspräsidium gezogenen Schluss, seine Straftaten drückten die Gefühlskälte und die Menschenverachtung eines kriminellen Profis aus. Unbelehrbar kriminell werde man nicht in wenigen Monaten. Ein Krimineller verhalte sich anders als der Kläger, wenn er gestellt werde. Dieser habe sich gegenüber der Polizei wie ein schuldbewusster Schuljunge verhalten, der bei seinen Streichen erwischt werde. Nach allem könne das Gericht aus den Straftaten des Klägers nicht auf eine bereits gefestigte Persönlichkeitsstruktur schließen, die eine besondere Gefährlichkeit beinhalte. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Kläger einer intakten Familie entstamme, bis dahin eine gute Schulbildung gehabt habe und auf dem Weg zum Abitur gewesen sei. Dieser Weg habe sich für ihn aber als sehr schwer erwiesen. Verlusterlebnisse hätten zu einer Krise geführt. Er habe sich nach der Festnahme, der Verurteilung und während der Vollstreckung der Jugendstrafe allem Anschein nach wieder gefangen. Dies belegten der Jugendgerichtshilfebericht vom 25. Juni 1998 und die Stellungnahmen der Jugendstrafanstalt. Darin werde von einer "passageren Jugendkriminalität" ausgegangen. Insgesamt spreche alles dafür, dass sich der Kläger von der verhängten Jugendstrafe habe beeindrucken lassen und auch intelligent genug sei, um aus der Vergangenheit zu lernen. Auch sei der intensive Kontakt zwischen ihm und seiner Familie nie abgebrochen oder auch nur ernsthaft gestört gewesen. Die Familie habe ihn nach der Entdeckung der auch für sie erschreckenden Straftaten besonders aufmerksam betreut. Die Ausweisung des Klägers sei aus einem zweiten Grund rechtswidrig. Sie verstoße gegen den in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Kläger sei aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zum Inländer geworden. Ihm sei wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben in der Türkei nicht zuzumuten. Er habe die Türkei nur als Urlaubsland erlebt und sei in Deutschland sozialisiert worden. Er könne seine Schulbildung und seine Intelligenz nur hier neigungsgerecht umsetzen. Es dürfe nicht angenommen werden, dass er in einer türkischen Subkultur aufgewachsen und deutschfeindlich eingestellt sei. Zwei seiner gleichgewichtigen Mittäter seien gebürtige Deutsche gewesen. Es sei ihm nicht zuzumuten, im Alter von 20 Jahren ohne Berufsausbildung plötzlich in der Türkei zu leben. Seine dort lebende Halbschwester habe kein Interesse und keine Gelegenheit, sich intensiv um den hilfebedürftigen Kläger zu kümmern. Wie wenig ihm ein dauerhaftes Leben in der Türkei zuzumuten sei, zeige das Verhalten seiner Familie. Die Mutter vernachlässige ihren Mann und ihre im Bundesgebiet lebenden Kinder, um in der Türkei für den Kläger zu sorgen. Die Familie zahle viel Geld für seine Ausbildung an einer Privatschule. Diese Hilfe dürfe nicht einfach vorausgesetzt werden. Die Erwägung des Regierungspräsidiums, der Kläger könne sich bemühen, in der Tourismusbranche unterzukommen, sei sehr abstrakt. Der Kläger sei - wie seine Eltern wohl richtig gesehen hätten - noch nicht erwachsen und reif genug, um in einem für ihn fremden Land auf eigenen Füßen zu stehen und, aus der Strafhaft abgeschoben, einen schwierigen Alltag zu bewältigen. Staatliche Hilfe könne er dabei in der Türkei nicht erwarten.
Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 7. Mai 2001 zugelassen (11 S 2376/00). Mit einem am 29. Mai 2001 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte die Berufung begründet.
