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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 23.01.2003
Aktenzeichen: 2 S 1311/02
Rechtsgebiete: GewStG, AO


Vorschriften:

GewStG § 18
AO § 191
AO §§ 88 ff.
AO § 34
AO § 69
Verweigert der als Haftender für Gewerbesteuerschulden der GmbH in Anspruch genommene Geschäftsführer eine ihm mögliche und zumutbare Mitwirkung bei der Ermittlung der Voraussetzungen für eine Haftung, verringert sich die Ermittlungspflicht der Steuerbehörde mit der Folge, dass bei fehlender Ermittlungsmöglichkeit der Steuerbehörde diese von der Annahme ausgehen darf, der Haftungstatbestand sei erfüllt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

2 S 1311/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Haftungsbescheids für Gewerbesteuer 1992 - 1995

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Semler, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Vogel und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schmitt-Siebert ohne mündliche Verhandlung

am 23. Januar 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20. November 2000 - 8 K 3284/98 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags zuzüglich 10 v.H. dieses Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung als Haftungsschuldnerin für Gewerbesteuern.

Die Klägerin war ab 25.4.1996 alleinige Geschäftsführerin einer GmbH, die bis 30.4.1997 auch eine Betriebsstätte im Gebiet der Beklagten hatte und deren sämtliche Anteile die Klägerin seit 1989 besaß. Mit Gesellschafterbeschluss vom 24.4.1997 wurde die Klägerin mit sofortiger Wirkung abberufen, die entsprechende Eintragung für das Handelsregister wurde am 12.5.1997 vom nachfolgenden Geschäftsführer beantragt.

Nach einer Außenprüfung der GmbH änderte das zuständige Finanzamt die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1992 bis 1995 und wies durch Zerlegungsbescheide vom 26.3.1997 der Beklagten Zerlegungsanteile für die genannten Jahre zu. Auf deren Grundlage setzte die Beklagte gegenüber der GmbH mit Gewerbesteuerbescheid vom 11.4.1997 die Gewerbesteuer für 1992 bis 1995 auf insgesamt DM 57.433,-- fest.

Nach einer Aufforderung an die Klägerin, Angaben zu Gesamtverbindlichkeiten der GmbH und Schuldentilgung durch diese zu machen, und nach einer Anhörung zog die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 8.4.1998 im Wege der Haftung für die Gewerbesteuerrückstände der GmbH für die genannten Jahre heran. Gegen diesen Haftungsbescheid erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.09.1998 als unbegründet zurückwies.

Am 9.10.1998 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen auf ihren bereits im Vorverfahren geäußerten Rechtsstandpunkt abgehoben hat, sie hafte für die Gewerbesteuerforderung schon deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer nicht mehr Geschäftsführerin gewesen sei.

Durch Urteil vom 20.11.2000 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide der Beklagten im Wesentlichen damit begründet, dass die zu fordernde Pflichtverletzung allenfalls darin gesehen werden könne, dass der Klägerin während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin eine Pflicht oblegen haben könne, Geldmittel vorzuhalten für Forderungen, die - wie die Gewerbesteuer hier - erst künftig entstehen. Ob eine solche Pflicht angenommen werden könne, sei angesichts der Rechtsprechung nicht geklärt mit der Folge, dass die Klägerin jedenfalls insoweit nicht schuldhaft gehandelt habe. Auch habe die Beklagte den Nachweis nicht erbracht, dass die von ihr behauptete Pflichtverletzung vorliege. Ein solcher fehle auch hinsichtlich der anderen tatbestandsmäßig zu fordernden Voraussetzungen für eine Haftung der Klägerin.

