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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: 2 S 1794/06
Rechtsgebiete: BauGB, KAG


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
KAG § 10 a.F.
Die in Abwasser- und Wasserversorgungssatzungen angeordnete Tiefenbegrenzung wird durch die Festsetzung einer Einbeziehungssatzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB verdrängt; verläuft danach die beitragsrechtliche Tiefengrenze innerhalb des von einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB bestimmten Innenbereichs, ist die Satzung als speziellere Regelung maßgebend.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

2 S 1794/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Wasserversorgungs- und Abwasserbeitrag

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 21. Juni 2006 - 5 K 164/05 - geändert. Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags zzgl. 10 v.H. dieses Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu Abwasser- und Wasserversorgungsbeiträgen.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Flst.Nr. auf der Gemarkung Veringenstadt-Veringendorf. Das Grundstück steht heute nicht mehr in vollem Umfang im Eigentum der Kläger; im Jahre 2003 veräußerten sie eine Teilfläche (neue Flurstück Nr. xxxxxxx) als Bauplatz. Das Grundstück grenzt an die Erschließungsanlage "Oberer Rettichsweg/Stichweg auf Flurstück Nr.xxxx" in die die Beklagte im Jahre 2000 eine Wasserleitung und einen Abwasserkanal einschließlich Grundstücksanschlussleitungen für Wasser und Abwasser bis zur Grundstücksgrenze der Kläger verlegte.

Mit Bescheiden vom 6.9.2001 zog die Beklagte die Kläger für eine 2 198 qm große Teilfläche ihres (damals noch ungeteilten) Grundstücks Flst.Nr. xxxxx zu einem Abwasserbeitrag in Höhe von 17.913,70 DM (= 9.159,13 EUR) und zu einem Wasserversorgungsbeitrag in Höhe von 9.688,78 DM (= 4.953,79 EUR) heran.

Die veranlagte Teilfläche von 2.198 qm liegt im Geltungsbereich der vom Gemeinderat der Beklagten am 18.5.2001 beschlossenen "Klarstellungssatzung (Deklaratorische Satzung) und Satzung über die Einbeziehung einzelner Außenbereichsgrundstücke zur Ergänzung der im Zusammenhang bebauten Ortsteile in Veringendorf am Rettichsberg - Klarstellungs- und Ergänzungssatzung Rettichsberg -". Gemäß § 2 der Satzung wurde u.a. die veranlagte Teilfläche des Grundstücks Flst.Nr. xxxxx auf der Grundlage von § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil einbezogen.

Den von den Klägern gegen die Beitragsbescheide vom 6.9.2001 erhobenen Widerspruch wies das Landratsamt Sigmaringen mit Widerspruchsbescheid vom 11.1.2005 zurück.

Die Kläger haben am 20.1.2005 Klage erhoben, der das Verwaltungsgericht stattgegeben hat, soweit mit den angefochtenen Bescheiden ein über 7.818,60 EUR hinausgehender Abwasserbeitrag und ein über 4.152,34 EUR hinausgehender Wasserversorgungsbeitrag festgesetzt wurde. In den Entscheidungsgründen heißt es u.a.: Die Höhe des Abwasserbeitrags für das Grundstück der Kläger sei um 1.340,53 EUR und die Höhe des Wasserversorgungsbeitrags um 801,45 EUR auf Grund der in § 26 Abs. 1 Nr. 2 Abwassersatzung der Beklagten vom 26.9.1997 (im Folgenden: AbwS) und in § 29 Abs. 1 Nr. 2 Wasserversorgungssatzung der Beklagten vom 26.9.1997 (im Folgenden: WVS) enthaltenen Tiefenbegrenzungsregelungen zu reduzieren. Nach diesen Bestimmungen gelte als maßgebliche Grundstücksfläche, soweit - wie hier - ein Bebauungsplan nicht bestehe, die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 35 m von der Erschließungsanlage. Der Anwendung der satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzungsregelungen in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AbwS und § 29 Abs. 1 Nr. 2 WVS stehe auch nicht entgegen, dass Teile der herangezogenen Grundstücksfläche der Kläger im Bereich einer Innenbereichssatzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 BauGB lägen. Die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzungsregelung werde durch eine Innenbereichssatzung nicht verdrängt. Dem Wortlaut der Tiefenbegrenzungsregelungen in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AbwS und § 29 Abs. 1 Nr. 2 WVS lasse sich vielmehr entnehmen, dass für sämtliche Grundstücksflächen, für die ein Bebauungsplan nicht bestehe, eine Tiefenbegrenzung von 35 m anzunehmen sei. Damit habe der Satzungsgeber für die Normunterworfenen klar und erkennbar geregelt, welche Grundstücksflächen für die Berechnung des Erschließungsbeitrags maßgeblich seien. Solle diese Regelung ihrerseits eine Einschränkung, etwa für Grundstücke, die in den Bereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 BauGB fielen, erfahren, sei dies vom Satzungsgeber klar zu regeln. Nur auf diese Weise könnten die betroffenen Grundstückseigentümer eindeutig aus den Beitragssatzungen entnehmen, zu welchen Teilen ihr Grundstück in das Abrechnungsgebiet falle und demgemäß zu Beiträgen herangezogen werden könne.

