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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 13 S 2794/06
Rechtsgebiete: LVwVfG


Vorschriften:

LVwVfG § 48
Voraussetzung für die Rücknahme der Einbürgerung auf der Grundlage des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts ist regelmäßig, dass der Betroffene die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Art erwirkt hat. Objektiv falsche Angaben i.S.v. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG genügen allein nicht, um eine Rücknahmemöglichkeit nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht zu eröffnen (im Anschluss an und Fortentwicklung von BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 - DVBl. 2006, 910).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 2794/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme der Einbürgerung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2007

am 17. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 geändert. Die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der Kläger, ein am 10.2.1958 geborener ehemaliger libanesischer Staatsangehöriger, reiste im Sommer 1986 zusammen mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sich als Asylsuchender meldete. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) lehnte den Asylantrag mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.10.1987 ab. In der Folgezeit erhielt der Kläger erstmalig am 19.9.1991 eine Aufenthaltsbefugnis, welche fortlaufend verlängert wurde; seit dem 21.6.2001 verfügte er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 9.2.2001 beantragte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 1987, 1989 und 1991 in Deutschland geborenen gemeinsamen Kindern seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens gab der Kläger gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart eine Loyalitätserklärung ab, wonach er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Am 22.5.2003 wiederholte der Kläger gegenüber der Beklagten diese Loyalitätserklärung. Vor Bescheidung des Einbürgerungsantrags stellte die Beklagte Ermittlungen an, ob der Einbürgerung öffentliche Belange entgegenstehen; sie richtete hierzu mehrere Anfragen an Sicherheitsbehörden. Hierauf teilte die Landespolizeidirektion Stuttgart II unter dem 4.4.2001 mit, dass gegen den Kläger bzw. seine Ehefrau weder Ermittlungsverfahren anhängig seien noch sonst in polizeilicher Hinsicht nachteilige Erkenntnisse bestünden. Bereits mit Schreiben vom 3.4.2001 bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Landeshauptstadt Stuttgart um Übersendung der bei ihr über den Kläger geführten Ausländerakten. Auf telefonische Nachfrage teilte das Landeskriminalamt - wie in einem Aktenvermerk festgehalten ist - mit, die Akten würden aufgrund der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppen benötigt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erteilte auf die durchgeführte Sicherheitsanfrage im Falle des Klägers - anders als hinsichtlich seiner Familienangehörigen - am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfung noch nicht habe abgeschlossen werden können. Mit Urkunde der Landeshauptstadt Stuttgart vom 20.5.2003, ausgehändigt am 22.5.2003, wurde der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den drei minderjährigen Kindern in den deutschen Staatsverband eingebürgert.

Mit Schreiben vom 19.4.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg der Landeshauptstadt Stuttgart mit, dass über den Kläger beim Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse im Zusammenhang mit der "Hizb Allah" (Partei Gottes) vorlägen. Danach habe der Kläger von deutschem Boden aus diese Organisation unterstützt, welche einen islamischen Gottesstaats befürworte und deren Bestrebungen auf die Vorbereitung der Anwendung von Gewalt gegen Israel gerichtet seien. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 9.5.2005 zu der beabsichtigten Rücknahme seiner Einbürgerung an, worauf er sich nicht äußerte.

