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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 10.02.2003
Aktenzeichen: 12 S 2657/02
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 17
VwGO § 67 Abs. 1 S. 1
VwGO § 67 Abs. 1 S. 2
VwGO § 122 Abs. 1
VwGO § 147 Abs. 1 S. 2
VwGO § 152 Abs. 1
Die Einlegung einer Gegenvorstellung unterliegt jedenfalls dann dem Vertretungszwang des § 67 VwGO, wenn ein solcher für das frühere Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht bestand, auf dessen formalen Abschluss sie sich bezieht.
12 S 2657/02

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Wohngeld

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Brockmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schneider

am 10. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Gegenvorstellung des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 20. Januar 2003 - 12 S 2657/02 - wird verworfen.

Gründe:

Die Gegenvorstellung gegen den die Beschwerde des Klägers verwerfenden Senatsbeschluss vom 20.01.2003 ist unzulässig, weil dem nicht qualifiziert vertretenen Kläger die erforderliche Postulationsfähigkeit fehlt.

Die Gegenvorstellung gegen richterliche Entscheidungen ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht geregelt. Gleichwohl ist sie als Erscheinungsform des Petitionsrechts nach Art. 17 GG nicht ausgeschlossen, wenn das Gericht seine Entscheidung selbst wieder aufheben darf. Dies ist nach der Rechtsprechung bei einer Gegenvorstellung gegen formell unanfechtbare Beschlüsse der Fall, soweit mit dieser die Verletzung des rechtlichen Gehörs und vergleichbaren prozessualen Unrechts geltend gemacht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.06.1976, BVerfGE 42, 243 [245] und Beschluss vom 08.07.1986, BVerfGE 73, 322 [326 f.]; BVerwG, Beschluss vom 08.01.1991, NVwZ-RR 1991, 260; vgl. aber zur Statthaftigkeit der Gegenvorstellung gegenüber Urteilen BVerwG, Beschluss vom 08.03.1995, NJW 1995, 2053). Die Gegenvorstellung stellt in diesem Falle eine Aufforderung an das Gericht dar, die eigene Entscheidung aus nachträglich besserer Einsicht wieder aufzuheben (BVerwG, Beschluss vom 08.01.1991, a.a.O.). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, nicht offensichtlich neben der Sache liegendes Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, zu würdigen und unter Grundrechtsverstoß erfolgte Verfahrensfehler im Wege der Selbstkontrolle zu beseitigen (BVerfG, Beschluss vom 08.07.1986, a.a.O.).

Mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der seinerseits Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips ist, wäre es allerdings unvereinbar, wenn Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts, die nach dem geltenden Prozessrecht der Verwaltungsgerichtsordnung mit förmlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbar sind (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO), über die (formlose) Gegenvorstellung ohne Weiteres, das heißt freigestellt von den sonst für Anträge und Rechtsmittel geltenden prozessualen Kautelen der Verwaltungsgerichtsordnung, einer erneuten umfassenden Überprüfung zugeführt werden könnten. Die Gegenvorstellung stellt sich verfahrensmäßig als Annex zum vorangegangenen Erkenntnis-, Antrags- oder Rechtsmittelverfahren dar und folgt als solcher dessen prozessualen Regeln (vgl. Seetzen, NJW 1982, 2337, 2343 f.). Dies hat auch für die Postulationsfähigkeit eines Beteiligten bei der Einlegung der Gegenvorstellung beim Oberverwaltungsgericht zu gelten.

Eine Erweiterung der gesetzlichen Regelung der Postulationsfähigkeit über das Institut der Gegenvorstellung verbietet sich bereits mit Blick auf die Systematik des § 67 Abs. 1 VwGO. Die Vorschrift trifft in Satz 2 für den Bereich der förmlichen Rechtsmittel eine differenzierende Regelung der Postulationsfähigkeit, legt aber in Satz 1 einen generellen Vertretungszwang für Anträge fest. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut ("... soweit er einen Antrag stellt.") gilt der Vertretungszwang des Satz 1 nicht nur für die Antragstellung selbst, sondern für das gesamte Verfahren, also die Vornahme sämtlicher Prozesshandlungen vor dem Oberverwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 67 RdNr. 15).

Auch im Hinblick auf die materiellen Rechtskraftwirkungen (§ 121 VwGO), die - entgegen der nicht abschließenden Aufzählung in § 122 Abs. 1 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 122 RdNr. 3) - zumindest bestimmten Beschlüssen zukommen können (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl., § 122 RdNr. 5 m.w.N.), besteht für eine prozessuale Privilegierung der Gegenvorstellung, die jedenfalls im normierten Prozessrecht der Verwaltungsgerichtsordnung keine Grundlage findet, gegenüber den sonstigen Rechtsbehelfen keine Veranlassung.