Es gebe im Übrigen auch keinen zwingenden Grund, vom eindeutigen Wortlaut der satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzungsregelung für den Fall, dass ein Grundstück in den Anwendungsbereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 BauGB falle, in dem Sinn eine Ausnahme zu machen, dass derartige Satzungen einer Tiefenbegrenzung vorgingen. Für eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB folge dies bereits daraus, dass sie lediglich deklaratorische Bedeutung habe und dass die im Geltungsbereich der Satzung gelegenen Grundstücke damit keine andere Baulandqualität hätten als Grundstücke im sonstigen unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. Aber auch Satzungen nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BauGB, denen eine konstitutive Funktion zukomme, bildeten nur einen groben Rahmen, der eine Bebauung zwischen oder neben einer vorhandenen Bebauung oder in Anlehnung an eine solche Bebauung ermögliche; weitergehende Wirkungen habe eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BauGB nicht. Insbesondere ergebe sich der Standort des Gebäudes wie auch die Art und das Maß der baulichen Nutzbarkeit aus der Notwendigkeit des Einfügens im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebungsbebauung.

Dies bedeute nach der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 6.2.2006 vorgelegten Vergleichsberechnung, die inhaltlich nicht zu beanstanden sei und gegen die die Kläger auch keine Einwendungen erhoben hätten, dass vom Grundstück der Kläger nur eine Teilfläche von 1.885 qm (statt 2.198 qm) beitragspflichtig sei, so dass sich die Höhe des Abwasserbeitrags auf 7.818,60 EUR und des Wasserversorgungsbeitrags auf 4.152,34 EUR ermäßige.

Gegen das am 27.7.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.8.2006 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts werde die in einer Abgabensatzung angeordnete Tiefenbegrenzung durch die Festsetzungen einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB verdrängt; decke sich die in einer solchen Satzung gezogene Grenze mit Blick auf ein Grundstück im unbeplanten Gebiet nicht mit der in der Beitragssatzung angegebenen Tiefenbegrenzung, sei eine Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB als die speziellere Regelung maßgebend.

Dieser Auffassung stünde auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 1.9.2004 - 9 C 15.03 - (BVerwGE 121, 365) zum Erschließungsbeitragsrecht nicht entgegen. Selbst die Vertreter der These von der Anwendbarkeit einer Tiefenbegrenzung bei vollständig im Innenbereich gelegenen Grundstücken gingen vom "Vorrang" einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB aus. Bei den Flächen, die gemäß einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB dem Innenbereich zuzurechnen seien, bestehe keine Unsicherheit (mehr) hinsichtlich deren planungsrechtlicher Qualität. Es stellten sich auch nicht mehr die "Anwendungsschwierigkeiten des § 34 BauGB", von denen das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 1.9.2004 (aaO) gesprochen habe. Die Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB lege den Umfang der Baulandeigenschaft eines Grundstücks mit Satzungsqualität und damit verbindlich fest.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 21.6.2006 zu ändern und die Klagen (insgesamt) abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie berufen sich sinngemäß auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Auf diese Unterlagen und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach ihrer Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) statthaft und auch sonst zulässig (§ 124 a Abs. 2, Abs. 3 VwGO). Sie ist auch begründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide der Beklagten vom 6.9.2001 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Sigmaringen vom 11.1.2005 sind - soweit sie noch hinsichtlich des Abwasserbeitrags in Höhe von 1.340,53 EUR und hinsichtlich des Wasserversorgungsbeitrags in Höhe von 801,45 EUR Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind - rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Die angefochtenen Beitragsbescheide finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 2, 10 des hier noch anzuwendenden Kommunalabgabengesetzes vom 28.5.1996, GBl. S. 481 (KAG 1996) und in den Bestimmungen der Satzung der Beklagten vom 26.9.1997 über die öffentliche Abwasserbeseitigung -Abwassersatzung (im Folgenden: AbwS) und der Satzung der Beklagten -ebenfalls vom 26.9.1997 - über den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgungsanlage und die Versorgung der Grundstücke mit Wasser -Wasserversorgungssatzung (im Folgenden: WVS). Bedenken gegen die formelle und die materielle Gültigkeit dieser Satzungen sind nicht ersichtlich.