Mit Bescheid vom 31.8.2005 nahm die Landeshauptstadt Stuttgart die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 mit Wirkung ab Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zurück und forderte ihn zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde auf. Zur Begründung der auf § 48 LVwVfG gestützten Rücknahme der Einbürgerung führte die Landeshauptstadt aus, der Kläger habe seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch arglistige Täuschung erwirkt, da er über seine Aktivitäten für extremistische Organisationen getäuscht habe. Auch habe der Kläger vor Vollzug der Einbürgerung eine falsche Loyalitätserklärung abgegeben, welche nicht von seiner inneren Überzeugung getragen gewesen sei. Die Einbürgerung des Klägers sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da ein Ausschlussgrund gemäß § 86 Nr. 2 AuslG bestanden habe. Ausweislich einer Mitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg sei der Kläger dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der verfassungsfeindlichen "Hizb Allah" bekannt geworden. So habe er in dem Zeitraum vom 4. April 1999 bis zum 24. Mai 2003 an zahlreichen, in der Verfügung im Einzelnen aufgeführten, Veranstaltungen der "Hizb Allah" teilgenommen, auf welchen verfassungsfeindliche, vor allem gegen das Existenzrecht Israels gerichtete Reden gehalten worden seien. Auch sei der Kläger auf einer Vollversammlung der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. in Leonberg am 2.5.1999 als deren Schatzmeister in den Vorstand gewählt worden, im Jahre 2001 habe man ihn in diesem Amt bestätigt. Bei der im Jahre 1982 gegründeten "Hizb Allah" handle es sich um eine islamistisch-schiitische Organisation, welche im Libanon inzwischen eine herausragende politische Rolle spiele. Ihre Miliz habe sich im südlichen Libanon als militärische Macht etabliert, wobei zu ihren Aktivitäten auch die Entführung israelischer Soldaten, Selbstmordattentate und Geiselnahmen gehörten. Durch eine bewusst militante Prägung ihrer männlichen Anhänger schaffe sie sich ein gewaltbereites Potential, das vor allem gegen Israel zum Einsatz komme. Bei den Veranstaltungen der "Hizb Allah" in Deutschland stünden diese antiisraelischen und antijüdischen Zielsetzungen sowie die finanzielle und moralische Unterstützung der Kämpfer gegen Israel im Vordergrund. Die "Hizb Allah" vertrete das Konzept eines konstitutionellen Gottesstaates mit herrschendem schiitischem Klerus nach iranischem Vorbild und lehne die Wertordnung des Grundgesetzes ab. An den inkriminierten Bestrebungen und Aktivitäten der "Hizb Allah" nehme auch ein dieser Organisation nahestehender Ortsverein teil, was auch dann gelte, wenn dessen Tätigkeit nicht ausschließlich darin bestehe, die Ziele der "Hizb Allah" mitzutragen.

Der Kläger habe sich aktiv als Vorstandsmitglied in einem derartigen Verein betätigt und über einen längeren Zeitraum zustimmend oder jedenfalls ohne Widerspruch an entsprechenden Veranstaltungen teilgenommen. Dies stelle eine Bestrebung dar, über welche der Kläger die Einbürgerungsbehörde getäuscht habe. Die am 22.5.2003 erfolgte Einbürgerung stelle einen rechtswidrigen Verwaltungsakt dar. Das öffentliche Interesse an der Rücknahme der rechtswidrig erfolgten Einbürgerung überwiege das Interesse des Klägers am weiteren Fortbestand seiner deutschen Staatsangehörigkeit. In das Ermessen werde dabei vor allem auch eingestellt, dass der Kläger durch die Rücknahme der Einbürgerung nicht staatenlos werde. Seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband sei unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgt, weil die libanesischen Behörden die Entlassung aus der libanesischen Staatsangehörigkeit regelmäßig verweigerten.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, welchen das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsbescheids zurückwies.

Die am 6.12.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,

den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben,

hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil des Einzelrichters (§ 6 VwGO) vom 25.9.2006 abgewiesen.

In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die angegriffene Rücknahme der Einbürgerung finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 LVwVfG. Diese allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung sei mangels einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung im Staatsangehörigkeitsgesetz im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung jedenfalls dann anwendbar, wenn diese durch bewusste Täuschung erwirkt worden sei und die Rücknahme zeitnah erfolge. Der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erlangten Einbürgerung stehe weder das Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG noch grundsätzlich das Verbot des Verlustes der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen entgegen. Die auf § 85 AuslG a.F. gestützte Einbürgerung des Klägers stelle sich als von Anfang an rechtswidrig dar. Der Kläger habe nicht, wie von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefordert, ein von innerer Überzeugung getragenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben. An den in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG normierten Voraussetzungen habe es bereits im Einbürgerungszeitpunkt gefehlt, da der Kläger entgegen der von ihm am 2.7.2001 und am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen Bestrebungen unterstützt habe, die durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet hätten. Die dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen stellten inkriminierte Bestrebungen im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG dar, da sie die verfassungsfeindlichen Ziele der Bestrebung förderten und ihre potentielle Gefährlichkeit erhöhten. Der Kläger habe über Jahre hinweg zum Unterstützungskreis der "Hizb Allah" gehört; er habe nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung an der Gründung der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart mitgewirkt und von 1999 bis zum Jahre 2004 dem Vorstand dieses Vereins angehört. Die "Hizb Allah" habe die islamische Kulturgemeinschaft Stuttgart dazu benutzt, ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu propagieren und durchzusetzen. Die islamische Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart weise eine derartige Nähe zur "Hizb Allah" auf, dass der Verein als von der "Hizb Allah" beeinflusst und gesteuert anzusehen und seine Aktivitäten als "Hizb Allah"-Aktivitäten zu qualifizieren seien. Auch verfolge die im Jahre 1982 gegründete "Hizb Allah" Bestrebungen, welche durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Die "Hizb Allah" gelte als gewaltbereite Terrororganisation mit dem erklärten Ziel der Vernichtung Israels.

