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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.07.2001
Aktenzeichen: 13 S 2401/99
Rechtsgebiete: AuslG, EMRK
Vorschriften:
AuslG § 47 Abs. 1 | |
EMRK Art. 8 |
Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn der Ausländer die Muttersprache seiner Eltern noch in Grundzügen beherrscht.
Auf die Möglichkeit einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung kann der Ausländer in solchen Fällen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls dann verwiesen werden, wenn die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts nach Ablauf der Frist voraussichtlich rechtlich in Betracht kommt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 26.7.2001
In der Verwaltungsrechtssache
wegen
Ausweisung, Aufenthaltsgenehmigung und Abschiebungsandrohung
hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Blüm und Jaeckel-Leight sowie die Richterin am Verwaltungsgericht Göppl auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2001
für Recht erkannt:
Tenor:
Hinsichtlich des auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gerichteten Verpflichtungsbegehrens wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Juli 1998 - 6 K 4413/97 - ist insoweit unwirksam.
Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Juli 1998 - 6 K 4413/97 - geändert. Die Ausweisung und Abschiebungsandrohung im Bescheid des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 11. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20. Juni 1997 werden aufgehoben.
Soweit das Verfahren eingestellt worden ist, tragen die Beteiligten die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie insoweit selbst. Im Übrigen trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 26.2.1973 in Backnang geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er wuchs zunächst bei seinen Eltern in Deutschland auf und verzog 1980 nach Jugoslawien, um dort die Schule zu besuchen. Im November 1984 kehrte er zu seinen Eltern nach Deutschland zurück und wurde in die 4. Klasse der Grundschule übernommen. 1989 absolvierte er den Hauptschulabschluss und begann eine Lehre als Karosseriebauer, die er nach kurzer Zeit abbrach, um eine Arbeitsstelle bei der Firma M. in O. anzutreten, in der auch sein Vater beschäftigt war. Im März 1992 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis und trat im Mai 1992 ein bis November 1993 befristetes Arbeitsverhältnis bei der Firma S. in M. an, wo auch seine Mutter arbeitete. Nach Ablauf dieses Zeitvertrags war der Kläger arbeitslos und bezog seitdem Arbeitslosengeld. Bis zu seiner Festnahme am 26.9.1994 lebte er weiter im Haushalt seiner Eltern, die seit 1995 geschieden sind. Er hat eine zwei Jahre jüngere Schwester und einen heute zwölfjährigen Bruder, der bei der Mutter lebt.
Auf Antrag vom 22.5.1989 erteilte das Landratsamt Rems-Murr-Kreis dem Kläger am 27.6.1989 eine bis zum 26.6.1990 befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese wurde am 19.6.1990 bis 18.6.1992 verlängert. Auf seinen Antrag vom 21.7.1992 erteilte das Landratsamt dem Kläger am 24.7.1992 eine bis zum 23.7.1993 befristete Aufenthaltserlaubnis, die am 22.7.1993 bis zum 22.7.1995 verlängert wurde. Über den am 5.10.1995 gestellten Verlängerungsantrag wurde zunächst nicht entschieden.
Mit Urteil vom 17.1.1995 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Stuttgart gegen den Kläger eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der selbst heroinabhängige Kläger und ein Mittäter seit etwa Anfang/Mitte August 1994 im Raum Murrhardt damit begonnen hatten, gemeinsam mit Heroin gewinnbringend Handel zu treiben. Bei der Strafzumessung ließ sich das Amtsgericht davon leiten, dass ein minderschwerer Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG gerade noch vorgelegen habe. Zu Gunsten des Klägers habe sich ausgewirkt, dass er nicht vorbestraft und geständig sei. Ferner wurde zu seinen Gunsten gewürdigt, dass er als Abhängiger den Handel auch zur Deckung seines Eigenbedarfs getrieben habe. Gegen ihn habe gesprochen, dass er mit Heroin als einer der gefährlichsten Drogen gehandelt habe, und dass die zum Handeltreiben bestimmte Menge an Heroinzubereitung mit 30 Gramm ebenso erheblich gewesen sei wie deren Wirkstoffgehalt von ca. 2,2 Gramm Heroin-HCL. Zu seinen Ungunsten habe sich auch auswirken müssen, dass er in weitaus höherem Maße, als hier abzuurteilen gewesen sei, im Heroinhandel verstrickt sei.
