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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: 13 S 1799/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 121 Abs. 3
Die Beschränkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozesskostenhilfe auf die Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts ist unzulässig, wenn der Rechtsanwalt in einem landgerichtlichen Verfahren am Gerichtsort ohne derartige Einschränkung beizuordnen wäre.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 1799/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltserlaubnis

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 26. Oktober 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Juli 2006 - 9 K 446/06 - dahingehend geändert, dass der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und ohne die beigefügte Beschränkung (Beiordnung der Prozessbevollmächtigten zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts) gewährt wird.

Gründe:

Die rechtzeitig erhobene Beschwerde ist zulässig; die Klägerin selbst ist nicht nur hinsichtlich der Verpflichtung, Raten zu zahlen, sondern auch hinsichtlich der Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts beschwerdebefugt (vgl. dazu Zöller, ZPO, 2005, Rn 19 zu § 127). Hinsichtlich dieser Einschränkung ist die Beschwerde auch nicht wegen Unwirksamkeit der Beschränkung unzulässig; die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin (nur) zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts ist insbesondere nicht deswegen unwirksam, weil sie einer solchen Einschränkung zuvor nicht zugestimmt hat (vgl. dazu die Nachweise aus der insofern uneinheitlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bei Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 141 Fn 107). Erweist sich nämlich eine derartige Einschränkung als inhaltlich nicht durch eine entsprechende gesetzliche Vorschrift gedeckt, so ist nach allgemeinen Regeln zwar (zunächst) wirksam, aber im Beschwerdeverfahren aufzuheben (siehe dazu Zöller, a.a.O., Rn 13a zu § 121).

Die Beschwerde der Klägerin hat auch sachlich Erfolg; sowohl für die Festsetzung von Ratenzahlung (jeweils 30,-- EUR) als auch für die Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage.

Was die Festsetzung von Raten angeht, so ist für die Frage, ob die Klägerin im Sinn der §§ 166 VwGO, 114, 115 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, nicht auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen, sondern auf den der Beschwerdeentscheidung abzustellen; dies ergibt sich aus der in § 120 Abs. 4 ZPO zum Ausdruck gekommenen Wertung (siehe dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 6.8.2003 - 4 SO 3/02 - FamRZ 2005, 44 m.z.w.N.). Diese Vorschrift betrifft nicht nur eine Änderung der Ratenhöhe, sondern auch die Beendigung von Ratenzahlungen (OVG Hamburg a.a.O.). Bei Zugrundelegung der aktuellen Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 1.8.2006 und die Einkünfte ihres Ehemanns ist von entsprechenden Einkünften in Höhe von 1.850,52 EUR auszugehen, von denen nach § 82 Abs. 2 SGB XII 299,58 EUR abzuziehen sind; die Summe der Freibeträge (§ 115 Abs. 1 Nr. 1b und 2a ZPO) einschließlich des Ehegattenfreibetrags beträgt 933,-- EUR, und als anrechenbare Wohnkosten sind 579,-- EUR anzusetzen. Alle Abzüge zusammen machen einen Betrag von 1.9112,58 EUR aus, so dass sich hieraus kein anrechenbares positives Einkommen und damit auch keine PKH-Rate ergibt.