Für die Beurteilung des Senats im Berufungsverfahren ist allein die Frage des Verhältnisses einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB gegenüber der Tiefenbegrenzungsregelung einmal in der Abwasser- und zum anderen in der Wasserversorgungssatzung entscheidungserheblich.

Davon ausgehend hat die Beklagte der Berechnung des Erschließungsbeitrags für das Grundstück Flst.Nr. xxxxx zu Recht eine Grundstücksfläche von 2.198 qm und damit die Teilfläche des Grundstücks zugrunde gelegt, die gemäß § 2 der Klarstellungs- und Ergänzungssatzung Rettichsberg auf der Grundlage von § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil einbezogen wurde. Die Tiefenbegrenzungsregelungen in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AbwS und in 29 Abs. 1 Nr. 2 WVS, auf deren Grundlage lediglich eine Grundstücksfläche von 1 885 qm bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen wäre und die zu einer Reduzierung der Beiträge entsprechend der Entscheidung des Verwaltungsgerichts führen würde, findet im hier zu beurteilenden Fall keine Anwendung.

Nach Auffassung des Senats wird die in Abwasser- und Wasserversorgungssatzungen angeordnete Tiefenbegrenzung durch die Festsetzung einer sog. "Einbeziehungssatzung" nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB verdrängt; verläuft danach - wie im vorliegenden Fall - die beitragsrechtliche Tiefengrenze innerhalb des von einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB bestimmten Innenbereichs, ist die Satzung als die speziellere Regelung maßgebend (ebenso u.a. Nieders. OVG, Urteil vom 21.9.1995 - 9 L 6639/93 - OVGE Mülü 45, 462; Klausing in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, § 8 Rdnr. 1031; Seeger/Gössl, Kommunalabgabengesetz für Baden-Württemberg, Kommentar, Stand Mai 2004, § 10 Nr. 5. b S. 148 b; Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz für Baden-Württemberg, Kommentar, Stand Oktober 2006, § 31 Rdnr. 3.3; a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.5.2001 -15 A 5608/98 - KStZ 2001, 194; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.9.1998 - 2 L 254/94 - NordÖR 1999, 315). Das Kommunalabgabenrecht knüpft an die planungsrechtliche Grundstückssituation an. Hat die Gemeinde - wie hier bezogen auf das konkrete Grundstück der Kläger - eine planungsrechtlich verbindliche Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich vorgenommen, dann ist diese auch für das Beitragsrecht bindend. Für die Anwendung einer Tiefenbegrenzungsregelung bleibt dann kein Raum (mehr), dies ergibt sich aus der Funktion der Tiefenbegrenzungsregelung. Im Einzelnen:

Nach § 23 Abs. 1 S. 2 AbwS und § 26 Abs. 1 S. 2 WVS unterliegen erschlossene Grundstücke, für die - wie hier - eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, der Beitragspflicht, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Stadt zur Bebauung anstehen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist im Kommunalabgabenrecht regelmäßig vom grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff auszugehen (vgl. etwa Senatsurteil vom 28.9.1995 -2 S 805/94 - BWGZ 1996, 54). Allerdings müsste nach den genannten Satzungsbestimmungen in unbeplanten Gebieten bei Grundstücken, die - wie hier - mit ihren vorderen Teilflächen im Innenbereich (§ 34 BauGB) liegen und im Übrigen mit ihren rückwärtigen Teilflächen in den Außenbereich (§ 35 BauGB) übergehen, in jedem Einzelfall entschieden werden, inwieweit, d.h. bis zu welcher Tiefe, ein solches Grundstück baulich oder vergleichbar nutzbar und damit bevorteilt ist. In derartigen Fällen kann der Ortsgesetzgeber wegen der mit der Abgrenzung vom Innen- und Außenbereich verbundenen Anwendungsschwierigkeiten des § 34 BauGB im Interesse der Rechtssicherheit, Gleichbehandlung der Beitragspflichtigen und Verwaltungspraktikabilität eine Tiefenbegrenzung im Beitragsmaßstab der Abgabensatzung anordnen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.1.1999 - 9 M 3626/98 - Juris; Klausing in: Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 1030; vgl. auch zum Erschließungsbeitragsrecht: Uechtritz in: VBlBW 2006, 178, 181).

