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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: 13 S 155/06
Rechtsgebiete: AufenthG, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 66 Abs. 1
VwVfG § 28 Abs. 2 Nr. 5
1. Bei der Anforderung von Abschiebungskosten nach § 82 Abs. 1 AuslG (insoweit gleichlautend: § 66 Abs. 1 AufenthG) handelt es sich nicht (mehr) um eine Maßnahme "in" der Verwaltungsvollstreckung, bei der eine Anhörung nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG entfallen kann.

2. Zur Frage der jedenfalls in atypischen Fällen erforderlichen Ermessensausübung bereits im Stadium des Kostenbescheides.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 155/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erstattung von Abschiebungskosten

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Jacob, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Thoren und den Richter am Verwaltungsgericht Matejka

am 07. März 2006

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2005 - 6 K 4873/04 - wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.787,67 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige, insbesondere innerhalb der Antragsfrist (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gestellte und begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.10.2005 hat sachlich keinen Erfolg; soweit überhaupt ein Zulassungsgrund dargelegt wird, ist dieser Zulassungsgrund im Sinn des § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht "gegeben".

In dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht auf die Klage eines serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen den gegen diesen ergangenen Haftungsbescheid nach § 82 AuslG aufgehoben; das Regierungspräsidium Stuttgart hat gegen den Kläger wegen eines Abschiebungsversuchs und wegen Abschiebehaft insgesamt 5.787,67 EUR als Abschiebungskosten festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid mit der Begründung aufgehoben, unabhängig von der Frage, ob auch für geplante Abschiebungen Kosten verlangt werden dürften, sei der Leistungsbescheid deswegen rechtswidrig, weil die Behörde die Kosten in Rechnung gestellt habe, ohne die Frage der Verhältnismäßigkeit in ihre Überlegungen einzubeziehen. Die zuständige Stelle sei bei derartigen Kostenbescheiden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls in atypischen Fällen verpflichtet, die individuelle Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Solche Besonderheiten seien bereits bei der Geltendmachung der Forderung von rechtlicher Bedeutung und kämen nicht erst im vollstreckungsrechtlichen Verfahren (z.B. durch Stundung, Niederschlagung oder Erlass) zum Tragen. Da die Behörde den Kläger im vorliegenden Fall vor Erlass des Leistungsbescheides nicht angehört habe, habe sie nicht berücksichtigt, dass der Kläger Arbeitslosengeld beziehe und mit Ehefrau und Kind in angespannten finanziellen Verhältnissen lebe. Auch sei die Erstattung nahezu sechseinhalb Jahre nach der damaligen (verspäteten) Freilassung des Klägers aus der Abschiebehaft erfolgt. Diese Besonderheiten des Einzelfalls hätten im Ermessensweg berücksichtigt werden müssen.

Soweit der Beklagte hiergegen den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 3 VwGO) und der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend macht, fehlt es bereits an einer ausreichenden "Darlegung" dieser Zulassungsgründe im Sinn des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Der Beklagte bezeichnet keine konkrete Grundsatzfrage, deren Klärungsbedürftigkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit im einzelnen dargelegt wird (zu den Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzfrage siehe z.B. Marx, AsylVfG, 2005, Rn 55 f. m.w.z.N. sowie Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 54 zu § 124a m.w.N.). In diesem Zusammenhang hätte es außerdem der näheren Darlegung bedurft, aus welchen Gründen die vom Verwaltungsgericht angenommene Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung im Rahmen des Haftungsbescheides nach § 82 Abs. 1 AuslG überhaupt noch klärungsbedürftig ist (siehe dazu im einzelnen unten). Ebenso fehlt es an der Darlegung des Zulassungsgrundes besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten; auch zu diesem Zulassungsgrund trägt der Beklagte nichts vor (zu den Anforderungen siehe Kopp/ Schenke, a.a.O., Rn 53 zu § 124a).

Soweit der Beklagte die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts angreift, macht er der Sache nach den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Der Beklagte führt in diesem Zusammenhang zunächst aus, der Kostenschuldner in den Fällen des § 82 AuslG werde durch eine fehlende Ermessensentscheidung nicht in seinen Rechten verletzt. Die Verpflichtung der Behörde zur vollständigen Heranziehung des Ausländers bestehe nämlich nicht im Interesse des einzelnen Ausländers als Adressat des Leistungsbescheids, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der vollen Ausschöpfung des Haftungsumfangs. Außerdem könne in den hier streitigen Fällen des Erlasses eines Haftungsbescheides nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVG von der Anhörung abgesehen werden, weil es sich um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handle. Einzig im vollstreckungsrechtlichen oder Beitreibungsverfahren - nach wirksamer Begründung des Erstattungsanspruchs durch den Leistungsbescheid - könne eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung darüber getroffen werden, ob infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse einer Stundung, Teilzahlung, Niederschlagung oder einem Erlass der Forderung näher zu treten sei.

