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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.01.2003
Aktenzeichen: 12 S 2562/02
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 67 Abs. 1 S. 1
VwGO § 67 Abs. 1 S. 2
VwGO § 146 Abs. 1 S. 1
VwGO § 147 Abs. 1 S. 1
1. Auch die Einlegung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht (§ 147 Abs. 1 S. 1 VwGO) unterliegt dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO (wie Bayer. VGH, Beschluss vom 14.05.2002, NVwZ 2002, 1391).

2. Einer Naturalpartei ist nach geltendem Verfahrensrecht die Möglichkeit verwehrt, ohne Vorliegen einer sie beschwerenden erstinstanzlichen (Sach- oder Prozesskostenhilfe-) Entscheidung das Beschwerdegericht (allein) wegen einer - ihrer Meinung nach - überlangen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Wege der sog. Untätigkeitsbeschwerde anzurufen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

12 S 2562/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Brockmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schneider

am 08. Januar 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden des Klägers werden verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Die Beschwerden, mit welchen sich der Beschwerdeführer gegen die Nichtterminierung des beim Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängigen Klageverfahrens 2 K 2135/02 und gegen die Nichtbescheidung seines in jenem Verfahren gestellten Prozesskostenhilfegesuchs wendet, sind unzulässig.

1. Die gegen die Nichtterminierung des genannten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - und die nach Auffassung des Klägers damit verbundene faktische Aussetzung des Verfahrens - gerichtete Beschwerde ist unzulässig.

a) Es liegt keine beschwerdefähige förmliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 146 Abs. 1 S. 1 VwGO vor. Nach dieser Vorschrift ist gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, die Beschwerde statthaft, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Die Statthaftigkeit einer Beschwerde setzt damit grundsätzlich das Vorliegen einer förmlichen Entscheidung voraus, wie auch die Abgrenzung zu anderen Verfahrensmaßnahmen in § 146 Abs. 2 VwGO zeigt. Eine solche förmliche und damit beschwerdefähige Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall in Bezug auf die (Nicht-) Terminierung des Verfahrens bzw. dessen Aussetzung nicht getroffen. Die Berichterstatterin und die Kammervorsitzende haben in den von der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Aktenvermerken vom 13.11.2002 lediglich formlos auf die Belastung der Kammer und darauf hingewiesen, in welcher zeitlichen Reihenfolge die anhängigen sozialhilferechtlichen Verfahren terminiert und entschieden werden. Selbst wenn man den Aktenvermerken zugleich die (konkludente) Aussage entnehmen wollte, dass eine alsbaldige Terminierung des vorliegenden Verfahrens nicht zu erwarten ist, läge darin keine beschwerdefähige Entscheidung im Sinne von § 146 Abs. 1 S. 1 VwGO. Dem steht nicht entgegen, dass im Zivilprozess die Ablehnung einer Terminsbestimmung unter bestimmten Voraussetzungen beschwerdefähig ist (vgl. dazu Baumbach/Lauter- bach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 216 RdNr. 32 m.w.N.). Die Vorschrift des § 216 Abs. 2 ZPO, nach der der Vorsitzende den Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen hat, gilt wegen der abweichenden Gestaltung des Verfahrens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht, weshalb die Versagung oder Unterlassung der Terminsbestimmung einen Beteiligten in keinem gesetzlichen Recht verletzen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.01.1984 - 5 S 183/84 -, NJW 1984, 993; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, a.a.O.).

b) Ob und unter welchen Voraussetzungen in den Fällen, in denen die versagte oder unterlassene Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung einer Rechtsschutzverweigerung bzw. - wie der Kläger meint - einer faktischen Aussetzung des Verfahrens gleichkommt, trotz Nichtvorliegens einer förmlichen Entscheidung eine Beschwerdemöglichkeit nach § 146 Abs. 1 VwGO zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten sein kann (so etwa Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl., § 124 RdNr. 14; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 146 RdNr. 9; vgl. zum Streitstand auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124 RdNrn. 36 ff. m.w.N), braucht anlässlich des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn man die Statthaftigkeit der Beschwerde nach § 146 VwGO unter diesem Gesichtspunkt unterstellen würde, so ist diese jedenfalls deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil der Beschwerdeführer für die Einlegung der Beschwerde in eigener Person nicht postulationsfähig ist.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für Beschwerden (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 und S. 2 VwGO in der seit 1.1.2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3987). Die Bestimmung des § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO unterwirft durch die Verweisung auf § 67 Abs. 1 Satz 2 sämtliche Beschwerden grundsätzlich dem Vertretungszwang (zur fehlenden Postulationsfähigkeit eines sonst von der Entscheidung Betroffenen im Sinne von § 146 Abs. 1 VwGO vgl. Beschluss des Senats vom 18.11.2002 - 12 S 2217/02 -).

