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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.08.2008
Aktenzeichen: 13 S 201/08
Rechtsgebiete: VwVfG


Vorschriften:

VwVfG § 48
Für die Rücknahme einer Ausweisung ist die Behörde sachlich zuständig, die zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung für die Ausweisung zuständig wäre; dabei ist die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen (Fortentwicklung von BVerwGE 110, 226).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG

Im Namen des Volkes

Urteil

13 S 201/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 25. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5.7.2006 - 16 K 1403/05 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Rücknahme einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung.

Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, wurde am xx.x.1970 in Deutschland geboren. Zwei Jahre der Grundschule verbrachte er in Italien, ansonsten hielt er sich bis zum Zeitpunkt seiner späteren Abschiebung in Deutschland auf, wo er einen Hauptschulabschluss erzielte. Nach Abbruch einer Lehre als Kfz-Mechaniker ging er bei mehreren Arbeitgebern kurzzeitigen Beschäftigungen nach. Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, zuletzt auch wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Betrugs wurde der Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 mehrfach zu Freiheitsstrafen von jeweils bis zu zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Vom 30.1.1994 bis 23.8.1995 befand er sich in Haft. Danach arbeitete er vom 25.9.1995 bis zum 16.11.1995 bei einer Personal-Leasing-Firma. Am 1.5.1996 wurde er nach unbekannt abgemeldet. Anlässlich einer Polizeikontrolle am 24.10.1996 wurde als aktueller Wohnort des Klägers eine Adresse in Italien aufgenommen.

Im Juli 1989 hatte der Kläger eine italienische Staatsangehörige geheiratet. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 18.4.1996 geschieden. Für den im Mai 1990 geborenen Sohn Guiseppe erhielt die Mutter das alleinige Sorgerecht, dem Kläger wurde durch gerichtlichen Beschluss vom 25.2.1993 ein wöchentliches Umgangsrecht zugesprochen. Im Juni 1996 wurde eine Tochter des Klägers geboren, die Mutter dieses Kindes war seine derzeitige Lebensgefährtin, eine deutsche Staatsangehörige.

Der Kläger hatte am 13.7.1987 erstmalig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. Am 27.9.1988 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt, die bis zum 19.5.1991 befristet war. Am 29.10.1991 und am 21.9.1995 beantragte er erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Mit Verfügung vom 21.11.1996 wies die Beklagte den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte seine Anträge vom 29.10.1991 und 21.9.1995 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Sie forderte ihn zur Ausreise bis spätestens 15.1.1997 auf und drohte ihm für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Italien an.

Zur Begründung führte die Beklagte aus: Aufgrund der Straftaten des Klägers lägen die Voraussetzungen für eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG vor. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG sei nicht gegeben. Ein Abweichen von der Regelausweisung sei nicht gerechtfertigt. Zwar habe sich der Kläger zeit seines Lebens fast ausschließlich in Deutschland aufgehalten. Es müsse aber berücksichtigt werden, dass er keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehe. Er habe noch nie über einen längeren Zeitraum bei demselben Arbeitgeber gearbeitet. Die Sozialprognosen der Strafrichter seien negativ. Er sei drogenabhängig und habe bisher keinerlei Bemühungen unternommen, diese Abhängigkeit zu überwinden. Er habe sich in die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht integriert. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen nunmehr unumgänglich. Aufgrund des bisherigen Lebenslaufs sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren Straftaten zu rechnen. Zu den in Deutschland wohnenden Eltern und der geschiedenen Frau und seinem Sohn habe er offensichtlich keine sozialen Bindungen. Dies habe er durch sein Untertauchen deutlich zum Ausdruck gebracht. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der italienischen Republik, dessen Eingreifen im Hinblick auf den geforderten fünfjährigen ordnungsgemäßen Aufenthalt zu seinen Gunsten unterstellt werde, dürfe er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Derartige Gründe lägen vor. Zumindest die zuletzt begangenen Taten (Betrug und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz) überschritten den Rahmen der sogenannten Alltagskriminalität. Weitere Schutzvorschriften wie Art. 3 Abs. 3 ENA oder § 12 Abs. 1 bis 4 AufenthG/ EWG böten keinen weitergehenden Schutz. Art. 8 EMRK sei nicht anwendbar, da ein Familienleben zwischen dem Kläger und seinem Sohn nicht stattfinde. Durch sein Untertauchen sei er nicht in der Lage, die sozialen Bindungen zu seinem Sohn aufrecht zu erhalten. Im übrigen seien die Vorschriften des AufenthaltsG/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar. Er habe während seines Aufenthalts in Deutschland immer nur ganz kurzfristig gearbeitet. Seine Arbeitslosigkeit sei immer selbstverschuldet gewesen. Zur Zeit stehe er nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei wegen der Ausweisung abzulehnen. Ohnehin verfüge er auch nicht über die notwendigen Existenzmittel und könne ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe nicht leben.

