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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: 13 S 1576/06
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG
Vorschriften:
AsylVfG § 73 Abs. 1 | |
AufenthG § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Widerrufs der Aufenthaltsbefugnis, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 18. Januar 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2006 - 16 K 4146/05 - wird abgelehnt.
Dem Kläger wird für das Berufungszulassungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt xxxxxxx, Stuttgart, beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe:
Der auf das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO) gestützte Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt und begründet worden (vgl. § 124 a Abs. 4 VwGO). Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keiner der behaupteten Zulassungsgründe vorliegt (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der Rechtssache kommt zunächst nicht die von der Beklagten behauptete grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Rechtsfrage, die grundsätzlich geklärt werden soll, zu bezeichnen und zu formulieren. Es ist darüber hinaus näher substantiiert zu begründen, warum sie für grundsätzlich und klärungsbedürftig gehalten wird und weshalb die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 124 Rn. 10; Marx, AsylVfG, 6. Aufl., Rn. 56 f. zu § 78 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.1997 - 16 S 1388/97 -, AuAS 1997, 261). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Als grundsätzlich klärungsbedürftig wirft die Beklagte die Frage auf,
"ob ein Widerruf des einem Ausländer erteilten Aufenthaltstitels nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bereits erfolgen kann, bevor der Widerruf der hinsichtlich des Ausländers getroffenen Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG bestandskräftig geworden ist."
Diese Frage ermöglicht dem Senat die Zulassung der Berufung nicht. Denn sie würde sich dem Senat in dem von der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren so nicht stellen. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14.04.2004, mit dem die mit Bescheid vom 11.01.1996 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG im Fall des Klägers vorliegen, widerrufen worden ist, war im Zeitpunkt der die Widerrufsverfügung der Beklagten nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bestätigenden Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 17.11.2005 - und ist im übrigen auch bislang - nicht unanfechtbar geworden. Der Kläger hat dagegen nämlich rechtzeitig Klage erhoben, über die noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.04.2004 war - und ist - auch nicht, was zulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.05.2003 - 1 C 15.02 -, AuAS 2006, 56 und Schäfer in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2006, § 73 Rn. 143), im Hinblick auf die nach § 75 AsylVfG gegebene aufschiebende Wirkung einer solchen Klage für sofort vollziehbar erklärt worden. Bei dieser Sachlage würde sich dem Senat in dem von der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren jedoch lediglich die vom Verwaltungsgericht im bejahenden Sinne entschiedene Frage stellen, ob der Widerrufsentscheidung der Beklagten nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG nicht (bereits) der Umstand entgegensteht, dass die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.04.2004 angesichts der aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt ( 17.11.2005 ) nicht vollziehbar war. Diese Frage ist jedoch von der Rechtsprechung bereits grundsätzlich im Sinne der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung entschieden worden. So hat bereits der 11. Senat des beschließenden Gerichtshofs in seinem Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 - (InfAuslR 2001, 410) zu § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (der wortgleichen Vorgängerregelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) folgendes ausgeführt:
"Jedenfalls in Anbetracht der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23.12.1997 war der Tatbestand des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG für einen Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse der Kläger (Hauptverwaltungsakt) im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 14.10.1998 nicht erfüllt. Das gilt nicht etwa nur bei einem Verständnis der aufschiebenden Wirkung als vorläufige Hemmung der Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Begreift man die aufschiebende Wirkung als vorläufige Hemmung der Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, besteht ihre Bedeutung insbesondere darin, dass sie die Behörde einstweilen verpflichtet, Maßnahmen zu unterlassen, welche die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts voraussetzen (siehe zu der aufschiebenden Wirkung - von der nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt erfasst wird - im Sinn der sog. Vollziehbarkeitstheorie BVerwG, Urteil vom 21.06.1991, BVerwGE 13, 1; zu dem Theorienstreit mit weiteren Nachweisen Eyermann/Schmidt, VwGO, 11. Aufl., 2000, § 80 Rn. 6). Auch insoweit konnte daher im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung vom 14.10.1998 nicht von einer Gestaltungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes ausgegangen werden, die als tatbestandliche Grundlage für einen Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse der Kläger aktuell hätte herangezogen werden können. Aus der Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG ergibt sich nichts Gegenteiliges. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsakts, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Das betrifft Verwaltungsakte nach dem Ausländergesetz. Die Regelung kann nicht - ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage - mittelbar auf Verwaltungsakte nach dem Asylverfahrensgesetz ausgedehnt werden (so mit Recht: Westphal, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, § 43 AuslG RdNr. 72; offenbar anders: Hailbronner, Ausländerrecht, § 43 AuslG RdNr. 16 a). Im übrigen ist ein Widerruf der Asylanerkennung kein Verwaltungsakt, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet. Er führt als solcher keineswegs zu Beendigung des Aufenthaltsrechts. Die Norm des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG zeigt gerade, dass es zur Beendigung des Aufenthaltsrechts eines konstitutiven Verwaltungsakts der Ausländerbehörde bedarf, wobei insoweit zudem Ermessenserwägungen anzustellen sind."