Am 26.9.1994 war der Kläger in Untersuchungshaft genommen worden, in der er bis zur Rechtskraft des Urteils vom 17.1.1995 verblieb. Im Strafvollzug befand sich der Kläger seit dem 2.2.1995 in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg, die mit Schreiben an die Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 12.6.1995 eine bedingte Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt befürwortete. Zur Begründung hieß es, der Vollzug sei weitgehend ohne Beanstandungen verlaufen. Zu seiner Familie pflege der Kläger ein inniges Verhältnis. Er habe sich mit seiner Straffälligkeit und Suchtproblematik auseinandergesetzt und habe Kontakt zu einer Drogenberatungsstelle aufgenommen. Er habe vor, sich im Anschluss an die Haft einer ambulanten Therapie zu unterziehen. Durch die Entlassung in eine Familie, die einen stabilen Eindruck vermittelt habe, seien die Entlassungsbedingungen gesichert, so dass insgesamt eine günstige Sozialprognose möglich sei.
Mit Beschluss vom 6.9.1995 setzte das Landgericht Ravensburg - 2. Strafvollstreckungskammer - die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17.1.1995 gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung aus. Zur Begründung hieß es unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Vollzugsanstalt, dem Kläger könne eine günstige Prognose gestellt werden. Auch im Rahmen seiner Anhörung habe er einen guten und zuverlässigen Eindruck hinterlassen. Als nichtvorbestraftem Erstverbüßer könne ihm im Hinblick auf die Entlassumstände und den beanstandungsfreien Vollzugsverlauf die bedingte Entlassung nicht versagt werden.
Nach seiner Entlassung aus der Haft am 15.9.1995 nahm der Kläger im Haushalt seiner Mutter und seines jüngeren Bruders Wohnung. Vom 21.3. bis 21.6.1996 stand er erneut bei der Firma S. in Arbeit. Am 1.9.1996 begann er in diesem Unternehmen eine Ausbildung zum Gießereimechaniker, die aufgrund seines ungesicherten Aufenthaltes am 30.7.1997 beendet werden musste.
Ein gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren wegen eines Vergehens des fahrlässigen Ermächtigens zum Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit einem fahrlässigen Vergehen nach §§ 1, 6 Abs. 1 und 2 Pflichtversicherungsgesetz wurde vom Amtsgericht Backnang mit Beschluss vom 6.12.1996 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Bescheid vom 11.3.1997 wies das Landratsamt Rems-Murr-Kreis den Kläger nach vorheriger Anhörung gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F. aus, lehnte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm unter Setzung einer Ausreisefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheids die Abschiebung nach Jugoslawien an. Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.1997, zugestellt am 7.7.1997, zurück. Zur Begründung führte das Regierungspräsidium aus: Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (a.F.) sei die Ausweisung des Klägers die einzig mögliche Rechtsfolge; denn mangels Besitzes einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis genieße er keinen erhöhten Ausweisungsschutz. Vor dem verfassungsrechtlich geforderten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und vor Art. 8 Abs. 1 EMRK halte die Ausweisung stand. Der Kläger werde durch die Maßnahme nicht unangemessen bzw. übermäßig belastet. Art. 8 EMRK stehe der Ausweisung nicht schon dann entgegen, wenn der Ausländer in Deutschland aufgewachsen sei und über keine nennenswerten Beziehungen zu dem Land seiner Staatsangehörigkeit verfüge. Als unzulässiger Eingriff könne sich die Ausweisung allenfalls dann darstellen, wenn aufgrund besonderer Umstände die Schwere und Bedeutung der verübten Straftaten zu relativieren seien, oder wenn die von dem Ausländer geforderte Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit aufgrund seiner besonderen persönlichen Situation eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Zu berücksichtigen sei hier, dass familiäre Zerrüttungen durch die Mutter des Klägers als Ursache für dessen Abgleiten ins Drogenmilieu identifiziert worden seien. Das Amtsgericht Stuttgart habe sich bei der Strafzumessung zudem genötigt gesehen, auf die in weitaus höherem Maße gegebene Verstrickung des Klägers in den Heroinhandel, als sie abzuurteilen gewesen sei, hinzuweisen. Der Kläger scheine zwischenzeitlich zudem erneut straffällig geworden zu sein. Er räume ein, über entfernte verwandtschaftliche Kontakte nach Jugoslawien zu verfügen. Es könne von ihm erwartet werden, periphere Sprachkenntnisse auszubauen. Die Verhältnisse im Herkunftsgebiet unterschieden sich nach der Beruhigung im Anschluss an das Friedensabkommen von Dayton auch nicht mehr grundlegend von den Verhältnissen im Bundesgebiet. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegen. Die Abschiebungsandrohung begegne keinen Bedenken.