Mit diesem Vortrag hat der Beklagte zwar der Darlegungspflicht des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt, da er einen tragenden Grundsatz der angefochtenen Entscheidung (Erforderlichkeit einer Ermessensausübung) mit Gegenargumenten in Frage gestellt hat; gleichwohl hat der Zulassungsantrag mit dieser Begründung auch nicht aus dem Zulassungsgrund ernstlicher rechtlicher Zweifel (s. § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO) Erfolg. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Zulassungsverfahren ist nämlich der Erfolg des Rechtsmittels nicht mindestens ebenso wahrscheinlich wie sein Misserfolg (zu den Kriterien siehe BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, und vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458, und BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.). Das Verwaltungsgericht hat sich nämlich mit der Annahme der Erforderlichkeit einer Ermessensausübung bereits im Festsetzungs- und nicht erst im Beitreibungsverfahren an die bereits vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung gehalten, zu der sich der Beklagte im Zulassungsantrag nicht geäußert hat. Die von ihm vorgetragenen Gegengründe überzeugen nicht.

Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung zur Erforderlichkeit einer Ermessensausübung (jedenfalls in atypischen Fällen) auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.11.1998 - 1 C 33/97 -, NVwZ 1999, 779) Bezug genommen; diese Entscheidung leitet ihr Ergebnis nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 84 AuslG, insoweit gleich lautend mit der hier einschlägigen Vorschrift des § 82 AuslG), sondern aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Kostenrechts, insbesondere aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, aber auch dem Grundsatz der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit ab (BVerwG, a.a.O. S. 782/783) und belegt die Erforderlichkeit von Ermessensentscheidungen in atypischen Fällen bereits im Festsetzungsstadium anhand zahlreicher Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten. Der Zulassungsantrag legt demgegenüber nicht dar, dass (und aus welchen Gründen) für die Heranziehung von Ausländern nach § 82 AuslG insofern andere Grundsätze gelten sollen als für Erstattungsfälle nach § 84 AuslG. Dass auch die zuletzt genannte Vorschrift grundsätzlich im öffentlichen Interesse und nicht dem des Ausländers ergangen ist, liegt auf der Hand und begründet für die hier interessierende Frage keinen Unterschied.

Im übrigen ist in der Rechtsprechung der Obergerichte im wesentlichen anerkannt, dass die in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 84 AuslG entwickelten Grundsätze auch für Kostenfälle des § 82 AuslG heranzuziehen sind; sowohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 25.2.2002 - 11 S 2443/01 -, AuAS 02, 111) als auch andere Oberverwaltungsgerichte (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 15.12.2003 - 24 B 03.1049 -, InfAuslR 2004, 252; OVG Münster, Urteil vom 20.2.2001 - 18 A 1520/92 -, DVBl. 2001, 1012-LS) halten jedenfalls in atypischen Fällen eine Ermessensentscheidung bereits im Heranziehungsverfahren für erforderlich. Auch die Literatur hat sich dem zum Teil angeschlossen (siehe Hailbronner, AuslR, § 66 AufenthG, Rn 2; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Rdnr. 33 zu § 66), und gegenteilige Entscheidungen sind jedenfalls nach der zu § 84 AuslG ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bisher nicht bekannt geworden (offengelassen bei VG Braunschweig, Urteil vom 5.10.2005 - 5 A 248.05 -, juris und vom VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.10.2005 - 11 S 646/04 -). Der Beklagte führt auch keine Gesichtspunkte an, aus denen nach seiner Auffassung abzuleiten wäre, dass ein atypischer Fall hier gerade nicht gegeben ist; die Nachprüfung dieser Frage ist dem Senat im Zulassungsverfahren damit verwehrt (zu den Kriterien siehe BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O. S. 783).

Soweit der Beklagte darauf hinweist, der vom Verwaltungsgericht vermissten Anhörung habe es aus vollstreckungsrechtlichen Gründen (§ 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG) nicht bedurft, stellt dieser Hinweis die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung schon deswegen nicht in Frage, weil das Verwaltungsgericht nicht entscheidungstragend auf eine unterbliebene Anhörung abgestellt hat; es hat lediglich ausgeführt, infolge der fehlenden Anhörung des Klägers habe die Behörde die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und die in seinem Fall vorliegende besondere Situation nicht geprüft. Unabhängig davon ist der Auffassung des Beklagten zur Anhörungspflicht aber auch aus anderen Gründen nicht zu folgen. Bei dem Erlass eines Haftungsbescheids nach § 82 AuslG handelt es sich nämlich nicht um eine Maßnahme, die "in der Verwaltungsvollstreckung getroffen" wird und bei der daher von der Anhörung nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG abgesehen werden kann. Anforderungen von Abschiebungskosten sind keine Maßnahmen (mehr) "in" der Verwaltungsvollstreckung, sondern sie folgen der abgeschlossenen Vollstreckungsmaßnahme erst nach. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass in solchen Fällen auch keine sofortige Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO besteht (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.2.2002 a.a.O.; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 25.2.1998 - 10 Tz 69/98 -, AuAS 1998, 135 und Bay. VGH, Beschluss vom 6.9.2000 - 10 Cs 99.2280 -, DVBl. 2001, 55 sowie VG Chemnitz, Beschluss vom 29.11.2000 - 4 K 2137/00 -, AuAS 2001, 100). Insofern gilt nichts anderes als bei der Anforderung von Kosten im Weg der Ersatzvornahme, die gleichfalls nicht mehr "in" der Verwaltungsvollstreckung erfolgt (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5.2.1996 - 5 S 334/96 -, VBlBW 1996, S. 262).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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