Der Kläger habe auch vor seiner Einbürgerung nicht glaubhaft gemacht, sich von der Unterstützung der Bestrebungen der "Hizb Allah" abgewandt zu haben. Ein derartiges Abwenden habe er weder in seinen Erklärungen vom 2.7.2001 bzw. 22.5.2003 noch in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts geltend gemacht. Da es somit an der gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG gefehlt habe, hätte die Beklagte die begehrte Einbürgerung zwingend ablehnen müssen. Der Kläger habe seine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung durch bewusste Täuschung erlangt. Er habe es in seinen Bekenntniserklärungen vom 2.7.2001 und 22.5.2003 bewusst unterlassen, Angaben über seine Tätigkeit in der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. Stuttgart und seine weiteren Unterstützungshandlungen für die "Hizb Allah" zu tätigen. Er habe in seinen Loyalitätserklärungen bewusst wahrheitswidrig versichert, keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu unterstützen. Als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft e.V. und als Teilnehmer an zahlreichen Veranstaltungen habe ihm die Unterstützung inkriminierter Bestrebungen bewusst sein müssen. Daher leide die von der Landeshauptstadt Stuttgart verfügte Rücknahme der rechtswidrigen Einbürgerung nicht an einem Ermessensfehler bzw. stelle sich nicht als unverhältnismäßig dar.