Die Verfügung wurde öffentlich zugestellt, dem Kläger aber auch am 18.12.1996 anlässlich seiner Festnahme durch die Polizei ausgehändigt. Der Kläger legte gegen die Verfügung keinen Widerspruch ein.

Am 20.3.1997 wurde der Kläger nach Italien abgeschoben. In der Folgezeit kehrte er mehrfach nach Deutschland zurück. Er wurde insgesamt achtmal nach Italien abgeschoben und einmal an der Grenze zurückgewiesen. Während der zwischen den Abschiebungen liegenden Aufenthalte in Deutschland machte sich der Kläger erneut strafbar. Zuletzt wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil vom 26.10.2004 wegen verbotener Einreise tateinheitlich begangen mit verbotenem Aufenthalt nach dem AuslG sowie wegen einer vorsätzlichen gefährlichen gemeinschaftlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Am 25.1.2005 beantragte der Kläger aus der Strafhaft die Rücknahme der Ausweisung, hilfsweise die sofortige Befristung der Ausweisung. Mit Verfügung vom 20.6.2005 befristete die Beklagte die Ausweisungsverfügung vom 21.11.1996 sowie die Wirkung der Abschiebungen nachträglich auf den 1.1.2005.

Die am 27.4.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Untätigkeitsklage, mit der der Kläger beantragt hat,

die Beklagte zu verpflichten, die Ausweisung des Klägers zurückzunehmen,

hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 5.7.2006 - 16 K 1403/05 -abgewiesen.

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht folgendes ausgeführt: Die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig, weil die Beklagte über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung bislang nicht entschieden habe, ohne dass hierfür ein zureichender Grund gegeben sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers sei aufgrund des geltend gemachten Rehabilitierungsinteresses gegeben. Die Klage sei aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG lägen nicht vor. Die Ausweisungsverfügung sei zwar unanfechtbar geworden, insbesondere sei sie mit der persönlichen Aushändigung an den Kläger am 18.12.1996 wirksam zugestellt worden. Zu dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit, im Januar 1997, sei die Ausweisungsverfügung aber nicht rechtswidrig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger weder als Unionsbürger noch als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt gewesen, so dass er auch ohne Ermessenserwägungen habe ausgewiesen werden dürfen. Die Schutzwirkungen des Art. 8 EMRK seien von der Beklagten berücksichtigt worden. Dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung eine Beziehung zu seiner heutigen Lebensgefährtin eingegangen und dass im Juni 1996 die erste gemeinsame Tochter geboren worden sei, stehe der Rechtmäßigkeit der Verfügung nicht entgegen. Der Beklagten sei dieser Umstand bereits nicht bekannt gewesen, da der Kläger ihn bei der Behörde nicht gemeldet und auch im Rahmen des Ausweisungsverfahrens nicht zur Kenntnis gebracht habe.

Mit Beschluss vom 15.2.2007 - Zustellung an den Kläger am 22.2.2007 - hat der Senat die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen.

Mit dem am 26.2.2007 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz trägt der Kläger vor, die Ausweisung sei aus mehreren Gründen rechtswidrig. Er sei jedenfalls als Dienstleistungsempfänger in Deutschland freizügigkeitsberechtigt gewesen. Daher habe er nach der Rechtsprechung des EuGH nur aufgrund einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen. Außerdem sei er sowohl als Kind eines freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers als auch als Arbeitnehmer selbst freizügigkeitsberechtigt gewesen. Die Ausweisung habe auch deshalb gegen Art. 8 EMRK verstoßen, weil sie nicht befristet gewesen sei. Er sei auch nicht gehalten gewesen, der Beklagten mitzuteilen, dass er mit seiner gegenwärtigen Freundin und der damals geborenen Tochter Lisa zusammenlebe. Zu der Ausweisung sei er mit Schreiben vom 14.3.1995 angehört worden. Vor der mehr als eineinhalb Jahre später verfügten Ausweisung habe er erneut angehört werden müssen. Bei der Rücknahme eines gemeinschaftswidrigen, nicht letztinstanzlich bestätigten Verwaltungsakts komme der Behörde auch kein Ermessen zu.

Der Kläger beantragt - sachdienlich - zuletzt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5.7.2006 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihre Ausweisungsverfügung vom 21.11.1996 zurückzunehmen, hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, ihre Ausweisungsverfügung vom 21.11.1996 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und nimmt auf dessen Begründung Bezug. Darüber hinaus führt sie aus, dass mangels Vollzugs der Ausweisung kein Rechtsschutzbedürfnis ersichtlich sei.

