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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 08.10.2008
Aktenzeichen: 13 S 709/07
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG


Vorschriften:

AufenthG § 26 Abs. 4
AufenthG § 35 Abs. 1
AufenthG § 102 Abs. 2
AufenthG § 104 Abs. 7
AuslG § 31
Jedenfalls seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist es ausgeschlossen, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich geregelten Anrechnungsbestimmungen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 709/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Niederlassungserlaubnis

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 8. Oktober 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2007 - 6 K 1717/06 - wird abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Niederlassungserlaubnis. Die Beteiligten streiten allein um deren mögliche Rechtsgrundlage und die Frage der Anrechnung von Aufenthaltszeiten; die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sind unstreitig gegeben.

Die am xxxxxxxxx im Irak geborene Klägerin stellte zusammen mit ihren Eltern und ihren Geschwistern am 30.11.1998 einen Asylantrag beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Das Bundesamt lehnte ihr Asylbegehren mit Bescheid vom 23.12.1998 ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Urteil vom 15.3.2000 - A 4 K 18/99 - ab; dieses Urteil ist seit dem 1.4.2000 rechtskräftig. In der Folgezeit wurde die Klägerin geduldet. Unter dem 2.8.2001 beantragte sie die Ausstellung eines Reisedokuments. Am 24.8.2001 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis, da im Falle ihres Vaters die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt seien und dieser im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sei. Laut Aktenvermerk vom 22.11.2000 (VAS.9) ging die Beklagte hierbei davon aus, der Familie könne es nicht zugemutet werden, getrennt voneinander zu leben; es lägen sowohl Abschiebungshindernisse als auch Hindernisse vor, die ihrer freiwilligen Ausreise entgegenstünden. Am 15.1.2003 verlängerte die Beklagte die der Klägerin erteilte Aufenthaltsbefugnis allein auf der Grundlage des § 31 AuslG bis zum 14.1.2005. Am 20.12.2004 wurde die Aufenthaltsbefugnis nochmals bis zum 19.3.2005 verlängert. Am 16.3.2005 erteilte die Beklagte der Klägerin eine "Aufenthaltserlaubnis Familie" auf der Rechtsgrundlage des § 34 Abs. 2 AufenthG. Die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich des Vaters der Klägerin ist mit Bescheid vom 19.7.2006 (bestandskräftig seit dem 8.8.2006) widerrufen worden.

Unter dem 16.11.2005 beantragte die Klägerin am 17.11.2005 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG. Einen förmlichen Antrag reichte die Klägerin unter dem 1.12.2005 nach. Mit Verfügung vom 21.3.2006 lehnte die Beklagte die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 27.3.2005 wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2006 zurück. In der Begründung wird ausgeführt: Die Ausländerbehörde habe die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin zu Recht als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 34 Abs. 2 AufenthG verlängert. Daher sei die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht möglich. Hierzu sei Voraussetzung, dass der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt sei. Erforderlich sei demnach eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes. Da die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 6 sei, könne eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht erteilt werden. Auch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach den §§ 9 und 35 AufenthG sei nicht möglich, da die Klägerin die zeitlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfülle. Die Anrechnungsvorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG beziehe sich lediglich auf § 26 Abs. 4 AufenthG.

Die Klägerin hat am 27.4.2006 Klage erhoben. Mit Urteil vom 28.2.2007 - der Klägerin am 2.3.2007 und der Beklagten am 7.3.2007 zugestellt - hat das Verwaltungsgericht Stuttgart den Bescheid der Beklagten vom 21.3.2006 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 11.4.2006 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Zwar komme die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG nicht in Betracht, weil Nr. 1 der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift - Besitz der Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren - nicht erfüllt sei. Ebenso scheide eine Erteilung nach § 26 Abs. 4 AufenthG aus. Die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin sei nicht nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, also aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, erteilt worden, sondern nach Eintritt der Volljährigkeit auf der Rechtsgrundlage des § 34 Abs. 3 AufenthG aus familiären Gründen, die in Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes geregelt seien. In der Person der Klägerin lägen jedoch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AufenthG vor. Allerdings seien die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 AufenthG nicht gegeben, da sie erst seit dem 16.3.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis "nach diesem Abschnitt" - also aus familiären Gründen - sei. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die eine Anrechnung der Dauer der Aufenthaltsbefugnis vorsehe, fehle. Sinn und Zweck der Neuregelung des Aufenthaltsrechts in dem 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz geböten es jedoch, die Dauer der Aufenthaltsbefugnis der Klägerin bei der Berechnung der fünfjährigen Aufenthaltserlaubnis zu berücksichtigen. Es sei naheliegend, dass es sich um ein gesetzgeberisches Versehen handle, wenn § 102 Abs. 2 AufenthG nur eine Anrechnungsregelung für eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG enthalte. Daher bedürfe es einer verfassungskonformen Auslegung des § 35 Abs. 1 AufenthG. Für die Annahme, der Gesetzgeber habe Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen besäßen, besser stellen wollen als solche, die im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 1 GG verbrieften Schutz der Familie einen Aufenthaltstitel erhalten hätten, seien keine sachlichen Gründe ersichtlich. Allerdings vermöge das Gericht nicht abschließend zu beurteilen, ob auch die weiteren Voraussetzungen des § 35 AufenthG erfüllt seien. Mangels Spruchreife habe die Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Berufung sei zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.