Dieser vom 11. Senat des beschließenden Gerichtshofs zu § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG vertretenen Auffassung, die angesichts der Tatsache, dass § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG mit § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG wörtlich übereinstimmt und nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 15/420 [90] zu Abs. 1) inhaltlich dieser Regelung entsprechen sollte, ohne weiteres auch im Rahmen des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zugrunde gelegt werden kann, hat sich der Senat bereits mit Beschluss vom 08.02.2006 - 13 S 18/06 -, ZAR 2006, 112) angeschlossen. Sie wird in der Sache erkennbar auch vom Bundesverwaltungsgericht geteilt. Dies ergibt sich eindeutig aus dessen Urteil vom 13.12.2005 - 1 C 36.04 -, InfAuslR 2006, 289; denn dort führt es ausdrücklich aus:
"Der Kläger, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nach bestandskräftiger Ausweisung geduldet wird, ist aufgrund der unanfechtbaren Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen (vgl. §§ 3, 4 AsylVfG), Flüchtling im Sinne dieser Bestimmung. Diese Rechtsstellung hat der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung durch den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.08.2005 wegen der gemäß § 75 AsylVfG aufschiebenden Wirkung der vom Kläger hiergegen erhobenen Klage noch nicht beseitigt."
Die Verbindlichkeit der Entscheidung des Bundesamtes über den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG für die Ausländerbehörde hat das Bundesverwaltungsgericht ferner auch in seinem Urteil vom 08.05.2003 (a.a.O.) betont, in dem es ausgeführt hat:
"In Fällen wie dem vorliegenden liegt es vielmehr gerade im Interesse des Asylbewerbers, dass das Bundesamt zu seinen Gunsten zunächst die konstitutiv wirkende ...... Anerkennung ausspricht. Nur dann kommt er nämlich in den Genuss sämtlicher Rechtswirkungen der Flüchtlingsanerkennung, die über die erwähnten Begünstigungen durch die gerichtliche Entscheidung weit hinausgehen und die ihm auch bei einem späteren Widerruf durch die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln (§ 75 AsylVfG) oder im Falle der Anordnung sofortiger Vollziehung durch die erfolgreiche Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig erhalten bleiben."
Auch die weitere von der Beklagten sinngemäß als grundsätzlich bezeichnete Frage, ob es § 4 AsylVfG tatsächlich gebiete, vom Widerruf der Aufenthaltserlaubnis bis zum Eintritt der Bestandskraft des Widerrufs einer Flüchtlingsanerkennung abzusehen, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Auch sie würde sich dem Senat in dem angestrebten Berufungsverfahren angesichts der aufschiebenden Wirkung der vom Kläger gegen die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes erhobenen Klage so nicht stellen (vgl. die Ausführungen weiter oben). Überdies hätte der Senat in dem vom Beklagten erstrebten Berufungsverfahren über diese Frage auch nicht zu befinden, da sie für ihn nicht entscheidungserheblich wäre.
Auch eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils kommt nicht in Betracht; denn letztlich hat sich die Beklagte in der Antragsbegründung lediglich gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung gewendet, dass ein Widerruf des einem Ausländer erteilten Aufenthaltstitels nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG jedenfalls dann nicht erfolgen kann, solange die Widerrufsentscheidung der Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht vollziehbar ist. Diese vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht erweist sich jedoch als frei von Rechtsfehlern (vgl. die Ausführung weiter oben).
Dem Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war zu entsprechen, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und es auf die hinreichende Erfolgsaussicht seiner Klage nicht ankommt (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 119 ZPO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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