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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: 13 S 2767/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 30 Abs. 3
AuslG § 30 Abs. 4
Der Ausländer hat das Ausreise- und Abschiebungshindernis der Passlosigkeit im Sinne des § 30 Abs. 3 AuslG zu vertreten, wenn er zumutbare Mitwirkungshandlungen zur Beseitigung dieses Hindernisse verweigert. Es ist einem ausreisepflichtigen Ausländer zumutbar, ernsthafte Bemühungen zur Beschaffung von Dokumenten (hier: Geburtsurkunde) aus seinem Heimatstaat zu unternehmen, wenn die Beantragung eines Ausweispapiers bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates unter Vorlage dieser Dokumente nicht von vornherein aussichtslos erscheint (Weiterführung von VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8.11.2001 - 13 S 2171/00 -, EZAR 015 Nr. 27).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 2767/02

Verkündet am 25.6.2003

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltsbefugnis

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Stumpe, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jakober und den Richter am Verwaltungsgericht Epe aufgrund der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. April 2002 - 17 K 4310/00 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis.

Der am 12.9.1966 geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger und gehört zur Ethnie der Oromos. Er ist seit 1999 mit einer ebenfalls äthiopischen Staatsangehörigen aufgrund einer Eheschließung nach äthiopisch-orthodoxem Ritus verheiratet. Zu einer standesamtlichen Eheschließung kam es bislang nicht. Aus der Verbindung ist eine am 1.12.2000 geborene Tochter hervorgegangen.

Am 22.2.1991 reiste der Kläger ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.8.1993 abgelehnt wurde. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 7.3.1994 - A 17 K 16178/93 - ab. Diese Entscheidung wurde mit Zurückweisung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des erkennenden Senats vom 11.5.1994 - A 13 S 785/94 - rechtskräftig. Drei in den Jahren 1994, 1995 und 1999 betriebene Asylfolgeverfahren blieben ebenfalls erfolglos. Seit Abschluss des Asylerstverfahrens ist der Kläger im Besitz von Duldungen.

Auf entsprechende Aufforderung füllte der Kläger am 2.5.1995 ein Passantragsformular aus. Der wiederholten Aufforderung, Identitätsnachweise vorzulegen, kam er hingegen nicht nach. Am 23.4.1996 teilte er der Ausländerbehörde mit, er verfüge über keinerlei Identitätsnachweis. Das Regierungspräsidium Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - leitete daraufhin den Passantrag am 2.5.1996 ohne Identitätsnachweise an die äthiopische Botschaft weiter. Nachdem der Kläger sich weigerte, persönlich auf der äthiopischen Botschaft vorzusprechen, erließ das Regierungspräsidium Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - am 23.2.1998 eine Passverfügung u.a. mit der Aufforderung, persönlich auf der Botschaft von Äthiopien vorzusprechen und ein ausreisetaugliches Rückreisedokument zu beantragen.

Den am 22.9.1998 gestellten und am 8.12.1999 erneuerten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis lehnte das Landratsamt Göppingen mit Bescheid vom 16.3.2000 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Eine Aufenthaltsbefugnis nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 32 AuslG über die Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt vom 12.1.2000 komme nicht in Betracht, da der Kläger nicht vor dem 1.1.1990 eingereist sei. Eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG könne ebenfalls nicht erteilt werden. Sie setze voraus, dass ein längerfristiges Abschiebungshindernis bestehe, das vom Antragsteller nicht zu vertreten sei. Im Falle des Klägers beruhe die Duldung aber nur auf dem Umstand, dass er keinen Reisepass besitze und sich seit Jahren weigere, bei der Beschaffung eines solchen mitzuwirken.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 4.8.2000 - dem Kläger zugestellt am 8.8.2000 - zurück.