Am 1.8.1997 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben, mit der er zuletzt beantragt hat, den Bescheid des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 11.3.1997 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.6.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Zur Begründung hat er unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung vorgetragen, er habe mit 17 Jahren begonnen, Joints zu rauchen und sei dann heroinabhängig geworden. Aufgrund familiärer Probleme habe er Schule und Ausbildung geschwänzt. Nachdem er nach Auslaufen seines Zeitvertrags arbeitslos geworden sei, habe er zu dealen begonnen, um an Stoff zu kommen. Seit seiner Haftzeit sei er weg von jeglicher Droge, weg von der Szene und weg von seinem früheren Freundeskreis. Wie sich aus einem Zwischenzeugnis seines Ausbildungsbetriebs (Firma S. ) ergebe, bewerte ihn sein Arbeitgeber überaus positiv. Nach der Scheidung seiner Eltern lebe er zusammen mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder in einem Haushalt. Seine Mutter verrichte Schichtarbeit und sei deshalb auch wegen des jüngeren Bruders auf ihn angewiesen. Persönliche Kontakte mit Verwandten in Jugoslawien habe er nicht. Es existierten dort Verwandte, die er aber so gut wie nicht kenne. Er sei in den letzten sieben Jahren zweimal kurz in Jugoslawien gewesen. Die Voraussetzungen für einen erhöhten Ausweisungsschutz gemäß § 48 AuslG seien von der Widerspruchsbehörde zu Unrecht verneint worden. Da er bei Vollendung des 16. Lebensjahres nicht auf die Möglichkeit der Beantragung einer Aufenthaltsberechtigung, hilfsweise einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis hingewiesen worden sei, treffe die Ausländerbehörde eine Folgenbeseitigungslast. Eine Ausweisung wäre somit nur nach Ermessen zulässig gewesen. Eine solche Ermessensentscheidung habe die Widerspruchsbehörde aber nicht treffen wollen. Von ihm zu erwarten, dass er seine peripheren Sprachkenntnisse des Serbokroatischen ausbaue, sei nach Art. 8 EMRK unzulässig. Die Ausweisung trenne ihn von seiner Familie. Die Ausländerbehörde verlange von ihm, dass er ohne die im alltäglichen Leben erforderlichen Sprachkenntnisse in Jugoslawien eine Existenz aufbaue, wo er über keine Unterkunft verfüge.
Mit Urteil vom 14.7.1998 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Ausweisung des Klägers sei nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F. zwingend zu verfügen gewesen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese "Ist-Ausweisung" bestünden nicht. Ob die Ausweisung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, sei angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 47 Abs. 1 AuslG weder von der Ausländerbehörde noch vom Gericht zu prüfen. Besondere Härten, die im vorliegenden Fall durchaus erkennbar seien, könnten und müssten gegebenenfalls im Wege einer Duldung oder Befristung der Wirkungen der Ausweisung gemildert werden. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG komme dem Kläger nicht zugute. Dass ihm bei entsprechender Antragstellung möglicherweise eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hätte erteilt werden können, genüge nicht. Der Besitz der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis könne auch nicht durch eine sogenannte Folgenbeseitigungslast fingiert werden; denn diese setze einen zu Unrecht von der Ausländerbehörde abgelehnten Antrag voraus. Es sei jedoch weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gestellt habe. Eine Verletzung der Beratungspflicht könne allenfalls eine Amtspflichtverletzung mit entsprechender Schadensersatzpflicht darstellen, aber keinen Anspruch auf Herstellung des Zustandes begründen, der eingetreten wäre, wenn ordnungsgemäß belehrt worden wäre. Auch der besondere Ausweisungsschutz des Art. 8 EMRK komme dem Kläger nicht zugute. Es könne dahinstehen, ob ein Eingriff nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gegeben und ob dieser Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig sei. Denn die Ausweisung sei nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F. zwingend zu verfügen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung finde nicht statt. Der vom Kläger begehrten Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis stehe § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegen. Auch die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG komme nicht in Betracht; denn der Kläger sei nicht seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig. Die Abschiebungsandrohung beruhe rechtsfehlerfrei auf §§ 49, 50 AuslG. Abschiebungshindernisse im Hinblick auf das benannte Zielland Jugoslawien seien weder dargetan noch sonst ersichtlich. Bei Art. 8 EMRK handele es sich um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das von § 53 Abs. 4 AuslG nicht erfasst werde.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 5.10.1999 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage zurückgenommen, soweit sie auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gerichtet war, nachdem der Beklagte ihm die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis für den Fall der rechtskräftigen Aufhebung der Ausweisungsverfügung zugesichert hatte.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.7.1998 - 6 K 4413/97 - zu ändern und den Bescheid des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 11.3.1997 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.6.1997 insoweit aufzuheben, als er ausgewiesen und ihm die Abschiebung angedroht wurde.
