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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.01.2009
Aktenzeichen: 13 S 729/08
Rechtsgebiete: StAG


Vorschriften:

StAG § 8 Abs. 1
StAG § 11 Satz 1 Nr. 1 (a.F.)
Es ist in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, wenn die Behörden im Rahmen einer Ermessenseinbürgerung ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache fordern.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 729/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Einbürgerung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 22. Januar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. März 2007 - 2 K 2390/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.

Der Kläger wurde am xxxx1970 in xxxx in der Türkei geboren. Er ist türkischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben kann er nicht lesen oder schreiben, da er nie eine Schule besucht hat. Im August 1989 reiste er zusammen mit seiner Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Er hat mittlerweile sechs Kinder, die 1986, 1987, 1988, 1990 (zwei Kinder) und 1996 geboren wurden.

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik stellte der Kläger einen Asylantrag. In seinem Asylverfahren gab er an, dass er die PKK durch zahlreiche Maßnahmen, u.a. durch das Bereitstellen von Waffen, unterstützt habe und deswegen in der Türkei inhaftiert worden sei. In Deutschland habe er in den Jahren 1989 bis 1992 an mehr als 30 Demonstrationen und Aktionen der PKK, u.a. auch an der Besetzung einer Bank in Stuttgart, teilgenommen. In dieser Zeit habe er auch im Komitee der PKK in xxxxxxxxx mitgearbeitet. Mit Bescheid vom 22.4.1993 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger und seine damals lebenden Familienangehörigen als Asylberechtigte an, nachdem es mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11.11.1992 - A 7 K 10429/92 - hierzu verpflichtet worden war.

Seit dem 13.5.1993 ist der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1.1.2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt.

Am 19.6.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Einbürgerung. Bereits unter dem 12.6.2002 hatte er die sog. "Loyalitätserklärung" unterzeichnet. Einen durch die Volkshochschule xxxxxxxxxxxxxxxxxx durchgeführten Test "Deutsch für Analphabeten" hatte er am 14.5.2002 erfolgreich mit 77 von 100 Punkten bestanden.

Am 4.9.2002 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 3.9.2004 befristete Einbürgerungszusicherung, die mit dem Vorbehalt versehen war, dass sich die maßgebliche Rechtslage nicht ändere und der Kläger den Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit nachweise. Das türkische Generalkonsulat in Karlsruhe teilte dem Kläger unter dem 7.2.2003 mit, dass sein Antrag auf Ausbürgerung erst nach Vollendung des 38. Lebensjahres bearbeitet werden würde.

Mit Schreiben vom 21.2.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg der Beklagten mit, dass es die Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers verweigere, nachdem bekannt geworden war, dass der Kläger am 24.6.2001 die sog. "PKK-Selbsterklärung" unterzeichnet hatte. Das deshalb eingeleitete Strafverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StGB eingestellt, da es nicht ausgeschlossen werden könne, dass er beim Unterzeichnen der Selbsterklärung über deren Inhalt getäuscht worden sei.

Mit Bescheid vom 18.11.2005 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab, da er nicht die sprachlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfülle, denn er könne nicht lesen und schreiben.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 17.8.2006 zurück. Es lägen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger die in den §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Bestrebungen verfolge oder unterstütze bzw. verfolgt oder unterstützt habe und eine Abwendung von diesen Bestrebungen nicht glaubhaft gemacht worden seien. Daneben erfülle er nicht die notwendigen Sprachanforderungen, da er nicht lesen und schreiben könne. Auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG scheide aus, da keine atypische Situation vorliege, die ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung begründe. Der Kläger habe nach eigenen Angaben keine Lese- und Schreibkenntnisse erworben. Es könne von ihm daher erwartet werden, dass er sich die notwendigen Sprachkenntnisse aneigne. Eine körperliche oder geistige Behinderung oder eine Erkrankung, die ihn daran hindern könnten, lägen nicht vor. Es sei unverständlich, dass er nicht bereits größere Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache unternommen habe.