Am 7.9.2000 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die Ablehnung der Aufenthaltsbefugnis Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts Göppingen vom 16.3.2000 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.8.2000 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und eines Ausweisersatzes als Bescheinigung über die Aufenthaltsbefugnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Zur Begründung hat er ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 und 4 AuslG lägen vor. Seit Abschluss des ersten Asylverfahrens sei er unanfechtbar ausreisepflichtig. Das bestehende Abschiebungshindernis der Passlosigkeit habe er nicht zu vertreten. Denn er habe am 13.12.1999 und nochmals am 29.8.2000 auf der äthiopischen Botschaft in Berlin vorgesprochen. Dort sei ihm jeweils mitgeteilt worden, eine Passerteilung komme nur in Betracht, wenn er eine Geburtsurkunde aus dem Heimatland beschaffe oder in Begleitung zweier Zeugen, die seine äthiopische Staatsangehörigkeit bestätigen könnten, in der Botschaft erscheine. Da er keinerlei Kontakt nach Äthiopien habe, sei es ihm bereits faktisch verwehrt, sich eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Aus einer einem Landsmann von ihm am 20.8.2001 von der äthiopischen Botschaft in Berlin ausgestellten Bescheinigung ergebe sich, dass nunmehr zur Erlangung eines äthiopischen Passes bzw. eines Ersatzpapiers eine vom äthiopischen Außenministerium und Immigration Office gestempelte und von der Deutschen Botschaft in Addis Abeba legalisierte Geburtsurkunde sowie zusätzlich zwei schriftliche Zeugenaussagen über die äthiopische Staatsangehörigkeit des Betroffenen erforderlich seien. Diese Anforderungen könne er nicht erfüllen, da er keine Zeugen habe, die seine Staatsangehörigkeit bestätigen könnten und die selbst im Besitz gültiger äthiopischer Pässe seien. Damit sei sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich. Da er keinen Nationalpass erhalten könne, sei ihm die Aufenthaltsbefugnis auf einem Ausweisersatz nach § 39 Abs. 1 AuslG zu erteilen.

Mit Urteil vom 24.4.2002 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags könne eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 5 AuslG nur nach § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG erteilt werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften lägen jedoch nicht vor. Es bestehe zwar wegen Fehlens eines gültigen Reisepasses ein tatsächliches Abschiebungshindernis im Sinn von § 55 Abs. 2 AuslG. Gegenwärtig sei auch nicht erkennbar, wann für den Kläger die für die Ausreise bzw. Abschiebung erforderlichen Dokumente beschafft werden könnten. Es sei aber nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass der freiwilligen Ausreise des Klägers Hindernisse entgegenstünden, die er nicht zu vertreten habe. Zwar habe er unter Vorlage der Kopie einer Bescheinigung der äthiopischen Botschaft in Berlin vom 29.8.2000 glaubhaft vorgetragen, dass diese zur Erteilung eines neuen Reisedokuments entweder die Vorlage einer Geburtsurkunde oder aber die Bestätigung der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch zwei Zeugen, die in der Botschaft erscheinen müssten, verlange. Dies stehe im Einklang mit den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 15.8.2001), wonach die äthiopische Botschaft seit Neuestem den Nachweis der äthiopischen Staatsangehörigkeit insbesondere durch Vorlage von Geburtsurkunden verlange, um so z.B. ausschließen zu können, dass ein Antragsteller eritreischer Abstammung sei. Soweit die Botschaft ausweislich der ebenfalls in Kopie vorgelegten Bescheinigung vom 20.8.2001 neben der Vorlage einer vom äthiopischen Außenministerium und Immigration Office gestempelten und von der Deutschen Botschaft in Addis Abeba legalisierten Geburtsurkunde die Aussage von zwei Zeugen, die in der Botschaft erscheinen müssten, verlange, erschienen diese kumulativen Anforderungen wenig nachvollziehbar, da das im Lagebericht vom 15.8.2001 angeführte Interesse der äthiopischen Behörden, ausschließen zu können, dass ein Antragsteller eritreischer Abstammung sei, auch hinreichend durch die Vorlage einer vom äthiopischen Außenministerium gestempelten und von der Deutschen Botschaft in Addis Abeba legalisierten Geburtsurkunde erreicht werden könne. Es deuteten auch keine Anhaltspunkte darauf hin, dass die genannten Anforderungen auch einer freiwilligen Heimkehr äthiopischer Staatsbürger entgegenstünden. Dass dem Kläger die auch bei freiwilliger Ausreise erforderliche Beschaffung einer Geburtsurkunde tatsächlich unmöglich sei, habe er nicht glaubhaft gemacht. Es genüge nicht, dass er behaupte, infolge seines mehr als zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keinerlei Kontakte mehr zu seiner Verwandtschaft zu haben. Darüber hinaus müsse er substantiiert darlegen, warum - falls die Beschaffung durch Verwandte nicht in Betracht komme - die Geburtsurkunde nicht durch andere Personen (z.B. auch durch einen Anwalt) beschafft werden könne. Auch die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 AuslG seien nicht erfüllt, da der Kläger - wie dargelegt - nicht nachgewiesen habe, dass ihm eine freiwillige Ausreise nicht möglich sei. Habe er sonach keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bzw. auf Ermessensausübung, so habe er auch keinen Anspruch auf den von ihm beantragten Ausweisersatz nach § 39 Abs. 1 AuslG in Form einer Bescheinigung über die Aufenthaltsbefugnis.