Das Verfahren hat vom 21.5.2007 bis zum 21.1.2008 geruht. Nach der mündlichen Verhandlung am 28.5.2008 hat der Senat mit Beschluss vom 6.6.2008 die mündliche Verhandlung wegen der Frage der Passivlegitimation wiedereröffnet. Danach haben beide Beteiligte auf erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten der Beklagten (3 Bände) vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Berufungsverfahrens wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung mit Zustimmung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist zwar zulässig, jedoch in ihrem Haupt- und Hilfsantrag unbegründet, weil die Beklagte bereits seit Klageerhebung nicht passivlegitimiert ist (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

1. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht ein mangelndes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entgegen. Zwar hat die Beklagte die Wirkungen der Ausweisung auf den 1.1.2005 befristet; ein Interesse an einer rückwirkenden Aufhebung einer Ausweisung seit ihrem Erlass ergibt sich jedoch daraus, dass zahlreiche Vorschriften an den ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt eines Ausländers positive Rechtsfolgen anknüpfen. Insoweit kann auf den in § 10 StAG geregelten Anspruch auf Einbürgerung oder auf die besonderen Ausweisungsweisungsschutz vermittelnde europarechtliche Bestimmung des Art. 28 Abs. 3a RL 2004/38/EG verwiesen werden (vgl. Urteile des Senats vom 7.12.2007 - 13 S 508/07 - und vom 28.6.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68).

2. Die Klage richtet sich jedoch nicht gegen den richtigen Beklagten. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist eine Klage gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft zu richten, deren Behörde den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Als Regelung der Passivlegitimation folgt aus dieser Vorschrift, dass eine Verpflichtungsklage gegen den zuständigen Rechtsträger zu richten ist, weil nur ihm gegenüber der geltend gemachte Anspruch bestehen kann (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Auflage, § 78 Rn. 16). Die beklagte Stadt ist jedoch sachlich nicht für die begehrte Rücknahme einer Ausweisung zuständig.

Eine ausdrückliche Regelung der sachlichen Zuständigkeit für die Rücknahme einer Ausweisung enthält weder das Aufenthaltsgesetz noch die Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylverfahrensgesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer (Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO) vom 11.01.2005 (GBl. S. 93), zuletzt geändert mit Verordnung vom 4.10.2005 (GBl. 678). § 3 LVwVfG regelt nur die örtliche Zuständigkeit (vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 3 Rn. 8ff). Daher ist nach allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen für die Rücknahme die Behörde zuständig, die zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes sachlich zuständig wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.1999 - 7 C 42/98 -, BVerwGE 110, 226).

Zum Zeitpunkt der Stellung des Rücknahmeantrags am 25.1.2005 und der Klageerhebung am 27.4.2005 war die beklagte Stadt für die Ausweisung des Klägers jedoch nicht mehr zuständig. Denn während dieses Zeitraums befand sich der Kläger in Strafhaft; nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO in der Fassung vom 11.1.2005 waren für die Ausweisung straffälliger Ausländer, die sich auf richterliche Anordnung in Strafhaft befinden, die Regierungspräsidien zuständig, wobei die Zuständigkeit auch nach Entlassung bis zu der Entscheidung über die Ausweisung bestehen blieb. Durch die Neuformulierung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO mit Wirkung vom 22.10.2005 (Änderungsverordnung vom 4.10.2005 - GBl. S. 678), wonach die Regierungspräsidien für die Ausweisung straffälliger Ausländer zuständig sind, wenn sich diese auf richterliche Anordnung in Strafhaft befinden oder befunden haben, ist keine Zuständigkeitsänderung eingetreten.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger bei Erlass der Ausweisungsverfügung vom 21.11.1996 nicht inhaftiert war. Denn für die Bestimmung der für die Rücknahme einer Ausweisung zuständigen Behörde kommt es darauf an, welche Behörde zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sachlage für die Ausweisung zuständig wäre. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Koppelung der Rücknahmezuständigkeit an die aktuelle Zuständigkeit für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes. Dadurch soll eine Entscheidung durch die am besten geeignete Behörde gewährleistet werden; am besten geeignet für eine Rücknahmeentscheidung - bei der es maßgeblich um die Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und die Ausübung des Rücknahmeermessens unter Beachtung aller im Einzelfall relevanten Umstände geht - ist im Regelfall aber die Behörde, die gegenwärtig für den Erlass dieses Verwaltungsaktes zuständig wäre (vgl. BVerwG, a.a.O.). Wenn der Tatbestand der Zuständigkeitsregelung für den aufzuhebenden Verwaltungsakt an bestimmte tatsächliche Voraussetzungen anknüpft (wie bei § 10 AAZuVO), ist daher konsequenterweise auch auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung abzustellen.