Allerdings begründet die Tiefenbegrenzungsregelung - im Interesse einer praktikablen Beitragsabrechnung - lediglich eine widerlegbare Vermutung, dass die Flächen diesseits der Tiefengrenze dem unbeplanten Innenbereich und die Flächen jenseits der Tiefengrenze dem Außenbereich zuzuordnen sind. Diese Vermutung ist - in einer die Tiefengrenze überschreitenden Weise - widerlegt, wenn ein Grundstück über die Grenze hinaus tatsächlich baulich genutzt wird oder wenn eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB eine Grenze des Innenbereichs festlegt, die über die beitragsrechtliche Tiefengrenze hinausgeht (vgl. Klausing in: Driehaus, aaO, § 8 Rdnr. 1030). Bei den Flächen, die gemäß einer "Einbeziehungssatzung" nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB dem Innenbereich zuzurechnen sind, besteht -mit anderen Worten - keine Unsicherheit (mehr) hinsichtlich der planungsrechtlichen Qualität. Im Rahmen des Erlasses der Klarstellungs- und Ergänzungssatzung Rettichsberg hat der Gemeinderat der Beklagten eine planungsrechtlich verbindliche Entscheidung gerade für das streitgegenständliche Grundstück der Kläger getroffen, die "Anwendungsschwierigkeiten des § 34 BauGB", von denen das Bundesverwaltungsgericht in seinem zum Erschließungsbeitragsrecht ergangenen Urteil vom 1.9.2004 - 9 C 15.03 - (BVerwGE 121, 365) gesprochen und für die generelle Zulässigkeit einer Tiefenbegrenzungsregelung herangezogen hat, stellen sich nicht mehr. Somit entfällt auch die Rechtfertigung für die Anwendung einer Tiefenbegrenzungsregelung.

Nicht gefolgt werden kann der zum Erschließungsbeitragsrecht unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.9.2004 (aaO) ergangenen Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.9.2005 -6 A 10.898/05 - Juris), "wonach eine Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB die Reichweite der Erschließungswirkung nicht regele und deshalb auch nicht vorrangig gegenüber der Tiefenbegrenzung der Erschließungsbeitragssatzung sein könne, mit der der baulich nutzbare (vordere) Bereich eines übergroßen, vollständig im unbeplanten Innenbereich liegenden Grundstücks pauschalierend festgelegt worden sei". Dem beitragsrechtlichen Begriff der "Erschließungswirkung" liegt die Annahme des OVG zugrunde, dass allein die Lage im unbeplanten Innenbereich es noch nicht rechtfertige, den hinter der Tiefenbegrenzung liegenden Bereich automatisch als Bauland anzusehen. Damit wird aber verkannt, dass ein innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegendes Grundstück - ebenso wie ein nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB einbezogenes Grundstück - grundsätzlich Baulandqualität besitzt und damit das Gesamtgrundstück baulich nutzbar ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 BauGB könne der Baulandqualität entgegenstehen. Das Einfügungsgebot entscheidet nicht über die Frage des "Ob" einer zulässigen baulichen Nutzung (Bauland oder nicht), sondern nur über die Art und Maß der grundsätzlich zulässigen baulichen Nutzung (vgl. Uechtritz, aaO., 181, Rn 21). Die bauliche Nutzbarkeit eines Grundstücks bestimmt sich folglich aus der Lage im Innenbereich, nicht aus der Umgebungsbebauung, die lediglich die "Feinsteuerung" im Hinblick auf Art und Maß der baulichen Nutzung bewirkt. Fehlt es etwa hinsichtlich des hinteren Bereichs eines übergroßen Grundstücks bereits an einer diesen Grundstücksteil prägenden Umgebungsbebauung, so kommt diesem schon keine Innenbereichsqualität zu. Diese Grundstücksflächen sind nicht im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 AbwS und § 26 Abs. 1 S. 2 WVS erschlossen und damit kein Bauland, wie es von den genannten Satzungsbestimmungen vorausgesetzt wird.

Schließlich ist es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unerheblich, dass sich dem Wortlaut der Tiefenbegrenzungsregelungen in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AbwS und § 29 Abs. 1 Nr. 2 WVS eine Einschränkung für Flächen, die im Bereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB liegen, nicht entnehmen lässt. Die Auslegung einer Rechtsnorm erschöpft sich nicht allein in der Wortlautinterpretation. Hier ergibt sich die einschränkende Auslegung der Tiefenbegrenzungsregelung - wie dargelegt - aus deren Funktion und damit aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Dass der betroffene Grundstückseigentümer - in diesem speziellen Fall - allein auf der Grundlage des Wortlauts der Tiefenbegrenzungsregelung nicht erkennen kann, welche Grundstücksflächen für die Berechnung des Erschließungsbeitrags maßgeblich sind, ist unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 28. Februar 2008

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf 2.141,98 EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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