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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 14.06.2004
Aktenzeichen: 12 S 571/04
Rechtsgebiete: ZPO, GG, VwGO, BSHG


Vorschriften:

ZPO § 114
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
VwGO § 82 Abs. 1 Satz 1
BSHG § 11 Abs. 1
1. Über einen Prozesskostenhilfeantrag ist nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife zu befinden (wie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2004 - 7 S 908/03 - m.w.N.).

2. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG macht die Beschleunigung des Prozesskostenhilfeverfahrens erforderlich. Über ein vor der Terminsladung eingereichtes vollständiges Prozesskostenhilfegesuch ist im Klageverfahren einige Zeit vor der mündlichen Verhandlung zu entscheiden, wenn anderenfalls der Klägerin Nachteile entstehen können.

3. Ist aufgrund der Klageschrift unklar, ob nur die allein sorgeberechtigte Mutter oder auch deren Kinder nach Ablehnung der gemeinsam geltend gemachten Sozialhilfeansprüche klagen, so kann ein Hinweis des Gerichts, dass die Klage ausschließlich von der Mutter erhoben worden sei und deshalb nur über deren Ansprüche entschieden werden könne, gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

12 S 571/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kuntze, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Pfaundler und den Richter am Verwaltungsgericht Frank

am 14. Juni 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 01. Dezember 2003 - 8 K 834/01 - geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. xxxxxxxx xxxxx, Pforzheim, beigeordnet, als mit der durch den in der mündlichen Verhandlung am 01.12.2003 gestellten Klageantrag präzisierten Klage eigene Sozialhilfeansprüche der Klägerin (also ohne Berücksichtigung der für ihre Kinder geltend gemachten Ansprüche) verfolgt worden sind.

Gründe:

Die - allein von der Klägerin eingelegte - Beschwerde hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat jeder Hilfebedürftige einen eigenständigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, so dass bei einer Familiengemeinschaft alle Mitglieder, die betroffen sind, klagen müssen, wobei minderjährige Kinder durch die Sorgeberechtigten vertreten werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.02.1972, BVerwGE 39, 314; Urteil vom 15.12.1977, BVerwGE 55, 148; LPK-BSHG, 6. Aufl., Anhang III RdNr. 92). Da hier die Beschwerde eindeutig und ausschließlich nur von der Klägerin eingelegt worden ist, kommt es für die Frage, ob hinreichende Erfolgsaussichten bestehen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO), nur auf die Rechtsverfolgung durch die Klägerin an. Diese kann jedoch - wie ausgeführt - mangels Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) nicht zulässigerweise im eigenen Namen Sozialhilfeansprüche ihrer Kinder prozessual geltend machen (vgl. ferner Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., Vorb. § 40 RdNr. 25).

Soweit die Klägerin mit ihrer Klage eigene Sozialhilfeansprüche geltend gemacht hat, hätte das Verwaltungsgericht dem Antrag vom 08.07.2003 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsprechen müssen, weil insoweit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind. Die erforderliche Erfolgsaussicht ist schon dann zu bejahen, wenn und soweit ein Obsiegen der Klägerin ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen. Der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist hier der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages, die schon bei dessen Einreichung am 08.07.2003 gegeben war, zu Grunde zu legen und nicht der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag, die hier erst n a c h Verkündung des Urteils vom 01.12.2003 getroffen worden ist.

Die verfassungsrechtlich fundierte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.03.1988, BVerfGE 78, 88; Beschluss vom 26.04.1988, BVerfGE 78, 104; Beschluss vom 13.03.1990, BVerfGE 81, 347) Funktion der Prozesskostenhilfe macht nicht nur die Beschleunigung des Prozesskostenhilfeverfahrens durch das Gericht notwendig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2003, NVwZ 2004, 334), sondern ist auch bei der Beantwortung der Frage von Bedeutung, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch das Gericht maßgebend ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2004 - 7 S 908/03 - m.w.N.). Trägt ein Gericht, das über einen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden hat, dem Beschleunigungsgebot - aus welchen Gründen auch immer - nicht hinreichend Rechnung, so kann dies keinen sachlichen Grund bilden, um den Anspruch des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu schmälern und ihn schlechter zu stellen als im Falle einer rechtzeitigen Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch.

Bezogen auf die im vorliegenden Fall erfolgte Sachbehandlung des Prozesskostenhilfeantrags ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass eine Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch zeitgleich mit dem Urteil oder sogar danach gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und gegen das Gebot einer effektiven Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) verstößt, sofern hierdurch dem Antragsteller Nachteile entstehen können (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 166 RdNr. 11; Bader/Funke-Kaiser/ Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 166 RdNrn. 30, 60). Im vorliegenden Fall hätten bei einer rechtzeitigen Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch möglicherweise nicht nur weitere außergerichtliche Kosten vermieden werden können, sondern es hätten im Rahmen eines der Urteilsfällung vorausgehenden Beschwerdeverfahrens wegen Prozesskostenhilfe möglicherweise auch die Folgen abgewendet werden können, die aufgrund des fehlerhaft formulierten gerichtlichen Hinweises vom 08.09.2003 dann eingetreten sind und wodurch der Anspruch auf eine umfassende gerichtliche Nachprüfung der geltend gemachten Ansprüche möglicherweise verkürzt worden ist. Ohne Weiteres hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Zeitpunkt des richterlichen Hinweises vom 08.09.2003 klarstellen können, dass außer der Klägerin auch deren Kinder klagen; zu einem entsprechenden - sachdienlichen - Hinweis wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.02.1972 und vom 15.12.1977, jeweils a.a.O.; LPK-BSHG a.a.O. Anhang III RdNr. 93; Kopp/Schenke a.a.O. § 82 RdNr. 3 [insbesondere Fußnote 4]; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll a.a.O. § 82 RdNr. 4). Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 19.09.2003, wonach die Klägerin allein berechtigt sei, die Aufhebung der streitigen Bescheide und die Verpflichtung zur Neubescheidung zu verlangen, wäre bei einem ordnungsgemäßen Hinweis seitens des Verwaltungsgerichts in dieser Form kaum denkbar.

Dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zum maßgeblichen Zeitpunkt (im o.g. Umfang) nicht ohne hinreichende Erfolgsaussicht war, ergibt sich aus der umfangreichen Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts in der ersten mündlichen Verhandlung am 26.08.2003, den zwar nicht dokumentierten, jedoch seitens des Beklagten bestätigten Vergleichsgesprächen, die vom Verwaltungsgericht angeregt worden sind, sowie aus dem Umstand, dass das zur Förderung der Familie gezahlte Kindergeld nach §§ 76 ff. BSHG zwar grundsätzlich anrechenbares Einkommen des Kindergeldberechtigten ist, hiervon es jedoch im Einzelfall Ausnahmen geben kann.

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht in dem später ergangenen Urteil aufgrund der dort getroffenen Feststellungen zu Recht eigene Sozialhilfeansprüche der Klägerin verneint haben dürfte; mit der vorliegenden Entscheidung des Senats ist auch nichts darüber gesagt, ob den Kindern der Klägerin die damals geltend gemachten Sozialhilfeansprüche zugestanden haben oder nicht.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO); die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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