Die Beklagte hat zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 10.6.2002 zugelassenen Berufung darauf abgestellt, dass der vom Verwaltungsgericht gewählte Ansatz, eine Pflichtverletzung könne allein darin liegen, dass während der Geschäftsführertätigkeit Rückstellungen für eine künftige Forderung nicht gebildet worden seien, nicht zutreffend sei; vielmehr gehe es um die Pflichtverletzung, die darin bestehe, dass sich der Geschäftsführer vorsätzlich oder fahrlässig außer Stande setze, eine bereits entstandene, aber erst künftig fällige Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen. Den fehlenden Nachweis hier auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zu stützen, gehe nicht an, da keine ihr - der Beklagten - zugänglichen Grundlagen für die Ermittlung der Liquiditätslage der GmbH bestünden. Insoweit sei die Steuerbehörde auf die Mitwirkung des Betroffenen angewiesen. Die Klägerin habe eine solche Mitwirkung indes verweigert. Es dürften daher aus diesem Verhalten für die Klägerin nachteilige Schlüsse gezogen werden, die sich auf den gesamten Tatbestand der Haftungsgrundlage erstrecken könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20.11.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene gerichtliche Entscheidung und weist ergänzend darauf hin, dass sie an einem die jetzt in Rede stehende Gewerbesteuerforderung betreffenden Sachverhalt überhaupt nicht mitgewirkt habe, sie also auch keine Kenntnisse von den Gewerbesteuerforderungen hätte haben können, da die entsprechenden Bescheide erst nach Beendigung ihrer Tätigkeit für die GmbH ergangen seien. Im Haftungszeitraum sei die Beklagte ohnehin nicht Gläubigerin einer Gewerbesteuerforderung gegen die GmbH gewesen. Eine Verpflichtung, im Zeitpunkt ihres Ausscheidens als Geschäftsführerin noch nicht fällige Steuerforderungen zu berücksichtigen, bestehe nicht. Auch habe infolge ihres Einspruchs gegen den Körperschaftssteuerbescheid (als Grundlage für die hier maßgeblichen Gewerbesteuermessbescheide) eine steuerliche Verpflichtung der GmbH überhaupt nicht bestanden, die zu ihrer Inanspruchnahme als Haftende führen könne. Da die Gewerbesteuerschuld der Beklagten erst am 11.4.1997 fällig geworden sei, komme ihre - der Klägerin - Haftung nicht in Betracht, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für die GmbH als Geschäftsführerin tätig gewesen sei. Auch stehe nicht fest, ob die Gewerbesteuerschuld der GmbH überhaupt eintrete, da die gegen den Gewerbesteuermessbescheid erhobene Klage anhängig und über sie noch nicht entschieden sei.

Dem Senat liegen die Akten der Beklagten und die des Verwaltungsgerichts vor. Auf diese Unterlagen und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der zulässigen Anfechtungsklage der Klägerin nicht stattgeben dürfen, da der von dieser angefochtene Haftungsbescheid der Beklagten vom 8.4.1998 (i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 24.9.1998) rechtmäßig ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Haftungsbescheid beruht auf den §§ 191, 34 und 69 der Abgabenordnung (vgl. auch §§ 3 Abs. 2, 1 Abs. 2 AO). Bedenken formeller Art werden von der Klägerin nicht geltend gemacht.

Dieser Haftungsbescheid hat seine Grundlage in § 69 Satz 1 AO. Danach haften die in § 34 und 35 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten u.a. nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Demnach haftet die Klägerin als Geschäftsführerin und mithin als Vertreterin der GmbH (§ 34 AO, §§ 6, 35 Abs. 1 GmbHG), dies allerdings nur für solche Steuern, die während ihrer Tätigkeit in dieser Eigenschaft entstanden sind (vgl. dazu Tipke/Kruse, FGO/AO, § 69 AO RdNrn. 12 u. 20), weil nur insoweit von ihrer Vertretungsbefugnis ausgegangen werden kann.

Die Gewerbesteuerschuld entsteht, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen (§ 21 GewStG) handelt, mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen wird (dazu § 38 AO i.V.m. § 18 GewStG). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es lediglich auf die Entstehung, nicht indes auf die Fälligkeit der Steuer und auch nicht auf den Umstand an, dass der Geschäftsführer einer GmbH an dem "steuerbegründenden" Sachverhalt nicht mitgewirkt hat. Letzteres mag für die Frage des Verschuldens i.S.v. § 69 AO bedeutsam sein können, ersteres ergibt sich aus dem Umstand, dass das Gewerbeteuergesetz die Fälligkeit der Steuer in §§ 19, 20, 26 regelt, Entstehungszeitpunkt und Fälligkeitszeitpunkt daher nicht zusammenfallen, da für die Fälligkeit eine gesetzliche Regelung besteht (dazu § 220 Abs. 2 AO). Die Entstehung der Gewerbesteuerschuld nach Ablauf des Erhebungszeitraums ist unabhängig vom Willen des Betroffenen (Tipke/Kruse, a.a.O. § 38 RdNr. 2) und - da sie kraft Gesetzes erfolgt - auch unabhängig von einer Festsetzung, der lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt (Glanegger/Güroff, GewStG, 3. Aufl., § 19 RdNr. 2 mit Nachweis zum Streitstand). Die Festsetzung der Gewerbesteuerschuld ist hier für den Erhebungszeitraum der jeweiligen Kalenderjahre erfolgt (§ 14 Abs. 2 Satz 2 GewStG).

