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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 13 S 2215/07
Rechtsgebiete: LVwVfG, AuslG, StAG
Vorschriften:
LVwVfG § 48 | |
AuslG § 88 Abs. 3 | |
StAG § 12a Abs. 3 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Rücknahme einer Einbürgerung
hier: Prozesskostenhilfe
hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 10. Oktober 2007
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. August 2007 - 11 K 4364/06 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung des Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm erhobene Klage; Gegenstand der Klage ist die Verfügung der Beklagten vom 9.11.2005 (bzw. der dazu ergangene Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart), mit der die Beklagte die am 5.11.2004 erfolgte Einbürgerung des Klägers zurückgenommen hat. Das Verwaltungsgericht hat die Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe wissen müssen, dass er vor Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 5.11.2004 noch nicht deutscher Staatsangehöriger sei; jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung sei ihm klar gewesen, dass die Einbürgerung noch nicht erfolgt sei.
Der Kläger trägt mit der Beschwerde vor, nicht nur er, sondern auch sein damaliger Prozessbevollmächtigter sei davon ausgegangen, dass die Einbürgerung bereits vor der Aushändigung der Urkunde wirksam geworden sei; eine bewusste und absichtliche Täuschung der Einbürgerungsbehörde bei der Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde (Täuschung über ein anhängiges Strafverfahren bzw. über eine zuvor bereits erfolgte Inhaftierung) könne man ihm daher nicht vorwerfen. Wenn er erst mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde erfahre, dass er zuvor noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt habe, sei es für eine entsprechende Reaktion (Mitteilung des Strafverfahrens) zu spät. Im übrigen sei fraglich, wie präsent es ihm im November 2004 noch gewesen sei, die Einleitung eines Strafverfahrens oder Ermittlungsverfahrens mitzuteilen.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg; das Verwaltungsgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch bei Anwendung des in diesem Zusammenhang gebotenen großzügigen Maßstabs zu Recht abgelehnt.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht bietet und auch nicht mutwillig erscheint; in diesem Zusammenhang kann hinreichende Erfolgsaussicht vor allem dann angenommen werden, wenn der Ausgang des Verfahrens sich als hinreichend offen darstellt (siehe dazu im einzelnen BVerfG, Beschlüsse vom 5.2.2003 - 1 BvR 1526/02 -, NJW 2003, 2976, vom 14.6.2006 - 2 BvR 626/06 -, InfAuslR 2006, 377 und vom 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361). An einer solchen "Offenheit" des Prozessausgangs fehlt es im vorliegenden Fall.
Dass die (erst) mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde erfolgte Einbürgerung des Klägers (siehe § 16 Abs. 1 Satz 1 StAG) im Sinn des § 48 Abs. 1 LVwVfG rechtswidrig war, ergibt sich aus § 88 Abs. 3 Satz 1 des für die Einbürgerung des Klägers damals noch anwendbaren AuslG (jetzt § 12 a Abs. 3 StAG); nach dieser Vorschrift ist nämlich "die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens ... auszusetzen", wenn gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird. Diese Ermittlungen waren im vorliegenden Fall am Tag der Einbürgerung bereits anhängig, da der Kläger wenige Tage zuvor - am 3.11.2004 - wegen eines Drogendelikts in Untersuchungshaft genommen worden war. § 88 Abs. 3 Satz 1 AuslG ist dabei nicht nur eine bloße Verfahrensvorschrift; wird gegen das Gebot der Aussetzung verstoßen, so ist eine gleichwohl erfolgte Einbürgerung im Sinn von § 48 Abs. 1 LVwVfG fehlerhaft (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, NVwZ 2004, 489).
