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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.07.2007
Aktenzeichen: 13 S 1078/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 3 Halbs. 2
AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG § 26 Abs. 4 Satz 2
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen im Ermessenswege (§ 26 Abs. 4 AufenthG) setzt grundsätzlich die Sicherung des Lebensunterhalts voraus.

Bei § 9 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 6 AufenthG handelt es sich um eine abschließende Ausnahmeregelung, die keiner erweiternden Auslegung auf andere Fallkonstellationen, in denen ein Ausländer seinen Lebensunterhalt unverschuldet nicht sichern kann, zugänglich ist.

Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG ermöglicht lediglich ein Absehen von den allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1, 2 AufenthG, nicht jedoch von den speziellen Erteilungsvoraussetzungen der Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 AufenthG.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 1078/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Niederlassungserlaubnis

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 26. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2007 - 17 K 979/06 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am xxxxx1957 in Kabul/Afghanistan geborene Klägerin ist afghanische Staatsangehörige; sie ist mit einem im Jahre 1947 geborenen afghanischen Staatsangehörigen verheiratet und Mutter von sechs zum Teil bereits erwachsenen Kindern. Die Klägerin reiste nach ihren eigenen Angaben im Oktober 1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte in der Folgezeit einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 19.10.1992 lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) den Asylantrag ab und stellte gleichzeitig fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Aufgrund nachfolgender Verpflichtung mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.5.1993 (A 6 K 14250/92) stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 8.10.1993 fest, dass im Falle der Klägerin und ihres Ehemannes Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich des Herkunftsstaates Afghanistan vorliegen. Ein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 28.7.2003 abgelehnt; mit Urteil vom 21.9.2004 hob das Verwaltungsgericht Stuttgart die in dem versagenden Bescheid des Bundesamts enthaltene Abschiebungsandrohung auf, wies die Klage jedoch im übrigen (insbesondere hinsichtlich der Verpflichtungsanträge) ab. Aufgrund einer Bleiberechtsanordnung des Innenministeriums erhielt die Klägerin im November 1993 eine Aufenthaltsbefugnis, welche fortlaufend - nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 AufenthG - verlängert wurde.

Am 28.2.2005 beantragte die Klägerin und ihr Ehemann die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen auf der Grundlage von § 26 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte dar, dass grundsätzlich für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zwar der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert sein müsse, in ihrem Falle hiervon jedoch gemäß dem anwendbaren § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG abgesehen werden könne. Denn es liege ein atypischer Sachverhalt vor, da ihr Ehemann an schwerwiegenden Erkrankungen, insbesondere an einem essentiellen Blepharospasmus, leide. Folge dieser Erkrankung sei ein nicht beherrschbarer Lidschluss der Augen, was letztlich faktisch auf eine Blindheit hinauslaufe, wodurch ihr Ehemann nicht erwerbs- bzw. arbeitsfähig sei. Ein erwachsener Sohn sei geistig schwer behindert und pflegebedürftig, so dass er rund um die Uhr betreut werden müsse.