Für die Jahre 1992, 1993, 1994 und 1995 waren daher die Gewerbesteuerschulden entstanden. Dementsprechend konnte sich eine darauf bezogene haftungsrechtliche Pflichtenstellung der Klägerin dem Grunde nach lediglich in ihrer seit dem 25.4.1996 aufgenommenen und am 24.4.1997 beendeten Tätigkeit als Geschäftsführerin der GmbH beziehen. Denn für die Haftung ist Voraussetzung, dass eine Pflichtverletzung des Haftungsschuldners in seiner Eigenschaft als Vertreter erfolgt ist, mithin also auch zeitlich nur während des Bestehens der Vertretungsmacht (Tipke/Kruse, a.a.O. § 69 RdNrn. 12 u. 20) in Betracht kommt. Die Haftung als Vertreter beginnt mit dessen organschaftlicher Bestellung, wobei die nominelle und formelle Bestellung (und nicht das Arbeitsverhältnis) entscheidend ist (Beermann, DStR 1994, 804, 807 mN in FN 26 und 27). Die Haftung endet mit dem Wegfall der Organstellung, für die der Eintrag in das Handelsregister ohne Bedeutung für § 69 AO ist, wohl aber etwa die Abberufung des Geschäftsführers oder auch seine Amtsniederlegung (Beermann, a.a.O., FN 36 und BFH, Urteil v. 16.3.1993 - VII R 57/92, BFH/NV 1993, 707).

Da die Steuerschulden der GmbH entstanden und während der Zeit der Pflichtenstellung des Vertreters auch noch nicht getilgt waren, sind sie dem durch § 34 AO umschriebenen Pflichtenkreis zugeordnet. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift haben u.a. die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Satz 2 bestimmt ferner, dass sie insbesondere dafür zu sorgen haben, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.

Die Klägerin ist in der genannten Zeit als alleinige Geschäftsführerin der GmbH deren Vertreterin (vgl. §§ 6, 35 Abs. 1 GmbHG) gewesen und hatte dementsprechend die genannten Pflichten zu erfüllen. Mit Blick auf diese gesetzlich umschriebene Pflicht sind ihre gegen diese Pflichtenstellung erhobenen Einwendungen regelmäßig unerheblich, soweit sie sich auf fehlende Kenntnis der Steuerschuld, auf fehlende Mitwirkung bei Sachverhalten, die zur Begründung oder Erhöhung der Steuer geführt haben sollen oder auf die noch ausstehende Fälligkeit der Forderungen stützen. Durch diese von der Klägerin hier vorgetragenen Umstände wird die Pflicht aus § 34 AO nicht eingeschränkt, rechtliche Bedeutung erhalten sie regelmäßig erst im Rahmen der Frage, ob die Pflicht verletzt und dies schuldhaft erfolgt ist. Die gesetzliche Verpflichtung rechtfertigt auch nicht die Annahme, sie beschränke sich auf die Aufgabe eines Geschäftsführers, für künftige Steuerforderungen Rückstellungen zu bilden. Diese handelsrechtliche Pflichtenstellung (vgl. dazu § 249 HGB) ist mit derjenigen aus § 34 AO nicht vergleichbar. Verletzt ist diese Pflicht regelmäßig dann, wenn sich der Geschäftsführer bereits vor Fälligkeit der bereits entstandenen Steuerschuld außer Stande setzt, sie im Fälligkeitszeitpunkt zu begleichen (so schon BFH, Urteil vom 26.4.1984, BFHE 141, 443 = BStBl. 1984 II S. 776 und ständig). Für Steuerschulden, die nach der Niederlegung des Amtes als Geschäftsführer fällig werden, kommt eine Haftung daher regelmäßig nicht in Betracht, es sei denn, der Geschäftsführer hat seine Pflichten durch eine Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger verletzt (vgl. BFH, Urteil vom 22.1.1985, BStBl. 1985 II S. 562; Urteil vom 16.3.1993, a.a.O.).