Mit Beschluss vom 16.12.2002 - 13 S 1382/02 -, dem Kläger zugestellt am 9.1.2003, hat der Senat die Berufung des Klägers zugelassen.

Mit am 27.1.2003 eingegangenem Schriftsatz beantragt der Kläger,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.4.2002 - 17 K 4310/00 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts Göppingen vom 16.3.2000 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.8.2000 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Zur Begründung führt er aus: Er habe seine Passlosigkeit nicht zu vertreten. Die Ausländerbehörde habe sich über Jahre hinweg um die Beschaffung von Ausweis- und Passpapieren für ihn bemüht. Er selbst habe am 29.8.2000 einen Passantrag bei der äthiopischen Botschaft in Berlin gestellt und ein Jahr später erfahren, dass eine einfache Geburtsurkunde gar nicht mehr ausreiche, sondern diese vielmehr vom äthiopischen Außenministerium und von der Deutschen Botschaft legalisiert sein müsse und darüber hinaus zwei Zeugen in der Botschaft erscheinen müssten, die seine äthiopische Staatsangehörigkeit bestätigen könnten und die selbst im Besitz von gültigen äthiopischen Pässen sein müssten. Diese Verschärfung der Voraussetzungen seitens der äthiopischen Botschaft könne ihm nicht angelastet werden. Sie könne eine mögliche Ursache darin haben, dass sich die Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea in den letzten Jahren verschärft hätten und es den äthiopischen Behörden darum gehe, alle Antragsteller auf persönliche Beziehungen zu Eritrea zu überprüfen und auf jeden Fall zu vermeiden, eritreischen Volkszugehörigen Ausweispapiere auszustellen. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft äthiopischer Stellen werde auch durch eine Stellungnahme der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Addis Abeba vom 10.10.2002 belegt, mit der diese dem Landratsamt Ludwigsburg mitgeteilt habe, in einer Vielzahl von Fällen hätten sämtliche Anstrengungen der Botschaft - auch zur Erlangung von Geburtsurkunden - zu keinem verwertbaren Ergebnis geführt. Die Beauftragung eines äthiopischen Rechtsanwalts mit der Beschaffung einer Geburtsurkunde sei dem Kläger nicht zumutbar, zumal nicht absehbar sei, welche Kosten ihm dadurch entstünden. Da jedenfalls zusätzlich zwei Zeugen beigebracht werden müssten, könne das Abschiebungshindernis allein durch Beschaffung einer Geburtsurkunde auch nicht beseitigt werden.

Der Kläger legte eine notarielle Urkunde vom 13.1.2002 vor, in der er eidesstattlich versichert, derzeit keine Person, insbesondere nicht zwei Personen, zu kennen, die äthiopische Staatsbürger und im Besitz eines äthiopischen Passes seien und seine äthiopische Staatsangehörigkeit als Zeugen bestätigen könnten und die wüssten, wo und wann er geboren worden sei bzw. wo und wann seine Eltern geboren worden seien und welche Volkszugehörigkeit seine Eltern hätten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Soweit der Kläger tatsächlich keinen Kontakt mehr zu Verwandten in Äthiopien habe, sei es ihm zumutbar, einen Anwalt mit der Beschaffung der Geburtsurkunde zu beauftragen. Bisher habe er keine Nachweise für entsprechende Bemühungen vorgelegt. Dass daneben im Fall des Klägers die Beibringung von zwei Zeugen Voraussetzung für die Passausstellung sei, sei nicht ersichtlich. Damit habe er den Duldungsgrund der Passlosigkeit nach wie vor selbst zu vertreten.

