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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: 13 S 779/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO § 124 Abs. 2
VwGO § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 161
Der Rechtsmittelführer kann den Rechtsstreit auch während des Berufungszulassungsverfahrens in der Hauptsache (einseitig) für erledigt erklären.

Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Berufungszulassungsverfahren ist als Antrag auf die Feststellung auszulegen, dass sich das Zulassungsverfahren erledigt hat.

Beantragt der Kläger dann hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, so muss er einen Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO darlegen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

13 S 779/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Befristung des Reiseausweises für Flüchtlinge

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 28. Juni 2007

beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird abgetrennt und unter dem neuen Az. 13 S 1535/07 fortgeführt, soweit sich das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Januar 2007 - 1 K 1423/06 - auf die Klage gegen die Beklagte Nr. 2 bezieht.

Im übrigen, also hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte Nr. 1, werden die Anträge des Klägers abgelehnt.

Der Kläger trägt insoweit die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird insoweit auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Das Verfahren gegen die Beklagte Nr. 2 ist zur gesonderten Entscheidung abzutrennen, da es wegen der übereinstimmenden Erledigungserklärung des Klägers und der Beklagten Nr. 2 anders ausgestaltet ist als hinsichtlich der Beklagten Nr. 1.

Soweit sich die Anträge des Klägers auf die Beklagte Nr. 1 beziehen, können sie keinen Erfolg haben. Insoweit hat der Kläger zuvor das Berufungszulassungsverfahren einseitig für erledigt erklärt, die Beklagte Nr. 1 hat hingegen keine Erledigungserklärung abgegeben. In diesem Fall ist das Verfahren als Streit über die Erledigung fortzusetzen. Mit der einseitig bleibenden Erledigungserklärung nimmt der Kläger von seinem bisherigen Klage- bzw. Zulassungsbegehren Abstand und begehrt statt dessen die gerichtliche Feststellung, dass die Hauptsache erledigt sei (Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 161, April 2006, Rn 28 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen des Bundesverwaltungsgerichts). Der auch im Berufungszulassungsverfahren denkbare Sonderfall des Sachbescheidungsinteresses des Beklagten (siehe dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.1.1998 - 7 S 3117/97 -, NVwZ-RR 1998, 371) liegt hier nicht vor. Für die einseitige Erledigungserklärung im Klageverfahren tritt damit an die Stelle des durch den ursprünglichen Klageantrag bestimmten Streitgegenstandes der Streit über die Behauptung des Klägers, seinem Klagebegehren sei durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen worden; dieser Austausch des Klagebegehrens führt zu einer Änderung des Streitgegenstandes und stellt damit der Sache nach eine Klagänderung dar, die allerdings nicht den Einschränkungen der §§ 91 und 141 VwGO unterworfen ist und daher auch nicht der Einwilligung der Beklagten bedarf (Clausing, a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 30.10.1969, BVerwGE 34, 159). Entsprechendes muss nicht nur im gerichtlichen Eilverfahren (siehe dazu Bayerischer VGH, Beschluss vom 1.12.2003 - 3 CE 03.2098 -, BayVBl. 2004, S. 566), sondern auch für das Berufungszulassungsverfahren gelten, so dass der Antrag des Klägers nunmehr als Antrag auf die Feststellung auszulegen ist, dass sich das Zulassungsverfahren erledigt hat. Die Berufungszulassung zum Zwecke der Erledigungsfeststellung kommt nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr in Betracht, weil die Berufung - vorbehaltlich des hier nicht interessierenden Falles des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. der entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift (siehe hierzu im einzelnen Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.8.2006 - 2 LA 1192/04-, NVwZ-RR 2007, 67) - wegen Fehlens des Rechtsschutzinteresses zurückgewiesen werden müsste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1985, BVerwGE 72, 93, wonach ein Ereignis, durch das sich das "Hauptverfahren" erledigt, zugleich eine Erledigung des zugehörigen Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde bewirkt). Daher kann die Feststellung der Erledigung im Berufungszulassungsverfahren selbst getroffen werden; zusammen mit diesem Ausspruch über die Erledigung sind dann bereits ergangene Entscheidungen für unwirksam zu erklären (Clausing, a.a.O., Rn 35).

Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Erledigung muss schon deshalb erfolglos bleiben, weil während des Berufungszulassungsverfahrens im Verhältnis zur Beklagten Nr. 1 kein außerprozessuales Ereignis eingetreten ist, das die Erledigung der Hauptsache bewirkt hat. Hierauf hat die Beklagte Nr. 1 zutreffend hingewiesen. Der Kläger meint, der Rechtsstreit habe sich dadurch erledigt, dass die Beklagte Nr. 2 ihm am 14.2.2007 (also zwischen Erlass und Zustellung des angegriffenen Urteils) einen Reiseausweis mit längerer Gültigkeitsdauer erteilt habe. Durch diesen Reiseausweis hat sich jedoch die Anfechtungsklage (und auch die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage) gegen die Beklagte Nr. 1 nicht erledigt. Denn auch die Erteilung des Reiseausweises am 14.2.2007 durch die Beklagte Nr. 2 hebt die in der angefochtenen Entscheidung der Beklagten Nr. 1 liegende Beschwer der teilweisen Ablehnung nicht (vollständig) auf.

Die umstrittene Frage, ob die Erledigung nicht festgestellt werden darf, wenn die ursprüngliche Klage - wie hier vom Verwaltungsgericht angenommen - unzulässig war, mag daher hier auf sich beruhen (vgl. zum Meinungsstand Clausing, a.a.O., Rn 28 mit Rechtsprechungsnachweisen; offen gelassen auch vom BVerwG, Urteil vom 12.4.2001 - 2 C 16.00 -, BVerwGE 114, 149, 151). Ebenfalls offen bleiben kann die Frage, ob der Kläger auch dann im Zulassungsverfahren für erledigt erklären kann, wenn das erledigende Ereignis wie hier schon vor der Stellung des Zulassungsantrages und nicht erst während des Zulassungsverfahrens eingetreten ist.

Auch der Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit hat keinen Erfolg. Gegebenenfalls ist im Erledigungsstreit aufgrund der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers auch über die hilfsweise aufrechterhaltenen Sachanträge zu entscheiden (Clausing, a.a.O. m.w.N.). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt im Zulassungsverfahren indessen nicht in Betracht, sondern erst im Berufungsverfahren nach einer Berufungszulassung. Ob der hilfsweise Feststellungsantrag insoweit sachdienlich als hilfsweise gestellter Antrag auf Berufungszulassung ausgelegt werden kann, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Denn insoweit könnte der Antrag keinen Erfolg haben, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) nicht ausreichend gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt ist. Das Verwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Beklagte Nr. 1 für statthaft gehalten, jedoch das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung verneint, dass die teilweise Ablehnung der Verlängerung des Reiseausweises rechtswidrig gewesen sei. Es hat dies damit begründet, die Feststellung solle nicht einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess vorbereiten und sei mangels diskriminierenden Charakters auch nicht zur Genugtuung oder Rehabilitation des Klägers erforderlich. Eine Wiederholungsgefahr scheide schon deshalb aus, weil der Kläger nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Beklagten Ziff. 1 wohne. Mit diesen Erwägungen setzt sich die Antragsbegründung nicht in der gebotenen Weise auseinander. Die in diesem Zusammenhang erhobene Behauptung, dass gerade durch diese rechtswidrige Entscheidung die Beklagte Nr. 2 ebenfalls eine Befristung auf nur 6 Monate vorgenommen, im Ergebnis also auf eine eigene Ermessensausübung zur Geltungsdauer verzichtet habe, entbehrt jeglicher Anhaltspunkte und wird in der Antragsbegründung auch nicht belegt.

Damit steht die Unzulässigkeit der Klage im Ergebnis fest. Auf die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Beklagten seine Duldung jeweils um mehr als sechs Monate hätten verlängern müssen, ist daher nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Diese Entscheidung ist unanffechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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