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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 26.11.2007
Aktenzeichen: 13 S 2438/07
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 104a Abs. 1 Nr. 4
VwGO § 123
1. Zur Frage der Eilbedürftigkeit bei einem Antrag auf Verpflichtung zum einstweiligen Unterlassen einer Abschiebung.

2. Ein Verwaltungsverfahren wegen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG bzw. den dazu ergangenen Erlassregelungen kann als Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG fortgeführt werden.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 2438/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebeschutz

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 26. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. September 2007 - 1 K 4976/07 - geändert; dem Antragsgegner wird die Abschiebung der Antragsteller einstweilen untersagt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die rechtzeitig erhobene (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerde gegen den die Aussetzung der Abschiebung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat sachlich Erfolg; die von den Antragstellern dargelegten Gründe, die der Senat allein zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben, dass der von ihnen angefochtene Beschluss fehlerhaft ist. Die Antragsteller haben nämlich durchaus einen Anordnungsgrund für das von ihnen verfolgte Begehren einstweiligen Rechtsschutzes glaubhaft gemacht, so dass ihr Antrag nicht bereits wegen fehlender Eilbedürftigkeit hätte abgelehnt werden dürfen (1.), und die dem Senat nunmehr erstmals obliegende inhaltliche Überprüfung ergibt, dass auch der erforderliche Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist (2.).

1. Was den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO - gerichtet auf Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung der Antragsteller einstweilen zu unterlassen - erforderlichen Anordnungsgrund angeht, so haben die Antragsteller - sämtlich serbische Staatsangehörige - durchaus die Eilbedürftigkeit einer (vorläufigen) Gerichtsentscheidung glaubhaft gemacht. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Behandlung des am 20.9.2007 eingegangenen Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz mit der telefonischen Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart begnügt, die Antragsteller seien "noch nicht eingebucht"; ein konkreter Termin für eine Abschiebung stehe damit noch nicht fest, und einen Tag später den Antrag wegen fehlender Eilbedürftigkeit abgelehnt. Damit hat das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die im Verfahren der einstweiligen Anordnung erforderliche Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes verkannt. Die Antragsteller hatten im Antragsschreiben ausgeführt, ihnen sei mitgeteilt worden, von Abschiebemaßnahmen werde nicht abgesehen, und zur Ausreise sei ihnen eine Frist bis zum 31.8.207 gesetzt worden, die am 16.8.2007 noch einmal bis zum 30.9.2007 verlängert worden sei. Damit drohe ihnen die Abschiebung ab dem 1.10.2007. Angesichts dieses Umstandes, der sich auch aus den dem Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren damals bereits vorgelegten Akten ergibt (Schreiben des RP Stuttgart an den Antragstellervertreter vom 16.8.2007: "eine letzte Ausreisefrist"), lag auf der Hand, dass eine einstweilige Anordnung zur Vermeidung der Schaffung vollendeter Tatsachen erforderlich war. Den Antragstellern war es jedenfalls nicht zumutbar, angesichts dieser Situation, die durch einen bereits früher erfolgten Abschiebeversuch verschärft wurde, die gerichtliche Entscheidung in dem erst kurz vorher anhängig gemachten Hauptsacheverfahren (Verpflichtungsklage auf Aufenthaltserlaubnis) abzuwarten (vgl. dazu Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 84 zu § 123 und Kopp/Schenke, VwGO, 2007, Rn 26 zu § 123). Die Auskunft des Regierungspräsidiums, die Antragsteller seien noch nicht "eingebucht", bedeutet lediglich, dass ein konkreter Abschiebetag noch nicht feststand; hieraus durfte das Gericht aber nicht ableiten, einstweiliger Rechtsschutz sei (noch) nicht erforderlich. Das spezifische Interesse der Antragsteller an einer Eilentscheidung wäre nur dann entfallen, wenn das Regierungspräsidium mitgeteilt hätte, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren werde abgewartet, oder wenn (wenigstens) eine nach wie vor beabsichtigte Abschiebung in so großer zeitlicher Ferne gelegen hätte, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Berücksichtigung aller Umstände als verfrüht erschienen wäre. So lag es hier aber nicht. Hätte das Verwaltungsgericht - wie es geboten gewesen wäre - als Vertreter des Antragsgegners nicht die untere Ausländerbehörde, sondern - wie im Antragsschriftsatz auch angegeben - das Regierungspräsidium geführt, dann hätte diese für die Abschiebung der Antragsteller zuständige (§ 6 Abs. 1 und 2 AAZuVO) und auch mit ihr bereits befasste Behörde im Eilverfahren eine inhaltliche Stellungnahme zur (objektiv hier tatsächlich bestehenden) Eilbedürftigkeit der Angelegenheit abgegeben oder aber verbindlich erklärt, aus welchen Gründen es einer einstweiligen Anordnung hier nicht bedürfe. Ein Behördenantrag, den Eilrechtsschutzantrag wegen fehlenden Anordnungsanspruchs abzuweisen, wäre z.B. für das Gericht ein Hinweis darauf, dass die Abschiebeabsicht und damit der Anordnungsgrund selbst nicht in Frage gestellt wird. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller weist auch zu Recht darauf hin, dass es Sache der Behörde sei, die "Einbuchung" und damit den genauen Abschiebungszeitpunkt festzulegen, ohne dass die Betroffenen hierauf Einfluss hätten. Es kann ohne weiteres angenommen werden, dass im vorliegenden Fall das Regierungspräsidium als Abschiebebehörde auf entsprechende Frage auch schon im erstinstanzlichen Eilverfahren - ebenso wie später gegenüber dem Prozessbevollmächtigten (siehe dessen Aktenvermerk vom 12.10.2007) - bestätigt hätte, es beabsichtige, die Antragsteller innerhalb einer so kurzen Zeitspanne abzuschieben, dass eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich sei. Dass das zu dem Antrag gehörte Landratsamt Ludwigsburg eine Abschiebung der Antragsteller nicht beabsichtigte, ergab sich bereits aus der fehlenden Zuständigkeit dieser Behörde und war daher schon deswegen kein Grund dafür, den Antrag abzulehnen. Jedenfalls durfte sich das Gericht nicht aufgrund der Äußerung, die Antragsteller seien noch nicht "eingebucht", einer Sachentscheidung entziehen.

