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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 01.09.2004
Aktenzeichen: 12 S 1750/04
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG


Vorschriften:

VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 67 Abs. 1
VwGO § 91
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 147 Abs. 1
BSHG § 11 Abs. 1 S. 1
1. Eine Rechtsmittelbelehrung, die den Eindruck erweckt, die Einlegung der Beschwerde gegen einen Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren unterliege nicht dem Vertretungszwang, sondern nur deren Begründung, ist unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO. Die Wiedergabe des Wortlauts der §§ 147 Abs. 1 S. 1, 146 Abs. 4 S. 3, 67 Abs. 1 S. 1 VwGO kann aufgrund der gewählten Abfolge und des Zusatzes "schriftlich oder zur Niederschrift" irreführend sein.

2. Einer Antragserweiterung entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren betreffend Beschlüsse nach §§ 80, 80 a oder 123 VwGO stehen die in § 146 Abs. 4 S. 3 und 6 VwGO getroffenen Regelungen entgegen.

3. Die Teilnahme an einer schulbegleitenden handwerklichen Berufsausbildung, die von einem privaten Gymnasium kostenpflichtig für Schülerinnen der Klassen 10 bis 13 angeboten wird, zählt nicht zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. § 11 Abs. 1 BSHG.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

12 S 1750/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kuntze, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Frank

am 01. September 2004

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24. Juni 2004 - 5 K 786/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist allerdings nicht bereits unzulässig, weil die Zweiwochenfrist des § 147 Abs. 1 S. 1 VwGO versäumt worden wäre.

Gegen den am 26.06.2004 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24.06.2004 haben die Eltern der Antragstellerin als deren gesetzliche Vertreter mit dem am gleichen Tag dem Verwaltungsgericht per Telefax übermittelten Schriftsatz vom 09.07.2004 Beschwerde eingelegt. Die Begründung, die einen bestimmten Antrag enthielt, ist am 20.07.2004 durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht worden. Damit fehlt es an einer wirksamen Einlegung der Beschwerde binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses. Vorliegend konnte die Beschwerde gegen den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts wirksam beim Verwaltungsgericht (§ 147 Abs. 1 S. 1 VwGO) nur durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten eingelegt werden (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies folgt u.a. daraus, dass § 147 Abs. 1 S. 2 VwGO auf § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO verweist (vgl. Senatsbeschluss vom 08.01.2003 - 12 S 2562/02 -, NVwZ 2003, 885 = VBlBW 2003, 241 m.w.N.).

Da die dem Beschluss des Verwaltungsgerichts beigefügte Rechtsmittelbelehrung jedoch fehlerhaft ist, gilt die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO, innerhalb derer die Beschwerde wirksam eingelegt worden ist durch den beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 20.07.2004 (vgl. § 147 Abs. 2 VwGO).

Eine Rechtsmittelbelehrung ist im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsmittels hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (st. Rspr., z.B. BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 C 2.01 -, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 83 = DVBl 2002, 1553 m.w.N.). Vorliegend war die Rechtsmittelbelehrung objektiv geeignet, einen Irrtum über die einzuhaltende Form der Beschwerdeeinlegung auszulösen. Durch Wortlaut und Abfolge der drei Absätze des Textes konnte aus Sicht des Empfängers der Eindruck entstehen, dass er binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung persönlich die Beschwerde entweder "schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" einlegen könne und nur deren Begründung, die "einen bestimmten Antrag enthalten" müsse, innerhalb der Monatsfrist durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten ein- bzw. nachzureichen sei, da sich vor dem Verwaltungsgerichtshof jeder Beteiligte, "soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule ..." vertreten lassen müsse.

Obwohl in der Rechtsmittelbelehrung der Wortlaut der §§ 147 Abs. 1 S. 1, 146 Abs. 4 S. 3, 67 Abs. 1 S. 1 VwGO als solcher jeweils zutreffend wiedergeben wird, konnte diese selbst bei sorgfältiger Lektüre ohne weiteres so verstanden werden, dass der in § 67 Abs. 1 VwGO geregelte Vertretungszwang nicht schon für die Einlegung der Beschwerde, sondern erst für deren Begründung gelte. Der Zusatz "schriftlich oder zur Niederschrift" erweckt regelmäßig den Eindruck, dass das Rechtsmittel ohne anwaltliche Vertretung zur Niederschrift eingelegt werden dürfe (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.10.1997 - 1 B 164.97 -, NVwZ 1998, 170, und vom 27.08.1997 - 1 B 145.97 -, NVwZ 1997, 1211; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.06.2002 - 12 B 989/02 -, NVwZ-RR 2002, 912; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 124a RdNr. 59; jeweils m.w.N.). Der entsprechende Passus "schriftlich oder zur Niederschrift" in § 147 Abs. 1 S. 1 VwGO ist wegen der in § 147 Abs. 1 S. 2 VwGO enthaltenen Verweisung auf § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO vor allem für die Beschwerden gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe von Bedeutung, da für diese ein Vertretungszwang nicht besteht.

Soweit in der Beschwerdeschrift vom 20.07.2004 eine Antragsänderung in Form einer Erweiterung des erstinstanzlich geltend gemachten Antragsbegehrens zu sehen ist, ist eine solche nicht zulässig.