Die Ausländerbehörde der Beklagten veranlasste daraufhin eine amtsärztliche Untersuchung des Ehemannes der Klägerin bzw. von deren gemeinsamen Sohn xxxxxxxxxxx. Mit amtsärztlichem Untersuchungsbericht vom 24.11.2005 teilte das Gesundheitsamt der Beklagten mit, dass bei dem Ehemann der Klägerin folgende Erkrankungen festgestellt worden seien: Essentieller Blepharospasmus (Lidkrampf ohne erkennbare Ursache), chronische Myringitis (chronische Trommelfellentzündung) - Zustand nach hörverbessernder Operation 7/04, arterielle Hypertonie (Bluthochdruck). Im Falle des am xxxx1982 geborenen Sohnes xxxxxxxxxxx wurden folgende Erkrankungen festgestellt: Down-Syndrom (Mongolismus, genetische Chromosomenstörung), Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Zustand nach operativer Versorgung) sowie Cholesteatom am linken Ohr (gutartiger Tumor), Zustand nach operativer Versorgung 7/98. Hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Ehemannes der Klägerin stellte das Gesundheitsamt fest, dass dieser mit Einschränkungen in der Lage sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen sei eine ständige leichte bis mittelschwere Arbeit mit überwiegender Sitztätigkeit in der Tagesschicht möglich, Arbeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr müssten ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit der Klägerin teilte die Gesundheitsbehörde mit, dass bei einer regelmäßigen Beschäftigung ihr Anteil an der Haushaltsführung von den anderen Familienmitgliedern nur schwer kompensiert werden könne.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.12.2005 ab und führte zur Begründung aus, die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei aus Rechtsgründen nicht möglich, da § 26 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich die Sicherung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit bzw. eigenem Vermögen erfordere. Diese Erteilungsvoraussetzung sei im Falle der Klägerin bzw. ihres Ehemannes nicht erfüllt, da beide seit längerem kein Einkommen bezögen. Gemäß §§ 9 Abs. 2 Satz 6, 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG könne von dieser Erteilungsvoraussetzung lediglich abgesehen werden, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung die Sicherung des Lebensunterhalts aus eignen Mitteln nicht möglich sei. Ausweislich der eingeholten Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 24.11.2005 sei der Ehemann der Klägerin jedoch trotz der festgestellten Erkrankungen in der Lage, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Gleiches gelte für die Klägerin, so dass die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG nicht zur Anwendung gelange. Im übrigen seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 AufenthG ebenfalls nicht erfüllt, es fehle insbesondere am Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts). Im Falle der Klägerin sei keine atypische Fallgestaltung ersichtlich, welche eine Abweichung von der Regelerteilungsvoraussetzung ermöglichen könnte. Insbesondere sei der Klägerin auch in Anbetracht des Alters ihrer Kinder zumindest eine Teilzeitarbeit zumutbar. Die erforderliche Betreuung des behinderten Sohnes könne von anderen Familienmitgliedern, insbesondre von dem Ehemann der Klägerin, sichergestellt werden.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 27.1.2006 zurück, wobei es zur Begründung ausschließlich auf die in dem Ausgangsbescheid angestellten Erwägungen verwies.

Die am 23.2.2006 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der die Klägerin beantragt hat,

den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 28.12.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.1.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,

hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 24.1.2007 - 17 K 979/06 -im Falle der Klägerin abgewiesen. Hinsichtlich des damaligen Klägers zu 1, dem Ehemann der Klägerin, verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte unter Aufhebung ihres entgegenstehenden Bescheids vom 28.12.2005 bzw. des entsprechenden Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.1.2006, über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 9 AufenthG zu. Es fehle an der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr 2 AufenthG, da ihr Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln gesichert sei und ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG bei ihr - anders als im Falle ihres Ehemannes - nicht in Betracht komme. Die Klägerin sei nicht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung außerstande, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Der Umstand, dass die Klägerin ein zu 100% behindertes Kind mit Down-Syndrom sowie nach ihrem eigenen Vorbringen einen kranken Ehemann zu betreuen habe, könne der vom Gesetz geforderten Voraussetzung einer in der Person des Ausländers selbst vorliegenden körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht gleichgestellt werden. Eine analoge Annwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG auf diesen Sachverhalt komme nicht in Betracht. Auch könne entgegen der Annahme der Klägerin nicht gemäß § 5 Abs. 3 AufenthG von den Erteilungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Zwar gälten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG grundsätzlich auch für Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen, jedoch nur insoweit, als die anzuwendenden Bestimmungen keine speziellere, § 5 AufenthG ausschließende Regelung enthielten. Dies sei jedoch für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG der Fall. Im Falle der Niederlassungserlaubnis regele § 9 Abs. 2 AufenthG abschließend, wann von der Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts des Ausländers abzusehen sei. Diese spezielle Regelung gelte über die dort vorgenommene Verweisung auf § 9 Abs. 2 AufenthG auch für § 26 Abs. 4 AufenthG, so dass die Anwendung der Ermessensregelung des § 5 Abs. 3 AufenthG nicht in Betracht komme.