2. Was die inhaltliche Frage der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs angeht, so wird es im Klageverfahren darauf ankommen, ob die Antragsteller, die erfolglos ein Verwaltungsverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG durchgeführt haben, nunmehr im Klageverfahren ihren Anspruch auf die inzwischen in Kraft getretene Vorschrift des § 104 a AufenthG stützen können (vgl. die in § 104 Abs. 1 AufenthG zum Ausdruck gekommene Regel, dass bei ausländerrechtlichen Verpflichtungsklagen aktuelles Recht anzuwenden ist, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.2.2005 - 13 S 2949/04 -, InfAuslR 2005, 261). Der Senat geht dabei davon aus, dass der Prüfung der genannten Vorschrift als (neue) Anspruchsgrundlage für den von den Antragstellern geltend gemachten Anspruch keine prozessualen Hindernisse entgegenstehen (zur Streitgegenstandsproblematik bei unterschiedlichen Aufenthaltserlaubnistiteln siehe BVerwG, Urteil vom 27.6.2006, - 1 C 14/05 -, NVwZ 2006, 1418, und Urteil vom 3.1.2007 - 1 C 1/06 -, juris). Die Vorschrift des § 104 a AufenthG ist in vielen Punkten an die bisher auf das Begehren der Antragsteller behördlich angewendeten Erlassregelungen (siehe Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG vom 20.11.2006, Az 4-1340/29) angelehnt und verfolgt auch den gleichen Zweck (siehe dazu Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/5065 und Drs. 224/07, S. 366 und 367; zum Verhältnis der beiden Regelungen zueinander siehe auch die Hinweise des BMI, - AZ PGZU - 128 406/1 - Stand 2.10.2007, Rn. 323, 324). Es kommt hinzu, dass die Widerspruchsbehörde bereits kurz vor Inkrafttreten dieser Bestimmung deren Voraussetzungen (hilfsweise) geprüft hat; die Problematik war damit auch verwaltungsverfahrensrechtlich bereits Streitgegenstand (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9.6.1993 - 13 S 76/93 -, juris). In der Sache hat die Widerspruchsbehörde ausgeführt, es sei nicht zu erwarten, dass den Antragstellern nach dieser Vorschrift ein Aufenthalt eingeräumt werden könne; die gesetzliche Regelung verbiete nämlich die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht worden sei oder wenn behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert worden seien. Bisher gehen die Behörden offenbar davon aus, dass die Antragstellerin zu 2. diesen Tatbestand (§ 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) verwirklicht hat, indem sie beim Abschiebeversuch vom 20.10.2004 eine Flasche "Chlorreiniger" an den Mund setzte. (Die Frage, ob es sich dabei um einen Suizidversuch oder aber um bewusstes Verhindern der Abschiebung gehandelt hat, ist allerdings zwischen den Beteiligten strittig.) Allerdings gilt selbst ein in der Person der Antragstellerin zu 2. vorliegender Ausschlussgrund nach § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG lediglich ihr selbst gegenüber, nicht aber auch gegenüber den sonstigen Antragstellern; eine "Erstreckung" des Ausschlussgrundes auf sonstige Familienmitglieder wie etwa die für Straftaten in § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgesehene ist für die Fallgestaltung des § 104 a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht Gesetz geworden. Insofern enthält die gesetzliche Neuregelung eine Besserstellung gegenüber der früheren Erlassregelung (Anordnung, a.a.O., Ziff 3.5). Daher spricht viel dafür, dass den restlichen Antragstellern ein solcher Ausschlussgrund nicht mehr vorgehalten werden kann. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass für die Antragsteller zu 1 und zu 3 bis 5 einer der sonstigen Ausschlussgründe gegeben wäre; die Behörden haben die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis bisher ausschließlich auf den genannten Ausschlussgrund gestützt. Damit haben jedenfalls diese Antragsteller einen im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausreichenden Anspruch auf einstweilige Duldung glaubhaft gemacht.

Geht man zu Ungunsten der Antragstellerin zu 2. vom Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 104 a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG aus, so ergibt sich gleichwohl auch für sie ein ausreichend glaubhaft gemachter Anspruch auf einstweilige Duldung im Bundesgebiet daraus, dass die restlichen Familienmitglieder im Hinblick auf die Erteilungsvoraussetzungen des § 104 a AufenthG die Anforderungen einer positiven einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erfüllen; einer "isolierten" Abschiebung der Antragstellerin zu 2 stünden die familienrechtlichen Schutzvorschriften des Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK entgegen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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