Mit Urteil vom 29.3.2007 hat das Verwaltungsgericht der hiergegen fristgerecht erhobenen Klage des Klägers stattgegeben. Die Beklagte sei verpflichtet, ihn einzubürgern. Zwar könne die Einbürgerungszusicherung durch Zeitablauf und wegen des fehlenden Bedingungseintritts keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Jedoch lägen die Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG vor. Allein aus der Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" und seinen mehr als 15 Jahre zurückreichenden Unterstützungshandlungen lasse sich nicht die Annahme herleiten, der Kläger verfolge oder unterstütze Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet seien. In der mündlichen Verhandlung habe er glaubhaft bekundet, sich von seiner früheren Unterstützung der PKK distanziert zu haben. Im Rahmen der Ermessenseinbürgerung liege eine Ermessensreduktion auf Null vor, da in einer Gesamtschau die persönliche Situation des Klägers als Analphabet, als ehemaliger Hirte ohne Schulausbildung, und die bisherige Integrationsleistung seiner Familie zu berücksichtigen sei.

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor, der Einbürgerung des Klägers stehe die nicht vorhandene Kenntnis der deutschen Schriftsprache, insbesondere die fehlende Lesekenntnis, entgegen. Dass der Kläger Analphabet sei, könne nicht zu seinen Gunsten gewertet werden. Eine Lockerung der Anforderungen an die Sprachkenntnisse sei deshalb nicht geboten. Es sei nicht ersichtlich, weshalb er nicht in der Lage gewesen sei, die deutsche Schriftsprache zu erlernen. In einem solchen Fall sei es schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt, Analphabeten gegenüber anderen Einbürgerungsbewerbern zu privilegieren. Daneben seien auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nicht erfüllt, da er Wohngeld in Höhe von 280,-- EUR monatlich beziehe. Ferner sei eine kritische Distanz des Klägers zur PKK, ihren Nachfolge- und Nebenorganisationen sowie zu den entsprechenden Zielen nicht glaubhaft gemacht. Die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" müsse im Kontext mit der Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1989 bis 1993 gesehen werden, insbesondere mit seiner Arbeit als Komiteemitglied der PKK in Pforzheim. Die fehlende Distanzierung zu diesen Handlungen offenbare sich in deren Verschweigen im Rahmen der Loyalitätserklärung und in den bagatellisierenden Darstellungen vor dem Verwaltungsgericht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29.3.2007 - 2 K 2390/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, sein Analphabetismus müsse zu seinen Gunsten bei der Ermessensabwägung berücksichtigt werden. Er habe sich dennoch erfolgreich in die hiesigen Lebensumstände integriert. Er sei seit 1995 - seit 2000 sogar bei demselben Arbeitgeber - ununterbrochen berufstätig. Im privaten Bereich könne er sich der Hilfe seiner Kinder bedienen, um schriftlich zu kommunizieren. Bei der Bewertung seiner Integrationsleistungen sei auch die gelungene Integration seiner Kinder zu berücksichtigen, die teilweise deutsche Staatsangehörige seien. Er habe sich von der früheren Unterstützung der PKK distanziert und diese seit deren Verbot im Jahre 1993 nicht mehr aktiv unterstützt. Sein Lebensmittelpunkt sei heute Deutschland und sein Interesse gelte in erster Linie seiner Familie und deren gesicherter Existenz in Deutschland.

Mit Bescheid vom 18.8.2008 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben; das Verfahren ist - soweit ersichtlich - noch vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängig.

Dem Gericht liegen 1 Heft Einbürgerungsakten der Beklagten und 1 Heft Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe - A 7 K 10429/92 - vor. Diese Akten waren wie die Gerichtsakten des erst- und des zweitinstanzlichen Verfahrens Gegenstand der Entscheidung; hierauf wird wegen der näheren Einzelheiten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Beklagten ist nach ihrer Zulassung durch den Verwaltungsgerichtshof statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Beklagte sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über ihre Zulassung ausreichend begründet und einen bestimmten Antrag gestellt (124a Abs. 6 Sätze 1 bis 3 VwGO). Die Berufung ist auch begründet. Der Beklagte hat dem Kläger die Einbürgerung zu Recht versagt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 StAG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, s. unter 1.). Die Ablehnung seines Einbürgerungsantrags ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessenseinbürgerung zu beanstanden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, s. unter 2.)

1. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen der sog. Anspruchseinbürgerung nach den §§ 10 und 11 StAG nicht. Da jedenfalls die für eine Anspruchseinbürgerung erforderlichen Sprachkenntnisse nicht vorliegen, kann der Senat dahinstehen lassen, ob die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt sind und (weitere) Ausschlussgründe nach § 11 StAG der Einbürgerung des Klägers entgegenstehen.

