Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.01.2005
Aktenzeichen: 13 S 2729/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 48 Abs. 1 Nr. 2 (insofern vergleichbar § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG)
AuslG § 68 Abs. 3 Satz 1 (= § 80 Abs. 3 Satz 1 AufenthG)
Als minderjährig eingereist im Sinne von § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist ein Ausländer nur, wenn er zum Zeitpunkt der Einreise das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Einreise noch unter Geltung des das Volljährigkeitsalter auf 21 Jahre festlegenden § 2 BGB a.F. erfolgt ist.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 2729/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausweisung und Abschiebungsandrohung

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Jacob, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ridder und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schaefer

am 27. Januar 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 2004 - 5 K 1466/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, die den Prüfungsauftrag des Senats gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO begrenzen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2002 - 7 S 653/02 -, NVwZ 2002, 883 und Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 146 RdNr. 41), rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss abzuändern und der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.03.2004 zu gewähren, mit dem die Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzugs aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und ihr die Abschiebung nach Südkorea angedroht wurde.

Das Vorbringen der Antragstellerin, ihr komme entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zugute, außerdem habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht das Vorliegen eines vom Regelfall der Ausweisung abweichenden, eine Ermessensentscheidung eröffnenden atypischen Ausnahmefalls verneint und fälschlicherweise auch die Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen angenommen, vermag die Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20.10.2004 nicht in Frage zu stellen.

Wie das Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen erhöhten Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG für sich in Anspruch nehmen kann. Nach dieser Vorschrift, auf die - wie auch auf § 47 AuslG - trotz Inkrafttretens des ab 01.01.2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) bei der Prüfung der gegen die Antragstellerin ergangenen Ausweisungsverfügung durch den Senat abzustellen ist, weil die - letzte - Behördenentscheidung aus dem Jahr 2004 stammt und vor dem 01.01.2005 verfügte Ausweisungen gemäß § 102 AufenthG wirksam bleiben (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 28.05.1991 - 1 C 20.89 -, InfAuslR 1991, 268 zur gerichtlichen Überprüfung vor Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990 erlassener Ausweisungsverfügungen), kann ein Ausländer, der eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Die Voraussetzungen dieser Privilegierung sind, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, im Fall der Antragstellerin nicht erfüllt. Ob dabei der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, dass die Anwendung des § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG vorliegend daran scheitert, dass - ungeschriebene - Tatbestandsvoraussetzung dieser Vorschrift neben den Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch noch eine "Kontinuität" des Aufenthalts des Ausländers seit seiner Einreise ist, an der es fehle, kann offen bleiben (vgl. insoweit das Senatsurteil vom 12.05.2000 - 13 S 1242/99 -, EZAR 035 Nr. 28 und BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24/94 -, InfAuslR 1997, 8). Denn die am 28.04.1950 geborene Antragsstellerin ist nicht als Minderjährige i.S.d. § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zwar ist § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG auch auf Ausländer anwendbar, die vor Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990 als Minderjährige eingereist sind (vgl. Hailbronner, AuslR, § 48 AuslG RdNr. 7 und Ziffer. 48.1.2 AuslG-VwV vom 07. Juni 2000). Minderjährig i.S.d. Ausländergesetzes 1990 ist jedoch, da insoweit deutsches Recht anwendbar ist, nur, wer noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat (vgl. § 68 Abs. 3 S. 1 AuslG i.V.m. § 2 BGB). Unter diesen Personenkreis fällt die Antragstellerin entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht jedoch nicht, da sie am 19.03.1970, dem Tag ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, bereits nahezu 20 Jahre alt gewesen ist. Richtig ist allerdings, dass der personenrechtliche Status der Volljährigkeit bis zum 31.12.1974 erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres erreicht wurde (vgl. § 2 BGB in seiner bis zum 31.12.1974 gültigen Fassung). Durch Gesetz vom 31.07.1974 (BGBl. I S. 1713), in Kraft seit dem 01.01.1975, wurde das Volljährigkeitsalter jedoch auf 18 Jahre herabgesetzt, d.h. die Minderjährigkeit endet seitdem mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Auf § 2 BGB in seiner seit dem 01.01.1975 geltenden Fassung nimmt § 69 Abs. 3 S. 1 AuslG 1990 indes ersichtlich Bezug; dies zeigt auch § 48 Abs. 2 S. 2 AuslG, der einen besonderen Ausweisungsschutz - auch - für Heranwachsende, d.h. für 18- bis 21-jährige (vgl. § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz), vorsieht, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind und mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben. Für eine "Rückanknüpfung" an § 2 BGB in seiner bei Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990 schon längst nicht mehr gültigen Fassung bei der Anwendung der Vorschriften des Ausländergesetzes 1990 und damit auch des § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist daher kein Raum. Letzteres ließe sich auch nur schwerlich mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbaren, denjenigen Ausländern unter den dort genannten Voraussetzungen einen besonderen Ausweisungsschutz zu gewähren, die im Bundesgebiet geboren sind, bzw. noch in jugendlichem Alter eingereist sind und bei denen deshalb eine tatsächliche Integration in die deutschen Lebensverhältnisse und eine damit verbundene Entfremdung vom Heimatland typischerweise zugrundegelegt werden kann (vgl. insoweit die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 11/6321 S. 73 f.).

Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend zu der Ansicht gelangt, dass im Fall der Antragstellerin aufgrund ihrer Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, sowie wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG für eine Regelausweisung erfüllt sind. Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Ansicht kann es insbesondere nicht beanstandet werden, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass kein vom Regelfall abweichender atypischer Ausnahmefall vorliegt, der die Ausweisung der Antragstellerin ins Ermessen der Ausländerbehörde stellen würde. Eine Ausnahme vom Regelfall setzt eine erhebliche Abweichung des zugrunde liegenden Sachverhalts von der vom Gesetzgeber vorausgesetzten "Normallage" voraus, die es gebotenen erscheinen lässt, im Rahmen einer Ermessensausübung über die Ausweisung zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat - auch unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheids - eingehend und zutreffend dargelegt, das solche, von der im Gesetz vorausgesetzten Normalsituation abweichende Umstände weder aus dem Werdegang der Antragstellerin noch aus ihren persönlichen Verhältnissen, den Umständen der von ihr verübten Straftaten oder der Tatsache folgen, dass sie bereits seit langer Zeit in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Das Vorbringen der Antragstellerin, das sich insoweit darauf beschränkt, sie sei nicht allgemeingefährlich, da es sich bei den von ihr begangenen Straftat jeweils um Beziehungstaten gehandelt habe, ist nicht geeignet Zweifel an der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht zu begründen, dass vorliegend kein atypischer, vom Regelfall abweichender Fall i.S.v. § 47 Abs. 2 AuslG gegeben sei. Bei der Antragstellerin besteht nämlich, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, die konkrete Gefahr, dass sie wiederum in vergleichbarer Weise wie in der Vergangenheit straffällig werden wird. Die Antragstellerin leidet an einer emotionalen instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus sowie an einer schweren histrionischen Persönlichkeitsstörung. Ihre Erkrankung ist, wie aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und Psychologen hervorgeht, kaum beeinflussbar. Die zuständige Strafkammer hat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen W. festgestellt, dass von der Antragstellerin aufgrund ihres Zustandes weitere Straftaten von erheblichem Gewicht zu erwarten sind und sie deshalb für die Allgemeinheit, insbesondere jedoch für zukünftige Lebenspartner gefährlich ist (vgl. S. 28 des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 06.03.2002). Für eine atypisch geringe Wiederholungsgefahr ist hiernach, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, im Fall der Antragstellerin nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG n.F..

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück