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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 10.04.2006
Aktenzeichen: 13 S 358/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 113 Abs. 5 Satz 2
VwGO § 166
ZPO § 114
Zu den Voraussetzungen und Auswirkungen einer nur teilweisen Gewährung von Prozesskostenhilfe, wenn derjenige Teil des Streitgegenstandes, bei dem keine Erfolgsaussicht besteht, streitwertmäßig nicht relevant und bei der Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO möglicherweise zu vernachlässigen ist.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 358/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme einer Ausweisung

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 10. April 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (teilweise) ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. Januar 2006 - 9 K 2997/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die rechtzeitig (§ 147 Abs. 1 VwGO) erhobene Beschwerde des Klägers hat sachlich keinen Erfolg; es ist beschwerdegerichtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht der Klage (§§ 166 VwGO, 114 ZPO) lediglich insoweit angenommen hat, als der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung über seinen eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung betreffenden Rücknahmeantrag erreichen kann. Mit der Beschwerde wird - unabhängig von der Frage der Beschwer des Klägers durch die Teilablehnung - nicht ausreichend dargelegt, dass die Klage auch Erfolg haben wird, soweit mit ihr die unbedingte Verpflichtung des Beklagten auf Erlass einer Rücknahmeverfügung begehrt wird.

Es kann offen bleiben, inwieweit der Kläger durch die teilweise Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags überhaupt kostenrechtlich beschwert ist. Da die Prozesskostenhilfe hinsichtlich des Bescheidungsausspruchs bewilligt worden ist und die bei einer bloßen Bescheidungsklage im Sinn des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO anfallenden Anwaltsgebühren aus dem gleichen Streitwert (Regelstreitwert, 5.000,-- EUR, § 52 Abs. 2 GKG) zu bemessen wären wie bei einer (weitergehend) unmittelbar auf Rücknahmeentscheidung gerichteten Klage, ist - je nach dem später zu erwartenden Ausspruch des Gerichts - ohne weiteres denkbar, dass sich die teilweise Ablehnung der Prozesskostenhilfe für den Kläger kostenrechtlich überhaupt nicht auswirkt. Dies hängt nämlich davon ab, ob das Verwaltungsgericht bei einer späteren Sachentscheidung (insbesondere bei Erfolg der Bescheidungsklage und Klageabweisung im Übrigen, vgl. BVerwG, Urteil vom 13.11.1981 - 1 C 69.78 -, BayVBl 1982, 312) von der Möglichkeit des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO Gebrauch machen wird oder ob trotz des auch für die weitergehende Klage geltenden gleichen Streitwerts eine Kostenteilung nach Bruchteilen im Sinn von § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgt. Nur bei Kostenquotelung zu Lasten des Klägers im späteren Urteil würde sich die Ablehnung der Prozesskostenhilfegewährung hinsichtlich des "überschießenden" Antrags auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahmeverfügung für den Kläger auch kostenrechtlich auswirken; bei Abweisung der gesamten Klage ergäbe sich die Notwendigkeit, trotz Streitwertidentität bei der Kostenabrechnung jeweils einen - u.U. sogar unterschiedlichen - Gegenstandswert festzulegen. Dies mag dafür sprechen, aus Gründen der Praktikabilität jedenfalls dann eine einheitliche positive Prozesskostenhilfeentscheidung zu treffen, wenn der Teil des Streitgegenstandes, bei dem die erforderliche Erfolgsaussicht nicht gegeben ist, die Höhe des Streitwerts nicht beeinflusst und deshalb unter Kostengesichtspunkten aller Voraussicht nach nicht ins Gewicht fällt (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 19.11.1999 - 9 B 1599/98 - juris, zur teilweisen Prozesskostenhilfegewährung bei unterschiedlichen Streitwertverhältnissen siehe auch BVerfG, Beschluss vom 11.11.2004 - 2 BvR 387/00 -, NVwZ 2005, 323). Andererseits kann im jetzigen Verfahrensstadium das Ergebnis der dem Verwaltungsgericht im Rahmen des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO eröffneten Ermessensausübung durch das Beschwerdegericht nicht ausreichend konkret prognostiziert werden (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 29.11.1988 - 1 C 75/86 -, NVwZ 1989, 766), so dass zu Gunsten des Klägers im vorliegenden Zusammenhang von ausreichender prozessualer Beschwer auszugehen ist.