§ 10 und § 11 StAG sind in der vor dem 28.8.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit diese günstigere Bestimmungen enthält (§ 40c StAG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl. I S. 1970). Die Frage der Günstigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung zu beantworten, die nicht nach beiden Gesetzesfassungen erfüllt ist. Es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (Berlit, InfAuslR 2007, 457, 466).

In Bezug auf die hier relevanten Sprachanforderungen kommen die §§ 10 und 11 StAG in der vor dem 28.8.2007 geltenden Fassung zur Anwendung, denn die darin getroffene Gesamtregelung ist für den Kläger günstiger. Die Neuregelung enthält in § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG eine deutliche Verschärfung der sprachlichen Anforderungen an Einbürgerungsbewerber, indem nunmehr unter anderem auch ausdrücklich schriftliche Sprachkenntnisse gefordert werden.

Wie das Verwaltungsgericht insoweit zu Recht angenommen hat, erfüllt der Kläger - der weder lesen noch schreiben kann - jedoch nicht die sprachlichen Mindestanforderungen der §§ 10 und 11 StAG a.F.. Denn auch hiernach waren Kenntnisse der Schriftsprache keinesfalls vollkommen entbehrlich.

Dem Anspruch des Klägers auf Einbürgerung steht der Anspruchsausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. entgegen, da er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

Eine an Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes orientierte Auslegung ergibt, dass nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. gewisse Kenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich sind. Die Regelung ist bezogen auf den in § 10 StAG a.F. geregelten Einbürgerungsanspruch und soll sicherstellen, dass Personen, die sich auf diesen Einbürgerungsanspruch berufen, auch sprachlich hinreichend in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens-, Berufs- und Wohnumgebung integriert sind. Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache sind typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration; ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (s. BTDrucks. 14/533 S. 18). Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit Behörden und Institutionen der schriftlichen Kommunikation zukommt, erfordert dies auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Die nach dem Integrationszweck zu fordernden Kenntnisse der deutschen Schriftsprache müssen den Einbürgerungsbewerber in die Lage versetzen, im familiär-persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern in deutscher Sprache schriftlich zu verkehren. Dies setzt - jedenfalls bei geschäftsfähigen Einbürgerungsbewerbern - unstreitig zumindest die Fähigkeit voraus, selbständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und - nach Maßgabe von Alter und Bildungsstand - den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacheren Inhalts aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann (vgl. grundlegend BVerwG, Urteile vom 20.10.2005 - 5 C 8.05 -, BVerwGE 124, 268 und - 5 C 17.05 -, DVBl. 2006, 922).

Nach diesen Grundsätzen steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. dem Begehren des Klägers auf Einbürgerung entgegen. Der Kläger ist des Lesens und Schreibens nicht kundig und verfügt mithin nicht über die erforderlichen Mindestkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Für die Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. ist dabei unerheblich, aus welchen Gründen er nicht über Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache verfügt, ob er auch in seiner Muttersprache Analphabet ist und ob im Bundesgebiet hinreichende und für den Kläger zumutbare Möglichkeiten angeboten werden, die es auch einem Analphabeten ermöglichen, i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Er kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner mündlichen Sprachbeherrschung für eine Integration hinreichende Sprachkenntnisse habe, er durch seine geschäftliche Tätigkeit bewiesen habe, dass er tatsächlich in das soziale und gesellschaftliche Leben integriert sei bzw. einen geringen Integrationsbedarf aufweise, es für ihn nach Alter und Einbindung in das Berufs- bzw. Geschäftsleben nicht zumutbar sei, die nach Vorstehendem nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache noch zu erwerben, oder dass sein Analphabetismus einer Krankheit bzw. Behinderung gleichstehe, die insoweit gebiete, von den Sprachanforderungen abzusehen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut schließt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. den Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG a.F. stets und ohne Ausnahme aus, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Der Verzicht auf eine solche Regelung ist von dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, der mangels eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Einbürgerung auch ohne Eingriff in die Rechte eines Einbürgerungsbewerbers festlegen kann, von welchen Anforderungen an die Sprachbeherrschung ein Anspruch auf Einbürgerung abhängig sein soll (vgl. BVerwG, a.a.O.).