Mit Beschluss vom 2.5.2007 (Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.5.2007) hat der Senat die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen. Mit dem am 22.5.2007 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz, der auch auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug genommen hat, beantragt die Klägerin,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.1.2007 und unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 28.12.2005 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.1.2006 diese zu verpflichten, sie bezüglich des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Zur Begründung des Berufungsantrags trägt die Klägerin vor, sie erfülle die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 26 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG. Das Verwaltungsgericht gehe in dem angegriffenen Urteil zu Unrecht davon aus, dass der beantragten Niederlassungserlaubnis die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehe. Das Verwaltungsgericht verkenne dabei, dass nach § 5 Abs. 3 2. Halbsatz, welcher für sämtliche humanitären Aufenthaltstitel des 5. Kapitels des Aufenthaltsgesetzes einschlägig sei, von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden könne. Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach der Intention der gesetzlichen Bestimmung sei offensichtlich, dass § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG gerade auch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 AufenthG umfasse. Auch sei offensichtlich, dass sie aufgrund der schwerwiegenden Erkrankung ihres Ehemannes bzw. der 100%igen Schwerbehinderung des gemeinsamen Sohnes keiner Berufstätigkeit nachgehen könne, da die erforderliche Pflege sie vollständig in Anspruch nehme. Ein Mensch, der wie ihr Ehemann an essentiellem Blepharospasmus leide, bei dem der ständige Lidschluss faktisch zur Blindheit führe, könne schlechterdings keiner Berufstätigkeit nachgehen, was unter Beweis gestellt werde. Die Betreuung eines derartig Erkrankten sowie eines behinderten Kindes stelle einen Vollzeitjob dar, der es in keinster Weise zulasse, nebenher auch nur kürzeste Zeit zu arbeiten, wozu das Gericht im Zweifelsfalle ebenfalls Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erheben möge.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, dass die von der Klägerin vorgeschlagene Anwendung des § 5 Abs. 3 Halbsatz 2 AufenthG auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG nicht in Betracht komme, so dass ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht möglich sei. In § 9 Abs. 2 AufenthG regele der Gesetzgeber abschließend, wann in den Fällen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von der Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden könne. Die in § 9 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorgenommene Regelung einer entsprechenden Anwendung in den Fällen des § 26 Abs. 4 AufenthG mache deutlich, dass gerade im Falle der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit § 9 Abs. 2 AufenthG eine abschließende Regelung getroffen worden sei, die eine Anwendung des § 5 Abs. 3 AufenthG ausschließe. Auch sei im Falle der Klägerin § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG nicht einschlägig, weil bei ihr nicht eine körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung vorliege. Nicht ausreichend sei, dass diese Voraussetzungen bei einem engen Familienangehörigen vorlägen. Im übrigen sei die Annahme der Klägerin, sie sei rund um die Uhr mit der Versorgung ihrer behinderten bzw. erkrankten Familienangehörigen beschäftigt, nicht nachvollziehbar. Da die Klägerin von Oktober 2006 bis Januar 2007 einen Alphabetisierungskurs besucht habe und die Teilnahme an weiteren Sprachkursen plane, müssten bereits zu den Kurszeiten die Betreuungsleistungen von anderen Familienangehörigen in zumutbarer Weise erbracht worden sein. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin in diesen Zeiten nicht auch einer Berufstätigkeit nachgehen könne.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Dem Senat liegen die die Klägerin bzw. den Ehemann betreffenden Akten der Landeshauptstadt Stuttgart (3 Band) vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts verwiesen; diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin entscheiden, da beide Beteiligte auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung über ihren bei der Behörde gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht zu (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 AufenthG . Der Senat kann dabei offenlassen, ob die Klägerin dabei die sprachlichen Integrationsvoraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erfüllt. Hinsichtlich der sprachlichen Integration des Ausländers verlangt die im Falle der Klägerin anwendbare Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abweichend von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG lediglich, dass er sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. Weitergehende Sprachkenntnisse, insbesondere die Fähigkeit, deutschsprachige Texte des alltäglichen Lebens zu lesen und verstehen zu können, sind nicht erforderlich. Die in der Behördenakte enthaltenen Vermerke über Vorsprachen der Klägerin bei der Arbeitsagentur bzw. deren Teilnahme an einem Integrationskurs sprechen freilich dafür, dass sie diese nach der Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 2 AufenthG reduzierten Integrationsvoraussetzungen erfüllen dürfte. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung.

Es fehlt jedenfalls an der gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG anwendbaren zwingenden Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, wonach die Niederlassungserlaubnis nur erteilt werden kann, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalts eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei nach Satz 2 dieser Vorschrift das Kindergeld und Erziehungsgeld sowie öffentliche Mittel, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, außer Betracht bleiben. Die zu treffende Entscheidung hat dabei prognostischen Charakter. Es muss die Frage beantwortet werden, ob der oder die Betroffene aller Voraussicht nach bei nicht wesentlich veränderten und unter Außerachtlassung von unvorhergesehenen Umständen den Lebensunterhalt dauerhaft aus eigenen oder ausdrücklich als unschädlich bezeichneten Mitteln wird bestreiten können (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.2.2006 - OVG 11 S 13.06 -juris). Die Regelung verfolgt den Zweck, die öffentlichen Haushalte davor zu bewahren, den Lebensunterhalt von Ausländern mit öffentlichen Mitteln sichern zu müssen.

Wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargestellt hat und was von der Klägerin nicht bezweifelt wird, kommt für sie eine günstige Prognose in diesem Sinne nicht in Betracht. So waren ausweislich der Behördenakte weder die Klägerin noch ihr Ehemann in den letzten Jahren berufstätig, vielmehr bestritten sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus öffentlichen Leistungen, nämlich Hilfeleistungen nach dem SGB II. Wie die Klägerin selbst vorträgt, wird sich hieran in absehbarer Zeit nichts ändern, da ihr Ehemann bereits aus gesundheitlichen Gründen, sie selbst aufgrund der erforderlichen Betreuungsleistungen für ihren schwerbehinderten Sohn, keiner Berufstätigkeit wird nachgehen können.

Ein Absehen von der zwingenden Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kommt weder im Rahmen der Ausnahmevorschriften des § 9 Abs. 2 AufenthG noch nach § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG in Betracht.

Nach dem gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG entsprechend anzuwendenden § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG wird insbesondere von den Voraussetzungen der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen, wenn der Ausländer diese aus den in § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG genanten Gründen nicht erfüllen kann, d.h. wenn der Lebensunterhalt des Ausländers wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Klägerin nicht vor, da sie selbst nicht krankheits- oder behinderungsbedingt außerstande ist, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Das Gericht sieht es zwar als erwiesen an bzw. unterstellt als wahr, dass die Klägerin - wie von ihr vorgetragen und unter Beweis gestellt - aufgrund der erforderlichen vollschichtigen Betreuung eines zu 100% behinderten Sohnes sowie des fast blinden Ehemannes bereits aus zeitlichen Gründen nicht in der Lage ist, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Die analoge Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG auf den Fall, dass der Ausländer eine körperlich oder geistig behinderte bzw. erkrankte Person rund um die Uhr zu betreuen hat, ist jedoch nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht möglich. Auch aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 72) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG eine eng auszulegende und abschließende Spezialregelung gerade für den Fall getroffen hat, dass der Ausländer aufgrund einer in seiner eigenen Person vorliegenden Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Integration zu erfüllen. Nach der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit dieser Ausnahmevorschrift ausschließlich dem durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebotenen besonderen Schutz von kranken und behinderten Menschen Rechnung tragen und diese nicht von einer ansonsten möglichen weiteren Aufenthaltsverfestigung durch Versagung einer Niederlassungserlaubnis wegen Fehlens der besondern Integrationsvoraussetzungen ausschließen. Die Bestimmung soll lediglich sicherstellen, dass Behinderte nicht benachteiligt werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung nicht arbeiten können. Dieser eng begrenzten Ausnahmekonstellation können vergleichbare weitere Sachverhalte wie etwa der hier vorliegende, dass der Ausländer aufgrund von Betreuungsleistungen keiner Berufstätigkeit nachgehen kann, nicht gleichgestellt werden.

Entgegen der Annahme der Klägerin ermöglicht auch die Vorschrift des § 5 Abs. 3 AufenthG kein Absehen von den gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG anwendbaren Integrationsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG. Nach § 5 Abs. 3 AufenthG ist in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 bis 3 sowie 26 Abs. 3 AufenthG von der Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG zwingend abzusehen, in den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen kann hiervon fakultativ abgesehen werden. Wie sich bereits aus dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut vom § 5 Abs. 3 2. Halbsatz ergibt, ermöglicht diese Vorschrift lediglich ein Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1, 2 AufenthG, nicht jedoch von für die Erteilung bestimmter Aufenthaltstitel speziell normierten besonderen Erteilungsvoraussetzungen (vgl. zu dieser Funktion des § 5 Abs. 3 AufenthG etwa Hailbronner, AuslR, 38. Aktualisierung, Januar 2005 sowie Jakober, Aktuelles Ausländerrecht, 93. Ergänzungslieferung 2005, Rn 140 zu § 5 AufenthG).

Für diese Auslegung sprechen auch die Gesetzgebungsgeschichte bzw. systematische Erwägungen. Nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 70) kann in den Fällen der Aufenthaltsgewährung aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen die Erteilung eines Aufenthaltstitels typischerweise nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen des § 5 AufenthG abhängig gemacht werden, eine weitergehende Wirkung wollte der Gesetzgeber dieser Ausnahmevorschrift mithin nicht zuerkennen.