Dass der Behörde im Fall einer fehlerhaften Einbürgerung die Rücknahmemöglichkeit nach den landesrechtlichen Verwaltungsverfahrensgesetzen rechtlich eröffnet ist, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (siehe BVerwG a.a.O.; siehe zuletzt BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.9.2007 - 13 S 2794/06 -). Jedenfalls für die Fallgestaltung erschlichener Einbürgerungen (siehe dazu § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG) ist die Rücknahmemöglichkeit nicht mehr streitig; das gleiche gilt nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17.9.2007 a.a.O.) dort, wo zwar keine arglistige Täuschung, aber sonstiges vergleichbar vorwerfbares Verhalten zur Einbürgerung geführt hat. Im vorliegenden Fall geht der Senat allerdings unmittelbar von arglistiger Täuschung des Klägers durch Verschweigen des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens bzw. seiner zuvor erfolgten Inhaftierung aus. Das der Einbürgerungszusicherung vom 5.8.2003 beigefügte Schreiben enthält den Zusatz, "auf die Beachtung des beigefügten Merkblattes zur Einbürgerungszusicherung" werde hingewiesen, und dort heißt es, u.a. die Einleitung eines Strafverfahrens sei der Behörde als Änderung der persönlichen Verhältnisse mitzuteilen. Anhaltspunkte dafür, dass das Merkblatt dem genannten Schreiben entgegen dessen Wortlaut nicht beigefügt war, hat der Senat nicht.; die Tatsache, dass es sich nicht bei den Akten befindet, reicht als Beleg dafür nicht aus. Auch die Einbürgerungszusicherung selbst enthält zudem den Zusatz, sie werde unter dem Vorbehalt erteilt, dass sich die für die Einbürgerung maßgebliche Sach- und Rechtslage, insbesondere die persönlichen Verhältnisse des Einbürgerungsbewerbers, bis zur Einbürgerung nicht änderten. Von daher wird im Klageverfahren ohne unzulässige Vorwegnahme einer Beweisaufnahme davon auszugehen sein, dass dem Kläger zum Zeitpunkt der Einbürgerung die Verpflichtung bewusst war, die Einleitung eines Strafverfahrens bzw. seine Inhaftierung der Behörde anzuzeigen. Diese Verpflichtung hat er offensichtlich verletzt. Weder er selbst noch sein damaliger Strafverteidiger hat der Behörde mitgeteilt, aus welchen Gründen (Inhaftierung) die Einbürgerungsurkunde von ihm nicht persönlich entgegengenommen werden kann, obwohl die Angabe des Verhinderungsgrundes durchaus nahegelegen hätte. Nach der kurzzeitigen Entlassung aus der Untersuchungshaft (3.11.2004) hat der Kläger die Einbürgerungsurkunde am 5.11.2004 selbst entgegengenommen, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt - weder bei dieser Gelegenheit noch vorher - auf die auch aus Laiensicht wesentliche Änderung der Sachlage hinzuweisen. Damit liegt im Rechtssinn auch bei Zugrundelegung des im Prozeßkostenhilfeverfahrens gebotenen großzügigen Maßstabs eine arglistige Täuschung durch Unterlassen (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG) vor (siehe auch VG Arnsberg, Urteil vom 7.9.2005 - 1 K 4045/04 -, juris; zur Täuschung durch Verschweigen siehe auch BVerwG, Urteil vom 18.9.1985 - 2 C 30.84 -, ZBR 1986, 52 m.w.N.).
Der Vortrag des Klägers, er sei am 5.11.2004 davon ausgegangen, dass er bereits deutscher Staatsangehöriger sei, erscheint auch dem Senat nicht als glaubhaft. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kläger bei seiner Inhaftierung als Staatsangehöriger von Serbien/Montenegro geführt worden ist, ohne dass sich aus der Akte irgendwelche Reaktionen von seiner Seite hierzu ergeben. Hiergegen könnte eingewendet werden, dem Kläger sei diese Einstufung nicht bekannt geworden; allerdings liegt eine solche Annahme - Aufnahme eines Häftlings in die Vollzugsanstalt ohne dessen Mitwirkung und Befragung zu den Personaldaten - nicht unbedingt nahe. Vor allem fehlt es jedoch an jeder behördlichen Äußerung dem Kläger gegenüber, die sich auch aus Laiensicht bereits als Vollzug einer Einbürgerung auffassen ließe. Das Schreiben der Beklagten vom 1.10.2004, auf das sich der Kläger in diesem Zusammenhang (auch) beruft, stellt lediglich eine Ladung zum persönlichen Erscheinen am 18.10.2004 zum Zweck der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde dar; aus ihm lässt sich auch für einen Rechtsunkundigen weder