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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 13 S 2345/05
Rechtsgebiete: LVwVfG


Vorschriften:

LVwVfG § 48 Abs. 2 Satz 4
1. Auf die Rücknahme einer Aufenthaltsberechtigung finden die Grundsätze des sog. intendierten bzw. gelenkten Ermessens (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55) keine Anwendung.

2. Zur Wirksamkeit einer Eheschließung nach dem Hindu-Ehegesetz Nr. 25 vom 18.5.1955


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 2345/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung, Ausweisung und Abschiebungsandrohung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am 22.2.1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens "K. K." in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den 30.3.1966 an, als Heiratsdatum den 26.2.1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.

Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.

Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.

Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.

Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung "zurückzunehmen ist". Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale "Nichts" bedeuten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße "Förmelei", noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).

Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.

Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen "die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)" erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).

1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.

Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).

Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.

Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das "Saptapadi" gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)

Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.

Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.

Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden "Sterbeurkunde" seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.

Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).

Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).

Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.

2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG ("kann") eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: "Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen." Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).

Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen "untergeschoben" werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.

Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.

Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des "Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.

Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.

Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.

Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Beschluss vom 11.1.2006

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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