Die Beschwerde hat auch Erfolg hinsichtlich der Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts. Eine entsprechende Beschränkung ist in der Zivilgerichtsbarkeit nach § 121 Abs. 3 ZPO (früher: § 121 Abs. 1 Satz 2 ZPO) für den Fall möglich, dass ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt beigeordnet werden soll; es sollen nämlich "weitere Kosten" vermieden werden. Es entspricht allerdings der herrschenden Auffassung der Verwaltungsgerichte, dass diese Vorschrift wegen der fehlenden Zulassungsmöglichkeit von Rechtsanwälten für verwaltungsgerichtliche Verfahren auf diese Verfahren nicht unmittelbar angewendet werden kann (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.10.1996 - A 14 S 3124/95 - VGH BW-Ls 1997, Beil. 1, B 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.6.1992 - 8 E 517/92 -, AnwBl. 1993, 301 und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2004, Rn 18 zu § 121 und OVG Weimar, Beschluss vom 23.4.2001 - 3 KO 827/98 - juris). Aus § 121 Abs. 3 ZPO ist jedoch der allgemeine Gedanke abzuleiten, dass nicht unbedingt erforderliche Kosten - insbesondere Reisekosten - im Prozesskostenhilfeverfahren zu vermeiden sind (siehe dazu VGH Bad.-Württ. a.a.O.; OVG Koblenz, Beschluss vom 30.5.1989 - 13 E 35/89 -, NVwZ-RR 1990, 280 sowie Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 141 zu § 166), und diesem Gedanken kann auch bei der nach § 166 VwGO erforderlichen "entsprechenden" Anwendung des zivilprozessualen Prozesskostenhilferechts Rechnung getragen werden. Hierbei wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit z.T. der Grundsatz angewendet, es komme im Verwaltungsprozess nur die Beiordnung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts oder am Wohnsitz des Antragstellers in Betracht (siehe die Nachweise oben und OVG Weimar, Beschluss vom 23.04.2001 - 3 KO 827/98 -, juris m.w.N.). Für den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass die in Ludwigsburg wohnhafte Klägerin auf einen Anwalt aus Ludwigsburg oder aus Stuttgart zu verweisen wäre und Kosten für eine Kanzlei aus Esslingen - dort ist der Sitz der beigeordneten Prozessbevollmächtigten, die für das Amtsgericht Esslingen sowie für das Land- und Oberlandesgericht Stuttgart zugelassen ist - nicht erstattet würden. Der Senat kann offenlassen, ob sich eine grundsätzliche Beschränkung der Beiordnung auf die genannten Orte (Gerichtssitz bzw. Wohnort des Klägers) noch mit der erforderlichen Zuverlässigkeit aus § 121 Abs. 3 ZPO (in entsprechender Anwendung) ableiten lässt. Das der Zulassung zugrunde liegende Kriterium des Gerichtsortes (zum sog. Lokalisierungsprinzip vgl. § 18 BRAO) ist nämlich auch im Zivilprozess prozesskostenrechtlich nach § 121 Abs. 3 ZPO dann nicht mehr relevant, wenn es um Verfahren vor dem Landgericht geht und der dort zugelassene Anwalt (§ 23 BRAO) seine Kanzlei nicht am Sitz des Landgerichts, sondern (nur) in dessen Zuständigkeitsbereich hat (vgl. § 27 BRAO und Henssler/Prütting, BRAO, 2004, Rd. 7 zu § 27). Dies könnte es nahe legen, im Verwaltungsprozess prozesskostenhilferechtlich nicht wie bei Amtsgerichtszulassungen generell an den Gerichtsort, sondern wie bei am Landgericht zugelassenen Rechtsanwälten an den Gerichtsbezirk anzuknüpfen. Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall lässt sich die Beschränkung der Beiordnung auf den Gerichtsort nicht mehr aus dem Rechtsgedanken des § 121 Abs. 3 ZPO rechtfertigen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist nämlich (auch) beim Landgericht Stuttgart zugelassen, so dass sie in einem landgerichtlichen Verfahren in Stuttgart für diese ohne weiteres und insbesondere ohne die Einschränkung des § 121 Abs. 3 ZPO tätig werden könnte. Der Senat geht davon aus, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren unter vielen Gesichtspunkten dem landgerichtlichen Verfahren näher steht als einem Amtsgerichtsprozess. Die nach § 166 VwGO erforderliche "entsprechende" Anwendung des § 121 ZPO auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren kann daher nur bedeuten, dass auch hier für eine kostenrechtliche Einschränkung auf den Gerichtsort kein Raum ist. Eine unterschiedliche prozesskostenrechtliche Behandlung beider Fälle nur wegen der im Verwaltungsprozess fehlenden Zulassungsmöglichkeit ist sachlich nicht geboten.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht auch verkannt, dass hier ohnehin eine - in der Rechtsprechung anerkannte - Sondersituation besteht. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat diese nämlich bereits seit dem Jahr 2000 in allen früheren Verfahren vertreten, in denen es um die Geltendmachung von Verfolgungsgründen und Abschiebungshindernissen bzw. -verboten ging, und sie hat insbesondere für die Klägerin die Feststellung eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 7 AufenthG erreicht. Von daher erscheint es nahe liegend, dass die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigte auch im hier maßgeblichen Aufenthaltserlaubnisverfahren mandatiert hat (zu Ausnahmesituationen, in denen ein weder am Gerichtsort noch am Wohnort des Klägers ansässiger auswärtiger Rechtsanwalt wegen besonderen Vertrauensverhältnisses im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne Beschränkung beizuordnen ist, siehe OVG Greifswald, Beschluss vom 10.1.1995 - 3 O 89/94 -, NVwZ-RR 1996, 238 und Sodan/Ziekow, a.a.O.; vgl. Auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Die Beschränkung auf die Kosten eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts war demnach auch aus diesem zweiten Grund aufzuheben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO), einer Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht.

Ende der Entscheidung

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