Zur Begründung macht er geltend, aus einer Verletzung der behördlichen Beratungspflicht ergebe sich als Folgenbeseitigungslast, dass er über den Ausweisungsschutz verfüge, den er mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis besitzen würde. Eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geboten. Diese Prüfung falle zu seinen Gunsten aus. In den Entscheidungen des EGMR werde immer wieder deutlich, dass Art. 8 EMRK nicht nur die Kleinfamilie schütze, sondern darüber hinaus auch die Beziehungen zu Geschwistern. Da die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG nicht in Betracht komme, erweise sich § 47 Abs. 1 AuslG als eine Vorschrift, die eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Lösung versperre. Die Vorschrift sei somit entweder verfassungswidrig oder sie müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Es sei verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, in Fällen eines sozial verfestigten Aufenthalts, der nicht durch einen Aufenthaltstitel formal bestätigt sei, die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuschließen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Die Ausweisung verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierfür genüge es nicht, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen sei. Vielmehr ergebe sich aus § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, dass dieser Sachverhalt erst in Verbindung mit dem zusätzlichen Erfordernis der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis einen besonderen Ausweisungsschutz begründe. Im übrigen halte sich der Kläger nicht seit 1984 ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hätte ihm vor 1995 nicht erteilt werden können. Es sei auch im Sinne von Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig, von einem ausgewiesenen BTM-Straftäter die Ausreise zu verlangen und möglicherweise bestehende Härten im Wege der Befristung der Wirkung der Ausweisung zu mildern.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Kläger angehört. Er hat im wesentlichen angegeben: Seine Eltern stammten aus dem Kosovo und seien serbischer Volkszugehörigkeit. Bis zu seiner Ausreise im Jahr 1980 sei innerhalb der Familie serbokroatisch gesprochen worden. Nach seiner Ausreise habe er zunächst zwei Jahre in Pristina bei seiner Tante väterlicherseits und danach bei seiner Großmutter väterlicherseits in Pec gelebt. Er habe in diesen beiden Orten die Grundschule besucht und dort serbokroatisch schreiben und lesen gelernt. Damals habe er die Landessprache beherrscht. Heute kenne er zwar noch die Grundbegriffe der serbokroatischen Sprache, verstehe aber nicht alles. Gut deutsch gelernt habe er dann nach der Rückkehr zu seinen Eltern und nach seiner Wiedereinschulung in Deutschland. Sein bis November 1993 befristeter Arbeitsvertrag bei der Firma S. sei offiziell aus betrieblichen Gründen, möglicherweise ausschlaggebend aber auch deshalb nicht verlängert worden, weil seine Drogenabhängigkeit schon damals offen zutage getreten sei. Nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses sei es steil mit ihm bergab gegangen. Sein Geld habe dann nicht mehr gereicht, um seinen Drogenbedarf zu befriedigen. Ca. zwei bis drei Monate vor seiner Verhaftung habe er mit dem Heroinhandel angefangen. Während der Haft habe er den körperlichen Entzug bewältigt, während die psychische Abhängigkeit bei seiner Entlassung aus der Haft noch nicht völlig überwunden gewesen sei. Dies habe er, ohne eine Therapie zu absolvieren, mit seiner Willenskraft geschafft. Seit seiner Entlassung aus der Haft wohne er bei seiner Mutter. Für seinen jüngeren Bruder sei er nach der Scheidung seiner Eltern eine Art "Vaterersatz". Er beteilige sich in erheblichem Ausmaß an dessen Betreuung und Erziehung, da seine Mutter Schichtarbeit verrichte und deshalb nicht zu allen Tageszeiten präsent sei. Seine Schwester habe den elterlichen Haushalt schon 1995 verlassen; sie wohne bei ihrem Freund in Backnang. Zuletzt sei er 1994 in Jugoslawien gewesen. Er habe sich mit seiner Mutter ca. vier Wochen in Montenegro aufgehalten. Während dieser Reise hätten sie die Großeltern väterlicherseits besucht. Diese seien inzwischen weit über 80 Jahre alt und gebrechlich. Mütterlicherseits existierten keine Verwandten mehr in Jugoslawien. Väterlicherseits lebten außer seinen Großeltern noch weitere Geschwister seines Vaters in Jugoslawien, zu denen er allerdings keinen persönlichen Kontakt habe. Mit seiner Mutter spreche er halb deutsch - halb serbokroatisch. Mit seinen Geschwistern spreche er ausschließlich deutsch.