Die Beklagte hat ihre rechtzeitig eingelegte Berufung fristgerecht wie folgt begründet: Es handle sich nicht um ein gesetzgeberisches Versehen, wenn § 102 Abs. 2 AufenthG nur eine Anrechnungsregelung für eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG enthalte. Daher sei die Dauer einer früheren Aufenthaltsbefugnis bei der Berechnung der fünfjährigen Dauer der Aufenthaltserlaubnis in § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Dass der Gesetzgeber bezüglich der Anrechenbarkeit für die Zeiten einer Niederlassungserlaubnis auch an andere Aufenthaltstitel wie die Aufenthaltsbefugnis gedacht habe, zeige der Blick auf § 102 Abs. 2 AufenthG. Dort werde ausdrücklich nur § 26 Abs. 4 AufenthG genannt. Folgerichtig sähen auch die Vorläufigen Anwendungshinweise in Nr. 35.1.1.3 nicht vor, dass die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis in § 35 Abs. 1 AufenthG Anrechnung finde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2007 - 6 K 1717/06 - abzuändern, soweit der Klage darin stattgegeben worden ist, und die Klage insgesamt abzuweisen sowie - sinngemäß -

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin hat ebenfalls rechtzeitig Berufung eingelegt und begründet. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2007 - 6 K 1717/06 - abzuändern, soweit der Klage nicht stattgegeben wurde, und die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu erteilen,

hilfsweise, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage des § 26 Abs. 4 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und

höchsthilfsweise, festzustellen, dass die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorliegen und

den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2006 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 11. April 2006 aufzuheben, soweit sie diesen Verpflichtungen jeweils entgegenstehen. Weiter beantragt die Klägerin,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin führt zur Begründung ihrer Berufung aus: Zunächst sei nicht verständlich, warum das Verwaltungsgericht dem Hauptantrag nicht stattgegeben, sondern ein Bescheidungsurteil erlassen habe. Es bedürfe keiner analogen Anwendung des § 35 Abs. 1 AufenthG, da die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorlägen. Ausländer dürften nicht deshalb schlechter gestellt werden, weil sie bereits einen höherwertigen Aufenthaltstitel erreicht hätten. In der Sache verberge sich hinter den Aufenthaltstiteln aus familiären Gründen immer auch ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG, so dass dem Betreffenden jedenfalls auch im Hintergrund ein Aufenthaltsrecht nach dem 5. Abschnitt zur Seite stehe. Es gehe nicht darum, ob der Gesetzgeber in die Übergangsregelung des § 102 Abs. 2 AufenthG für die nach § 26 Abs. 4 AufenthG anrechnungsfähigen Zeiten den Begriff "Aufenthaltserlaubnis" aufgenommen habe oder nicht. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber schon bei der Grundregelung des § 26 Abs. 4 AufenthG selbstverständlich davon ausgegangen sei, dass auch der Besitz eines Aufenthaltsrechts, das nicht lediglich nach dem 5. Abschnitt begründet worden sei, in jedem Fall als gleichwertig mit einem Aufenthaltsrecht aus bloßen humanitären Gründen zu werten sei. Sie sei ursprünglich im Rahmen des Familiennachzugs zu ihrem Vater als anerkanntem Flüchtling nach Deutschland gekommen und habe insoweit eine Aufenthaltsbefugnis aus Gründen der Familieneinheit nach § 31 AuslG erhalten.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Dem Gericht liegen die einschlägigen Verwaltungsakten der Beklagten (2 Hefte), und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 6 K 1717/06 -vor. Diese Akten sind wie die Prozessakte Gegenstand der Entscheidung; wegen der näheren Einzelheiten wird hierauf ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Berufungen der Beklagten und der Klägerin entscheiden, da beide Beteiligte auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

I. Beide Berufungen sind zulässig, obwohl sich im Tenor der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts kein Ausspruch über die Zulassung der Berufung findet. Denn eine ausdrückliche Zulassung der Berufung im Tenor ist aus Gründen der Rechtssicherheit zwar wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 124a Rn. 10). Eine in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Zulassung genügt zumindest dann, wenn sie eindeutig und unmissverständlich ist. Dies ist hier der Fall. Dem angefochtenen Urteil ist nicht nur eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die auf die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht zugeschnitten ist, sondern es enthält in den Entscheidungsgründen (UAS. 9) auch Ausführungen dazu, dass die Berufung zuzulassen sei, weil die Frage, ob die Geltungsdauer einer Aufenthaltsbefugnis bei der Berechnung der Voraufenthaltszeiten im Rahmen des § 35 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen sei, grundsätzliche Bedeutung habe. Hieraus ergibt sich mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass das Verwaltungsgericht die Berufung zulassen wollte und auch zugelassen hat.

