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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 23.02.2005
Aktenzeichen: 13 S 2949/04
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 102 Abs. 1
AufenthG § 104 Abs. 1
Haben die Ausländerbehörden einen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung eines befristeten Aufenthaltstitels vor dem 1.1.2005 aus Ermessensgründen abgelehnt, sind für die Frage, ob der Aufenthaltstitel zwingend versagt und erteilt werden muss, als gerichtlicher Prüfungsmaßstab die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes maßgebend.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 2949/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Aufenthaltsbewilligung und Abschiebungsandrohung

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Jacob, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ridder und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schaefer

am 23. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1. Dezember 2004 - 13 K 3304/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) sowie inhaltlich den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügende Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Auch bei Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren besteht keine rechtliche Veranlassung, ihr den erstrebten vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.7.2004 zu gewähren. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin es abgelehnt, die Aufenthaltsbewilligung der Antragstellerin zum Zwecke der Aufnahme einer Ausbildung zur chemisch-technischen Assistentin beim Deutschen Erwachsenen-Bildungswerk in Fellbach zu verlängern, sie zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach China angedroht.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die gemäß § 72 Abs. 1 AuslG bzw. § 84 Abs. 1 Nr. 1 des seit 1.1.2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes (im folgenden: AufenthG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbare Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nicht in Betracht kommt, weil bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Interessenabwägung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug dieser Verfügung das private Interesse der Antragstellerin überwiegt, vorläufig von deren sofortiger Vollziehung verschont zu bleiben. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage der Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben.

Die rechtliche Beurteilung der Ablehnung des Aufenthaltsbewilligungsantrags in der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin vom 22.7.2004 beurteilt sich nach dem seit dem 1.1.2005 geltenden Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) vom 30.6.2004 (BGBl I S. 1950). Hieran ändert sich nichts im Hinblick darauf, dass der Widerspruch der Antragstellerin noch vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes, nämlich mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.8.2004, beschieden worden ist. Das während des Beschwerdeverfahrens in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz enthält keine unmittelbare Aussage zu der Frage, ob und inwieweit für den von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Studien- und Ausbildungszwecken das neue Recht maßgebend ist. Nach § 102 Abs. 1 AufenthG bleiben andere ausländerrechtliche Maßnahmen als die nach Maßgabe des § 101 AufenthG in das neue Recht übergeleiteten Aufenthaltsgenehmigungen wirksam. Aus dieser Regelung lässt sich nicht entnehmen, dass sich durch das Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes etwas an dem für das Ausländergesetz 1990 und bereits für das davor geltende Ausländergesetz 1965 entwickelten Rechtssatz ändern sollte, wonach z.B. für die rechtliche Kontrolle der nachträglichen Befristung eine Aufenthaltserlaubnis oder der Ausweisung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich ist. Daraus folgt jedoch andererseits nicht, dass auch für Verpflichtungsbegehren, die von der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde noch unter der Geltung des bisherigen Rechts beschieden wurden, das - neue -Aufenthaltsgesetz in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren als gerichtlicher Prüfungsmaßstab ausschiede. Wird nämlich mit einer Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts erstrebt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur dann verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage auch verpflichtet ist. Ändert sich die Rechtslage, muss mithin die neue Rechtslage auch dann berücksichtigt werden, wenn sie dem Rechtsschutzsuchenden nachteilig ist, es sei denn, dass sich aus der Rechtsordnung ergibt, dass für frühere Anträge die bisherige Rechtslage maßgebend bleiben soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.8.1996 - 1 B 82/95 -, InfAuslR 1996, 339 und Urteil vom 21.1.1992 - 1 C 21/87 -, InfAuslR 1992, 205). Dem entspricht auch die ständige Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für die Frage, ob die Erteilung eines aufenthaltsrechtlichen Titels zwingend versagt oder erteilt werden muss, grundsätzlich die Rechtslage im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung maßgebend ist, so dass insoweit Änderungen der Rechtsordnung seit der behördlichen Ablehnung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (vgl. insoweit Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 102 RdNr. 2 f.). Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dem auch dann nicht entgegen, wenn die neue Regelung für den Ausländer weniger günstig sein sollte (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.12.1985 - 2 BvL 18/83 -, BVerfGE 71, 255). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass durch die Regelung der §§ 101 f. AufenthG die Anwendung obiger Grundsätze ausgeschlossen werden sollte. Für die Anwendung neuen Rechts spricht auch ein Umkehrschluss an § 104 Abs. 1 AufenthG; dies gilt jedenfalls dort, wo neues Recht einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel gewährt oder aber einen solchen Titel zwingend versagt. Bei einer unter altem Recht erfolgten und auch nach neuem Recht noch möglichen Ermessensausübung mag es sich anders verhalten (zur Anwendung alten Rechts in solchen Fällen siehe BVerwG, Urteil vom 21.1.1992 - 1 C 49/88 -, NVwZ 1992, 1211 und Urteil des Senats vom 28.10.1992 - 13 S 714/92 -, zitiert nach juris).