Dem Senat liegen die Ausländerakten des Landratsamts Rems-Murr-Kreis und des Regierungspräsidiums Stuttgart, die Akten des Verwaltungsgerichts sowie die einschlägigen Straf- und Strafvollstreckungsakten vor. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf diese Unterlagen sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Hinsichtlich des auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gerichteten Verpflichtungsbegehrens war das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zur Klarstellung auszusprechen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit unwirksam ist.
Im Übrigen ist die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der zulässigen Anfechtungsklage stattgeben müssen; denn die Ausweisung und Abschiebungsandrohung im Bescheid des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 11.3.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.6.1997 sind nach der für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (zur Ausweisung vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.1998, BVerwGE 106, 351) rechtswidrig und verletzen den Kläger deshalb in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Allerdings hat der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (in der hier noch maßgeblichen Fassung von Art. 2 Nr. 2 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28.10.1994, BGBl. I S. 3186) verwirklicht; denn er ist wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Danach war die Ausweisung zwar grundsätzlich zwingend zu verfügen; ausnahmsweise stellt sich diese Maßnahme aber als unverhältnismäßiger Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Klägers dar und hat deshalb zu unterbleiben. Offenbleiben kann daher, ob der Kläger, der nicht im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, im Hinblick auf eine den Beklagten wegen Verletzung der behördlichen Beratungspflicht treffende Folgenbeseitigungslast so gestellt werden müsste, als ob ihm auch besonderer Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG a.F. zugute käme (vgl. dazu Senatsurteil vom 24.4.1995 - 13 S 1411/94 -, VBlBW 1996, 76; allgemein zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt auch Senatsbeschluss vom 28.7.1998 - 13 S 1588/97 -, DVBl. 1999, 176, m.w.N.).
Dass auch in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG die dort vorgesehene Rechtsfolge unter dem Vorbehalt steht, dass sich die Ausweisung nach Maßgabe des Art. 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig erweist, hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 14.2.2001 - 13 S 2501/00 -, AuAS 2001, 112; ebenso offenbar VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.8.1995 - 1 S 173/95 -, NVwZ-RR 1996, 172; Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31.7.1998, InfAuslR 1998, 422; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.9.1998, InfAuslR 1998, 496; a.A. Hess. VGH, Beschluss vom 23.9.1996, NVwZ-RR 1997, 126). Der Senat hat sich dabei davon leiten lassen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland infolge des Zustimmungsgesetzes vom 7.8.1952 (BGBl. II S. 685) zwar lediglich im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, dass sich aber jedenfalls aus den allgemeinen Grundsätzen über den Rang von durch ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das innerstaatliche Recht transformierten völkerrechtlichen Verträgen sowie über die völkerrechtsfreundliche Auslegung von Bundesgesetzen ergibt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention, soweit sie einen weitergehenden Ausweisungsschutz als das später erlassene Ausländergesetz (vom 9.7.1990, BGBl. I S. 1354) vermittelt, nicht von diesem verdrängt wird (vgl. im einzelnen Senatsbeschluss vom 14.2.2001, a.a.O.). Dies entspricht im Übrigen, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14.2.2001 (a.a.O.) hervorgehoben hat, auch der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. In dessen Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Art. 8 EMRK etwa zu entnehmender weitergehender Ausweisungsschutz bei Anwendung des Ausländergesetzes unbeschadet dessen zu beachten ist, dass das differenzierte Regelungswerk der §§ 45f. AuslG grundsätzlich dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK entspricht (Beschluss vom 21.8.1997 - 1 B 163.97 -, Juris; Urteil vom 17.6.1998, BVerwGE 107, 58).
