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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: 13 S 2435/05
Rechtsgebiete: AufenthG EWG, EWGVO 1612/68, EGV
Vorschriften:
AufenthG EWG § 1 Abs. 2 | |
AufenthG EWG § 7 Abs. 1 | |
EWGVO 1612/68 Art. 10 | |
EGV Art. 18 |
2. Zur Angemessenheit einer Wohnung im Sinne des § 7 Abs. 1 letzter Halbsatz AufenthG/EWG unter Rückgriff auf Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG.
3. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG gemäß § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG setzt nicht voraus, dass die Familienangehörigen mit dem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger in einer Wohnung zusammenleben, zusammengelebt haben oder ein solches Zusammenleben für die Zukunft anstreben. Dies gilt jedenfalls für sog. Scheidungskinder, für die der Ehegatte eines Freizügigkeitsberechtigten (auch) Sorgerechtsinhaber ist.
4. Die Formulierung "Wohnung nehmen" in Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG kann nach der Rechtsprechung des EuGH nicht so ausgelegt werden, dass damit ein Zusammenleben der Familienangehörigen mit dem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger in einer Wohnung verlangt wird. Die Frage, ob der nationale Gesetzgeber Freizügigkeitsrechte unter leichteren Voraussetzungen gewähren kann, als nach EG-Recht vorgesehen, bedarf daher keiner Entscheidung.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis EG
hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung am 29. November 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. September 2004 - 16 K 1424/04 - geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern rückwirkend ab Antragstellung bei der Behörde eine Aufenthaltserlaubnis-EG entsprechend den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes/EWG zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:
Die Kläger begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG.
Der am 22.10.1993 geborene Kläger zu 1 und seine am 9.8.1997 zur Welt gekommene Schwester, die Klägerin zu 2, sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige mit albanischer Volkszugehörigkeit. Ihre Eltern heirateten am 19.1.1993 im Kosovo und reisten bald darauf nach Deutschland ein, wo auch die Kläger geboren wurden. Die Kläger und ihre Eltern durchliefen im Bundesgebiet erfolglos Asylverfahren. Danach wurden ihnen Duldungen erteilt und fortlaufend verlängert.
Die Ehe der Eltern der Kläger wurde am 6.4.2000 vom Kreisgericht Pristina geschieden und die elterliche Sorge über die Kläger der Mutter zugesprochen.
Im August 2001 stellte die mittlerweile als Zimmermädchen erwerbstätige Mutter der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Zur Begründung machte sie geltend, dass sie als geschiedene Frau mit ihren Kindern im Kosovo nicht alleine leben könne. Die Kläger seien außerdem in Deutschland aufgewachsen und gingen hier zu Schule. Später trug sie weiter vor, sie sei wegen einer schweren psychischen Erkrankung (u.a. Depression mit Suizidgefahr) nicht reisefähig, was auch das Gesundheitsamt bereits bestätigt habe. Eine Entscheidung über diesen Antrag erging nicht.
Am 29.12.2003 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG mit fünfjähriger Gültigkeitsdauer. Ihre Mutter wiederholte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Die Kläger führten zur Begründung aus, dass ihr Vater aufgrund der erneuten Eheschließung mit einer hier im Bundesgebiet unselbständig erwerbstätigen Griechin im Besitz einer bis zum 4.5.2008 gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG sei. Als noch nicht 21 Jahre alte Verwandte absteigender Linie des Ehegatten einer EG-Staatsangehörigen seien auch sie Familienangehörige eines Unionsbürgers im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG/EWG und hätten damit Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG zum Zwecke der Führung der familiären Lebensgemeinschaft mit ihrem Vater. Diese bestehe auch nach der Scheidung ihrer Eltern fort, obwohl sie bei ihrer Mutter wohnten. Wie sich aus dem Bericht des Jugendamts vom 10.11.2003 ergebe, hätten sie weiterhin einen intensiven Kontakt mit ihrem Vater, der auch die maßgeblichen Entscheidungen zusammen mit ihrer Mutter treffe. Dementsprechend habe auch das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt mit Beschluss vom 10.12.2003 - 3 F 1146/03 - die elterliche Sorge über sie unter Abänderung des Scheidungsurteils des Kreisgerichts Pristina vom 6.4.2000 beiden Elternteilen gemeinsam übertragen. Auch ihre Mutter habe damit unabhängig von ihrer psychischen Erkrankung Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 AuslG i.V.m. § 55 Abs. 2 AuslG und Art. 6 Abs. 1 GG. Ausreichender Wohnraum stehe zur Verfügung und der gemeinsame Lebensunterhalt sei ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfe gesichert.
Die Beklagte traf über den Antrag keine Entscheidung. Das Regierungspräsidium Stuttgart, an das sich die Kläger ebenfalls gewandt hatten, entgegnete ihnen allerdings, die Formulierung in § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG über das zur Verfügungstehen einer "Wohnung für sich und ihre Familienangehörigen" verdeutliche, dass den Familienangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis-EG nur erteilt werden könne, wenn sie mit dem EG-Staatsangehörigen zusammenlebten. Nur dann bestehe eine familiäre Lebensgemeinschaft, die die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG rechtfertigen könne. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG/EWG beziehe sich auch nur auf Verwandte absteigender Linie (Kinder) der Freizügigkeitsberechtigten selbst, dagegen nicht auf die ihrer Ehegatten. Die Kläger könnten sich daher nur auf § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG/EWG berufen. Diese Bestimmung setze aber zusätzlich voraus, dass ihr Vater seit der Scheidung seinen ihnen gegenüber bestehenden Unterhaltspflichten nachkomme, woran es aber ebenfalls fehlen dürfte.