In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg, weil der Senat auch unter Berücksichtigung eines großzügigen Maßstabs (siehe dazu BVerfG, Beschlüsse vom 13.07.2005 - 1 BvR 1041/05 -, NVwZ 2005, 1418, vom 05.02.2003 - 1 BvR 1526/02 -, NJW 2003, 1857, und vom 07.04.2000, - 1 BvR 81/00 -, NJW 2000, 1938) von der erforderlichen Erfolgsaussicht der unmittelbar auf Rücknahme der Ausweisung gerichteten Klage nicht ausgehen kann. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Soweit der Kläger geltend macht, die gegen ihn ergangene Ausweisungsverfügung sei nicht nur wegen Verstoßes gegen die Richtlinie 64/221/EG formell rechtswidrig, sondern auch materiell rechtswidrig, weil wegen Fehlens der Befristung Art. 8 EMRK verletzt sei, übersieht er, dass diese Vorschrift bei wie im Fall des Klägers volljährigen Kindern nur eingeschränkte Schutzwirkungen entfaltet (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 18.11.1997 - 1 C 22/96 -, InfAuslR 1998, 161 und die Nachweise aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei BVerfG, Beschluss vom 01.03.2004 - 2 BvR 1570/03 -, DVBl. 2004, 1097); die von ihm angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.04.2003 - Yilmaz - 52853/99 -, NJW 2004, 2147) hatte dementsprechend einen Ausländer mit minderjährigen Kindern zum Gegenstand. Auch die sonstigen materiell-rechtlichen Beanstandungen des Klägers gegen die die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts greifen nicht durch; insofern macht sich der Senat die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur hilfsweisen Ermessensausübung in der damaligen Ausweisungsentscheidung zu eigen.

Soweit der Kläger einen Anspruch auf Rücknahme der gegen ihn ergangenen bestandskräftigen Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 29.05.2000 mit der Erwägung geltend macht, die Behörde sei verpflichtet, fortdauernde Belastungen und Beeinträchtigungen aus gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakten wie der hier zu beurteilenden Ausweisungsverfügung zu beseitigen, ist darauf hinzuweisen, dass die Wirkungen der Ausweisung durch die Befristungsverfügung des Beklagten vom 08.09.2005 mit Wirkung von diesem Tag an bereits beseitigt sind; von da her kann von einer fortdauernden gemeinschaftsrechtswidrigen Situation für die Zukunft nicht die Rede sein. Die Überlegung des Europäischen Gerichtshofs, die materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Rücknahme dürften die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (siehe EuGH, Urteil vom 14.12.1995 - Rs C 312/93 - Peter Broeck - Slg. 1995, I 4599; Urteil vom 02.02.1997 - Rs C 188/95 - Fantask - Slg. 1997, I 6783), der sich der Senat durchaus anschließen kann, begründet daher im vorliegenden Fall einen entsprechenden Rücknahmeanspruch nicht. Die Ausweisungswirkungen (Rückkehrverbot, Verbot der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, siehe § 8 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AuslG/§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG) sind durch die Befristungsentscheidung zugunsten des Klägers entfallen. Da der Kläger nach der Ausweisungsverfügung nicht mehr im Besitz seiner Aufenthaltserlaubnis war und das Bundesgebiet sogar vom Oktober 2000 bis zum August 2004 und erneut von September 2004 bis April 2005 auf lange Zeit verlassen hatte, ist auch nicht ersichtlich, dass die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts zu entscheidenden Wirkungsverlusten oder gar zur Umgehung des Gemeinschaftsrechts führen würde. Das Gemeinschaftsrecht verlangt es nicht unbedingt und grundsätzlich, dass eine Verwaltungsbehörde eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurücknimmt (siehe EuGH, Urteil vom 13.01.2004 - Rs C 453/00 - Kühne und Heitz - Slg. 2004, I 837).

Es wäre Sache des Beklagten, der bisher das Rücknahmeermessen noch gar nicht ausgeübt hat, nach einer entsprechenden Verurteilung dieses Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (s. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) auszuüben. In diesem Zusammenhang kann der Beklagte sich an den gegenwärtig geltenden materiell-rechtlichen Grundsätzen für die Ausweisung eines Unionsbürgers orientieren und darüber hinaus die konkrete Situation des Klägers und die Umstände der damals eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung berücksichtigen (siehe dazu Beschluss des Senats vom 07.11.2005 - 13 S 1895/05 -). Entsprechende Erwägungen hat der Beklagte, der bisher (wohl zu Unrecht) davon ausgegangen ist, ein entsprechendes Rücknahmeermessen sei nicht eröffnet, noch nicht angestellt. Die von dem Kläger letztlich erstrebte Rücknahme der Ausweisungsverfügung (ex tunc) kommt als denkbares Ergebnis der Abwägung zwar in Betracht; hieraus folgt aber nicht, dass sich die Erfolgsaussicht einer über die bloße Bescheidung hinausgehenden Klage im Fall des Klägers aufdrängt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses - Anlage 1 zum GKG n. F. - für die Zurückweisung der Beschwerde die Erhebung eines Festbetrags vorgesehen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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