Der Vertretungszwang für die in § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezeichneten Rechtsbehelfe erstreckt sich auch auf deren Einlegung und zwar selbst dann, wenn diese - wie im Falle der Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO - auch beim Verwaltungsgericht fristwahrend erfolgen kann (vgl. § 147 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO). Zwar ist in § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO mehrfach ausdrücklich von der "Einlegung der Beschwerde" die Rede, während es darin im Hinblick auf die Neuregelung heißt: "Das gilt auch ... für Beschwerden und sonstige Nebenverfahren." Hieraus folgt indessen nicht, dass es für die Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht bei dem allgemeinen Grundsatz des § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO bleibt, die Beschwerdeeinlegung beim Verwaltungsgericht also nicht dem Vertretungszwang unterliegt (so aber Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 67 RdNr. 21 m.w.N.). Der Auffassung, für eine dahingehende extensive Auslegung des Vertretungszwangs fehle jeder Anhalt im Tatbestand der Norm (Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O.), steht der den Gesetzesmaterialien zu entnehmende eindeutige Wille des Normgebers entgegen, wie er seinen Ausdruck zunächst in der Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (BT-Drucks. 14/6393) gefunden hat. Danach sollte der vorgesehene Vertretungszwang im Interesse eines zügigen und konzentrierten Verfahrensablaufs vor dem Oberverwaltungsgericht auch für die Einlegung der zulassungsfreien Beschwerden vorgeschrieben sowie auf alle sonstigen Nebenverfahren erweitert werden, bei denen in der Hauptsache Vertretungszwang besteht (vgl. BT-Drucks. 14/6854 S. 2). Im weiteren - zum Teil kontroversen - Gesetzgebungsverfahren hielt der Bundesrat an seinen Vorstellungen fest, denen der Vermittlungsausschuss im Wesentlichen folgte (vgl. BT-Drucks. 14/7779); dessen Beschlussempfehlung wurde schließlich unverändert übernommen. Damit unterliegt auch die Einlegung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht nach der gesetzgeberischen Intention grundsätzlich dem Vertretungszwang (ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 14.05.2002, NVwZ 2002, 1391; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 67 RdNr. 14; Eyermann/Happ, VwGO, Nachtrag zur 11. Aufl., § 67 RdNr. N3).

Erfasst der generelle Vertretungszwang vor dem Oberverwaltungsgericht aber im Grundsatz alle Beschwerden gegen gerichtliche "Entscheidungen" im oben genannten Sinne, so ist kein Grund ersichtlich, gerade diejenigen Beschwerden hiervon auszunehmen, die an die Untätigkeit des Verwaltungsgerichts, also gewissermaßen an eine Nicht-Entscheidung anknüpfen. Für eine dahingehende prozessuale Privilegierung der (Untätigkeits-) Beschwerden, die jedenfalls im normierten Prozessrecht der Verwaltungsgerichtsordnung keine Grundlage finden, besteht insbesondere nach dem Sinn und Zweck der Regelung über den Vertretungszwang keine Veranlassung. Auch in diesen Fällen fehlt daher einem nicht qualifiziert vertretenen Beteiligten die Postulationsfähigkeit gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO für die Beschwerdeeinlegung. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, ein Vertretungszwang bestehe nach dem Gesetzeswortlaut nur für Beschwerden, "bei denen in der Hauptsache Vertretungszwang besteht". Der in § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO nachfolgende Relativsatz diesen Inhalts bezieht sich ausweislich der bereits zitierten Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 14/6854 S. 2) nicht auf die Beschwerden, sondern auf die sonstigen Nebenverfahren (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 67 RdNr. 20; vgl. auch Seibert, NVwZ 2002, 265, 269). Die Beschwerdeeinlegung unterliegt daher, auch soweit sie beim Verwaltungsgericht erfolgt, ohne Einschränkung dem Vertretungszwang (zur - redaktionell problematischen - Erwähnung der Nebenverfahren in § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO vgl. Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 67 RdNr. 16).