Am 8.4.2004 haben die Kläger mit dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG zu verpflichten, vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, die Untätigkeitsklage sei zulässig. Die Beklagte habe innerhalb der Drei-Monats-Frist aus § 75 VwGO keine Entscheidung getroffen. Einen sachlichen Grund dafür gebe es nicht, denn die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG sei unabhängig vom Gesundheitszustand ihrer Mutter. - Ergänzend zu ihren Argumenten aus dem Verwaltungsverfahren haben sie geltend gemacht, sie seien sehr wohl als Familienangehörige ihres Vaters gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 AufenthG/EWG freizügigkeitsberechtigt, denn nach der Auslegung des durch § 1 AufenthG/EWG in nationales Recht umgesetzten Art. 10 VO 1612/68/EWG seitens des EuGH zählten zu den Verwandten in absteigender Linie im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die des EG-Staatsangehörigen selbst, sondern auch die seines Ehegatten, auch wenn er einem Drittstaat angehöre. Vor dem Hintergrund des Art. 10 VO 1612/68/EWG seien die §§ 1, 7 AufenthG/EWG auch so zu interpretieren, dass die Lebensgemeinschaft zwischen dem freizügigkeitsberechtigten Elternteil und seinen Kindern in dem Mitgliedstaat ermöglicht werde, in dem er sich tatsächlich aufhalte, selbst wenn die Kinder nicht bei ihm wohnten. Auch die Kommission habe in ihrem dritten Bericht zur Unionsbürgerschaft festgestellt, die minderjährigen Familienangehörigen von Unionsbürgern, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlandes hätten, seien aufenthaltsrechtlich besonders zu schützen. Für das nationale Recht habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine familiäre Beziehung, wie sie zwischen den Klägern und ihrem Vater ausweislich des Berichts des Jugendamts und der Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 10.12.2003 bestehe, aufenthaltsrechtlichen Schutz genieße, denn es sei grundsätzlich verboten, zwischen einer ein Aufenthaltsrecht vermittelnden Beistandsgemeinschaft und einer bloßen Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung zu unterscheiden. Da der EGMR im Fall Ciliz zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die familiäre Beziehung nach der Scheidung der Eltern nicht dadurch aufgehoben werde, dass das Kind nur bei einem Elternteil wohne, hätten sie auch Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 30 AuslG zur Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft mit ihrem im Bundesgebiet freizügigkeitsberechtigten Vater. Dies gelte um so mehr, als sich ihre psychisch schwer kranke Mutter im Kosovo kaum alleine um sie kümmern könne, so dass sie dort in eine existenzgefährdende Situation gerieten.
Die Beklagte hat im Klageverfahren u.a. geltend gemacht, dass sie über den gestellten Antrag noch nicht habe entscheiden können, weil ein in Auftrag gegebenes Gutachten über die Reisefähigkeit der Mutter der Kläger noch nicht vorliege. Eine Aufenthaltserlaubnis-EG könne ihnen ohnehin nicht erteilt werden, denn dafür sei nach § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG Voraussetzung, dass ein gemeinsamer Wohnsitz mit den freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen bestehe.
Mit Urteil vom 8.9.2004 (16 K 1424/04) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Untätigkeitsklage sei zwar zulässig, weil die Beklagte über den - vom Gesundheitszustand ihrer Mutter unabhängigen - Antrag der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG nicht innerhalb der Frist von drei Monaten entschieden habe. Sie sei jedoch nicht begründet, denn es fehle an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG. Die Kläger seien allerdings Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG/EWG, denn mit Verwandten in absteigender Linie im Sinne dieser Bestimmung seien nicht nur die des EG-Staatsangehörigen selbst, sondern auch die seines Ehegatten gemeint. In diesem Sinne habe auch der EuGH in der Sache Baumbast die entsprechende Bestimmung in Art. 10 Abs. 1a VO 1612/68/EWG ausgelegt. Abgesehen davon seien die Kläger auch Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG/EWG, denn ihr Vater, der Ehegatte einer EG-Staatsangehörigen, leiste ihnen Unterhalt. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG nach § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG sei jedoch weiter erforderlich, dass das Zusammenleben mit dem Freizügigkeitsberechtigten in einer Wohnung wenigstens angestrebt werde. Das ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, aber aus der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Wohnung nehmen" in ihrem europarechtlichen Vorbild, dem Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG, durch den EuGH in der Sache Baumbast. Da es daran fehle, hätten die Kläger weder aus § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG noch unmittelbar aus Art. 10 VO 1612/68 Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG. Auch aus der Richtlinie 2004/38/EG könnten sie den geltend gemachten Anspruch nicht ableiten. Sie seien zwar nach Art. 2 Nr. 2c RL 2004/38/EWG Familienangehörige; die ein Aufenthaltsrecht gewährenden Normen der Richtlinie 2004/38/EG (Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2, 7 Abs. 2) setzten jedoch voraus, dass die Familienangehörigen den Unionsbürger begleiteten oder ihm nachzögen. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Dass die genannten europarechtlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Schutzes des Familienlebens auszulegen seien, rechtfertige keine andere Beurteilung, denn es gebe noch andere Möglichkeiten als die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG, um die Beziehung zwischen den Klägern und ihrem Vater aufrecht zu erhalten. Da Art. 12 VO 1612/68/EWG das Recht zur Teilnahme am allgemeinen Unterricht nur Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats einräume, könnten sich die Kläger auch auf diese Bestimmung nicht berufen. Gleiches gelte für Art. 18 Abs. 1 EGV, denn danach hätten nur Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen frei zu bewegen. Die Kläger als Staatsangehörige eines Drittstaates könnten sich nur auf Aufenthaltsrechte nach Maßgabe des Sekundärrechts berufen.