Über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen äthiopischen Staatsangehörigen von der Botschaft ihres Heimatstaates Reisedokumente ausgestellt werden, hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl -. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat hierzu eine Auskunftsperson angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.6.2003 verwiesen.

Der Kläger hat auf entsprechende Frage des Senats in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland, seine berufliche Integration und seine Familie erklärt, er sei weder bereit, selbst einen äthiopischen Anwalt mit der Beschaffung einer Geburtsurkunde zu beauftragen, noch dem Beklagten eine Vollmacht zu erteilen, die es diesem ermögliche, einen Versuch zur Erlangung einer Geburtsurkunde unter Einschaltung eines Vertrauensanwalts zu unternehmen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten des Landratsamts Göppingen und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl -, die dem Senat vorliegen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach ihrer Zulassung durch den Senat statthaft und auch im übrigen zulässig. Der Kläger hat die Berufung insbesondere innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über ihre Zulassung ausreichend begründet und einen bestimmten Antrag gestellt (§ 124a Abs. 6 Satz 1 und Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage des Klägers zu Recht abgewiesen. Dieser hat keinen Anspruch auf erneute Entscheidung des Beklagten über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis sind auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht gegeben. Da der Kläger bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber ist, kommt gemäß § 30 Abs. 5 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis lediglich die Anwendung des § 30 Abs. 3 und 4 AuslG in Betracht. Nach § 30 Abs. 3 AuslG kann einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat. Nach § 30 Abs. 4 AuslG kann einem Ausländer, der seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig ist und eine Duldung besitzt, abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, es sei denn, der Ausländer weigert sich, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AuslG liegen nicht vor (1.). Zwar ist der Kläger unanfechtbar ausreisepflichtig (a) und seine Abschiebung ist tatsächlich unmöglich (b). Es ist auch nicht ersichtlich, dass er freiwillig in seinen Heimatstaat ausreisen könnte (c). Dieses Ausreise- und Abschiebungshindernis hat er jedoch zu vertreten (d). Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG kommt nicht in Betracht, weil der Kläger sich weigert, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen (2.).

1. a) Mit dem Merkmal der unanfechtbaren Ausreisepflicht wird an einen die Ausreisepflicht selbständig begründenden oder feststellenden Verwaltungsakt angeknüpft. Der Kläger ist infolge des am 11.5.1994 bestandskräftig gewordenen Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.8.1993, mit dem sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint und ihm die Abschiebung nach Äthiopien angedroht wurde, unanfechtbar ausreisepflichtig im Sinne von § 30 Abs. 3 AuslG (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 8.4.1997 - 1 C 12.94 -, BVerwGE 104, 210 <213> und vom 24.11.1998 - 1 C 8.98 -, BVerwGE 108, 21 <25>).

b) Die Abschiebung des Klägers ist auch wegen des Fehlens eines ausreichenden Ausweisdokuments aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Das Fehlen eines Reisepasses oder eines sonstigen Ausweispapiers stellt jedenfalls dann ein tatsächliches Abschiebungshindernis im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG dar, wenn der betreffende Ausländer über kein Ausweisdokument verfügt und auch die Ausländerbehörde davon ausgeht, dass es zur Durchführung der Abschiebung eines solchen Dokuments bedarf (vgl. Senatsurteil vom 6.5.2003 - 13 S 1234/01 -, Hailbronner, AuslR,. § 55 AuslG, RdNr. 42; GK-AuslR, § 55 AuslG, RdNr. 41). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger ist nicht im Besitz eines gültigen Ausweispapiers. Die langjährigen Versuche des Regierungspräsidiums Stuttgart, für ihn ein Rückreisedokument zu beschaffen, sind bislang erfolglos geblieben. Aus dem Verhalten des Regierungspräsidiums Stuttgart ist ferner zu schließen, dass auch dieses davon ausgeht, eine zwangsweise Rückführung des Klägers in seinen Heimatstaat ohne ein äthiopisches Ausweisdokument sei ausgeschlossen. Andernfalls hätte es bereits einen Abschiebungsversuch unternommen. Auch nach Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Addis Abeba vom 10.10.2002 an das Landratsamt Ludwigsburg (S. 119 der Berufungsakten) ist die Ausstellung eines äthiopischen Reise-/Identitätspapiers Voraussetzung für eine erfolgreiche Rückführung nach Äthiopien. Ausweislich des in die Berufungsverhandlung eingeführten Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2003 werden die Sicherheitskontrollen am Flughafen von Addis Abeba, aber auch die Pass- und Devisenkontrollen bei Ein- und Ausreise gewissenhaft und gründlich durchgeführt. Personen ohne reguläre Reisepapiere werde häufig die Einreise verweigert. Von deutschen oder EU-Stellen ausgestellte Heimreisepapiere würden i.d.R. nicht anerkannt. Danach steht fest, dass ein Abschiebungsversuch im Fall des Klägers, der keinerlei äthiopische Papiere besitzt, zum Scheitern verurteilt wäre.

c) Es fehlt auch an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass im Falle des Klägers eine freiwillige Ausreise möglich sein könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25.9.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 232) und des Senats (Urteil vom 7.3.1996 - 13 S 1443/95 -, EZAR 015 Nr. 7) ist die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG ausgeschlossen, wenn der Ausländer seiner Ausreisepflicht freiwillig nachkommen könnte, der freiwilligen Ausreise also keinerlei Hindernisse entgegenstehen. Grundsätzlich ist von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise auszugehen, solange der Ausländer nicht durch einen gescheiterten Ausreiseversuch das Gegenteil nachweist. Es bedarf jedoch dann keines Versuchs der freiwilligen Ausreise in den Heimatstaat, wenn von vornherein feststeht, dass dieser Versuch erfolglos bleiben wird (vgl. Senatsurteile vom 7.3.1996, a.a.O.; vom 15.6.2001 - 13 S 370/00 -, vom 8.11.2001 - 13 S 2171/00 -, EZAR 015 Nr. 27 und vom 6.5.2003 - 13 S 1234/01 -). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger die Einreise nach Äthiopien gestattet werden könnte. Ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2003 verweigert Äthiopien trotz gegenteiliger Zusicherung selbst die Rücknahme von Äthiopiern mit abgelaufenen Reisepässen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass Personen wie dem Kläger, die keinerlei äthiopische Identitätspapiere besitzen, erst recht die Einreise verweigert würde.