2. Die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheidet entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ebenfalls aus; erst recht kommt eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Klägers nicht in Betracht.

a) Die Ermessenserwägungen, die die Beklagte in ihrem Bescheid vom 18.11.2005 und das Regierungspräsidium Karlsruhe in seinem Widerspruchsbescheid vom 17.8.2006 angestellt haben, sind in rechtlicher Hinsicht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) nicht zu beanstanden. Die Behörden haben insoweit ausführlich ausgeführt, eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG scheide aus, da der Kläger keine Kenntnisse der deutschen Schriftsprache habe; es liege keine atypische Situation vor, die ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung begründe; von dem Kläger könne erwartet werden, dass er sich die notwendigen Sprachkenntnisse aneigne; eine körperliche oder geistige Behinderung oder eine Erkrankung, die ihn daran hindern könnten, lägen nicht vor; es sei unverständlich, dass er nicht bereits größere Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache unternommen habe.

Diese Ermessenserwägungen sind in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Hierbei ist zu beachten, dass die Gerichte nicht befugt sind, selbst das Ermessen anstelle der Behörde auszuüben und eigene Ermessenserwägungen anzustellen (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Der Behörde steht ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Ermessensspielraum zu. Die Gerichte sind auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde ihr Ermessen ohne Rechtsfehler ausgeübt hat.

Unter Beachtung dieser eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der Gerichte ist es nicht zu beanstanden, dass die Behörden hier bei der Ausübung ihres Ermessens der Kenntnis der deutschen Schriftsprache eine sehr hohe Bedeutung beigemessen haben; ob dies zwingend wäre, hat der Senat nicht zu entscheiden. Dass die schriftliche Kommunikation eine herausragende Bedeutung im Arbeits- und Berufsleben sowie auch in Kontakten mit Behörden und Institutionen hat, bedarf keiner näheren Erläuterung (vgl. BVerwG, a.a.O.). Die insoweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anspruchseinbürgerung entwickelten Grundsätze dürfen von den Behörden grundsätzlich auch bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 8 StAG herangezogen werden ( vgl. VG Aachen, Urteil vom 5.3.2008 - 8 K 2441/05 - und VG Minden, Urteil vom 5.12.1997 - 11 K 812/07 -, jeweils juris). Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache bilden typischerweise die Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration sind. Ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich. Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, wenn die Behörden im Rahmen einer Ermessenseinbürgerung zumindest ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache fordern.

In tatsächlicher Hinsicht durften die Behörden bei ihrer Ermessensbetätigung zu Recht davon ausgehen, dass der Kläger das Erfordernis ausreichender Kenntnis der deutschen Sprache nicht erfüllt. Hierbei kann offen bleiben, wie ausgeprägt die mündlichen Sprachkenntnisse des Klägers überhaupt sind; Zweifel könnten sich insoweit möglicherweise daraus ergeben, dass er ausweislich des Verhandlungsprotokolls des Verwaltungsgerichts dort teilweise mit Hilfe eines Dolmetschers angehört worden ist. Jedenfalls fehlt es aber an den von den Behörden geforderten ausreichenden schriftlichen Sprachkenntnissen. Es ist hiernach zwar nicht erforderlich, dass ein Einbürgerungsbewerber die deutsche Schriftsprache aktiv und passiv problemlos beherrscht. Voraussetzung ist jedoch, dass er in der Lage ist, selbstständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und ihrem sachlichen Gehalt nach so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann. Diese Reaktion muss zwar nicht selbst schriftlich erfolgen, jedoch erfordert eine ausreichende Integration zumindest, dass auch die schriftliche Kommunikation unter Kontrolle des Einzubürgernden erfolgt. Dies wiederum setzt voraus, dass er in der Lage ist, in seinem Namen abzugebende schriftliche Erklärungen zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach selbstständig auf Richtigkeit zu prüfen.

Die besondere Bedeutung der Lesefähigkeit für eine erfolgreiche Integration zeigt sich im Falle des Klägers im Übrigen sogar in besonderem Maße. Denn nach seinem Vortrag hat er die "PKK-Selbsterklärung" nur deshalb unterzeichnet, weil er sie nicht lesen konnte und über ihren Inhalt getäuscht worden ist. Gerade dies belegt, dass eine verantwortungsvolle Ausübung der mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbundenen staatsbürgerlichen Rechte ohne jede Lesekenntnis jedenfalls nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich ist.