Der Beklagte trägt vor: Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lägen in spezialpräventiver Hinsicht vor. Die vom Kläger begangenen Straftaten seien dem Bereich der schweren Kriminalität zuzurechnen. Für den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids sei auch von einer erhöhten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger auszugehen gewesen. Das Verwaltungsgericht habe - im Einzelnen angeführte - objektive Anhaltspunkte hierfür nicht berücksichtigt. Stattdessen habe es dem Kläger und seiner Familie geglaubt. Dieser gehe es aber allein darum, den Kläger in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Das Regierungspräsidium habe bei seiner Ermessensentscheidung alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls erkannt und in die Abwägung eingestellt. Die Ausweisung des Klägers sei im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr nicht unverhältnismäßig. Ihm sei eine Eingliederung in die Lebensverhältnisse in der Türkei zuzumuten. Es könne unterstellt werden, dass er der türkischen Sprache mächtig sei und die Lebensverhältnisse in der Türkei zumindest von Urlaubsreisen her kenne. Auch seine sonstigen persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine persönlichen Bindungen im Bundesgebiet zu seinen Eltern und Geschwistern, seien angemessen berücksichtigt worden. Dem Kläger sei zuzumuten, die insoweit bestehende Begegnungsgemeinschaft vom Ausland her aufrecht zu erhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. September 2000 - 1 K 496/99 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor: Die (Ermessens-) Ausweisung habe nicht (auch) auf § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG gestützt werden dürfen. Diese Vorschrift sei auf den Kläger nicht anwendbar, weil sie dem Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80 widerspreche. Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80. Daran habe der Vollzug der Jugendstrafe nichts geändert. Danach sei Art. 13 ARB 1/80 auf ihn anwendbar. Nach dieser Vorschrift sei es den Mitgliedstaaten verwehrt, neue Maßnahmen oder Vorschriften zu erlassen, die den Zweck oder die Folge haben, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt und der damit verbundene Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen in diesem Mitgliedstaat strengeren Bedingungen unterworfen wird als denjenigen, die zur Zeit des Inkrafttretens des ARB 1/80 galten. Damals hätten die Ausländerbehörden in allen Fällen einer Ausweisung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden gehabt. Die Ausweisung sei in keinem Fall regelmäßig oder gar zwingend zu verfügen gewesen. Damit schließe Art. 13 ARB 1/80 die Anwendung des Regel-Ausweisungstatbestands des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG aus. Anwendbar bleibe für den Kläger (allein) ein Ermessens-Ausweisungstatbestand, welcher § 10 AuslG 1965 entspreche. Die angefochtene Ausweisungsverfügung gehe aber ausdrücklich davon aus, dass der Kläger in der Regel auszuweisen sei. Durch die Anwendung des besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG werde die Regelausweisung nur zu einer Ermessensentscheidung herabgestuft. Eine danach erfolgende Ermessensentscheidung sei aber keine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, wie sie § 10 AuslG 1965 vorgesehen habe. Bei der herabgestuften Ermessensausweisung sei es der Ausländerbehörde lediglich erlaubt, unter Zugrundelegung des Regelfalls einer Ausweisung auch, und zwar in diesem beschränkten und durch den "typischen Regelfall" begrenzten Umfang, nach Ermessen zu entscheiden. Eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, wie sie § 10 AuslG 1965 vorgesehen habe, dürfe aber nicht von einem Regelfall ausgehen, denn dadurch werde bereits der Rahmen, innerhalb dessen das Ermessen auszuüben sei, verschoben und eingeengt. Bereits die Tatsache, dass das Ermessen unter der Voraussetzung eines Ausnahmefalls zu betätigen sei, schränke das Ermessen, wie es von § 10 AuslG 1965 gefordert worden sei, unzulässig ein. Das Regierungspräsidium habe fehlerhaft sein Ermessen von vornherein auf die Prüfung eines Ausnahmefalls beschränkt. Es habe ferner zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr angenommen. Die Umstände, welche gegebenenfalls vormals eine Ausweisung hätten rechtfertigen können, hätten durch Zeitablauf und durch die persönliche Entwicklung des Klägers an Gewicht verloren. In diesem Zusammenhang sei auch der nach Erlass des Widerspruchsbescheids gefertigte Bericht der Jugendstrafanstalt Schifferstadt vom 17. Februar 1999 zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium habe ferner die Unmöglichkeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die Türkei nicht bzw. nicht zutreffend erfasst und die bei Erlass des Widerspruchsbescheids bekannten und erkennbaren Folgen für die Familienmitglieder des Klägers, insbesondere für seine Eltern, außer Acht gelassen. Den Kläger verbinde mit der Türkei lediglich die türkische Staatsangehörigkeit. Die Ausführungen des Regierungspräsidiums zu den Eingliederungsmöglichkeiten des Klägers seien abstrakt. Sie ließen den konkreten Einzelfall außer Acht. Der Kläger habe auch keine hinreichenden Sprachkenntnisse besessen. Die moderne türkische Sprache, wie sie in der Türkei gesprochen werde, habe mit seinem "Deutsch-Türkisch" nichts zu tun. Er habe Türkisch weder lesen noch schreiben können. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte komme selbst bei Vorliegen sehr schwerer Straftaten - wie sie beim Kläger nicht gegeben seien - der Unfähigkeit, sich im Land der jeweiligen Staatsangehörigkeit sprachlich verständlich zu machen, überragendes Gewicht zu. Zwischenzeitlich habe der Kläger in Istanbul die Schule erfolgreich abgeschlossen. Er wolle nun ein Studium mit dem Ziel beginnen, Deutschlehrer zu werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und der zur Sache gehörenden Gerichts- und Behördenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist - nach ihrer Zulassung durch den Senat - statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Beklagte die Berufung ordnungsgemäß begründet (vgl. § 124 a Abs. 3 VwGO).
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage des Klägers zu Unrecht stattgegeben. Die Ausweisung des Klägers (Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. November 1998 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 1999) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 1999 (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 17.11.1994, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 1 = InfAuslR 1995, 150).
Infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und wegen schweren Raubes in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten hat der Kläger den Regel-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfüllt. Er genießt zwar nach den Vorschriften des Ausländergesetzes besonderen Ausweisungsschutz. Diese stehen seiner Ausweisung jedoch nicht von vornherein entgegen.
Als Heranwachsender, der im Bundesgebiet aufgewachsen ist und mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Kläger nur nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 3 AuslG ausgewiesen werden (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 2 AuslG). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn die Ausweisung des Klägers beruht auf § 47 Abs. 2 Nr. 1 und - wie noch auszuführen ist - Abs. 3 Satz 2 und 3 AuslG.
Der Kläger kann ferner nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; denn er besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und ist als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG). Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Diese Beurteilung ist an den Ausweisungszwecken auszurichten und voll gerichtlich überprüfbar. Bei spezialpräventiver Ausweisung muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, welches sich bei Straftaten vor allem aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Hinzu kommen müssen Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und somit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Dabei sind in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 5.5.1998, BVerwGE 106, 351 = InfAuslR 1998, 383; Urt. v. 29.9.1998, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 16 = InfAuslR 1999, 27, jeweils m.w.N.).