Mit weiterem Urteil vom 8.9.2004 - 16 K 2618/04 - hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte verpflichtet, der Mutter der Kläger eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 und Abs. 5 AuslG zu erteilen. Diese Entscheidung hat das Verwaltungsgericht damit begründet, dass sich die nach der erfolglosen Durchführung der Asylverfahren vollziehbar ausreisepflichtige Mutter der Kläger auf den Duldungsgrund gemäß § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG berufen könne, denn auch ihre Kinder, die Kläger, könnten wegen der Beziehung zu ihrem Vater nicht abgeschoben werden. Zwar lebten sie mit ihm nicht zusammen, der Kontakt sei jedoch trotzdem so eng, dass seine Aufrechterhaltung durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt sei. Da der Vater aufgrund der Aufenthaltserlaubnis-EG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei, könne auch von den Kindern nicht verlangt werden, dass sie Deutschland verließen; erst recht dürften sie nicht abgeschoben werden. Gleiches müsse dann auch für ihre Mutter gelten, denn bei deren Beziehung zu den Klägern handele es sich um eine zwanglos in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallende klassische Beistandsgemeinschaft.
Aufgrund dieses Urteils hat die Beklagte der Mutter der Kläger und diesen selbst am 2.12.2004 Aufenthaltsbefugnisse gemäß § 30 Abs. 3 AuslG bzw. nach § 31 Abs. 1 AuslG erteilt.
Gegen das ihnen am 30.9.2004 zugestellte verfahrensgegenständliche Urteil haben die Kläger am 20.10.2004 den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Mit Beschluss vom 1.12.2005 (13 S 2534/04) - den Klägern zugestellt am 12.12.2005 - hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; im Berufungsverfahren beantragen die Kläger, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8.9.2004 - 16 K 1424/04 - zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihnen rückwirkend ab Antragstellung bei der Behörde Aufenthaltserlaubnisse-EG entsprechend den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes/EWG zu erteilen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse-EU ab 1.5.2006 zu erteilen.
Die Kläger tragen vor, dass sie sich nicht mit der ihnen erteilten Aufenthaltsbefugnis - jetzt: Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen - begnügen müssten, sondern weiterhin Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EU hätten, da diese ein stärkeres Aufenthaltsrecht vermittle. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene enge Auslegung des Begriffs "Wohnung nehmen" in Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG verstoße gegen Art. 17 und Art. 18 EGV, denn nach der Rechtsprechung des EuGH sei sekundäres Gemeinschaftsrecht, das der Sicherung der EG-Grundrechte wie der Freizügigkeit diene, weit auszulegen. Insbesondere müsse vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR in der Sache Ciliz, dass Art. 8 Abs. 1 EMRK auch nach der Scheidung der Eltern die Beziehung zu beiden Elternteilen schütze, auf das Interesse der minderjährigen Kinder, weiter im Aufenthaltsstaat des Vaters bleiben zu können, besondere Rücksicht genommen werden. Sonst würden gerade Scheidungskinder benachteiligt. Der englischsprachige Begriff "domicile" in Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG gehe dementsprechend auch weit über den deutschen Begriff "Wohnung nehmen" hinaus und sei im Sinne von "sich beim freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen niederlassen" zu verstehen. Zu beachten sei auch, dass der Vater der Kläger sein Freizügigkeitsrecht nur dann effektiv ausüben könne, wenn auch ihnen ein europarechtliches Aufenthaltsrecht zugebilligt werde. Dementsprechend besage schon die Präambel der Verordnung 1612/68/EWG, dass insbesondere in Bezug auf das Recht des Arbeitnehmers, seine Familie nachkommen zu lassen, alle Hindernisse beseitigt werden müssten, die seiner Mobilität entgegenstünden. Europarecht und die seiner Umsetzung dienenden nationalen Vorschriften seien im Sinne des "effet utile" orientiert an der fortschreitenden Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auszulegen. Verlange man wie das Verwaltungsgericht mindestens den Willen, in einer gemeinsamen Wohnung zu leben, so würden Unionsangehörige auch gegenüber Inländern diskriminiert, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setze eine aufenthaltsrechtlich schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft gerade keine häusliche Gemeinschaft voraus. Die Pflege des familiären Bandes genüge. Schließlich habe das Verwaltungsgericht auch unberücksichtigt gelassen, dass sie auch nach seinen Maßstäben Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EU hätten. Ihr Vater und ihre Mutter übten das Sorgerecht gemeinsam aus, weshalb sie gemäß § 11 Satz 1 BGB auch bei ihrem Vater den Wohnsitz hätten. Im Rahmen des Hilfsantrages sei auch die Richtlinie 2004/38/EWG zu beachten, die bis zum 30.4.2006 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Zwar sei gemäß Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 und 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen, dass sie den Freizügigkeitsberechtigten begleiteten oder ihm nachzögen. Dafür sei jedoch ausreichend, dass sie überhaupt bei ihm lebten. Das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung könne dagegen nicht verlangt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, ebenso wie § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG verlange auch § 3 Abs. 1 FreizügG/EU, dass ein gemeinsames Wohnen der Familienangehörigen zumindest angestrebt werde, weil nur dann der Zweck der Vorschrift erreicht werden könne, ein Familienleben zu ermöglichen. Das ihm zustehende Personensorgerecht könne der Vater bereits aufgrund der den Klägern erteilten Aufenthaltsbefugnisse ausüben.