Das Regierungspräsidium hat es bei seiner Ermessensbetätigung zudem in rechtlich vertretbarer Weise abgelehnt, im Falle des Klägers wegen besonderer Umstände von diesen Erfordernissen abzusehen. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, allein den Umstand, dass er auch in seiner Heimatsprache Analphabet ist, hierfür nicht ausreichen zu lassen. (vgl. VG Minden, a.a.O.). Die Behörde durfte insoweit in ihre Ermessenserwägungen einstellen, dass eine körperliche oder geistige Behinderung oder eine Erkrankung, die den Kläger daran gehindert hätten, Kenntnisse der Schriftsprache zu erwerben, nicht vorliege und es daher unverständlich sei, dass er nicht bereits größere Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache unternommen habe. Dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten von vornherein außer Stande (gewesen) wäre, Schriftkenntnisse zu erwerben, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Er hat noch nicht einmal geltend gemacht, sich erfolglos um den Erwerb von deutschen Schriftkenntnissen bemüht zu haben. Angesichts seines Lebensalters von nur 19 Jahren im Zeitpunkt der Einreise haben die Behörden zu Recht angenommen, dass ihm die Teilnahme an Alphabetisierungskursen zumutbar gewesen wäre; auch jetzt hat er mit 39 Jahren im Übrigen noch kein Alter erreicht, das den Besuch eines solchen Kurses als unzumutbar erscheinen lassen würde.

Weiter ist es rechtlich vertretbar, wenn die Behörden bei der Ausübung ihres Ermessens davon ausgegangen sind, dass die Defizite im Spracherwerb nicht anderweitig ausgeglichen sind. Zwar dürfen andere Integrationsleistungen im Rahmen der Ermessensbetätigung wohl berücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 12.1.2005 - 13 S 2549/03 -, VBlBW 2006, 70). Es besteht indes in rechtlicher Hinsicht keine Pflicht, sie im Ergebnis stärker zu gewichten als fehlende Kenntnisse der Schriftsprache. Die Beklagte und insbesondere das Regierungspräsidium haben hier auf der einen Seite durchaus berücksichtigt, dass der Kläger seit langem einen festen Arbeitsplatz hat sowie - was insbesondere für ihn spricht - seine Kinder in sehr hohem Maße integriert und teilweise deutsche Staatsangehörige sind. Auf der anderen Seite ist es aber in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, wenn zu Lasten des Klägers - insoweit sind die Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO im berufungsgerichtlichen Verfahren ergänzt worden - bei der Würdigung seiner Integrationsleistungen auch berücksichtigt wird, dass er entgegen seinen Angaben vor dem Verwaltungsgericht öffentliche Leistungen in Form von Wohngeld bezieht. Weiter ist es angesichts der überragenden Bedeutung der Lesekenntnis für eine erfolgreiche Integration rechtlich nicht angreifbar, wenn der Gesichtspunkt fehlender Kenntnis der Schriftsprache im Ergebnis stärker gewichtet wird als die von den Behörden berücksichtigten Integrationsleistungen des Klägers wie z.B. seine längerfristige Einbindung in das Berufsleben. Auch der von der Behörde im Berufungsverfahren ergänzend (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) vorgebrachte Gesichtspunkt, dass es dann, wenn jemand wie der Kläger nicht durch gesundheitliche Gründe oder eine Behinderung gehindert ist, die deutsche Schriftsprache zu erlernen, schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei, ihn gegenüber anderen Einbürgerungsbewerbern zu privilegieren, ist nachvollziehbar und nicht sachwidrig. Diese Erwägung orientiert sich am Zweck der Ermächtigung - die Gewährleistung der Integration - und ist geeignet, diesen zu fördern.