d) Der Kläger hat das danach bestehende tatsächliche Ausreise- und Abschiebungshindernis jedoch auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung im Sinne von § 30 Abs. 3 AuslG zu vertreten. Zu vertreten hat der Ausländer ein objektiv pflichtwidriges, vorwerfbares Verhalten nach dieser Vorschrift grundsätzlich dann, wenn es für ein Ausreise- oder Abschiebungshindernis ursächlich geworden ist (Senatsurteil vom 8.11.2001, a.a.O.). Eine Ursächlichkeit in diesem Sinne fehlt allerdings immer dann, wenn von vornherein feststeht, dass das Abschiebungshindernis auch durch ein pflichtgemäßes Verhalten nicht hätte beseitigt werden können. Erscheint es dagegen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein dem Ausländer mögliches und zumutbares Verhalten zum Wegfall des Abschiebungshindernisses führt und verweigert er dieses Verhalten, kommt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ebenfalls nicht in Betracht. In solchen Fällen kann erst dann davon ausgegangen werden, dass das Abschiebungshindernis nicht vom Ausländer zu vertreten ist, wenn er die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat und diese dennoch nicht zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses geführt haben. Bei Anwendung dieser Grundsätze scheidet hier die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG aus. Der Kläger hat wegen fehlender Rückkehrwilligkeit bei der Passbeschaffung durchgehend nur zögerlich mitgewirkt und nicht alle zumutbaren Maßnahmen zur Beschaffung von Rückreisedokumenten unternommen. Er hat ein Mal - 1995 - Passantragsformulare ausgefüllt, dabei aber keine Identitätsnachweise beigefügt und erst auf mehrmalige Mahnung am 23.4.1996 der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er über solche nicht verfüge. Der Aufforderung zur persönlichen Vorsprache bei der äthiopischen Botschaft, die bereits 1996 an ihn gerichtet wurde und die auch Gegenstand der Passverfügung vom 23.2.1998 war, ist er erstmals am 13.12.1999 gefolgt. Damit hat er seine Mitwirkung bei der Beschaffung von Rückreisedokumenten zwar nicht völlig verweigert; als ausreichend könnte die Mitwirkung aber nur dann angesehen werden, wenn er damit alles Zumutbare und Erforderliche getan hätte. Das kann nach Auffassung des Senats nicht bejaht werden. Zwar ist aufgrund der amtlichen Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart davon auszugehen, dass die äthiopische Botschaft nach der letzten Vorsprache des Klägers dort die Voraussetzungen für die Ausstellung eines äthiopischen Reisepasses nochmals verschärft hat und nunmehr grundsätzlich kumulativ sowohl eine vom äthiopischen Außenministerium und Immigration Office gestempelte und von der Deutschen Botschaft Addis Abeba legalisierte Geburtsurkunde als auch zwei Aussagen von Zeugen verlangt, die die äthiopische Staatsangehörigkeit des Antragstellers bestätigen können. Nach den vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen der äthiopischen Botschaft Berlin müssen die Zeugen äthiopische Staatsbürger und im Besitz von gültigen äthiopischen Pässen sein. Im Hinblick auf diese schwer zu erfüllenden Anforderungen und die mangelnde Kooperationsbereitschaft der äthiopischen Botschaft sieht das Regierungspräsidium Stuttgart auch nunmehr von der zwangsweisen Vorführung ausreisepflichtiger äthiopischer Staatsangehöriger auf der Botschaft ab.

Die dargestellten Anforderungen gelten nach der amtlichen Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart indessen nicht uneingeschränkt. Dem Regierungspräsidium sind Fälle positiv bekannt, in denen äthiopischen Staatsangehörigen bei freiwilliger Beantragung eines Passes, etwa zum Zweck der Eheschließung oder zur Erlangung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet, problemlos ein solcher ausgestellt wurde. Dass die äthiopische Botschaft auch in diesen Fällen die Beibringung von zwei Zeugen verlangt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, da das Regierungspräsidium keine genaue Kenntnis darüber hat, unter welchen Voraussetzungen die Ausstellung von Ausweispapieren erfolgt ist. Da es in den dem Regierungspräsidium bekannten Fällen aber problemlos zur Passausstellung gekommen ist, kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass in diesen Fällen auf das Erfordernis der Beibringung von zwei Zeugen verzichtet worden ist.