Dem Senat liegen die die Kläger betreffenden Akten der Beklagten und des Regierungspräsidiums Stuttgart vor; auf den Inhalt dieser Akten wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere haben sie die Kläger nach Zulassung durch den Senat gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen aus § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Sätze 4 und 5 VwGO begründet.
Die Berufung hat auch sachlich Erfolg.
Die von den Klägern erhobene Untätigkeitsklage ist mit dem Hauptantrag zulässig und begründet. Sie haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen-EG entsprechend den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes/EWG rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Im einzelnen:
I.1.) Die Untätigkeitsklage ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zulässig (§ 75 Sätze 1 und 2 VwGO). Das Verfahren ist auch nicht gemäß § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen. Es gibt keinen zureichenden Grund dafür, dass die Beklagte über den Antrag der Kläger bislang noch nicht entschieden hat. Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass der von ihnen geltend gemachte Anspruch vom Gesundheitszustand ihrer Mutter unabhängig ist und es daher nicht auf das Ergebnis des von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachtens zu deren Reisefähigkeit ankommt.
2.) Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl die Kläger die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Antragstellung und damit jedenfalls teilweise für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum begehren. Denn die rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG kann für ihre weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 29.9.1998 - 1 C 14.97 -, InfAuslR und vom 15.12.1995 - 1 C 31.93 -, InfAuslR 1996, 168).
2.1.) Die Aufenthaltserlaubnis-EG dokumentiert, dass die Kläger gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind. Wird sie ihnen rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten erteilt, so können sie früher den Nachweis führen, dass ihnen die Freizügigkeitsberechtigung bereits seit fünf Jahren zusteht und damit gemäß § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU vom Fortbestand ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen unabhängig ist (vgl. zum Erwerb eines vom Fortbestand der Freizügigkeitsvoraussetzungen unabhängigen Daueraufenthaltsrechts nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt auch Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2004/38/EG).
2.2.) Dass den Klägern am 2.12.2004 eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 31 Abs. 1 AuslG erteilt wurde, lässt das Rechtsschutzbedürfnis auch für den nachfolgenden Zeitraum nicht entfallen. Denn dieser Titel dokumentiert kein aus dem europarechtlichen Freizügigkeitsrecht folgendes Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wie es im Rahmen des § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU nach dessen ausdrücklichem Wortlaut erforderlich ist.
2.3.) Am Rechtsschutzbedürfnis würde es dagegen fehlen, wenn Art. 16 Abs. 2 RL 2004/38/EG für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts über § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU hinaus auch einen Aufenthalt genügen ließe, der aus anderen als europarechtlichen Gründen rechtmäßig ist. Dieses Ergebnis ist jedoch eher fern liegend, denn die Richtlinie 2004/38/EG bezieht sich ausdrücklich auf das gemäß Art. 18 EGV aus der Unionsbürgerschaft folgende Freizügigkeitsrecht und nicht auf ein sonstiges Aufenthaltsrecht (vgl. nur den ersten Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG). Jedenfalls haben die Kläger ein berechtigtes Interesse daran, ihren weiteren aufenthaltsrechtlichen Status nicht von dieser - soweit ersichtlich noch nicht entschiedenen - Frage abhängig zu machen, sondern mit der Aufenthaltserlaubnis-EG den "sicheren Weg" zu gehen.
II.) Die Klage ist auch begründet.
1.) Anspruchsgrundlage ist § 7 Abs. 1 des am 31.12.2004 außer Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes/EWG. In europarechtlicher Hinsicht sind Art. 10 und 11 VO 1612/68 zu berücksichtigen, obwohl sie durch Art. 38 Abs. 1 RL 2004/38/EWG mit Ablauf des 30.4.2006 aufgehoben worden sind. Zwar ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgebend, jedenfalls soweit es darum geht, ob der Aufenthaltstitel aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.2.2001 - 1 C 23.00 -, BVerwGE 114, 9/12 m.z.N.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt jedoch bei zeitgebundenen Ansprüchen. Bei diesen wird die maßgebliche Sach- und Rechtslage durch den in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt bzw. Zeitraum bestimmt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 7.5.1975 - VII C 37.73 - und - VII C 38.73 -, BVerwGE 48, 211/213 sowie Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 129 zu § 113 und Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., Rn 220 zu § 113).