Es ist schließlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörden dem Umstand, dass dem Kläger bereits eine Einbürgerungszusicherung erteilt worden war, nur geringe Bedeutung beigemessen haben. Dieses dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 38 LVwVfG) entlehnte Institut, das in Einbürgerungsverfahren in ständiger Praxis auf Fälle drohender Mehrstaatigkeit angewandt wird, soll eine mehrfache Staatsangehörigkeit und eine temporäre Staatenlosigkeit vermeiden. Die hier vorliegende Einbürgerungszusicherung ist zum einen schon wegen Zeitablaufs unbeachtlich, weil sie von der Beklagten auf den 3.9.2004 befristet wurde, und zum anderen, weil die darin enthaltene Bedingung - die Entlassung des Klägers aus der türkischen Staatsangehörigkeit - bis heute nicht eingetreten ist. Der Inhalt einer Zusicherung und deren Bindungswirkung wird auch von den ihr beigefügten Bedingungen und Befristungen bestimmt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 38 Rn. 7). Da diese Beschränkungen hier bestandskräftig geworden sind, kommt es auf deren Rechtmäßigkeit nicht an. Im Übrigen spricht sogar Vieles dafür, dass die beigefügten Bedingungen rechtmäßig waren. Zwar kann von einem anerkannten Asylberechtigten grundsätzlich nicht verlangt werden, bei den Behörden seines Heimatstaates seine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit zu betreiben. Hier hat sich der Kläger indes mit dieser Vorgehensweise ausdrücklich einverstanden erklärt und sogar das türkische Generalkonsulat in Karlsruhe aufgesucht. Bei dieser Sachlage ist es jedenfalls nicht evident rechtswidrig (vgl. § 44 LVwVfG), wenn die Behörden die Erfüllung einer Einbürgerungszusicherung von der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit machen.

Nachdem der Kläger innerhalb der in der Einbürgerungszusicherung genannten Frist die ihm auferlegte Bedingung, die Entlassung aus seiner ursprünglichen türkischen Staatsangehörigkeit herbeizuführen, objektiv nicht erfüllt hat, lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte die Einbürgerung des Klägers in rechtswidriger Weise verweigert hatte. Sie war innerhalb des Gültigkeitszeitraums der Einbürgerungszusicherung nicht nach § 38 Abs. 1 LVwVfG verpflichtet, die Einbürgerung des Klägers zu vollziehen. Eine Folgenbeseitigungslast, die das Ermessen der Behörde reduzieren könnte, besteht demzufolge nicht.

b) Die hier getroffene Ermessensentscheidung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit den zu § 8 StAG ergangenen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften (Selbstbindung der Verwaltung).

Der Senat hat insoweit bei der berufungsgerichtlichen Überprüfung des geltend gemachten Anspruchs aus Art. 3 Abs. 1 GG vom Zeitpunkt seiner Entscheidung als maßgebendem Zeitpunkt auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 16.10.2008 - 13 S 313/08 -, juris) und daher inzwischen eingetretene Änderungen zu berücksichtigen, soweit es um die Frage geht, ob aus Rechtsgründen eine begehrte Vergünstigung zu erteilen ist oder nicht (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 26.2.1997 - 1 B 5.97 -, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 8).

Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, denn schon die früheren Verwaltungsvorschriften enthalten die von dem Kläger unstreitig nicht erfüllte Mindestanforderung, dass der Einbürgerungsbewerber einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben können muss; die Fähigkeit, sich auf einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht ausdrücklich nicht aus (vgl. z.B. die Nummern 8.1.2.1 bis 8.1.2.1.2 der Verwaltungsvorschriften des Bundes zum Staatsangehörigkeitsgesetz (StAR-VwV) in den Fassungen vom 13.12.2000, BAnz. 2001, 1418 und vom 21.12.2004, BGBl. I 1950; vgl. neuerdings die insoweit strengeren VAH des Landes vom Dezember 2007). Ausnahmen sind hiernach nur dann vorgesehen, wenn der Einbürgerungsbewerber die geforderten deutschen Sprachkenntnisse wegen einer körperlichen oder geistigen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann (ebd. sowie Nr. 8.1.3.7 der VAH des Landes vom Dezember 2007). Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers jedoch nicht vor. Dass er wegen einer körperlichen oder geistigen Krankheit oder Behinderung außer Stande (gewesen) wäre, Schriftkenntnisse zu erwerben, ist - wie bereits ausgeführt - weder ersichtlich noch vorgetragen; er hat noch nicht einmal geltend gemacht, sich erfolglos um den Erwerb von deutschen Schriftkenntnissen bemüht zu haben.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss vom 22. Januar 2009

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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