Dieses umfassende Verständnis des prinzipiellen Vertretungszwangs vor den Obergerichten entspricht schließlich der gesetzgeberischen Intention, wie sie unter anderem dem seit 01.01.2002 geltenden Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) zugrunde liegt. Danach sollte der vorgesehene Vertretungszwang im Interesse eines zügigen und konzentrierten Verfahrensablaufs vor dem Oberverwaltungsgericht auch für die Einlegung der zulassungsfreien Beschwerden vorgeschrieben sowie auf alle sonstigen Nebenverfahren erweitert werden, bei denen in der Hauptsache Vertretungszwang besteht (vgl. BT-Drucks. 14/6854 S. 2; vgl. auch Senatsbeschluss vom 08.01.2003 - 12 S 2562/02 -). Auch vor diesem Hintergrund müsste eine Freistellung der Gegenvorstellung vom ansonsten geltenden Vertretungszwang als unangemessen erscheinen.

Allerdings ist die Einlegung einer Gegenvorstellung nicht als Antrag im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu qualifizieren mit der Folge, dass sämtliche Gegenvorstellungen unabhängig von der Art des vorausgegangenen Verfahrens dem Vertretungszwang unterfallen. Eine solche Sichtweise würde sich - etwa im Bereich der Prozesskostenhilfe - nicht nur der Inkonsequenz aussetzen, dass sowohl das fachgerichtliche Verfahren als auch ein eventuelles späteres Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - mit Ausnahme der mündlichen Verhandlung (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BVerfGG) - durch eine Naturalpartei betrieben werden könnte, jedoch für das dazwischen geschaltete Verfahren über die Gegenvorstellung ein qualifizierter Vertreter bevollmächtigt werden müsste. Sie müsste auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG als problematisch erscheinen. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) verlangt, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wahrnimmt, um die behaupteten Grundrechtsverletzungen bereits im Ausgangsverfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Zum Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 BVerfGG gehört aber in bestimmten Fällen die Gegenvorstellung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.08.2000 - 2 BvR 1245/00 -, juris und vom 24.10.1996, BVerfGE 95, 96 [127]). Würde hier über die geltenden Vorschriften des Prozessrechts hinaus ein genereller Vertretungszwang statuiert, so würde einer Naturalpartei dadurch die Ausschöpfung des Rechtsweges und damit die Möglichkeit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts erschwert.

Demgegenüber erscheint die Annahme eines Vertretungszwangs auch für die Einlegung und Begründung einer Gegenvorstellung als bedenkenfrei, wenn sich diese als Annex eines Antrags- oder Rechtsmittelverfahrens darstellt, für welches seinerseits nach der gesetzlichen Regelung ein Vertretungszwang angeordnet ist. Die Einlegung einer Gegenvorstellung, verstanden als prozessuale Anregung an den iudex a quo (vgl. Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 67 RdNr. 18), unterliegt jedenfalls dann dem Vertretungszwang des § 67 VwGO, wenn dieser für das frühere Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht bestand, auf dessen formalen Abschluss sie sich bezieht (im Ergebnis ebenso BFH, Beschlüsse vom 11.05.2001 - XI S 11/01 - und vom 02.06.1998 - V B 99/97 - juris; Bay. VGH, Beschluss vom 27.06.1997, BayVBl. 1999, 445, 446; Eyermann/Happ, VwGO, a.a.O.; Seetzen, a.a.O.; a. A. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124 RdNr. 20; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, a.a.O.). Damit ist die im vorliegenden Fall vom Kläger persönlich eingelegte Gegenvorstellung gegen einen im Beschwerdeverfahren (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 2, § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ergangenen Beschluss des Senats mangels Postulationsfähigkeit unzulässig.

Obwohl mithin nicht erheblich, wäre die Gegenvorstellung auch in der Sache ohne Erfolg geblieben. Soweit der Kläger den aus seiner Sicht verfrühten Entscheidungstermin rügt, bestand für den Senat keine Veranlassung, mit der Entscheidung im vorliegenden, entscheidungsreifen Verfahren zuzuwarten. Anlass hierzu gab insbesondere nicht die in einem Parallelverfahren ergangene Entscheidung des Senats. Dass dem Kläger ein prozessualer Nachteil dadurch entstanden wäre, dass sein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde nunmehr den Gegenstand eines gesonderten Verfahrens (12 S 230/03) bildet, ist zudem nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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