Unerheblich ist danach, dass der Kläger durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht hat, dass er die Voraussetzung der Beibringung von zwei Zeugen nicht erfüllen kann. Denn es erscheint auch in seinem Fall nicht ausgeschlossen, dass ihm bei erneuter Vorsprache unter Vorlage einer Geburtsurkunde ohne Beibringung von Zeugen ein Reisepass ausgestellt wird. Dies gilt um so mehr, als in der ihm von der Botschaft erteilten Bescheinigung vom 29.8.2000 (S. 21 der Akten des Verwaltungsgerichts) alternativ die Vorlage einer Geburtsurkunde oder die Beibringung von zwei Zeugen verlangt wurde. Dass dem Kläger die Beschaffung einer Geburtsurkunde unmöglich wäre, ist nicht ersichtlich. Zwar hat er bereits 1995 vorgetragen, seine Eltern und Großeltern seien verstorben bzw. verschollen. Sein jetziges Vorbringen, er verfüge über keine Kontakte mehr nach Äthiopien, ist vor diesem Hindergrund nicht unglaubhaft. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es dem Kläger im Zusammenhang mit der kirchlichen Eheschließung mit einer äthiopischen Staatsangehörigen im Jahr 1999 gelungen wäre, Unterlagen aus seiner Heimat zu beschaffen. Der Versuch, allein unter Mitwirkung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Addis Abeba eine Geburtsurkunde zu erlangen, ist nach deren Auskunft vom 10.10.2002 aussichtslos. Soweit die Botschaft auf die Zusammenarbeit mit äthiopischen Rechtsanwälten verweist, ist eine solche Vorgehensweise, sofern der Kläger selbst und nicht eine deutsche Behörde einen solchen beauftragt, aber nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nach der ebenfalls in die Berufungsverhandlung eingeführten Auskunft der Deutschen Botschaft Addis Abeba vom 24.4.2002 ist neben der Vorlage einer Kopie der derzeitigen Duldungsbescheinigung erforderlich, dass der Antragsteller eine in Addis Abeba lebende Person - vorzugsweise einen Rechtsanwalt - mit einer Vollmacht ausstattet, die alle notwendigen administrativen Schritte zur Erlangung einer Geburtsurkunde ermöglicht. Indem der Kläger diese Mitwirkungshandlung ausdrücklich verweigert, handelt er objektiv pflichtwidrig und hat danach das Abschiebungs- und Ausreisehindernis im Sinne von § 30 Abs. 3 AuslG zu vertreten.

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG liegen ebenfalls nicht vor. Diese Vorschrift stellt auf die Obliegenheit des ausreisepflichtigen Ausländers ab, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, etwaige Abschiebungshindernisse zu überwinden. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Ausländer sich "förmlich" weigert, ein Abschiebungshindernis zu beseitigen. Es genügt, dass er zumutbare Handlungen zur Ermöglichung seiner Ausreise unterlässt oder verzögert. Derartige Handlungen können nur dann nicht verlangt werden, wenn sie von vornherein aussichtslos sind, d.h. wenn praktisch ausgeschlossen erscheint, dass sie das Abschiebungshindernis beseitigen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 24.11.1998 - 1 C 8.98 -, a.a.O. S. 29 und vom 15.2.2001 - 1 C 23.00 -, BVerwGE 114, 9 <15>). Daran gemessen kommt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG ebenfalls nicht in Betracht; denn der Kläger weigert sich, Bemühungen zu unternehmen, um eine Geburtsurkunde aus seinem Heimatstaat zu erhalten. Die Auskünfte der Deutschen Botschaft in Addis Abeba vom 24.4.2002 und vom 10.10.2002 lassen es entgegen der Auffassung des Klägers jedenfalls als nicht von vornherein aussichtslos erscheinen, dass bei Beauftragung eines dortigen Rechtsanwalts die zuständigen Behörden dem Kläger eine Geburtsurkunde ausstellen könnten. Die Tragung der damit verbundenen Kosten (Anwaltshonorar, Gebühren, Beglaubigungskosten etc.) ist dem Kläger auch zumutbar, soweit sich diese in einem angemessenen Rahmen bewegen. Dafür, dass willkürlich überhöhte Gebühren anfallen könnten, ist nichts ersichtlich. Allein die Ungewissheit über die Höhe der entstehenden Kosten befreit den Kläger nicht von seiner Obliegenheit, sich zunächst um Ausstellung einer Geburtsurkunde zu bemühen und alle hierzu erforderlichen Handlungen zu unternehmen, insbesondere einen Rechtsanwalt zu beauftragen und ihm die notwendigen Vollmachten zu erteilen. Des weiteren erscheint es auch nach der amtlichen Auskunft des Regierungspräsidiums Stuttgart nicht ausgeschlossen, dass dem Kläger bei einer erneuten freiwilligen Vorsprache auf der Botschaft unter Vorlage der Geburtsurkunde ein Reisepass ausgestellt wird, sofern er angibt, diesen im eigenen Interesse zu benötigen. Damit besteht die Möglichkeit, dass bei hinreichender Mitwirkung des Klägers das Ausreise- und Abschiebungshindernis der Passlosigkeit beseitigt werden könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Beschluss vom 24. Juni 2003

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 25 Abs. 2 Satz 1 GKG auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 2 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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