So liegen die Dinge hier. Die Kläger begehren mit dem Hauptantrag die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten am 29.12.2003. Abzustellen ist also auf das damals geltende Recht, d.h. auf das Aufenthaltsgesetz/EWG, obwohl es zwischenzeitlich mit Ablauf des 31.12.2004 außer Kraft getreten ist und durch das Freizügigkeitsgesetz/EG abgelöst wurde. Auch in tatsächlicher Hinsicht ist die Sachlage im verfahrensgegenständlichen Zeitraum maßgeblich.
2.) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG sind gegeben.
2.1.) Die als Arbeitnehmerin im Bundesgebiet tätige, griechische Ehefrau des Vaters der Kläger ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG freizügigkeitsberechtigt und dementsprechend ebenso wie ihr Mann, der Vater der Kläger, im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis-EG (§ 3 Abs. 1 AufenthG/EWG). Die Kläger sind - wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - ihre Familienangehörigen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG/EWG, denn entgegen dem insoweit zu eng gefassten Wortlaut sind Verwandte im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die Verwandten in absteigender Linie (d.h. u.a. auch die Kinder) des Unionsbürgers selbst , sondern auch die seines Ehegatten, d.h. die Stiefkinder des Unionsbürgers (vgl. zu der mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG/EU wörtlich übereinstimmenden Regelung in Art. 10 Abs. 1a VO 1612/68/EWG das Urteil des EuGH vom 17.9.2002 - C-413/99 -, [Baumbast], InfAuslR 2002, 463, Rn 57). Dementsprechend bestimmt jetzt auch Art. 2 Nr. 2c RL 2004/38/EWG, Familienangehörige seien die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und seines Ehegatten, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird. Ungeachtet dessen dürften die Kläger auch Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG/EU sein, da ihnen ihr Vater Unterhalt gewährt und wohl auch im hier maßgeblichen früheren Zeitraum gewährt hat.
2.2.) § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG/EWG verlangt weiter, dass der griechischen Ehefrau des Vaters der Kläger eine Wohnung für sich und ihre Familienangehörigen zur Verfügung gestanden hat, die den am Aufenthaltsort geltenden Maßstäben für die Angemessenheit einer Wohnung entspricht. Auch diese Voraussetzung ist gegeben.
Die Kläger-Vertreterin hat dazu in der mündlichen Verhandlung angegeben, der Vater der Kläger habe im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen mit seiner griechischen Ehefrau in einer 53 qm großen, mit Küche und Bad ausgestatteten 2-Zimmer-Wohnung gelebt. Eine solche Wohnung genügt den o.g. Anforderungen aus § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG/EWG.
Im Text des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG sind keine konkreten Kriterien benannt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Wohnung noch als angemessen gelten kann. Die nationalen Gericht haben - soweit ersichtlich - noch keine Entscheidungen getroffen, die sich ausdrücklich mit dieser Frage befassen. Da § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG/EWG fast wörtlich mit seinem europarechtlichen Vorbild, dem Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG, übereinstimmt, kann indessen auch die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Norm sowie die dazu einschlägige Literatur im Rahmen des § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG/EWG herangezogen werden.
Auch der EuGH hat diesbezüglich - soweit ersichtlich - keine konkrete Aussage getroffen, sondern in seinen Entscheidungen - entsprechend dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68 - nur darauf abgestellt, dass die Wohnung "normalen Anforderungen" genügen müsse (vgl. EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C-413/99 -, [Baumbast], InfAuslR 2002, 463, Rn 62).
Da die Wohnung mit Küche und Bad ausgestattet ist (vgl. zu diesen Kriterien Kloesel/Christ/Häußer, AuslR, Kommentar, 5. Aufl., Rn 4 zu § 7 AufenthG), können Zweifel an der Angemessenheit lediglich im Hinblick darauf bestehen, dass die Wohnung nur 53 qm groß ist und lediglich über 2 Zimmer für vier Personen verfügt.
In der Literatur wird dazu vertreten, die Maßstäbe für die Wohnungsgröße müssten sich aus Rechtsvorschriften ergeben, anderenfalls sei die Norm unanwendbar (vgl. von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Kommentar, 6. Aufl., 2003, Rn 102 zu Art. 39 EGV). § 17 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, die im maßgeblichen Zeitraum geltende nationale ausländerrechtliche Norm, stellte für den Familiennachzug die Voraussetzung auf, dass "ausreichender Wohnraum" zur Verfügung stehen müsse. Zur Konkretisierung dieses Kriteriums wurde in der Kommentarliteratur auf die unterschiedlichen landesrechtlichen Vorschriften zum Wohnraumförderungsgesetz zurückgegriffen (vgl. §§ 5 WoBindG, 10 WoFG). Danach gilt in der Regel für eine Person bis 6 Jahren eine Wohnfläche von 10 qm und für eine ältere eine solche von 12 qm noch als angemessen (Renner, AuslR, Komm., 7. Aufl., Rn 20 zu § 17). 53 qm sind daher für die vierköpfige Familie ausreichend. Dies dürfte sich auch noch ergeben, wenn man auf die Wohnverhältnisse einer inländischen Familie in der wirtschaftlichen Situation des Vaters der Kläger und seine Ehefrau abstellt (vgl. zu diesem Ansatz Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O.).