Dies setzt - wie die gesetzliche Vorgabe "Verwaltung von Mitteln" belegt - u.a. weiter voraus, dass von ihm die Entrichtung der Steuer nur durch solche Mittel erwartet werden darf, die ihm auch tatsächlich zur Verfügung stehen (BFH, Urteil vom 5.3.1991, BStBl. 1991 II S. 678). Verletzt ein Geschäftsführer die sich aus § 34 Abs. 1 AO ergebende Pflicht dadurch, dass er sich vorsätzlich oder fahrlässig außerstande setzt, eine bereits entstandene und künftig fällig werdende Forderung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu tilgen, haftet er nach § 69 Satz 1 AO allerdings nur insoweit, als der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten im Fälligkeitszeitpunkt seine Forderung hätte verwirklichen können. Sind verfügbare Mittel im Fälligkeitszeitpunkt nicht zur Tilgung aller Schulden ausreichend, sind auch die Steuerschulden regelmäßig nur im gleichen Verhältnis wie die anderen Schulden zu tilgen (allg. M.; vgl. zur "anteiligen Tilgungsquote" nur BFH, Urteil vom 26.4.1984, BFHE 141, 443; Urteil vom 14.7.1987, BFHE 150, 312).

Ferner ist eine nach den genannten Vorgaben zu beurteilende Pflichtverletzung erst dann haftungsauslösend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer deren Ausfall als Folge der Pflichtverletzung eintritt (vgl. dazu BFH, Urteil vom 26.4.1984 a.a.O.). Ob durch die Pflichtverletzung also ein Steuerausfall eingetreten ist, ist bei der Pflichtverletzung vor dem Fälligkeitszeitpunkt auf der Grundlage der Umstände in diesem Zeitpunkt zu entscheiden.

Die Fragen, ob die Klägerin ihre steuerlichen Pflichten als Vertreterin der GmbH verletzt hat, ob ihr verfügbare Mittel und diese in ausreichendem Maß zu Verfügung gestanden haben, ob und in welcher Höhe es unter Berücksichtigung der "anteiligen Tilgungsquote" zu einem Steuerausfall gekommen ist, sind hier im Zeitpunkt des Ergehens des Haftungs- und des Widerspruchsbescheids ersichtlich offen gewesen. Fest stand lediglich, dass die (Gewerbe-)Steuerschuld entstanden und fällig war, sie allerdings nicht erfüllt worden ist, und ferner, dass die Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH und damit als deren Vertreterin nach § 69 AO für eine Haftung in Betracht kommen konnte.

Bei dieser Sachlage ist regelmäßig von der Pflicht der Steuerbehörde auszugehen, den Sachverhalt zu ermitteln, wie aus § 88 AO folgt, und dies - nach Abs. 1 der Bestimmung - von Amts wegen. Der Umfang dieser Ermittlung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei hat die Finanzbehörde - so Abs. 2 des § 88 AO - alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (vgl. auch Lohmeyer, KStZ 1991, 130 ff.). Ist - wie hier - erheblicher Aufklärungsbedarf vorhanden, darf sich die Behörde für ihre Sachverhaltsermittlung auch auf die Mitwirkung des Betroffenen stützen (dazu Tipke/Kruse, a.a.O. § 90 RdNr. 5 m.w.N.). Deren Umfang bestimmt sich - soweit die Mitwirkungspflicht nicht ohnehin (wie etwa die Steuererklärungspflicht) gesetzlich festgelegt ist - nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die geforderte Mitwirkung muss sich also als notwendig, verhältnismäßig (im engeren Sinn) und für den Betroffenen daher auch zumutbar erweisen (dazu schon der Beschluss des Senats vom 22.9.1999 - 2 S 1045/99 -; Tipke/Kruse, a.a.O. § 90 RdNr. 6 m.w.N.). Entspricht sie dem, dann endet die gesetzliche Aufklärungspflicht der Behörde nicht schon dann, wenn die Mitwirkung verweigert wird; vielmehr hat dies zur Folge, dass die Untersuchungspflicht in einem solchen Fall stark eingeschränkt ist.