Dem Ausweisungsanlass kommt vorliegend ein besonderes Gewicht zu. Die Straftaten des Klägers sind zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen. Nach Art und Schwere haben sie - wie auch im Strafmaß von 2 Jahren und 6 Monaten Jugendstrafe zum Ausdruck kommt - ein besonderes Gewicht. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Taten des Klägers, wie das Landgericht - zur Begründung der Anwendung von Jugendstrafrecht auf den im Tatzeitpunkt heranwachsenden Kläger - festgestellt hat, jugendtümliche Züge tragen. Dazu mag gehören, dass der Kläger in einer Gruppe Gleichaltriger gehandelt hat und dass sich diese Gruppe stets etwa gleichaltrige männliche Opfer ausgewählt hat, von denen sie - nur teilweise mit Erfolg - auf offener Straße jeweils kleinere Geldbeträge erpressen oder rauben wollte. Jedoch handelt es sich bei allen diesen Straftaten um Verbrechen, die bei Erwachsenen hohe Freiheitsstrafen nach sich ziehen würden. Insoweit fällt besonders der Einsatz von Waffen ins Gewicht. Dabei hat sich der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts in der Gruppe hervorgetan. So hat er einem Opfer die Messerklinge in die Rippengegend gehalten und von ihm Geld verlangt. Einem anderen Opfer hat er die Mündung eines Schreckschussrevolvers gegen das Kinn gedrückt, nachdem dieses die Frage nach Geld verneint hatte.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Kläger eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft droht und somit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Dabei legt der Senat zugrunde, dass diesem Erfordernis - auch bei der Verurteilung wegen Gewalttaten, zu denen die Taten des Klägers gehören - nicht schon genügt ist, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Vielmehr bedarf es wegen des bestehenden besonderen Ausweisungsschutzes einer, wie es das erwähnte Erfordernis ausdrückt, erhöhten Wahrscheinlichkeit der Begehung erneuter ähnlich schwerer Straftaten.
Die Umstände der Tatbegehung weisen auf eine erhebliche kriminelle Energie beim Kläger hin. Insbesondere der bedenkenlose und geplante Einsatz von Waffen und die - über Monate hinweg - wiederholte Tatbegehung zeugen hiervon. Dementsprechend hat das Landgericht in seinem Strafurteil beim Kläger und seinen Mittätern schädliche Neigungen in einem Ausmaß festgestellt, das die Verhängung von Jugendstrafe unerlässlich mache. Der Kläger hat auch nicht etwa nur als Mitläufer in seiner Gruppe gehandelt. Unter allen Mittätern hat er, neben seinem Freund Y., die höchste Strafe erhalten. Er war, anders als andere Mittäter, bei allen angeklagten Taten dabei und ist dabei - wie ausgeführt - mehrfach hervorgetreten.
Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber zur Auffassung gelangt ist, der Kläger habe (ausschließlich) aus Unreife, Unüberlegtheit und Schwäche gehandelt, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht hat - in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids - keine Tatsachen festgestellt, welche geeignet wären, eine solche Beurteilung zu stützen. Der Umstand, dass schwere Straftaten jugendtümliche Züge tragen, kann für sich allein nicht den Schluss rechtfertigen, die noch nicht gefestigte Persönlichkeitsstruktur eines straffällig gewordenen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden werde sich mit fortschreitendem Alter stabilisieren. Im Übrigen drängen sich Erwägungen zur Motivation des Klägers nicht etwa ohne weiteres auf. Der Kläger selbst hat sich hierzu nicht in nachvollziehbarer Weise geäußert. Der Jugendgerichtshilfebericht vom 25. Juni 1998 lässt nur erkennen, dass er damals noch nicht bereit war, seine Motivation für die Straftaten zu erläutern. Auch die später verfassten Stellungnahmen der Jugendstrafanstalt Schifferstadt vom 27. August 1998 und vom 17. Februar 1999 enthalten diesbezüglich keine Erkenntnisse. In der zuletzt genannten Stellungnahme wird vielmehr betont, der Kläger erlaube keine tieferen Einblicke in seine Persönlichkeit und es sei eine eingehende Straftataufarbeitung nicht möglich gewesen, so dass die Beziehung zwischen ihm und dem Behandlungsteam doch recht oberflächlich geblieben sei.