Die danach erforderliche Prüfung ergibt, dass der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung nach dem Aufenthaltsgesetz nicht erteilt werden darf.

Bei der von der Antragstellerin nunmehr angestrebten Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin an der Medizinisch Technischen Akademie Esslingen (MTAE) handelt es sich, wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat, um eine schulische (Berufs-)Ausbildung. Unbeachtlich ist insoweit, dass von den Berufsfachschülern begleitend zum schulischen Unterricht verschiedene Praktika absolviert werden müssen. Hierdurch verändert sich die Ausbildung zum medizinisch-technischen Assistenten nicht in dem Sinne, dass sie den Charakter einer betrieblichen Aus- und Weiterbildung im Sinne von § 17 AufenthG annimmt.

Nach § 16 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, und in Ausnahmefällen auch für den Schulbesuch erteilt werden, wobei gemäß § 16 Abs. 5 Satz 2 AufenthG Abs. 2 dieser Vorschrift entsprechend gilt. Nach dieser Vorschrift soll dem Ausländer während seines Aufenthalts zum Zwecke der Teilnahme an Sprachkursen bzw. zum Zwecke des Schulbesuchs keine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck erteilt oder verlängert werden, sofern kein gesetzlicher Anspruch besteht. Diese Vorschrift schließt es aus, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zum Besuch der MTAE zu erteilen. Der Antragstellerin war eine Aufenthaltsbewilligung in der Form des Visums für einen Sprachkurs und für eine anschließende Ausbildung in der Fachrichtung Betriebswirtschaft am International College Bremerhaven (ICB) erteilt worden. Die Ausbildung am ICB hat die Antragstellerin niemals aufgenommen; sie strebt nunmehr - wie schon oben ausgeführt - die Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin an. Diese Ausbildung stellt einen gänzlich andersgearteten Ausbildungsgang dar und wird vom bisherigen Aufenthaltszweck nicht gedeckt, so dass eine Änderung des Aufenthaltszwecks im Sinne von § 16 Abs. 2 AufenthG vorliegt. Einem "anderem" Zweck diente der Aufenthalt nämlich immer schon dann, wenn der Ausländer von demjenigen Aufenthaltszweck abweichen will, der der ursprünglichen Erteilung der Aufenthalterlaubnis zugrunde lag. § 16 Abs. 2 AufenthG ist als "Soll"-Vorschrift im verwaltungsrechtlichen Sinne ausgestaltet. Derartige Normen sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betrauten Behörden rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil 2.7.1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 276 m.N.). Für das Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls bestehen im Fall der Antragstellerin keine Anhaltspunkte. Ausnahmefälle sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann im Fall der Antragstellerin nicht ausgegangen werden. Richtig ist zwar, dass die Antragstellerin ihre Ausbildung am ICB in Bremerhaven wohl deshalb nicht aufnehmen konnte, weil dieses Institut zu einem unbekannten Zeitpunkt nach ihrer Einreise geschlossen worden ist. Das der Antragstellerin erteilte Visum war jedoch auf diese konkrete Ausbildung am ICB in Bremerhaven beschränkt. Sie konnte daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, im Falle eines Verlustes dieser Ausbildungsmöglichkeit auf eine völlig andere und letztlich auch nicht im öffentlichen Interesse liegende Berufsausbildung ausweichen zu können und hierfür eine Verlängerung der ihr erteilten Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Überdies war ihr schon vom Landeseinwohneramt Berlin eine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden, die nur den Zweck "Deutschkurs" umfasste. Vertrauensschutzgesichtspunkte kann die Antragstellerin daher für sich nicht in Anspruch nehmen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, in ihrem Fall vom Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalles auszugehen, der das Regel-Ausnahme-Prinzip durchbrechen und der Ausländerbehörde abweichend von der Sollvorschrift des § 16 Abs. 2 AufenthG eine Entscheidung nach Ermessen gestatten würde.

Selbst wenn man jedoch eine Ermessensentscheidung für rechtlich zulässig hielte, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Ermessenserwägungen, mit denen die Antragsgegnerin in ihrer Verfügung vom 22.7.2004 und das Regierungspräsidium Stuttgart in seinem Widerspruchsbescheid vom 25.8.2004 den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung abgelehnt haben, nicht zu beanstanden sind. Insoweit kann der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf den Seiten 3 und 4 des angefochtenen Beschlusses Bezug nehmen, die er sich zu eigen macht und die nach den oben dargestellten Grundsätzen ohne weiteres auch für die nunmehr von der Antragstellerin angestrebte Ausbildung Geltung beanspruchen können.

Hat die Antragsgegnerin hiernach die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Ausbildung zu Recht abgelehnt, so ist die Antragstellerin aller Voraussicht nach auch vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 50 Abs. 1 und 2, 59 AufenthG) und besteht auch kein Anlass die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung (§§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 12 LVwVG), anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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