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil der Klägerin keine Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG (1.) oder auf der Grundlage des § 26 Abs. 4 AufenthG (2.) erteilt werden kann. Daher bleibt die Berufung der Klägerin ohne Erfolg; ihre Verpflichtungsklage ist mit ihrem Haupt- und ihren Hilfsanträgen unbegründet (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).

1. Die Klägerin hat in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Sie ist insbesondere nicht seit mehr als fünf Jahren im Besitz einer "Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt" i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Denn der Zeitraum des Besitzes der ihr am 24.8.2001 nach altem Recht auf der Grundlage des § 31 AuslG erteilten Aufenthaltsbefugnis ist nicht anzurechnen.

a) Zwar entspricht die Aufenthaltsbefugnis, die der Klägerin nach altem Recht auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 AuslG erteilt worden ist, wohl grundsätzlich einem Titel, der zum Aufenthalt aus familiären Gründen erteilt worden ist. Im Falle der Verlängerung eines ursprünglich als Aufenthaltsbefugnis erteilten Aufenthaltstitels zum Familiennachzug ist dies in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.10.2006 - 11 S 387/06 -; OVG Nds., Beschluss vom 16.5.2006 - 5 ME 112/06 -, jeweils juris;). Auch die Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz gehen unter Nr. 101.2.3.5 davon aus, dass Aufenthaltsbefugnisse, die nach § 31 AuslG zum Zwecke des Familiennachzugs erteilt wurden, als Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 27 bis 36 AufenthG - also nach dem 6. und nicht etwa dem 5. Abschnitt - fortgelten. Von daher hat im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Februar 2007 durchaus manches für die von ihm vorgenommene Anrechnung der entsprechenden Voraufenthaltszeiten im Rahmen einer erweiternden oder analogen Anwendung des 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG gesprochen.

Allerdings stand möglicherweise auch schon im Februar 2007 die Vorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG dieser Anrechnung entgegen (vgl. einerseits Dienelt, InfAuslR 2005, 247; andererseits VG Göttingen, Urteil vom 17.7.2007 - 2 A 543/05 -; VG Ansbach, Beschluss vom 2.10.2006 - AN 19 K 06.02011 -, jeweils juris). Nach § 102 Abs. 2 AufenthG wird auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder Duldung vor dem 1.1.2005 angerechnet. Schon daraus wird im Umkehrschluss möglicherweise zu folgern sein, dass in allen anderen Fällen eine solche Anrechnung ausscheidet (vgl. für Duldungszeiten: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.5.2008 - 11 S 942/08 -, juris).

b) Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Richtlinienumsetzungsgesetz) vom 19.8.2007 (BGBl. I 2007, 1970) am 28.8.2007 ist es ausgeschlossen, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich geregelten Anrechnungsregelungen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG anzurechnenden Aufenthaltszeiten zu berücksichtigen. Denn der Gesetzgeber hat diese hier relevante Frage nunmehr gesehen und einer abschließenden Regelung zugeführt.

Schon der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem der Anrechnung von Voraufenthaltszeiten auf der Grundlage einer Aufenthaltsbefugnis gesehen hat und mit einer Neuregelung abschließend regeln wollte. Nach § 104 Abs. 7 AufenthG kann - unter anderem - eine Niederlassungserlaubnis auch den minderjährigen ledigen Kindern eines Ausländers erteilt werden, die vor dem 1.1.2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 des Ausländergesetzes oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 2 des Ausländergesetzes waren, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt sind und sie weiterhin die Voraussetzungen erfüllen, wonach eine Aufenthaltsbefugnis nach § 31 des Ausländergesetzes oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 2 des Ausländergesetzes erteilt werden durfte.

Ausdrücklich bestätigt wird diese Auslegung durch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/5065, 201). Darin wird ausgeführt, die Neuregelung des § 104 diene dazu, unter anderem den minderjährigen Kindern, die vor dem 1.1.2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 oder § 35 Abs. 2 AuslG waren, auch nach dem Aufenthaltsgesetz eine Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus unter Anrechnung ihrer Aufenthaltsbefugniszeiten zu ermöglichen. Aufgrund der Neuregelung könne in diesen Fällen zukünftig eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorlägen und der Rechtsgrund für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis weiterhin bestehe. Zum Zeitpunkt der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis müsse das Kind insbesondere noch minderjährig sein.