Gemäß Art. 8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung unter anderem seines Privat- und Familienlebens. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK sind Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts jedoch statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Im vorliegenden Fall ist der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK zum einen im Hinblick auf die Folgen eröffnet, die die Ausweisung des Klägers für seine familiären Bindungen in Deutschland, insbesondere für das Verhältnis zu seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder hat, mit denen er seit seiner Entlassung aus der Haft in häuslicher Gemeinschaft lebt (zum weiten Begriff des Familienlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Art. 8 RdNr. 15f. m.w.N.). Die Ausweisung des Klägers stellt sich zum anderen auch als Eingriff in sein in Deutschland entfaltetes Privatleben dar, welches das Recht eines Individiums umfasst, mit anderen Menschen Beziehungen aufzubauen und zu entwickeln, einschließlich beruflicher und geschäftlicher Beziehungen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - im folgendenden EGMR, Urteil vom 7.8.1996 - C./Belgien -, InfAuslR 1997, 185 m.w.N.). Dieser Eingriff ist zwar gesetzlich vorgesehen (§ 47 Abs. 1 AuslG), er bezweckt auch die Bekämpfung des illegalen Heroinhandels und verfolgt damit die vorgenannten, nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässigen Ziele. Die Ausweisung des Klägers ist aber in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig; denn sie entspricht nicht einem dringenden sozialen Bedürfnis und steht insbesondere nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel (vgl. EGMR, Urteil vom 26.3.1992 - Beldjoudi -, InfAuslR 1994, 86). Die nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR (vgl. Urteil vom 30.11.1999 - Baghli/Frankreich -, InfAuslR 2000, 53) gebotene Prüfung, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme ein ausgewogenes Gleichgewicht der betroffenen Interessen schafft, namentlich des Rechtes des Ausländers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens einerseits und der Verteidigung der Ordnung und Verhinderung strafbarer Handlungen andererseits, fällt zu Gunsten des Klägers aus.
Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die familiären und sozialen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet wiegt schwer, wenn auch noch nicht davon gesprochen werden kann, dass er aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden und ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit mangels Bezugspunkten nicht zuzumuten sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, NVwZ 1999, 303). Der Kläger ist als Angehöriger der zweiten Ausländergeneration im Bundesgebiet geboren und im wesentlichen aufgewachsen. Er hat hier den Hauptschulabschluss erworben und befand sich bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens in einer berufsqualifizierenden Ausbildung in dem Unternehmen, das ihn zuvor bereits als Arbeitnehmer beschäftigt hatte. Zwar hat er noch keine eigene Familie im Bundesgebiet gegründet, er hat jedoch für einen jungen Erwachsenen ungewöhnlich enge Bindungen an sein Elternhaus aufrechterhalten, die nicht minder schutzwürdig erscheinen als die Existenz einer eigenen Familie. So wird bereits in dem Bericht der Justizvollzugsanstalt Ravensburg vom 12.6.1995 das "innige Verhältnis" zwischen dem Kläger und seinem Elternhaus hervorgehoben. Auch aus den Behördenakten ist ersichtlich, wie sehr sich seine Eltern für seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet einsetzten. Nach seiner Entlassung aus der Haft fand er im Haushalt seiner Mutter und seines Bruders Aufnahme. Für diesen zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids achtjährigen Bruder erbringt er jedenfalls seit seiner Entlassung aus der Haft zur Entlastung seiner Schichtarbeit verrichtenden Mutter wesentliche Betreuungsleistungen, wie seiner eidesstattlichen Versicherung von1997 und seinem glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist. Dies rechtfertigt die Würdigung, dass er für seinen minderjährigen Bruder nach der Scheidung seiner Eltern die Rolle des Vaters übernommen hat. In familiärer, beruflicher und sozialer Hinsicht erscheint die Integration des Klägers im Bundesgebiet nach seinem zwischenzeitlichen Abgleiten in die Drogenszene weit fortgeschritten und stabil, wenn er es auch versäumt hat, sich rechtzeitig um eine auch rechtliche Verfestigung seines Aufenthalts zu bemühen, wobei ihm allerdings die Möglichkeit der erleichterten Einbürgerung junger Ausländer nach Maßgabe von § 85 AuslG a.F. mangels der erforderlichen Dauer des Schulbesuchs in Deutschland nicht zu Gebote stand.