Einer "gemischten" Zuständigkeitsbestimmung (Berücksichtigung der gegenwärtigen Rechts- aber der früheren Sachlage) steht zudem die Systematik der Aufhebungstatbestände in §§ 48 ff. LVwVfG entgegen. Diese unterscheiden sich in erster Linie nach dem Aufhebungsgrund und können daher kumulativ in Anspruch genommen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, § 48 Rn. 34). Das spricht für eine einheitliche Regelung der sachlichen Zuständigkeit. Für das Wiederaufgreifen des Verfahrens, das zu dem Erlass eines Zweitbescheids führen kann, muss sich nämlich die sachliche Zuständigkeit danach richten, ob die Behörde im Zeitpunkt des Wiederaufgreifens für Verwaltungsakte der in Frage stehenden Art sachlich zuständig ist (vgl. Kopp/ Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 22); maßgeblich ist also sowohl die gegenwärtige Rechts- als auch die gegenwärtige Sachlage. Gleiches gilt für den Widerruf nicht begünstigender Verwaltungsakte, bei dem zu prüfen ist, ob ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (§ 49 Abs. 1 LVwVfG, vgl. auch Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage 1995, S. 628). Im Interesse einer einheitlichen Aufhebungszuständigkeit ist daher auch bei der Bestimmung der für die Rücknahme zuständigen Behörde auf die gegenwärtige Sachlage abzustellen.

Da sich die Klage von vornherein gegen die falsche Beklagte gerichtet hat, stellt sich nicht das Problem, welche Folgen ein Wechsel der sachlichen Zuständigkeit während des Klageverfahrens hat. Dem hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag des Klägers, mit dem er auf einen eventuellen Wechsel der sachlichen Zuständigkeit reagiert (vgl. hierzu Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 23.11.1993 - 11 UE 3130/90 -, juris), steht ebenfalls die fehlende Passivlegitimation der Beklagten entgegen.

3. Zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits weist der Senat darauf hin, dass dem Kläger nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 21.11.1996, nicht jedoch ein Rücknahmeanspruch zustehen dürfte.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme liegen vor. Denn die Ausweisung vom 21.11.1996 war zu dem maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, NVwZ 2008, 326) rechtswidrig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie entgegen der neuen Rechtsprechung des BVerwG (a.a.O.) als Regelausweisung ohne Ermessensausübung durch die Beklagte ergangen ist, obwohl hier durch Vorschriften der EMRK geschützte Belange des Klägers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls geboten hätten. Wie jede Rechtsprechungsänderung besitzt diese neue Auslegung des Aufenthaltsgesetzes in dem Sinne eine Rückwirkung, dass sie nunmehr auch der rechtlichen Beurteilung eines in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts zugrunde zu legen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297).

§ 48 Abs. 1 LVwVfG räumt dem Kläger aber lediglich ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich der Entscheidung über die Ausübung der Rücknahmebefugnis ein. Ein Rechtsanspruch auf Rücknahme kommt nur dann in Betracht, wenn das Ermessen der Behörde angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles auf Null reduziert wäre. Eine derartige Reduktion des Ermessens ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes "schlechthin unerträglich" erscheint, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt (vgl. hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 28.6.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68 m.w.N. sowie die Senatsurteile vom 24.1.2007 - 13 S 451/07 -, VBlBW 2007, 392 und vom 7.12.2007 - 13 S 508/07 -; zur Verfassungsmäßigkeit dieser eingeschränkten Rücknahmepflicht siehe BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.1.2008 - 1 BvR 943/07 -, NVwZ 2008, 550).

Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007, a.a.O.). Dies ist hier weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Zudem wäre zu berücksichtigen, dass der Kläger die Ausweisung nicht angefochten hat und die Wirkungen der Ausweisung inzwischen auf den 1.1.2005 befristet worden sind.

Darüber hinaus vermag die offensichtliche Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, die sich zum Zeitpunkt des Erlasses beurteilt, die Annahme zu rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709). Jedoch war die Ausweisungsverfügung wohl nicht offensichtlich rechtswidrig, da die Gesichtspunkte, die zur Rechtswidrigkeit führen oder führen könnten, jedenfalls bei Erlass der Ausweisung nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennbar gewesen sein dürften (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 23.10.2007, a.a.O.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Anwendung des § 161 Abs. 3 VwGO als besondere Kostenregelung der Untätigkeitsklage kommt vorliegend nicht in Betracht, weil der Kläger das Verfahren fortgeführt hat, nachdem die Beklagte - auch ohne förmliche Bescheidung des Antrags -in der Klageerwiderung ihre für den Kläger negative Rechtsauffassung dargelegt hat (vgl. Urteil des Senats vom 18.1.2006 - 13 S 2220/05 -, VBlBW 2006, 200).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.

Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Beschluss vom 28. Mai 2008

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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