Dass hier die Mitwirkung der Klägerin an der Sachverhaltsermittlung (mit Blick auf den Maßstab der Verhältnismäßigkeit) erforderlich war, folgt aus dem Umstand, dass die Klärung der Frage nach einer Pflichtverletzung und die nach Gesamtverbindlichkeiten und Tilgungsquoten Feststellungen voraussetzen, die ohne Mitwirkung der Klägerin nicht getroffen werden können. Denn die in dem für die Steuerschuld maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt bestehenden Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft und die an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen sind als für den Haftungstatbestand bedeutsame Umstände (vgl. BFH, Urteil vom 12.6.1986, BFHE 146, 511; Beschluss vom 3.5.1999 - VII S 1/99 -, BFH/NV 2000, 1 ff.) nur unter Mitwirkung des betroffenen Vertreters feststellbar.

Der Umfang der Mitwirkungspflicht richtet sich nach dem konkreten abgabenrechtlichen Verfahren. Geht es wie hier um die Inanspruchnahme als Haftender, gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 88, 90, 93 Abs. 1 AO. Gefordert werden kann dementsprechend - wie auch die Klägerin nicht verkennt - neben Auskünften insbesondere die Vorlage von Unterlagen, die während der Zeit der Tätigkeit als Geschäftsführerin bzw. in Zusammenhang mit ihr bei der Gesellschaft angefallen sind (dazu BFH, Urteil vom 2.19.1986 - VII R 190/82 -, BFH/NV 1987, 223, 225). Solche Unterlagen sind auch zu beschaffen (BFH, Urteil vom 26.9.1989 - VII R 99/87 -, BFH /NV 1990, 351, 352), wobei die Pflicht zur Beschaffung und Vorlage allenfalls dann gemindert ist, wenn die zuständige Behörde die durch die Unterlagen zu erbringenden Informationen ohne weiteres selbst beschaffen kann (BFH, Urteil vom 23.8.1994 - VII R 134/92 -, BFH/NV 1995, 570, 571; dazu auch der von der Beklagten angeführte Beschluss des Senats vom 22.9.1999 - 2 S 1045/99 -).

