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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 14.01.2003
Aktenzeichen: 12 S 2637/02
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 2 S. 1
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1
VwGO § 147 Abs. 1 S. 1
Nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht dem Prozessbevollmächtigten für eine Beschwerde gegen einen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts bei nachholender Wahrung der Einlegungsfrist (§ 147 Abs. 1 S.1 1 i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) die - gerechnet von der Zustellung der Bewilligungsentscheidung - vollständige Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO von einem Monat zur Verfügung.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

12 S 2637/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Sozialhilfe

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Brockmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schneider

am 14. Januar 2003

beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird gegen die Versäumung der Fristen zur Beschwerdeeinlegung und zur Beschwerdebegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. August 2002 - 2 K 1733/02 - geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Mai 2002 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.

Dem Antragsteller ist wegen der Versäumung der Fristen zur Beschwerdeeinlegung und zur Beschwerdebegründung (vgl. § 147 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO) nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30.09.2002, ihm zugestellt am 08.10.2002, wurde dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 13.08.2002 bewilligt. Der Antragsteller hat am 22.10.2002 - und somit innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO - durch seinen beigeordneten Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Beschwerde eingelegt. Damit hat er eine der Rechtshandlungen nachgeholt, an deren fristgerechter Vornahme er wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO) und damit ohne sein Verschulden (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO) gehindert war.

Der Antragsteller war auch ohne Verschulden verhindert, die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO einzuhalten, so dass ihm auf seine rechtzeitig nachgeholte Beschwerdebegründung insoweit ebenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (§ 60 Abs. 1 VwGO). Für die Nachholung der Beschwerdebegründung stand dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei nachholender Wahrung der Einlegungsfrist (§ 147 Abs. 1 S.1 1 i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht lediglich die 2-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO zur Verfügung, sondern die - gerechnet von der Zustellung der Bewilligungsentscheidung - vollständige Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO von einem Monat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht dem Prozessbevollmächtigten eines Rechtsmittelführers bei nachholender Wahrung der Einlegungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) zumindest dann eine - gerechnet von der Zustellung der Bewilligungsentscheidung - vollständige Begründungsfrist von zwei Monaten im Sinne des § 133 Abs. 3 S. 1 VwGO zu, wenn keine gesonderte Wiedereinsetzungsentscheidung hinsichtlich der Einlegung ergangen ist, die mit einer sich daran anschließenden einmonatigen Begründungsfrist verbunden wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.04.2002, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 244; vgl. auch Beschluss vom 18.03.1992, Buchholz 310 § 133 n.F. Nr. 3; vgl. ebenso Sächs. OVG, Beschluss vom 21.07.1999, SächsVBl 2000, 95 für die Frist des § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO a. F.). Der Senat wendet diese Rechtsprechung auch auf die nachholende Wahrung der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO an, da auch hier dem im Prozesskostenhilfeverfahren erfolgreichen, aber nicht bemittelten Beschwerdeführer die vollständige Begründungsfrist verbleiben muss, um nicht gegenüber bemittelten Rechtsmittelführern benachteiligt zu sein. Zwar ist es einem im Wege der PKH-Bewilligung beigeordneten Rechtsanwalt regelmäßig zumutbar, innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO selbst dann eine ordnungsgemäße Beschwerdeeinlegung nachzuholen, wenn er - wie hier - erstmals durch die PKH-Bewilligung mit dem Verfahren befasst worden ist. Entsprechendes gilt jedoch nicht für die ordnungsgemäße Nachholung einer Beschwerdebegründung. Hierfür ist ihm aus Gleichbehand-lungsgründen eine Monatsfrist - gerechnet von der Zustellung der PKH-Bewilligung - zuzubilligen, also eine ebenso lang bemessene Frist für Überlegungen, Beratungen und das Abfassen eines Begründungsschriftsatzes, wie sie dem gewöhnlichen Bevollmächtigten nach Kenntnisnahmemöglichkeit von den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach deren Zustellung offensteht. Diese Monatsfrist wurde durch die am 08.11.2002 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangene Beschwerdebegründung gewahrt.