Andererseits verhält es sich nicht so, dass der Kläger keinerlei Bezug mehr zu der Bundesrepublik Jugoslawien hat, dass sich also seine jugoslawische Staatsangehörigkeit als bloß formales rechtliches Band darstellt, und dass ihm ein Leben in der Bundesrepublik Jugoslawien auch bei einem hinreichend gewichtigen öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts in Deutschland von vornherein nicht zuzumuten wäre. Insbesondere hat es den Anschein, dass er, wie für Ausländer der zweiten Generation typisch (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.10.2000 - 11 S 1206/00 -, InfAuslR 2001, 119), die serbokroatische Sprache zumindest in Grundzügen noch beherrscht. In der mündlichen Verhandlung hat er dies auch freimütig eingeräumt und lediglich geltend gemacht, er könne nicht alles verstehen, was den Schluss nahe legt, dass eine berufliche und soziale Integration in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht bereits an sprachlichen Barrieren scheitern müsste. Es verhält sich auch nicht so, dass er in der Bundesrepublik Jugoslawien keinerlei verwandtschaftlichen Beziehungen mehr hätte. Zwar könnte er sich möglicherweise nicht auf seine hochbetagten und gebrechlichen Großeltern väterlicherseits stützen, wohl aber auf Geschwister seines Vaters. Zu diesen unterhält er zwar von Deutschland aus keinen persönlichen Kontakt; mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist aber anzunehmen, dass diese Verwandten ihm im Falle seiner erzwungenen Rückkehr in die Bundesrepublik Jugoslawien Unterstützung zuteil werden ließen.
Gleichwohl erweist sich der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Klägers als unverhältnismäßig; denn die mit der Ausweisung verfolgten Ziele wiegen deutlich geringer, als es im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 AuslG typischerweise der Fall ist. Zwar hat auch nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR die Bekämpfung der Betäubungsmitteldelinquenz einen hohen Stellenwert. So hat der Gerichtshof "in Anbetracht der zerstörerischen Auswirkung von Drogen auf das Leben der Menschen" Verständnis dafür, dass " die Behörden große Strenge bezüglich jener zeigen, die aktiv zu der Verbreitung dieser Geißel beitragen" (Urteil vom 26.9.1997 - Mehemi/Frankreich - InfAuslR 1997, 430). Zu Gunsten des Klägers ist bei der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung aber zum einen in Rechnung zu stellen, dass bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids die Gefahr einer erneuten einschlägigen Straffälligkeit des Klägers äußerst gering erschien. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits nahezu zwei Jahre wieder auf freiem Fuß und hatte sich familiär und beruflich nachhaltig stabilisiert. Seiner gegenüber der Widerspruchsbehörde abgegebenen eidesstattlichen Versicherung, er sei seit seiner Haftzeit "weg von jeglicher Droge, weg von der Szene und weg von seinem früheren Freundeskreis", ist Glauben zu schenken. Sie findet ihre nachträgliche Bestätigung im übrigen in dem hervorragenden Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf den Senat hinterlassen hat. Dort erwies er sich geradezu als das Musterbeispiel eines ehemals Heroinsüchtigen, der seine Abhängigkeit kritisch verarbeitet und seine Einsicht konsequent in geändertes Verhalten umgesetzt hat. Der Senat zweifelt nicht, dass diese positive Würdigung bereits bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens gerechtfertigt war. Gestützt wird die überaus günstige Sozialprognose durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 6.9.1995, mit dem ihm gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB Strafaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt gewährt wurde. Bestätigung findet sie auch in dem mit dem Klageschriftsatz vom 31.7.1997 vorgelegten Zwischenzeugnis des Ausbildungsbetriebs, in dem ihm großes Interesse an seinem Berufsbild sowie Aufmerksamkeit, Engagement, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit bescheinigt werden. Die ungewöhnlich positive Sozialprognose wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger entgegen seiner noch während der Haft abgegebenen Absichtserklärungen die sich ihm bietende Möglichkeit einer ambulanten Therapie nicht wahrgenommen hat; denn aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass er auch den psychischen Entzug aus eigener Willenskraft geschafft hat. Schließlich kann das gegen ihn eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz nach dessen Einstellung nicht zu seinen Lasten gewürdigt werden.