Die Klägerin hat eine so umschriebene Mitwirkung unstreitig nicht vorgenommen, weil sie ihrer Ansicht nach hierzu rechtlich nicht verpflichtet sei. Dies trifft indes nicht zu. Insbesondere war die Mitwirkungsverpflichtung hier nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil - wie die Klägerin meint - die Forderung der Beklagten hier das gesetzlich Zulässige überschreite, oder - wie das Verwaltungsgericht meint - weil die Möglichkeit der Beklagten bestanden habe, durch Beiziehen der Akten des für die Festsetzung der Körperschaftssteuer zuständigen Finanzamts, Einblick in die Vermögensverhältnisse der GmbH zu erhalten, was eine Mitwirkung der Klägerin entbehrlich mache. Denn zutreffend weist die Beklagte hier darauf hin, dass das für die Erhebung der Körperschaftssteuer zuständige Finanzamt allenfalls über Unterlagen verfügt, die für die entsprechende Steuererklärung gefordert sind (vgl. etwa § 49 KStG, § 25 EStG, § 60 EStDV) und diese allenfalls Gewinne und Verluste ausweisen könnten. Umfang von Gesamtverbindlichkeiten der GmbH und von ihr geleisteter Zahlungen sind daher durch Einsichtnahme in diese Akten nicht zu ermitteln (vgl. auch Gressel KStZ 1993, 168, 171). Es übersteigt auch nicht die Zumutbarkeitsgrenze, wenn hierzu Auskünfte und Unterlagen von der Klägerin gefordert sind. Denn dabei geht es um die Aufklärung von in erster Linie "internen" Angelegenheiten der GmbH, über die Angaben zu machen die Klägerin ohne weiteres in der Lage war. Dass sie über die rechtlichen Folgerungen einer Mittelverwaltung und über Umfang oder Höhe einer Gewerbesteuerforderung keine Kenntnisse besessen habe, wie die Klägerin vorbringt, macht jedenfalls das Mitwirkungsverlangen der Beklagten nicht unerfüllbar. Denn diese hat ausweislich ihrer Schreiben vom 17.2.1998 und vom 25.2.1998, mit denen die Klägerin zum Erlass eines Haftungsbescheids gehört worden ist, und ausweislich des auf den Widerspruch der Klägerin ergangenen Schreibens vom 7.5.1998 die Klägerin aufgefordert, Unterlagen und Auskünfte unter Verwendung eines "Berechnungsbogens" zu unterbreiten, der unter den Nrn. 1 und 2 gerade Angaben zu den Verbindlichkeiten und der Tilgungsquote fordert. Nicht zu folgen ist auch dem Einwand der Klägerin, die Beklagte habe durch ihr Auskunftsersuchen die Grenzen einer zulässig Forderung nach Mitwirkung überschritten, da allenfalls die Beschaffung einschlägiger Unterlagen zur Berechnung des Haftungsumfangs verlangt werden dürfte, und dies auch lediglich dann, wenn der Steuergläubiger sich nicht ohnehin die erforderlichen Informationen selbst beschaffen könne, wie dies hier bei der Beklagten der Fall sei, die Einsicht in die Buchführung der GmbH hätte nehmen und den Außenprüfer hätte anhören können. Denn weder bestand diese Möglichkeit für die Beklagte in rechtlicher Hinsicht noch war eine solche Prüfung ihr zumutbar (zur Unverhältnismäßigkeit der Aufklärung vgl. BFH, Beschluss vom 3.5.1999, a.a.O.). Dies gilt auch im Ergebnis für die von der Klägerin angeführte Außenprüfung, die ihrem Zweck nach Aufschluss über die steuerlichen Verhältnisse, nicht jedoch Aufschluss über Gesamtverbindlichkeiten und mögliche anteilige Schuldentilgung durch die Gesellschaft bieten kann.

Dem nach allem auf eine ihr mögliche und ihr auch zumutbare Mitwirkung ausgerichteten Verlangen der Beklagten ist die Klägerin ersichtlich nicht nachgekommen. Denn unstreitig hat sie eine Stellungnahme zu den geforderten Auskünften bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids nicht abgegeben, sondern sich auf den Vortrag beschränkt, sie sei im Fälligkeitszeitpunkt nicht Geschäftsführerin gewesen. Dass sie im Rahmen des Klageverfahrens nunmehr angibt, zu einer Erfüllung der Mitwirkungspflicht deshalb nicht in der Lage zu sein, weil der nachfolgende Geschäftsführer nicht bereit gewesen sei mitzuwirken, ist zum einen wenig nachvollziehbar, bedenkt man die gesellschaftsrechtliche Stellung der Klägerin in der GmbH, und ist zum anderen unbeachtlich, da sie der Mitwirkungspflicht spätestens bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens hätte nachgekommen müssen (so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.5.1987, BWVPr. 1987, 231; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9.12.1988, NJW 1989, 1873).

Ist aber die fehlende Mitwirkung der Klägerin hier Anknüpfungspunkt für die Frage nach ihrer für die Haftung maßgeblichen Pflichtverletzung, ist der Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe nicht den "Haftungssachverhalt" und auch nicht einen "Haftungstatbestand" unterstellen dürfen, im Ansatz nicht zu folgen. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass dieser Sachverhalt nicht in Rede stehe, da auch nicht auszuschließen sei, dass die Klägerin der ihr obliegenden Pflicht zur (anteiligen) Schuldentilgung hinreichend Rechnung getragen haben könnte. Entsprechend dieser Beurteilung hat auch die Beklagte nicht die Voraussetzungen für einen Haftungstatbestand "unterstellt". Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist auch nicht entscheidend, dass eine Verpflichtung zur Erfüllung steuerlicher Forderungen nicht mehr bestehe, wenn eine Aussetzung der Vollziehung des entsprechenden Bescheids erreicht worden sei. Denn diese Aussetzung hat die Klägerin - so ihr Vortrag - zwar beantragt, dem Antrag ist indes nicht stattgegeben worden. Auch ist für die Annahme der Haftung der Klägerin nicht maßgeblich, dass nach ihrem Vortrag der Körperschaftssteuerbescheid, der dem für die Gewerbesteuer maßgeblichen Messbescheid zugrunde liege, noch nicht bestandskräftig geworden sei. Dieses Vorbringen zielt auf die Erfüllung einer Steuerzahlungspflicht der GmbH, um die es hier bei der Prüfung der gebotenen Mitwirkung der Klägerin nicht geht.

Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht führt allerdings nicht zu einer subjektiven Beweislast des betroffenen Steuerpflichtigen. Sie ist vielmehr im Rahmen der Beweiswürdigung von Bedeutung (dazu Tipke/Kruse, a.a.O. § 88 RdNr. 31, 32; § 90 RdNr. 8 und 16). Sie verringert lediglich die Ermittlungspflicht der Steuerbehörde. Kann der Sachverhalt wegen dieser die Verletzung der Mitwirkungspflicht verringerten Ermittlungspflicht nicht aufgeklärt werden, verringert sich auch das Beweismaß entsprechend: Die Steuerbehörde darf sich mit einem geringeren Grad an Überzeugung begnügen, als es in der Regel geboten ist (BFH, Beschl. vom 8.9.1994 - VII B 72/94 -, BFH/NV 1995, 373; Tipke/Kruse, a.a.O. § 88 RdNr. 33 m.w.N.). Bei der Beweiswürdigung dürfen aus dem Verhalten des Steuerpflichtigen für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden, die sich nicht auf die bezifferten Besteuerungsgrundlagen beschränken. Folgerichtig betrifft dies auch die Frage nach dem in § 69 AO vorausgesetzten Verschulden. Die Steuerbehörde darf eine Pflichtverletzung - sei sie vorsätzlich oder jedenfalls grob fahrlässig - zugrunde legen, also jedenfalls von der Annahme ausgehen, die Klägerin habe die ihr obliegende Sorgfalt, zu der sie nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maß verletzt (zum Maßstab s. Tipke-Kruse, a.a.O. RdNr. 26 m.w.N.).

Dementsprechend ist nicht zu beanstanden, dass dann, wenn wie bei der Klägerin eine Mitwirkung des Haftenden gänzlich verweigert wird, auch auf das Vorliegen der Voraussetzungen für seine uneingeschränkte Haftung geschlossen wird. Ein Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 191 AO) ist nicht festzustellen. Die Beklagte hat ihr "Entschließungsermessen" ausgeübt, und auch von einem "Auswahlermessen" zutreffend Gebrauch gemacht, zumal da sie gegenüber dem der Klägerin nachfolgenden Geschäftsführer gleichfalls einen entsprechenden Haftungsbescheid erlassen hat. Für die gerichtliche Prüfung der Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids und der danach, ob die genannten Voraussetzungen für eine Haftung des Geschäftsführers einer GmbH vorliegen, ist maßgeblicher Zeitpunkt der der letzten mündlichen Verhandlung, wie § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO seinem Wortlaut nach belegt. In diesem Zeitpunkt erweist sich nach den materiell-rechtlichen Vorgaben für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO der Bescheid der Beklagten gegenüber der Klägerin als rechtmäßig. Denn er ist - wie dargelegt - ermessensfehlerfrei ergangen und in der durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten gefundenen Fassung nicht zu beanstanden. Den erstmals im Klage- und Berufungsverfahren vorgetragenen Einwendungen der Klägerin gegen Grund und Höhe der Erstschuld und gegen die Annahme der Beklagten zu ihrer Haftung als Geschäftsführer muss nicht nachgegangen werden, da sie den ermessenfehlerfreien rechtmäßigen Bescheid nicht als (später) rechtswidrig erscheinen lassen, namentlich ihn trotz seines noch ausstehenden Vollzugs nicht zu einem späterer Änderung offen stehenden Dauerverwaltungsakt machen (vgl. etwa Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 113 RdNr. 42 ff., 45 aE).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 VwGO vorliegt.

Beschluss

vom 23. Januar 2003

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf EUR 29.365,03 (früher 57.433 DM) festgesetzt (vgl. § 13 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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