Die 1987 geborene Antragstellerin bezieht zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester seit Juli 2003 Sozialhilfe. Sie besucht seit der 4.Klasse als externe Schülerin das katholische Mädchen-Gymnasium Heimschule Kloster Wald. Für den Besuch der Schule ist ein monatliches Schulgeld von 40,-- EUR zu zahlen. Ab der 10. Klasse - im Falle der Antragstellerin also ab dem 01.09.2004 - kann mit einer handwerklichen Ausbildung begonnen werden (in den Klassen 10 bis 13 während der Schulzeit ein Nachmittag in der Woche Unterricht in der Werkstatt, nach dem Abitur Fortsetzung als ganztägige Lehre bis zur Gesellenprüfung), für die während der Schulzeit ganzjährig 72,50 EUR pro Monat zusätzlich zu entrichten sind. Vor dem Verwaltungsgericht hat die Antragstellerin ausschließlich beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr im Wege der Hilfe zum Lebensunterhalt die Kosten der schulischen Berufsausbildung an der Heimschule Kloster Wald zu gewähren. Soweit sie (erstmals) im Beschwerdeverfahren geltend macht, dass der streitgegenständliche Hilfeanspruch sich auch auf das Schulgeld in Höhe von 40,-- EUR beziehe, es insgesamt also um Kosten von monatlich 112,50 EUR gehe, handelt es sich um eine Antragsänderung in Form einer Antragserweiterung (§ 91 VwGO analog), die im Beschwerdeverfahren nicht (mehr) zulässig ist (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 22.08.2003 - 4 Bs 278/03 -, NordÖR 2004, 203 m.w.N.; a.A. wohl Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 91 RdNr. 1; Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, § 91 RdNr. 3).

Einer Antragserweiterung entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren betreffend Beschlüsse nach §§ 80, 80 a oder 123 VwGO stehen die in § 146 Abs. 4 S. 3 und 6 VwGO getroffenen Regelungen entgegen. Aus diesen wird zu Recht geschlossen, dass das Beschwerdegericht in diesen Verfahren nur zur Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung befugt ist und insoweit keine eigene, originäre Entscheidung trifft (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O. § 146 RdNr. 43; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, a.a.O. § 146 RdNrn. 16, 28 f., 34). Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die Übernahme des monatlichen Schulgeldes in Höhe von 40,-- EUR zuvor beim Antragsgegner als dem zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt hat. Vorliegend wäre somit hinsichtlich dieser Erweiterung des Antragsbegehrens auch das - erforderliche - allgemeine Rechtsschutzinteresse zu verneinen.

Soweit die Beschwerde zulässig ist, ergibt sich aus den in ihr dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO) nicht, dass der angefochtene Beschluss abzuändern oder aufzuheben ist (§ 146 Abs. 4 S. 3 VwGO).

Mit dem Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11, 12 BSHG ist auf den n o t w e n d i g e n Lebensunterhalt beschränkt. Vor dem Hintergrund der auch für den Besuch eines öffentlichen Gymnasiums geltenden Schulgeld- und Lernmittelfreiheit (vgl. Art. 14 Abs. 2 S. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg; §§ 93, 94 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg) ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Besuch einer privaten Ersatzschule grundsätzlich nicht zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. §§ 11, 12 BSHG zählt, mit der Folge, dass die damit verbundenen (Mehr-)Kosten nicht im Wege der Sozialhilfe übernommen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.08.1992 - 5 C 70.88 -, Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 16 = NVwZ 1993, 691 = FEVS 44, 4; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.08.1988 - 6 S 1031/87 -, DÖV 1988, 1065; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.10.1992 - 5 L 417/91 -, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 31.01.1990 - 4 OVG A 128/88 -, info also 1990, 95).

Es liegt auf der Hand, dass nur wenige Jugendliche, die ein Gymnasium in den Klassen 10 bis 13 besuchen mit dem Ziel, das Abitur zu erlangen, parallel zum Schulbesuch mit einer kostenpflichtigen handwerklichen Berufsausbildung beginnen. So sehr dies förderlich oder sogar wünschenswert sein mag, handelt es sich hierbei - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um überobligatorische Ausbildungswünsche und damit nicht um einen üblichen bzw. lebensnotwendigen Bedarf. Trotz der von den Eltern der Antragstellerin vorgelegten eidesstattlichen Erklärung vom 21.07.2004 ist nach der Überzeugung des Senats nicht glaubhaft gemacht bzw. nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan worden, dass der weitere Besuch der Heimschule Kloster Wald als externe Schülerin ab Klasse 10 von der Teilnahme an der schulbegleitenden handwerklichen Ausbildung abhängt. Ein einschlägiges Informationsblatt der Heimschule Kloster Wald wurde (bislang) nur als unvollständige bzw. lückenhafte Kopie vorgelegt. Selbst dieser Kopie sind genügend Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Teilnahme an der handwerklichen Ausbildung keine zwingende Voraussetzung für den weiteren Schulbesuch darstellt. Eine Bescheinigung der Heimschule Kloster Wald, aus der sich anderes ergeben könnte, ist nicht vorgelegt worden. Unabhängig hiervon sind gewichtige Gründe i.S.d. oben zitierten Rechtsprechung, die es unzumutbar erscheinen lassen würden, wenn die Antragstellerin zum Beginn des neuen Schuljahres auf ein öffentliches Gymnasium wechseln würde, (bisher) nicht hinreichend dargelegt bzw. glaubhaft gemacht worden.

Fehlt es somit an einer ausreichenden Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches, kann offen bleiben, ob ein Anordnungsgrund vorliegt.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes kann nicht entsprochen werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung (Beschwerde) aus den oben dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 S. 2 Halbs. 1 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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