Angesichts der nach alledem gerechtfertigten hervorragenden Sozialprognose erscheint es nicht verhältnismäßig, den zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids familiär und sozial in Deutschland integrierten Kläger letztlich nur aus den der Ausweisungsermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG a.F. ebenfalls zugrundeliegenden generalpräventiven Zwecken auszuweisen, wobei der Senat unterstellt, dass der EGMR, in dessen Rechtsprechung sich hierfür freilich keine eindeutigen Anhaltspunkte finden lassen, die Abhaltung anderer Ausländer von Straftaten ähnlicher Schwere als legitimes Ziel einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme anerkennen würde. Als ein im Sinne von Art. 8 EMRK unverhältnismäßiger Eingriff in das Privat- und Familienleben des Klägers wäre seine Ausweisung selbst dann anzusehen, wenn die in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG regelmäßig anzunehmenden schwerwiegenden generalpräventiven Gründe uneingeschränkt zum Tragen kommen sollten. Gemindert ist das mit der Ausweisung verfolgte Ziel der Abhaltung anderer Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten im vorliegenden Fall allerdings dadurch, dass zwischen der Entlassung des Klägers aus der Strafhaft und dem Erlass der Ausweisungsverfügung ein Zeitraum von eineinhalb Jahren liegt, ohne dass dies durch Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens geboten erschien. Zwar setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 2.3.1987 - 1 B 4.87 -, InfAuslR 1987, 145) die Eignung der Ausweisung als Instrument der Steuerung des Verhaltens anderer Ausländer nicht voraus, dass sie in enger zeitlicher Nähe zu der Straftat steht. Namentlich ist es im Hinblick auf die Eignungsfrage grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörde das Ausweisungsverfahren nach der Entlassung des Ausländers aus der Strafhaft einleitet (BVerwG, Beschluss vom 2.3.1987, a.a.O.). Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht indessen erkennbar davon aus, dass das Ausweisungsverfahren in angemessener Zeit nach Entlassung des Ausländers aus der Strafhaft zum Abschluss gebracht wird. Dies war hier nicht der Fall, so dass der mit der Ausweisung verfolgte generalpräventive Zweck teilweise verfehlt worden ist; denn das Verstreichen eines Zeitraums von eineinhalb Jahren zwischen Entlassung des Ausländers aus der Haft und der ausländerbehördlichen Reaktion auf seine Straftaten kann den Eindruck einer kontinuierlichen Verwaltungspraxis beeinträchtigen. Dabei geht der Senat davon aus, dass nicht schon die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens, sondern erst die Ausweisung selbst generalpräventive Wirkung entfalten kann.
Auf ein Verfahren zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung (§ 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG) braucht sich der Kläger nicht verweisen zu lassen. Die Annahme eines unverhältnismäßigen Eingriffs in sein Privat- und Familienleben wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er Anspruch auf eine solche Befristung hätte. In Rechnung zu stellen ist nämlich, dass eine Befristung der Ausweisung dem Kläger zwar die rechtliche Möglichkeit eröffnete, zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einzureisen. Mangels erkennbaren Anspruchs auf Einräumung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts änderte dies aber nichts daran, dass er unter Aufgabe seiner in Deutschland erzielten Integration gezwungen wäre, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen. Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs nach § 16 AuslG - allenfalls dies ist in Betracht zu ziehen - liegen offensichtlich nicht vor; eine Gewährung des Wiederkehrrechts nach Ermessen dürfte für den zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bereits 24-jährigen Kläger rechtlich wohl nicht in Betracht kommen. Offenbleiben kann daher, ob es ihm mit Blick auf eine Wiederkehroption zumutbar wäre, seine familiären und sozialen Beziehungen im Bundesgebiet auf unbestimmte Zeit zu unterbrechen.
Die Abschiebungsandrohung teilt das rechtliche Schicksal der Ausweisung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 160 VwGO in entsprechender Anwendung. Die teilweise Rücknahme der Klage durch den Kläger Zug um Zug gegen die bedingte Zusicherung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wertet der Senat als außergerichtlichen Vergleich.
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Beschluss
vom 25. Juli 2001
Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 25 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GKG in Verb. mit § 5 ZPO entsprechend auf 16.000,- DM festgesetzt (jeweils 8.000,- DM für den streitig entschiedenen und den eingestellten Teil des Verfahrens).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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