Die Kläger waren im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung allerdings erst 10 bzw. 6 Jahre alt. Es kann jedoch offen bleiben, ob mit voranschreitendem Alter die geringe Zahl von nur zwei Zimmern problematisch werden wird und die Wohnung deshalb dann nicht mehr als angemessen gelten kann. Denn auch wenn eine zunächst angemessene Wohnung auf Grund der nachfolgenden Entwicklung - etwa wegen der Geburt eines weiteren Kindes - diese Eigenschaft verliert, ist das ohne Einfluss auf das europarechtliche Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 18.5.1989 -, Rs 249/86 - [Kommission gegen Deutschland], Slg. 1989-5, Seite 1268ff. und NVwZ 1989, 745). Etwas anderes gilt nur bei einem - hier nicht gegebenen - Missbrauchsfall (vgl. insoweit auch § 7 Abs. 10 Satz 2 AufenthG/EWG).
2.3.) Dass die Kläger mit ihrem Vater und dessen Ehefrau in einer Wohnung zusammenleben bzw. in der Vergangenheit zusammengelebt haben oder ein solches Zusammenleben für die Zukunft wenigstens anstreben, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht Voraussetzung für die von den Klägern begehrte Aufenthaltserlaubnis-EG.
2.3.1.) Aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG ergibt sich dieses Tatbestandsmerkmal nicht. Das Verwaltungsgericht hat argumentiert, diese Bestimmung sei unter Rückgriff auf ihr europarechtliches Vorbild, den Art. 10 VO 1612/68/EWG, auszulegen. Aus dem Begriff "Wohnung nehmen" in Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG sei zu folgern, dass die Aufenthaltserlaubnis-EG den Familienangehörigen nur erteilt werden könne, wenn das Zusammenleben der Familie in einer gemeinsamen Wohnung wenigstens angestrebt werde.
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Zunächst erscheint es bereits sehr zweifelhaft, ob eine europarechtliche Vorschrift herangezogen werden kann, um eine der Gewährleistung des europarechtlichen Freizügigkeitsrechts dienende Norm des nationalen Rechts einschränkend auszulegen. Art. 10 EGV steht sicher einer nationalen Regelung entgegen, die hinter den europarechtlichen Vorgaben zurückbleibt (vgl. dazu ausführlich Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Stand: Juni 2006, Rn 34 ff zu Art. 10 EGV). Dem nationalen Gesetzgeber dürfte es jedoch frei stehen, Familienangehörigen von freizügigkeitsberechtigten EG-Staatsangehörigen das Recht zum Aufenthalt in Deutschland unter erleichterten Voraussetzungen zu gewähren und damit die europarechtlichen Vorgaben zu übertreffen. Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben.
Auch das europarechtliche Vorbild des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG, der Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG, verlangt nämlich nicht, dass die Familie in einer Wohnung zusammenlebt. Absatz 1 der letztgenannten Bestimmung enthält lediglich die Formulierung "dürfen ... Wohnung nehmen" (have the right to install" im englischen Text bzw. "ont le droit de s'installer" im französischen Text - nicht "to domicile", wie die Kläger meinen). Der Gebrauch des Modalverbs "dürfen" bzw. der funktionsgleichen Begriffe im englischen und französischen Text lässt es als eher fern liegend erscheinen, dass damit eine tatbestandliche Voraussetzung normiert werden sollte (anders aber der Generalanwalt in seinem Schlussantrag in der bereits oben genannten Rechtssache 249/89 vor dem EuGH, Slg. 1989-5, Seite 1268/1279 und Hailbronner, Aufenthaltsbeschränkungen gegenüber EG-Angehörigen, ZAR 1985, 108/114).
Auch der EuGH hat wiederholt - wenn auch von einem anderen argumentativen Ansatz aus - entschieden, die Formulierung "Wohnung nehmen" bedeute nicht, dass der betreffende Familienangehörige ständig mit dem Arbeitnehmer mit EG-Staatsangehörigkeit zusammenleben müsse. Es genüge, wenn die Anforderungen aus Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG erfüllt seien (vgl. EuGH, Urteile vom 13.2.1985 - Rs. 267/83 -, [Diatta], NJW 1985, 2087; vom 15.3.1989 - Rs. 389 und 390/87 -, [Echternach und Moritz], InfAuslR 1989, 219 und vom 17.9.2002 - C-413/99 -, [Baumbast], InfAuslR 2002, 463). Dem hat sich auch die Kommentarliteratur angeschlossen (vgl. von der Groeben/ Schwarze, a.a.O., Rn 99 zu Art. 39 EGV und Calliess/Ruffert EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl., 2002, Rn 87 zu Art. 39 EGV).
Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich jedenfalls, dass der EuGH als Voraussetzung für ein europarechtliches Aufenthaltsrecht der Familienmitglieder nicht verlangt hat, dass sie aktuell mit dem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger noch zusammenleben. Allerdings könnte dabei vorausgesetzt worden sein, die Familie müsse wenigstens in der Vergangenheit zusammengelebt haben oder ein Zusammenleben für die Zukunft anstreben. Denn den genannten Entscheidungen liegen Fallgestaltungen zugrunde, bei denen entweder feststeht oder zumindest davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit mit den Familienangehörigen zusammengelebt hat. So geht es im Fall Diatta um die Situation einer Ehefrau nach der Trennung von ihrem Mann, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedslandes der EU besaß. Die Fälle Echternach und Moritz einerseits sowie Baumbast andererseits betreffen Konstellationen, in denen sich der EG-Staatsangehörige von seinen Kindern wegen Wegzugs aus dem Aufnahmemitgliedstaat bzw. scheidungsbedingt getrennt hatte. Die nationale Rechtsprechung, die dem EuGH gefolgt ist, hat dementsprechend auch darauf abgestellt, dass der Familienangehörige wenigstens zeitweilig mit dem freizügigkeitsberechtigten EG-Staatsangehörigen zusammengelebt hatte (BVerwG, Urteil vom 21.5.1985 - 1 C 36/82 -, NJW 1985, 2001 im Fall Diatta und vom 23.5.1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98,298/308; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2.1.1995 - 11 S 3379/94 -, InfAuslR 1995,97; VG München, Urteil vom 26.6.2003 - M 24 K 02.6060 -, InfAuslR 2003, 412 -414).
Die Begründung der Entscheidungen des EuGH verdeutlicht jedoch, dass er nicht von entsprechend strengen Voraussetzungen ausgegangen ist. Zunächst hat er nicht darauf abgestellt, ob die Familie habe in der Vergangenheit zusammengelebt hatte. Angesichts der oben beschriebenen Auffassungen des Generalanwaltes, "Wohnung nehmen" bedeute gerade vor dem Hindergrund des Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG, dass die Familie in einer Wohnung zusammenlebe, hätte eine entsprechend deutliche Aussage aber nahegelegen, wenn der EuGH diesen Gesichtspunkt für entscheidungstragend gehalten hätte. Demgegenüber stellt der EuGH maßgeblich darauf ab, die Familienangehörigen des Arbeitnehmers seien nach Art. 11 VO 1612/68/EWG berechtigt, im gesamten Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben; das Leben in einer gemeinsamen Wohnung mit dem Arbeitnehmer sei unter diesen Umständen ohnehin häufig nicht möglich. Weiter argumentiert er, die der Freizügigkeit dienenden Normen dürften ohnehin nicht eng ausgelegt werden. Beide Gesichtspunkte haben aber keinen Bezug dazu, ob die Familie in der Vergangenheit zusammengelebt hat bzw. künftig zusammenleben möchte.
2.3.2.) Wie ausgeführt, verlangt § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG7EWG allerdings, dass eine für die Familie angemessene Wohnung zur Verfügung steht. Eine Auslegung dieses Erfordernisses nach seinem Sinn und Zweck legt den Gedanken nahe, dass das - wenigstens zeitweilige - Zusammenleben der Familie in einer Wohnung Voraussetzung für die Aufenthaltserlaubnis/EG ist, weil es sonst funktionslos sein könnte (vgl. dazu noch näher unten). Dieser Argumentation ist jedoch gleichfalls nicht zu folgen. Eine Auslegung des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG in diesem Sinne würde dazu führen, dass die Freizügigkeitsgewährung nach nationalem Recht hinter den europarechtlichen Vorgaben zurückbliebe (zur europarechtlichen Problematik dieser Konstellation siehe bereits oben). Das zeigen die folgenden Überlegungen.
Auch das europarechtliche Vorbild des § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG, der Art. 10 VO 1612/68/EWG, verlangt in seinem Absatz 3, dass eine Wohnung vorhanden ist, die den auch für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht, d.h. angemessen ist. Bereits der Wortlaut des Art 10 Abs. 2 VO 1612/68/EWG spricht gegen eine Auslegung des Art 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG und mithin auch des § 7 Abs. 1 letzter Hs. AufenthG/EWG in dem Sinne, dass Zusammenleben der Familienangehörigen in einer Wohnung gefordert wird, und sei es nur als ein in der Zukunft anzustrebendes Ziel.
Gemäß Art. 10 Abs. 2 VO 1612/68/EWG begünstigen die Mitgliedsstaaten den Zugang aller nicht in Abs. 1 genannten Familienangehörigen, mit denen der freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger im Heimatstaat in häuslicher Gemeinschaft lebt. Das Erfordernis aus Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG, es müsse eine normalen Anforderungen entsprechende Wohnung vorhanden sein, bezieht sich nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht nur auf die Familienzusammenführung gemäß Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68/EWG, sondern auch auf Abs. 2 der genannten Bestimmung. Hätte der Verordnungsgeber ein Zusammenleben der Familie im Aufnahmemitgliedstaat in einer Wohnung oder wenigstens eine entsprechende Absicht verlangt, so hätte es nahe gelegen, dieses Erfordernis in den Verordnungstext aufzunehmen. Das Tatbestandsmerkmal "häusliche Gemeinschaft" war ihm - wie Art. 10 Abs. 2 VO 1612/68/EWG zeigt - als solches vertraut. Ein "Umweg" (Anforderungen an die Beschaffenheit der Wohnung in Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG) drängte sich zur Erreichung dieses Regelungszwecks nicht auf.