Somit scheidet im Falle der Klägerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 104 Abs. 7 AufenthG schon deshalb aus, weil sie nicht mehr minderjährig ist. Von diesem Erfordernis kann auch nicht im Wege einer erweiternden Auslegung oder einer analogen Anwendung des § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG abgewichen werden. Regelt der Gesetzgeber unter Kenntnis des Problems eine Fallgruppe ausdrücklich in einem bestimmten Sinne, ist es den Gerichten verwehrt, sich darüber hinweg zu setzen.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG. Diese Vorschrift setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut ("... seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt ...") voraus, dass der begünstigte Ausländer derzeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes erteilt worden ist, also einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 19.5.2008, a.a.O. und vom 29.5.2007 - 11 S 2093/06 -, ESVGH 57, 248; Jakober/Welte, Aktuelles Aufenthaltsrecht, § 26 AufenthG Rn. 16).

Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Jedenfalls seit dem 15.1.2003 besitzt sie Aufenthaltstitel zum Aufenthalt aus familiären Gründen, die jetzt im 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes geregelt sind. Laut Aktenvermerk vom 22.11.2000 (VAS.9) ging die Beklagte bei der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für die Klägerin noch davon aus, der Familie könne es nicht zugemutet werden, getrennt voneinander zu leben; es lägen sowohl Abschiebungshindernisse als auch Hindernisse vor, die ihrer freiwilligen Ausreise entgegenstünden. Am 15.1.2003 verlängerte die Beklagte die der Klägerin erteilte Aufenthaltsbefugnis indes allein auf der Grundlage des § 31 AuslG bis zum 14.1.2005. Am 20.12.2004 wurde die Aufenthaltsbefugnis nochmals bis zum 19.3.2005 verlängert. Am 16.3.2005 erteilte die Beklagte der Klägerin eine "Aufenthaltserlaubnis Familie" auf der Rechtsgrundlage des § 34 Abs. 2 AufenthG.

Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an, ob zusätzlich materiell noch humanitäre Gründe neben den familiären Gründen vorliegen. Aber selbst wenn man von der entgegen gesetzten Rechtsauffassung der volljährigen und mittlerweile wohl geschiedenen Klägerin ausginge, könnte dies ihrem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen, denn solche humanitären Gründe sind in ihrem Falle nicht ersichtlich. Dass sie mittlerweile nach dem Scheitern ihrer Ehe wieder mit ihren Eltern und ihren Geschwistern zusammenlebt, genügt hierfür offenkundig nicht. Auch dass ihr möglicherweise ein eigenständiges Aufenthaltsrecht als geschiedene Ehegattin zusteht, ist nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes den familiären Gründen des 6. Abschnitts zuzuordnen. Soweit sie schließlich geltend macht, ein "Zurückstoßen" in den Irak stelle für sie als alleinstehende geschiedene Frau eine außergewöhnliche Härte dar, übersieht sie, dass sie sich auf zielstaatsbezogene Gesichtspunkte im vorliegenden Verfahren nicht berufen kann. Ein Ausländer kann die Unzumutbarkeit seiner freiwilligen Ausreise nicht auf eine zielstaatsbezogene Gefahrensituation im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG stützen, wenn das zuständige Bundesamt eine solche Feststellung bindend abgelehnt hat (s. § 42 Satz 1 AsylVfG; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14/05 -, BVerwGE 126, 192 = NVwZ 2006, 1418; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.4.2007 - 11 S 1035/06 - und Beschluss vom 22.8.2007 - 13 S 163/07 -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.9.2007 - 11 LB 69/07 -, DVBl. 2007, 57).

Stellt die auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 AuslG erteilte Aufenthaltsbefugnis einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen dar, entspricht es im Übrigen auch dem "Trennungsprinzip" (grundlegend BVerwG, Urteil vom 4.9.2007 - 1 C 43.06 -, BVerwGE 129, 226 = NVwZ 2008, 333; s. auch juris-Praxisreport 7/2008, Anm. 4), die entsprechende Aufenthaltszeit im Rahmen des § 26 Abs. 4 AufenthG nicht zu berücksichtigen. Ein Wechsel des Aufenthaltszwecks steht einer Anrechnung von Voraufenthaltszeiten grundsätzlich entgegen.

Schließlich steht auch im Rahmen des § 26 Abs. 4 AufenthG einer über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehenden Auslegung der in der Neuregelung des § 104 Abs. 7 AufenthG zum Ausdruck gekommene Regelungswillen des Gesetzgebers entgegen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen (unter II.1.b) verwiesen werden.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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