Eine dem Kläger günstigere Einschätzung legt auch nicht dessen ansonsten erkennbare Entwicklung nahe. Der Kläger hat bereits vor der Begehung der erwähnten Straftaten eine ungünstige Entwicklung genommen. Im Jugendgerichtshilfebericht vom 25. Juni 1998 wird ausgeführt, er habe bereits zwei Jahre vor der Tat schulisch nachgelassen, er habe die 11. Klasse wiederholen müssen, seine wiederholten Unterrichtsversäumnisse seien über die letzten zwei Jahre hinweg aufgefallen. Er habe sich selbst nicht als ausreichend motiviert angesehen und seine Leistungen seien zuletzt im Zwischenzeugnis vom 29. Januar 1998 überwiegend mit mangelhaft bewertet worden. Zwar steht nicht in Frage, dass der Kläger einer intakten Familie entstammt, die sich um ihn bemüht hat und weiter bemüht. Dies kann eine von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr jedoch nicht entscheidend mindern, zumal - zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids - nicht ersichtlich ist, inwiefern er durch die ihm gewährte Unterstützung tatsächlich günstig beeinflusst wird.
Das Verhalten des Klägers nach Begehung der Straftaten, in der Untersuchungshaft und der anschließenden Strafhaft, vermag die ausgeführten Anhaltspunkte für eine von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr gleichfalls nicht zu entkräften. Die Stellungnahmen der Jugendstrafanstalt Schifferstadt vom 27. August 1998 und vom 17. Februar 1999 besagen lediglich, dass der Kläger in der Haft in keinster Weise negativ aufgefallen ist, dass er ihm zugewiesene Aufgaben und Pflichten stets zur Zufriedenheit erfüllt hat und dass er Vollzugslockerungen beanstandungsfrei absolviert hat. Ein solches den Vollzugsbedingungen angepasstes und für eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe hinreichendes Verhalten vermag aber regelmäßig noch nicht die ernsthafte Besorgnis zu zerstreuen, der Verurteilte werde bei gegebenem Anlass erneut straffällig werden. Es bedürfte vielmehr Feststellungen zur Reifung der Persönlichkeit des Klägers, welche hier - zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids - gerade nicht getroffen werden können (vgl. etwa auch BVerwG, Urt. v. 29.9.1998, a.a.O.). Insoweit bemerkt der Senat noch, dass die Stellungnahme der Jugendstrafanstalt Schifferstadt vom 19. Februar 1999 nicht die Aussage enthält, es habe sich beim Kläger um eine "passagere Jugendkriminalität" gehandelt. Vielmehr ist dort lediglich davon die Rede, eine Reihe von Anhaltspunkten lege solches nahe.
Zutreffend hat das Regierungspräsidium über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen entschieden. Der vom Kläger verwirklichte Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG führt hier, worauf in der angefochtenen Ausweisungsverfügung (S. 3) zutreffend hingewiesen wird, schon deshalb nicht zur Regelausweisung, weil der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung Heranwachsender war und er im Bundesgebiet aufgewachsen ist und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 3 AuslG). Im Übrigen führt auch der ihm nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zustehende erhöhte Ausweisungsschutz zu einer Herabstufung der Regelausweisung zu einer Ermessensausweisung (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG).
Über die Ausweisung des Klägers hat das Regierungspräsidium ohne Ermessensfehler entschieden.
Entgegen der vom Kläger in anderem rechtlichen Zusammenhang geäußerten Auffassung hat das Regierungspräsidium den Rahmen, innerhalb dessen das Ermessen auszuüben war, nicht verschoben und eingeengt. Insbesondere hat es nicht, wie der Kläger äußert, einen Ausnahmefall vom Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG zugrunde gelegt. Für eine solche Sichtweise enthalten die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid keinen Anhaltspunkt. Das Regierungspräsidium ist vielmehr ersichtlich und zutreffend davon ausgegangen, dass die von ihm herangezogenen Ermessenstatbestände des § 47 Abs. 3 Satz 3 bzw. Satz 2 AuslG keine diesbezüglichen Einschränkungen enthalten. Das klägerische Vorbringen übersieht insoweit, dass gerade dies dem Sinn der Herabstufung der Regelausweisung zur Ermessensausweisung gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG bzw. dem in § 47 Abs. 3 Satz 3 AuslG gewährten Ausweisungsschutz für heranwachsende Ausländer entspricht.