Sowohl die Auslegung des Art. 10 VO 1612/68 unter grammatikalischen und systematischen Gesichtspunkten als auch die oben bereits zitierte Rechtsprechung des EuGH sprechen mithin dagegen, mit dem Verwaltungsgericht zu verlangen, dass die Kläger mit ihrem Vater und dessen griechischer Ehefrau in einer Wohnung zusammenleben bzw. zusammengelebt haben oder das wenigstens anstreben.
2.3.3.) Nicht unberücksichtigt bleiben kann schließlich auch, dass die Verordnung 1612/68/EWG im Lichte des Art. 8 EMRK und des dort normierten Anspruchs auf Schutz des Familienlebens auszulegen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C-413/99 -, [Baumbach], InfAuslR 2002, 463). Der Schutz aus Art. 8 EMRK setzt aber das Zusammenleben in einer Wohnung nicht voraus, sondern schützt grundsätzlich gerade auch die Beziehung zwischen den nach der Scheidung bei ihrer Mutter lebenden Kindern zu ihrem Vater (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Kommentar, 2002, Rn 18 zu Art. 8 m.N. aus der Rechtsprechung). Auch die Beklagte stellt nicht in Frage, dass die Beziehung der Kläger zu ihrem Vater im hier maßgeblichen Zeitraum so intensiv war, dass sie von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt wird.
Der durch Art. 8 EMRK bezweckte Schutz gibt auch dem Erfordernis einer angemessenen Wohnung aus § 7 Abs. 1 AufenthG EWG bzw. Art. 10 Abs. 3 VO 1612/68/EWG einen Sinn. Wenn auch kein gemeinsamen Wohnen verlangt wird, so soll eine angemessene Wohnung als Basis des familiären Kontakts, als eine Art "Wohnreserve" und als Voraussetzung für die bestmögliche Integration in den Aufnahmemitgliedstaat doch zur Verfügung stehen.
3.) Nicht diskutiert hat das Verwaltungsgericht die Frage, ob den Klägern etwa deshalb keine Aufenthaltserlaubnisse-EG zu erteilen sind, weil das Freizügigkeitsrecht der griechischen Ehefrau ihres Vaters auch dann nicht beeinträchtigt wird, wenn ihnen der begehrte Aufenthaltstitel versagt wird. Ansatzpunkt der Überlegung ist der Gedanke, dass die familiäre Beziehung, auf die das Aufenthaltsrecht gestützt wird, erst begründet wurde, nachdem die griechische Ehefrau durch Einreise in das Bundesgebiet bereits von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hatte. Die Frage ist jedoch zu verneinen. Ein entsprechendes Erfordernis ist weder im Aufenthaltsgesetz/EWG noch in der Verordnung 1612/68/EWG normiert, und die Freizügigkeit schützt zudem auch das Recht, überhaupt im Bereich der europäischen Gemeinschaft verbleiben zu können (vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 EGV auch Grabitz/Hilf, a.a.O., Rn 7 zu § 18 EGV). Müssten die Kläger nun aber in die Heimat zurückkehren, so könnte für ihren Vater und damit mittelbar auch für seine griechische Ehefrau eine Situation eintreten, die ihnen Anlass gibt, das Gebiet der EG-Staaten ebenfalls zu verlassen. Daraus ergibt sich im übrigen auch ein zusätzliches Argument dafür, § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG gerade vor dem Hintergrund des Art 8 EMRK nicht in dem Sinne auszulegen, dass das Zusammenleben der Familie in einer Wohnung verlangt werde.
4.) Dass die Ehe des Vaters der Kläger mit seiner griechischen Ehefrau im Sommer 2006 gescheitert ist, gibt dem Senat keinen Anlass, die Verpflichtung zur Erteilung der Aufenthaltsbefugnis-EG für einen kürzeren als den in § 7 Abs. 5 AufenthG/EG genannten Zeitraum auszusprechen. Dabei kann offen bleiben, ob die Kläger auch nach der Trennung ihres Vaters von seiner griechischen Ehefrau noch als deren Familienangehörige anzusehen sind (vgl. zum Fortbestand des Aufenthaltsrechts des getrennt lebenden Ehegatten die Entscheidung des EuGH im Fall Diatta). Jedenfalls kann der Senat nicht der gegebenenfalls von der Beklagten bei der Entscheidung über die nachträgliche Beschränkung der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels zu treffenden Ermessensbetätigung vorgreifen (vgl. § 7 Abs. 9 AufenthG EWG bzw. jetzt § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU ).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen; insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO. Sie ist nach bereits außer Kraft getretenem Recht zu entscheiden, und es ist nicht ersichtlich, dass die zu entscheidenden Rechtsfragen noch für eine erhebliche Zahl von Fällen von Bedeutung sein könnten (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn 11 zu § 132).
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 39, 52 Abs. 2, 45 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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