entnehmen, dass eine Einbürgerung bereits erfolgt sei noch dass sie mit diesem Schreiben erfolge. Angesichts der auch einem Laien bekannten großen statusrechtlichen Bedeutung einer Einbürgerung kann nicht angenommen werden, dass der Kläger dem Vorladungsschreiben eine so weitgehende konstitutive Bedeutung beigemessen haben will. Er wird kaum einen Staat geben - jedenfalls nicht im bürokratisch organisierten Westeuropa -, der eine Einbürgerung der hier streitigen Art gewissermaßen automatisch d.h. ohne jede weitere individuelle staatliche Äußerung vorsieht. Im übrigen ergab sich auch aus der dem Kläger zuvor ausgehändigten Einbürgerungszusicherung selbst, dass die Einbürgerung eine weitere gesonderte Behördenentscheidung voraussetzt, bei der Sachverhaltsänderungen berücksichtigt werden. Alles spricht umgekehrt dafür, dass die Tatsache der Inhaftierung bewusst verschwiegen wurde, um auf direktem oder indirektem Weg die Einbürgerungsurkunde - an deren Besitz dem Kläger doch offenbar sehr gelegen war - zu erhalten. Das bestätigt auch der bei den Akten des Regierungspräsidiums dokumentierte Vermerk vom 16.11.2004, wonach der Kläger mitgeteilt hat, dass er "seit dem 5.11.2004" (also seit Aushändigung der Staatsangehörigkeitsurkunde) die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Von einer zeitlich früheren Einbürgerung sprach der Kläger offenbar nicht. Angesichts des Wortlauts des Vermerks drängt sich jedenfalls die Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme hierzu durch Vernehmung des damaligen Bediensteten nicht auf. Soweit der Strafverteidiger des Klägers am 20.4.2006 seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hat, er sei "zum 15.10.2004" davon ausgegangen, das Einbürgerungsverfahren sei abgeschlossen, und "zur Disposition" habe lediglich die Übergabe der Urkunde gestanden, lässt sich dies kaum mit seinem Schriftsatz vom 29.9.2005 an die Beklagte vereinbaren. Dort führt er aus, eine Mitteilungspflicht des Klägers habe nur bis zum 4.10.2004 bestehen können, weil die Einbürgerungsurkunde das Datum des 4.10.2004 trage. Diese Urkunde, die den ausdrücklichen Zusatz enthält, "mit dem Zeitpunkt der Aushändigung (werde) die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben", wurde dem Kläger jedoch erst am 5.11.2004 ausgehändigt. Das Ausstellungsdatum der Einbürgerungsurkunde kann ihm damit erst zum Zeitpunkt ihrer Aushändigung bekannt geworden sein, so dass sich für die behauptete gutgläubige Annahme des früheren Erwerbs der Staatsangehörigkeit hieraus nichts ableiten läßt. Auch waren zu dem von dem Strafverteidiger des Klägers als Bezugspunkt genannten Zeitpunkt (15.10.2004) die für die Einbürgerung fälligen Gebühren noch nicht beglichen, wie sich aus dem Schreiben vom 15.10.2004 an die Beklagte ergibt. Diese Bedingung der Urkundenaushändigung (vgl. das Schreiben der Behörde vom 1.10.2004) war damit noch nicht erfüllt. Woraus der Verteidiger des Klägers gleichwohl geschlossen haben will, die Einbürgerung sei bereits erfolgt, ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Hiervon abgesehen käme es auch nicht auf einen Irrtum des damaligen Prozessbevollmächtigten, sondern auf den Wissensstand des Klägers selbst an. Auch dieser konnte - wie dargelegt - aus keinem konkreten Umstand folgern, er sei bereits vor Aushändigung der Einbürgerungsurkunde Deutscher geworden.
Soweit geltend gemacht wird, eine Einbürgerungsurkunde könne durchaus auch einem Bevollmächtigten ausgehändigt werden, stellt dies die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, da es im vorliegenden Fall auch an einer solchen Aushändigung - z.B. an den damaligen Bevollmächtigten - fehlt. Zur gesetzlich festgelegten Bedeutung der Aushändigung (siehe dazu § 16 Abs. 1 Satz 1 StAG) besagt dies ohnehin nichts.
Sonstige Rechtswidrigkeitsgründe sind nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich; insbesondere ist die Rücknahme zeitnah erfolgt (vgl. dazu BVerfG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht, da für die Zurückweisung einer Beschwerde in Prozesskostenhilfesachen eine Festgebühr vorgesehen ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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