Die Beschwerdebegründung genügt auch den formalen Erfordernissen des § 146 Abs. 4 VwGO. Zwar enthält sie - abgesehen von dem Wiedereinsetzungsantrag - keinen Sachantrag, das ist jedoch - ausnahmsweise - unschädlich, da sich dem Inhalt der Beschwerdebegründung unzweifelhaft das Rechtsschutzziel entnehmen lässt, unter Abänderung der dem Antragsteller nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29.05.2002 zu erreichen (vgl. zum Inhalt der Beschwerdebegründung und dem grundsätzlichen Antragserfordernis VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2002, VBlBW 2002, 398).

Die Beschwerde ist auch begründet. Anders als das Verwaltungsgericht sieht der Senat Veranlassung, dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29.05.2002 zu gewähren. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 Abs. 5 S. 1 VwGO) gegen den für sofort vollziehbar erklärten Heranziehungsbescheid (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) ist geboten, weil der Widerspruch des Antragstellers nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Aus diesem Grund überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vom sofortigen Vollzug des angegriffenen Bescheids bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen Vollzug.

Der ergangene Heranziehungsbescheid vom 29.05.2002 ist voraussichtlich mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit rechtswidrig (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit muss, soweit sie wie hier durch Verwaltungsakt erfolgt, hinsichtlich der Art der Arbeit, ihres zeitlichen Umfangs und ihrer zeitlichen Verteilung sowie - wird die 2. Alternative des § 19 Abs. 2 Halbsatz 1 BSHG gewählt - der Höhe der angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen hinreichend bestimmt sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.02.1983, BVerwGE 67, 1, 6, vom 13.10.1983, BVerwGE 68, 97, 99 f. und vom 04.06.1992, NVwZ 1993, 371). Hieran dürfte es im vorliegenden Fall fehlen (vgl. hierzu bereits den im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss vom 30.09.2002 - 7 S 1987/02 -). Zwar ist aus dem genannten Bescheid für den Antragsteller hinreichend erkennbar, dass der Antragsgegner ihn zu monatlich 60 Stunden gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit im Sinne von § 19 Abs. 2 BSHG bei den Stadtwerken Leimen heranziehen will. Der Bescheid enthält auch Angaben zur Höhe der hiermit verbundenen angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen (vgl. § 19 Abs. 2 Halbsatz 1 Alternative 2 BSHG). Allerdings dürfte der Bescheid im Hinblick auf die Art der zu verrichtenden Arbeit zu unbestimmt sein. Denn mit der Bezeichnung "Hilfstätigkeiten" bleibt offen, welche Arbeiten der Antragsteller konkret verrichten soll. Bei der Heranziehung zur gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit nach § 19 Abs. 2 BSHG müssen die zu leistenden Tätigkeiten indessen so genau bestimmt sein, dass keine Zweifel bleiben, ob sie einem Sozialhilfeempfänger zumutbar sind (vgl. auch VGH Baden-Württ., Urteil vom 08.09.1986 - 6 S 2001/86 -). Nicht ausreichend ist, wenn - wie im vorliegenden Fall geschehen - die Auswahl der konkret zu leistenden Arbeit der Leitung der Einrichtung überlassen ist, welcher der Sozialhilfeempfänger zugewiesen wird (BVerwG, Urteil vom 13.10.1983, a.a.O.; vgl. auch Bayer. VGH, Urteil vom 19.03.1991, FEVS 43, 331).

Die hieraus folgende Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 29.05.2002 lässt sich voraussichtlich nicht nachträglich - etwa im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens - in der Weise heilen, dass der Antragsgegner den Antragsteller unter Beachtung des Bestimmtheitserfordernisses neu bescheidet. Denn eine erneute Aufforderung zur Leistung von gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit kann für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nicht mehr ergehen (BVerwGE 29, 99, 107; 67, 1, 8; 68, 91, 97).

Der Antragsteller wird durch das beschriebene Bestimmtheitsdefizit voraussichtlich auch noch gegenwärtig in seinen Rechten verletzt. Zwar ist der im Bescheid festgelegte Termin zum Einstellungsgespräch und zur Arbeitsaufnahme (05.06.2002) verstrichen. Die dem Antragsteller aufgegebene Verpflichtung zur Ableistung einer bestimmten Zahl von Arbeitsstunden pro Monat besteht jedoch bis auf Weiteres fort, weshalb er weiterhin beschwert sein dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 S. 2 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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