Das Regierungspräsidium hat sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten (vgl. § 40 LVwVfG). Es hat die Ausweisung des Klägers ersichtlich maßgeblich auf die von ihm ausgehende erhöhte Wiederholungsgefahr gestützt. Es hat ferner - abwägend - alle erheblichen, gegen eine Ausweisung des Klägers sprechenden Gesichtspunkte berücksichtigt (vgl. § 45 Abs. 2 AuslG). Auch diesbezüglich lassen sich Ermessensfehler nicht feststellen. Insbesondere hat das Regierungspräsidium die Schwierigkeiten nicht verkannt, welche für den Kläger mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden sind. Seine Prognose, der Kläger könne in der Türkei - mit Unterstützung der Eltern - die schulische Ausbildung fortsetzen, hat sich in der Zwischenzeit als zutreffend herausgestellt. Hierfür gab es bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids hinreichende Anhaltspunkte. Das Regierungspräsidium durfte davon ausgehen, dass der Kläger "gute Türkischkenntnisse" (vgl. Widerspruchsbescheid S. 4) besitzt. Dafür spricht schon, dass er mit seiner türkischen Mutter 1981 ins Bundesgebiet gekommen ist und die Umgangssprache in der Familie zumindest während seiner Kindheit zweifellos türkisch war. Selbst bei Ausländern der zweiten Generation, zu denen der Kläger noch nicht zu rechnen ist, ist regelmäßig anzunehmen, dass sie die Muttersprache ihrer Eltern erlernt haben und zumindest in Grundzügen noch beherrschen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2000 - 11 S 1206/00 -, InfAuslR 2001, 119; vgl. auch Sen/Sauer/Halm, Integration oder Abschottung ? Zur Situation türkischer Zuwanderer in Deutschland, ZAR 2001, 214, 217 f.). Für hinreichende türkische Sprachkenntnisse des Klägers spricht des Weiteren auch, dass er, wie im Jugendgerichtshilfebericht vom 25. Juni 1998 erwähnt, ab der dritten Grundschulklasse bis in die Realschulzeit hinein an einem heimatkundlichen bzw. muttersprachlichen Unterricht für Türken erfolgreich teilgenommen hat. Vergleichsweise günstige Integrationsvoraussetzungen kann der Kläger in der Türkei auch deshalb vorfinden, weil die Familie in Istanbul eine Wohnung besitzt, in der sie sich regelmäßig während der Urlaubszeit aufhält, und weil in Istanbul auch eine seiner Halbschwestern mit ihrer Familie lebt (vgl. S. 2 des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten des Klägers an das Landgericht Frankenthal/Pfalz vom 17.6.1998). Nicht zu beanstanden vermag der Senat ferner die Annahme des Regierungspräsidiums, der Kläger könne in der Türkei nach Beendigung seiner schulischen Ausbildung voraussichtlich eine Berufstätigkeit, etwa im Touristikbereich, aufnehmen. Für eine gegenteilige Einschätzung gibt es, zumal bei der schulischen Ausbildung des Klägers, keine Anhaltspunkte.
Die Ausweisung des Klägers verstößt nicht gegen den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie und gegen das Recht der Eltern des Klägers auf Pflege und Erziehung der Kinder (vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG). Zutreffend hat das Regierungspräsidium in den angefochtenen Verfügungen ausgeführt, dass sich eine Trennung des Klägers von seiner Familie nicht allein nach dem Grad der dadurch verursachten Härten, sondern wesentlich auch nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verwirklichung der Ausweisungszwecke beurteilt. Je gewichtiger dieses öffentliche Interesse ist, um so eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie auch schwerwiegende Folgen zugemutet werden. Bei der erforderlichen Abwägung ist vorliegend davon auszugehen, dass der heranwachsende Kläger nicht mehr - wie ein minderjähriges Kind - auf den Beistand seiner Eltern angewiesen war (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 28.1.1997, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = InfAuslR 1997, 296). Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass er nach seiner Abschiebung im September 1999 weiter von seiner Mutter bzw. von der Mutter seines Freundes Y. in der Türkei abwechselnd versorgt worden ist.