Gegen das am 17.11.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.11.2006 die bereits vom Verwaltungsgericht im Tenor seiner Entscheidung zugelassene Berufung eingelegt; er hat innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof verlängerten Berufungsbegründungsfrist beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 zu ändern und die Verfügung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 31.8.2005 i.d.F. des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufzuheben.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stelle § 48 LVwVfG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme seiner Einbürgerung dar. Das angegriffene Urteil gehe ohne ausreichende Begründung fälschlicherweise davon aus, er habe eine rechtswidrige Einbürgerung durch arglistige bzw. bewusste Täuschung erwirkt. Die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung, nämlich eine rechtswidrige Täuschungshandlung zur Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums, lägen nicht vor. Zutreffenderweise gehe die angegriffene Verfügung zwar davon aus, dass er als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft in Stuttgart tätig geworden sei. Dieser Umstand sei der Beklagten jedoch lange vor Verfügung der Einbürgerung bekannt gewesen, da seine Bestellung zum Schatzmeister dem Amt für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart bereits am 2.6.1999 angezeigt worden sei. Im Laufe des Einbürgerungsverfahrens habe die Beklagte auch von den Bedenken des Landeskriminalamts hinsichtlich seiner vermuteten Zugehörigkeit zu extremistischen Gruppierungen Kenntnis erlangt. In Übereinstimmung hiermit habe das Landesamt für Verfassungsschutz auf die Anfrage der Beklagten vom 17.2.2003 hin lediglich eine Zwischennachricht erteilt, wonach seine sicherheitsmäßige Überprüfung nicht abgeschlossen sei. Sämtliche für die Einbürgerung relevanten Erkenntnisse hätten sich im Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde in der Akte der Beklagten befunden und seien dieser daher bewusst gewesen. Bereits aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass er einen Irrtum erregt oder aufrechterhalten habe, welcher für die Einbürgerung kausal gewesen sei. Der Beklagten sei es verwehrt, die Rücknahmeentscheidung auf diese Umstände zu stützen, da sie die Einbürgerung in Kenntnis des konkreten und bekannten Sachverhalts verfügt habe. Unzutreffenderweise setze das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts seine Tätigkeit als Kassierer bei der islamischen Kulturgemeinschaft mit einer Unterstützung radikaler Ziele der "Hizb Allah" gleich. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der "Hizb Allah" tatsächlich um eine Organisation handle, welche durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichteter Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährde. Entgegen der Annahme der Beklagten gebe es die "Hizb Allah" als solche nicht, vielmehr seien bei dieser Organisation verschiedene Flügel und Richtungen erkennbar. Die "Hizb Allah" sei im heutigen Libanon, dem wohl demokratischsten Staat im Nahen Osten, als größte Organisation der Muslime im Parlament vertreten. Zu keinem Zeitpunkt habe sie den Versuch unternommen, den Libanon in einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild zu verwandeln, vielmehr erkenne sie das pluralistische System des Libanon ausdrücklich an. Im Übrigen verfolge die "Hizb Allah" nicht ausschließlich politische Ziele, sondern unterhalte im Libanon sehr viele soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Es sei daher verfehlt, die "Hizb Allah" auf das angebliche Ziel der Vernichtung Israels und der Verübung von Gewalttaten zu reduzieren. Jedenfalls gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die "Hizb Allah" außerhalb des Libanon oder gar in Deutschland antidemokratische und verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Unabhängig hiervon stelle das angegriffene Urteil die ihm unterstellte Verbindung als Schatzmeister der islamischen Kulturgemeinschaft zum vermeintlich gewaltbereiten Teil der "Hizb Allah" nicht dar. Eine Verbindung zwischen dem Kulturverein und den Rednern, welche angeblich der "Hizb Allah" nahestünden, lasse in keiner Weise erkennen, aufgrund welcher Tatsachen ihm verfassungsfeindliche Ziele unterstellt würden. Er selbst habe die Teilnahme an den vorgehaltenen Veranstaltungen des islamischen Kulturvereins nie bestritten, diese sei jedoch lediglich in seiner Funktion als Kassierer erfolgt. Er habe an diesen Veranstaltungen teilgenommen, um Mitgliedsbeiträge von den Mitgliedern des Kulturvereins zu erheben, wofür man ihn als Kassierer gewählt habe. Die gesammelten Gelder würden benötigt, um den Verein und dessen kulturelle Veranstaltungen zu finanzieren. Er selbst habe auf keiner einzigen Veranstaltung das Wort ergriffen oder eine Meinung kundgetan, aus der auf eine verfassungswidrige Haltung geschlossen werden könne. Aus seiner bloßen Anwesenheit bei den in der angegriffenen Verfügung aufgeführten Veranstaltungen lasse sich in keiner Weise schließen, dass er den Inhalt der Reden geteilt und damit selbst verfassungswidrige Zielsetzungen unterstützt habe. Lediglich hilfsweise sei zu beachten, dass er sich durch die Widerspruchsbegründung, die Klagebegründung und die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts von ihm unterstellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen distanziert habe.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hebt hervor, die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG stelle im Falle einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Kläger wahrheitswidrig eine Erklärung hinsichtlich seiner Verfassungstreue abgegeben habe. Sein Vortrag im gerichtlichen Verfahren, er habe die inhaltliche Ausrichtung und die Ziele der islamischen Kulturgemeinschaft nicht geteilt, sei als unglaubhaft und verfahrensangepasst zu bewerten. Gerade in Anbetracht seiner Funktion als Schatzmeister sei nicht nachzuvollziehen, dass er über die Ausrichtung dieser Vereinigung nicht in Kenntnis gewesen sei; dies gelte auch hinsichtlich der Ausführungen bezüglich einer Aufsplitterung der "Hizb Allah" in verschiedene mehr oder weniger gewaltbereite Flügel.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten der Landeshauptstadt Stuttgart vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts verwiesen; diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.9.2006 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der vom Senat verlängerten Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), ist zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei gemäß § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO an die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch den Einzelrichter des Verwaltungsgerichts, auf welchen der Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO übertragen worden war, gebunden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die Fälle der Berufungszulassung durch die Kammer, sondern erfasst auch die Zulassung durch den Einzelrichter. Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit nach § 6 VwGO übertragen worden ist, entscheidet als Verwaltungsgericht im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.7.2004 - 5 C 65.03 - NVwZ 2005, 98). Die Bindung an die Zulassung durch den Einzelrichter entfällt nicht deshalb, weil die Übertragung des Rechtsstreits auf ihn voraussetzt, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO), die Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hingegen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert. Die gegenläufigen Voraussetzungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter ausschließen wollen (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 9.3.2005 - 6 C 8/04 -, NVwZ 2005, 821). Dahingestellt kann bleiben, ob die Bindung an die Zulassung eines Rechtsmittels durch den Einzelrichter dann entfällt, wenn sie im Einzelfall unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.9.2004 - 1 C 10.03 - juris). Denn Anhaltspunkte für eine manipulative oder objektiv willkürliche Missachtung der einschlägigen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind hier nicht ersichtlich.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 31.8.2005 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.11.2005 aufheben müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die Verfügung, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.