Auch systematische und teleologische Erwägungen sprechen dagegen, § 5 Abs. 3 Hs 2 AufenthG auf die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 4 AufenthG anzuwenden. Soweit § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zwingend die Sicherung des Lebensunterhalts vorschreibt, stellt er eine gegenüber der für die Erteilung eines jeden Aufenthaltstitels zu beachtenden Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abschließende Spezialvorschrift dar, welche auch einen Rückgriff auf die Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 3 AufenthG ausschließt.

Die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entspricht entgegen der Annahme der Klägerin nicht der spezielleren Erteilungsvoraussetzung für eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. So kann bei Nichterfüllung der gesetzlichen Regel-Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG von einer dann zwar grundsätzlich rechtlich gebotenen Versagung des erstrebten Aufenthaltstitels abgesehen werden, wenn ein Ausnahmefall gegenüber dem vertypten Regelfall gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn im konkreten Einzelfall ein atypischer Sachverhalt oder tatsächlicher Geschehensablauf vorliegt, der so gewichtig und bedeutsam ist, dass er eine Abweichung von der gesetzlichen (Regel-)Anforderung nicht nur zulässt, sondern gebietet (vgl. hierzu umfassend m.w.N. Jakober, a.a.O. Rn. 25 zu § 5 AufenthG). Demgegenüber hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 AufenthG weitere Integrationsanforderungen aufgestellt, die im Falle der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zwingend und regelmäßig über das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen hinausgehend sichergestellt sein müssen. Übereinstimmend hiermit sind in § 9 Abs. 2 Satz 3 und Satz 6 AufenthG spezielle, abschließend geregelte Ausnahmen von der Erfüllung der besonderen Integrationsvoraussetzungen festgelegt. Dieses systematische Verhältnis wird auch durch einen Vergleich der Absätze 3 und 4 von § 26 AufenthG verdeutlicht. So fordert die Bestimmung des § 26 Abs. 3 AufenthG, die Ausländern, welche seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG besitzen und bei denen das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 2a AsylVfG das Nichtvorliegen von Widerrufsvoraussetzungen mitgeteilt hat, einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis begründet, lediglich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG. Demgegenüber setzt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen im Ermessenswege gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zusätzlich voraus, dass die dort in Bezug genommenen spezielleren Integrationsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG erfüllt werden.

Der Gesetzgeber hat mit unterschiedlich abgestuften Erteilungsvoraussetzungen in § 5 Abs. 1, 2 bzw. § 9 Abs. 2 i.V.m. § 26 AufenthG ein in sich schlüssiges System geschaffen. Ebenso wie das Ausländergesetz geht auch das Aufenthaltsgesetz von einem - wenn auch weniger starken - Stufensystem der Verfestigung des Aufenthalts aus. In diesem System ist die Niederlassungserlaubnis die formal stärkste Form der rechtlichen Verfestigung des Aufenthalts aufgrund fortgeschrittener Integration. Sie ist zeitlich unbeschränkt, darf keinen räumlichen Beschränkungen unterworfen und nicht mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden und verschafft dem Berechtigten einen besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Ferner ist die Niederlassungserlaubnis in weit stärkerem Maße als die Aufenthaltserlaubnis zweckungebunden und berechtigt grundsätzlich zu jeder Art von Erwerbstätigkeit. Sie ist daher auf den dauerhaften und grundsätzlich unentziehbaren Verbleib eines Ausländers im Bundesgebiet angelegt (vgl. hierzu Wenger in Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, § 9 AufenthG Rn 3). Diese gesicherte Rechtsposition macht der Gesetzgeber von den in § 9 Abs. 2 AufenthG genannten, über die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG hinausgehenden, besonderen Integrationserfordernissen abhängig (vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2005 - 10 K 883/04 - juris). Anknüpfend hieran bezweckt § 26 Abs. 3 AuslG für anerkannte Asylbewerber bzw. diesen gleichgestellten Personen eine Integration unter erleichterten Voraussetzungen, während in den übrigen Fällen eine Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG grundsätzlich nur bei Vorliegen der besonderen Integrationsvoraussetzungen ermöglicht wird. Dieses geschlossene System kann nicht durch entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 26 Abs. 4 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG unterlaufen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war zuzulassen, da das Verhältnis von § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG zu den speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Beschluss vom 26. Juli 2007

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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