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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 02.12.2004
Aktenzeichen: 12 S 2793/04
Rechtsgebiete: ZPO, GG


Vorschriften:

ZPO § 114
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG macht die Beschleunigung des Prozesskostenhilfeverfahrens erforderlich. Über ein frühzeitig eingereichtes, vollständiges Prozesskostenhilfegesuch ist im Klageverfahren einige Zeit vor der mündlichen Verhandlung zu entscheiden, wenn sonst den Klägern Nachteile entstehen können (wie VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.04.2004 - 7 S 908/03 und 14.06.2004 - 12 S 571/04 - VBlBW 2004, 385 jeweils m.w.N.). Eine verspätete Entscheidung verletzt den Grundsatz des fairen Verfahrens.

Die Prüfung der Erfolgsaussicht dient der Ermöglichung der Rechtsverfolgung, nicht deren Durchführung. Sie ist daher eine vorläufige.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

12 S 2793/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kuntze, den Richter am Verwatungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Weis

am 02. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 04. November 2004 - 2 K 2935/02 - geändert. Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt xxxxxxxx, xxxxxxxxxx, beigeordnet.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden haben Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte dem Antrag der Kläger vom 27.11.2002, mit welchem eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die sie betreffenden Sozialhilfebescheide vorgelegt worden waren, entsprechen müssen, weil die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind. Die erforderliche Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn und soweit ein Obsiegen der Kläger ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen. Der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages zugrunde zu legen. Dieser Zeitpunkt war mit der Einreichung des Antrags und der vollständigen Unterlagen am 27.11.2002 gegeben. Nicht maßgeblich ist der jetzige Erkenntnisstand nach Ergehen des klagabweisenden Urteils vom 11.11.2004.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt bestand hinreichende Erfolgsaussicht. Im Hinblick auf den umfänglichen, rechtlich und tatsächlich schwierigen Sachverhalt mit der Frage der Anrechenbarkeit von Hausvermögen im Ausland im Rahmen des § 88 Abs. 1 BSHG, der Anwendung islamischen Rechtes (zur Frage der Morgengabe) und des Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 SGB X war damals der Prozessausgang jedenfalls als offen anzusehen. Angesichts der umfangreichen Ausführungen in der Klagebegründung einschließlich der dortigen Beweisantritte konnte die Erfolgsaussicht "nach Aktenlage" nicht verneint werden. Der angefochtene Beschluss enthält dazu keine Begründung. Er dürfte ohnehin mit der als Begründung verwendeten formelhaften Wendung § 122 Abs. 2 VwGO verletzen.

Das kann jedoch dahinstehen, denn die Sachbehandlung des Prozesskostenhilfefalls im vorliegenden Fall genügte auch sonst nicht den hieran zu stellenden Anforderungen. Die verfassungsrechtlich fundierte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.03.1988, BVerfGE 78, 88; Beschluss vom 26.04.1988, BVerfGE 78, 104; Beschluss vom 13.03.1990, BVerfGE 81, 347) Funktion der Prozesskostenhilfe macht nicht nur die Beschleunigung des Prozesskostenhilfeverfahrens durch das Gericht notwendig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2003, NVwZ 2004, 334), sondern ist auch bei der Beantwortung der Frage von Bedeutung, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch das Gericht maßgebend ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.04.2004 - 7 S 908/03 - m.w.N. und vom 14.06.2004 - 12 S 571/04 -, VBlBW 2004, 385). Trägt ein Gericht, das über einen Prozesskostenhilfenatrag zu entscheiden hat, dem Beschleunigungsgebot - aus welchen Gründen auch immer - nicht hinreichend Rechnung, kann dies keinen sachlichen Grund bilden, den Anspruch des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu schmälern und ihn schlechter zu stellen als im Falle einer rechtzeitigen Entscheidung über das Gesuch.

Die Entscheidung des fast zwei Jahre zuvor mit ausführlicher Klagebegründung gestellten Prozesskostenhilfeantrages und dies erst auf nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung hin ergangene Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Kläger zu einem Zeitpunkt wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und gegen das Gebot einer effektiven Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG), da hierdurch den Antragstellern Nachteile entstehen konnten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 13. Aufl., § 166 RdNr. 11; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 2. Aufl. § 166 RdNrn. 30, 60). Im vorliegenden Fall hätte bei einer rechtzeitigen Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch der Prozessbevollmächtigte der Kläger weiter vortragen und vor allem an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können, um so die Rechte der Kläger wahrzunehmen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht zu diesem Zeitpunkt mehr als eine vorläufige Prüfung stattgefunden hat, wie sie im Rahmen des § 114 ZPO allein geboten ist (BVerfG, Beschluss vom 02.03.2000, NJW 2000, S. 2098 m.w.N.; vgl auch Baumbach/Hartmann ZPO 59. Aufl. Rdnr 80 f zu § 114). Damit wird aber der verfassungsrechtlich vorgegebene Zweck der Prozesskostenhilfe, Rechtsverfolgung zu ermöglichen und nicht selber durchzuführen, verfehlt (BVerfG a.a.O.).

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 S. 2 VwGO); die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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