2. Die Beschwerde ist auch insoweit unzulässig, als sie sich gegen die Nichtbescheidung des beim Verwaltungsgericht am 22.07.2002 gestellten Prozesskostenhilfegesuchs richtet.

Es kann dahinstehen, ob die sog. "Untätigkeitsbeschwerde" (vgl. Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 166 RdNr. 85) im Bereich der Prozesskostenhilfe schon deswegen unzulässig ist, weil die Verwaltungsgerichtsordnung einen solchen Rechtsbehelf nicht vorsieht (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.12.1997, NVwZ-RR 1998, 340; Hess. VGH, Beschluss vom 08.06.1998, DVBl 1999, 114; anders Bayer. VGH, Beschlüsse vom 27.01.2000, NVwZ 2000, 693 und vom 06.08.1996, NVwZ-RR 1997, 501; offengelassen von OVG Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2000, DVBl 2001, 314; zum Streitstand vgl. im Übrigen die Nachweise oben 1. b). Denn dem Kläger fehlt auch für die Einlegung einer Beschwerde gegen die Nichtbescheidung seines Prozesskostenhilfegesuchs die Postulationsfähigkeit. Zwar enthält die Vorschrift des § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO in der seit 1.1.2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) für den Bereich der Prozesskostenhilfe eine Ausnahme vom Vertretungszwang. Diese ist jedoch nach dem Gesetzeswortlaut begrenzt auf "Beschwerden gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe". Damit knüpft die Befreiung vom Vertretungszwang nach geltendem Recht unzweifelhaft an das Vorliegen einer förmlichen Entscheidung in Form eines Beschlusses an. Daraus folgt aber im Umkehrschluss, dass auch im Verfahren der Prozesskostenhilfe die Erhebung (und Begründung) einer Beschwerde, soweit sie sich - wie hier - gegen die bloße Untätigkeit des Verwaltungsgerichts in Form der Nichtbescheidung eines Prozesskostenhilfegesuchs richtet, dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO unterfällt. Für eine erweiternde Auslegung der Norm dahingehend, ein Beteiligter sei auch für die Einlegung einer "Untätigkeitsbeschwerde" im Prozesskostenhilfeverfahren in eigener Person postulationsfähig, ist angesichts des klaren gesetzlichen Wortlauts, der seinerseits dem Anliegen des Normgebers Rechnung trägt, durch anwaltschaftliche Vertretung einen zügigen und konzentrierten Verfahrensablauf vor dem Oberverwaltungsgericht sicherzustellen (vgl. BT-Drucks. 14/6854 S. 2), kein Raum. Unter Rechtsschutzgesichtspunkten besteht regelmäßig auch kein praktisches Bedürfnis dafür, einem nicht qualifiziert vertretenen Beteiligten über den Wortlaut des § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO hinaus die Anrufung des Oberverwaltungsgerichts für die Einlegung eines Rechtsmittels zu eröffnen, welches jedenfalls dem normierten Prozessrecht der Verwaltungsgerichtsordnung fremd ist. Demgemäß ist einer Naturalpartei nach geltendem Verfahrensrecht die Möglichkeit, ohne Vorliegen einer sie beschwerenden erstinstanzlichen (Sach- oder Prozesskostenhilfe-) Entscheidung das Beschwerdegericht (allein) wegen einer - ihrer Meinung nach - überlangen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens anzurufen, verwehrt (zur Postulationsfähigkeit für einen PKH-Antrag für ein beabsichtigtes Rechtsmittel gegen eine Sachentscheidung, vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.06.2002, VBlBW 2002, 444; vgl. dazu auch Eyermann/Happ, VwGO, Nachtrag zur 11. Aufl., § 67 RdNr. N3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 S. 2 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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