1. Für die Rücknahme der im Jahre 2003 erfolgten Einbürgerung fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 -, DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, DVBl. 2004, 322; Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 -, DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht von jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG a.F., auf deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthalten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach dem StAG bzw. nach § 85 f. AuslG a.F. anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 -, InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.). Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 -, AuAS 2007, 77; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris; Urteil des Senats vom 9.8.2007 - 13 S 2885/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen -). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer Erwirkung durch arglistige Täuschung oder durch vergleichbar vorwerfbares Verhalten liegt hier nicht vor. Hierzu im Einzelnen:

Dahingestellt kann bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom 22.5.2003 tatsächlich rechtswidrig war, insbesondere ob es sich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - bei den vom Kläger am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 abgegebenen Loyalitätserklärungen lediglich um "Lippenbekenntnisse" gehandelt hat, die nicht von der erforderlichen inneren Überzeugung getragen waren. In seinem Beschluss vom 12.12.2005 (- 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484) hat sich der Senat dazu geäußert, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F. nicht genüge; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen und stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Dies bedarf hier ebenso wenig weiterer Klärung wie die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die dort genannten inkriminierten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt bzw. verfolgt oder unterstützt hat (vgl. § 86 Nr. 2 AuslG a.F.). Dahingestellt kann insbesondere bleiben, ob der dem Kläger in der angegriffenen Verfügung vorgeworfene Besuch von Veranstaltungen der "Hizb Allah" in dem Zeitraum von 1999 bis 2003 bzw. seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. eine inkriminierte Bestrebung im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG a.F. darstellt. Denn auch eine rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.), der sich der Senat angeschlossen hat, auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu Hess.VGH, Urteil vom 18.1.2007, a.a.O.), und es fehlt jedenfalls an der Erlangung der Staatsbürgerschaft durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbar vorwerfbares Verhalten des Klägers.

Dieser überzeugenden neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der Senat in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung an. Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort die Einbürgerung nachweislich durch eine bewusste Täuschung des Eingebürgerten herbeigeführt worden ist und diese zeitnah zurückgenommen wurde. Unter Hervorhebung dieser Umstände haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes "in diesem Fall" mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Der Umstand, dass es sich um eine durch bewusste Täuschung erwirkte bzw. "erschlichene" Einbürgerung handelte, wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn. 32, 56, 60, 62, 70, 72, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird auch mehrfach betont, wenn der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt hat und diese zeitnah zurückgenommen wurde, werde der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme habe voraussehen können (vgl. Rn. 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten "Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände" vor Augen, der sich nach ihrer Auffassung unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O., Rn 85) "rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich" (a.a.O, Rn. 86) durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme der Beklagten, dass § 48 LVwVfG für die Rücknahme einer nicht durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer nicht in vorwerfbarer Weise erwirkten Einbürgerung offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme darstellt, wenn der Betroffene seine Einbürgerung selbst nachweislich durch Täuschung erwirkt hat. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, welche der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, kann der Betroffene nur im Fall einer "erschlichenen" Einbürgerung die spätere Rechtsfolge der Rücknahme auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG in Verbindung mit dem analog anwendbaren § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG sowie der vom Bundesverfassungsgericht für anwendbar erklärten gefestigten Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Täuschungsfällen vorhersehen.

Für diese im Hinblick auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 LVwVfG enge Auslegung sprechen im Übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigenstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Er bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände lediglich bei arglistigem oder vergleichbar vorwerfbarem Handeln des Betroffenen überwiegt.

Auch das die Bundesrepublik Deutschland bindende Völkerrecht, das der Verfassungsgeber bei Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich vor Augen hatte, stellt jedenfalls in dem Fall, dass der Betroffene durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird, maßgeblich darauf ab, unter welchen Umständen die Einbürgerung erlangt worden ist. Bereits das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30.8.1961 (BGBl. 1977 II, S. 597 ff.), das auf eine Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1954 zurückgeht, verbietet zwar in Art. 8 Abs. 1 grundsätzlich die Entziehung der Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird, lässt aber eine Ausnahme ausdrücklich für den Fall zu, dass die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben wurde (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchstabe b des Übereinkommens). Das im Rahmen des Europarats aufgelegte Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II, S. 578), das die Bundesrepublik Deutschland am 11.5.2005 ratifiziert hat, gestattet in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b einen Verlust der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates u. a. für den Fall, dass diese in einer dem Antragsteller zurechenbaren Weise durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder durch Verschleierung einer erheblichen Tatsache erworben wurde.