Fehlerfrei hat das Regierungspräsidium ferner zugrunde gelegt, dass der Ausweisung des Klägers Art. 8 EMRK nicht entgegensteht. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung unter anderem seines Privat- und Familienlebens; der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Soweit sich der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK mit dem des Art. 6 GG deckt, vermittelt er zwar keinen weitergehenden Schutz als dieser (BVerwG, Urt. v. 9.12.1997, BVerwGE 106, 13 = NVwZ 1998, 742). Dem in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aber auch im Hinblick auf die Folgen für den Ausländer selbst widersprechen, durch behördliche Maßnahmen die Voraussetzungen für ein weiteres Zusammenleben mit im Vertragsstaat ansässigen Familienangehörigen zu beseitigen.
Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt danach etwa bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.9.1998, aaO). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK ist dabei neben dem Bemühen um Entlassung aus der Staatsangehörigkeit des Herkunftsstaats vor allem das Fehlen jeglicher Bindungen zum Herkunftsstaat als gewichtiger Grund für die Unverhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angesehen worden (vgl. EGMR, Urt. v. 30.11.1999 <Baghli>, InfAuslR 2000, 53; Urt. v. 21.10.1997 <Boujilefa>, InfAuslR 1998, 1; Urt. v. 26.9.1997 <Mehemi>, NVwZ 1998, 164; Urt. v. 26.3.1992 <Beldjoudi>; vgl. auch Senatsbeschl. v. 11.10.2000, a.a.O.).
Ein solcher Fall liegt hier jedoch - wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt - nicht vor. Aufgrund seiner im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vorhandenen türkischen Sprachkenntnisse, seiner türkisch geprägten Erziehung im Elternhaus, seiner familiären Beziehungen zu Angehörigen in der Türkei und auch wegen des Vorhandenseins einer Familienwohnung in Istanbul ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger über hinreichende Bindungen zur Türkei verfügt.
Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens steht der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Der Senat folgt insoweit der Begründung der angefochtenen Ausweisungsverfügung und kann deshalb von einer weiteren diesbezüglichen Darstellung der Entscheidungsgründe absehen (vgl. § 125 Abs. 1 i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO).
Offen lassen kann der Senat, ob der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 - dem Kläger ein Aufenthaltsrecht vermittelt. Denn ein solches Aufenthaltsrecht stünde jedenfalls unter dem Vorbehalt des Art. 14 ARB 1/80, wonach Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, erfolgen können. Eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ist danach gerechtfertigt, wenn außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, Urt. v. 29.9.1998, a.a.O.). Dies ist hier aus den oben dargelegten Gründen der Fall.
Schließlich kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Nach dieser Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Es bedarf keiner Erörterung, ob die Ausweisung eines noch die Schule besuchenden Heranwachsenden aus Gründen der Gefahrenabwehr eine Beschränkung für den Zugang zum Arbeitsmarkt bedeutet. Denn jedenfalls beruht die Ausweisung des Klägers nicht auf neuen Beschränkungen im Sinn dieser Vorschrift. Insbesondere hat der Beklagte den Kläger nicht in Anwendung des Regel-Ausweisungstatbestands des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG ausgewiesen. Seine Ausweisungsentscheidung gründet vielmehr ausschließlich - wie oben ausgeführt - auf den Ermessenstatbeständen des § 47 Abs. 3 Satz 2 bzw. 3 AuslG, welche - für den hier vorliegenden Fall einer Ausweisung aus Anlass der Begehung von Straftaten - uneingeschränkt dem Ermessens-Ausweisungstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965 entsprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
Beschluss
vom 26.9.2001
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 8.000,-- DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 und § 25 Abs. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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