Der Kläger hat seine Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erwirkt. Das Tatbestandsmerkmal des "Erwirkens" setzt ein zweck-und zielgerichtetes Handeln voraus, das auf eine Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 - BVerwGE 68, 159). Nach der vor allem in der mündlichen Verhandlung durch informatorische Befragung des Klägers gewonnenen Überzeugung des Senats lässt sich nicht feststellen, dass dieser bei Abgabe der Loyalitätserklärungen am 2.7.2001 bzw. am 22.5.2003 wissentlich und zweckgerichtet von ihm etwa unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen hat, um seine Einbürgerung in rechtswidriger Weise zu erreichen. Die von der Beklagten geforderte Erklärung, keine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu verfolgen oder zu unterstützen, setzt von dem Einbürgerungsbewerber eine Wertung in zweifacher Hinsicht voraus. Sie unterscheidet sich dabei wesentlich von ihrer Struktur nach einfachen Fragen, die etwa durch Ankreuzen bzw. mit "ja" oder "nein" zu beantworten sind, etwa Fragen nach anhängigen Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften in konkret genannten Vereinigungen oder Personenstandsverhältnissen. Bei der standardisierten Loyalitätserklärung, die die Beklagte dem Kläger vorgelegt hat, muss der Einbürgerungsbewerber zum einen selbst bewerten, ob er den ihm vorgegebenen Kriterien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für sich zustimmen kann und ob sein Verhalten, etwa seine Aktivität in Ausländervereinen, diesen Kriterien entspricht. Zum anderen muss der Einbürgerungsbewerber einzuschätzen versuchen, wie seine Aktivitäten mutmaßlich von der Einbürgerungsbehörde eingestuft werden; er trägt insoweit ein mit der Abstraktheit der Fragestellung steigendes Risiko, dass ihm "unrichtige Angaben" i.S. von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG vorgeworfen werden.

Danach lag es für den Kläger nicht nahe, seine Aktivitäten bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V., die er selbst als in erster Linie religiös bzw. kulturell motivierte Betätigung ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach einer Mitgliedschaft in islamistisch geprägten Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen. Gerade weil der Kläger seine Aktivitäten selbst lediglich als religiöse, nicht jedoch als politische Betätigung ansah, bestand für ihn kein Anlass, die in erster Linie der Beklagten obliegende Bewertung des Verhaltens und dessen Subsumtion unter § 86 Nr. 2 AuslG bzw. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG selbst zugrunde zu legen. Anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde dem Einbürgerungsbewerber eine Liste mit von ihr als verfassungsfeindlich erkannten Organisationen vorgelegt oder unter Hinweis auf die Anforderungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften bzw. früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt hätte. Denn dann hätte es dem Einbürgerungsbewerber oblegen, seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. zu offenbaren, und die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte vor der Einbürgerung die Möglichkeit gehabt, nach entsprechender Erkundigung bei Verfassungsschutzbehörden eine eigene Bewertung dieser Mitgliedschaft vorzunehmen. Sein Schweigen hätte dann bei entsprechender Bewertung der verschwiegenen Aktivitäten ohne weiteres zur Annahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung führen können. Ohne weitere konkretisierende Fragen der Einbürgerungsbehörde kann dagegen nicht festgestellt werden, dass der Kläger wissentlich für seine Einbürgerung relevante Umstände verschwiegen hat, um seine Einbürgerung auf rechtswidrige Weise zu erreichen.

Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob ein etwaiges Verschweigen des Klägers seiner Mitgliedschaft überhaupt für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kausal war. Zwar dürfte entgegen der Annahme des Klägers nicht davon auszugehen sein, dass der Einbürgerungsbehörde die an das für Vereinsangelegenheiten zuständige Sachgebiet der Landeshauptstadt Stuttgart gerichtete Anzeige vom 2.6.1999 über die Wahl des Klägers in den Vereinsvorstand der islamischen Kulturgemeinschaft Stuttgart e.V. bekannt war. Wie die Sitzungsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, werden derartige Mitteilungen amtsintern bereits aus Datenschutzgründen nicht an die Einbürgerungsbehörde weitergeleitet. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Beklagte vor Vollzug der Einbürgerung die Einbürgerungsakte nicht hinreichend auf etwaige inkriminierte Bestrebungen des Klägers ausgewertet hat. So bat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit an die Einbürgerungsstelle weitergeleitetem Schreiben vom 3.4.2001 um Übersendung der über den Kläger geführten Ausländerakten, wobei ausweislich eines Aktenvermerks diese Anfrage wegen der vermuteten Zugehörigkeit des Klägers zu extremistischen Gruppierungen erfolgte. Auch erteilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg im Falle des Klägers am 17.2.2003 lediglich eine Zwischennachricht dahingehend, dass die Überprüfungen in sicherheitsrechtlicher Hinsicht noch nicht habe abgeschlossen werden können. Wie sich dem Bearbeitungsblatt entnehmen lässt, wurde das Nichtvorliegen der Sicherheitsüberprüfung im Falle des Klägers übersehen und deshalb wohl lediglich aus Versehen seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband verfügt.

Dass die Rücknahme einer Einbürgerung über die Fälle von Täuschung oder vergleichbar vorwerfbarem Verhalten hinausgehend bei lediglich objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen (siehe § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist (vgl. so ausdrücklich noch Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - InfAuslR 2003, 205; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in seinem nachfolgenden Revisionsurteil vom 9.9.2003, a.a.O.), wird nach dem oben Gesagten nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann anzunehmen sein, wenn jedenfalls eine den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenäherte Fallkonstellation vorliegt. Denn nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG fällt der Vertrauensschutz bereits dann weg, wenn der Verwaltungsakt durch objektiv in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Nicht notwendig ist, dass die fehlerhaften Angaben schuldhaft gemacht worden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 255.86 -, BVerwGE 78, 139). Der Tatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG erfordert daher nicht, dass der Betroffene die Unrichtigkeit seiner Angaben positiv kannte oder kennen musste. Erforderlich ist lediglich, dass er erkannte oder erkennen musste, dass die entsprechende Angabe von ihm gefordert war (vgl. hierzu Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 164 zu § 48 VwVfG). Bei der Rücknahme einer Einbürgerung allein wegen objektiv unrichtiger Angaben handelt es sich um eine Verlustzufügung, die aus Sicht des Betroffenen willkürlich erfolgt und die er nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Dies begründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Verstoß gegen das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Rücknahme der Einbürgerung bei Ausschluss des Vertrauensschutzes lediglich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG ist daher nur in atypischen Konstellationen möglich, in denen das Verhalten des Betroffenen in subjektiver Hinsicht den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG angenähert ist. Eine derartig gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit kann etwa angenommen werden, wenn der Betroffene das Unterstützen einer offensichtlich verfassungsfeindlichen Bestrebung verschweigt bzw. eine konkrete Frage unzutreffend beantwortet.

Jedenfalls eine durch derartige besondere Umstände geprägte Fallkonstellation des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LVwVfG liegt hier nicht vor. Es lässt sich wohl nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger objektiv unrichtige Angaben über verfassungsfeindliche Betätigungen gemacht hat und die Einbürgerung deshalb auf dem Verschweigen von Umständen beruht, die allein oder überwiegend in seiner Sphäre liegen. Auch hier ist maßgeblich, dass vom Kläger keine Angaben über Betätigungen in Vereinen verlangt worden waren, sondern demgegenüber lediglich eine abstrakte Erklärung, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Im übrigen fehlt es nach dem oben Gesagten auch insoweit an der erforderlichen Kausalität von etwaigen objektiven Falschangaben.

Dahingestellt kann bleiben, ob die mit Bescheid vom 31.8.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung "zeitnah" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 9.8.2007, a.a.O.), erfolgt ist. Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es spricht freilich einiges dafür, dass es sich bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 22.5.2003 und dem Erlass der gegenständlichen Rücknahmeverfügung am 31.8.2005 verstrichenen Zeitraum von lediglich knapp über zwei Jahren noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Hierfür spricht etwa, dass gemäß der - nach dem oben Gesagten hier nicht anwendbaren - Bestimmung des § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden kann. Es spricht deshalb einiges dafür, dass bei einem zwischen Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme auszugehen ist.

2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind auch insoweit rechtswidrig, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig (vgl. § 52 Abs. 1 LVwVfG).

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob und unter welchen Umständen die Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neuren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, noch nicht geklärt (vgl. hierzu § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Beschluss vom 17. September 2007

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

In Anlehnung an Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.

Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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