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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 11.10.2001
Aktenzeichen: 2 S 2429/99
Rechtsgebiete: AO, BGB, KAG


Vorschriften:

AO § 1 Abs. 2 Nr. 4
AO § 1 Abs. 2 Nr. 5
AO § 1 Abs. 2 Nr. 6
AO § 122
AO § 166
AO § 171 Abs. 10
AO § 184 Abs. 1
AO § 191 Abs. 1
AO § 219
AO § 351 Abs. 2
BGB § 421
BGB § 427
BGB § 705
BGB § 709
BGB § 714
KAG § 1
KAG § 3 Abs. 1 Nr. 3 b
KAG § 3 Abs. 1 Nr. 4 c
KAG § 3 Abs. 1 Nr. 5 a
KAG § 6 Abs. 1
KAG § 6 Abs. 2
1. Der Haftungsschuldner für Gewerbesteuer ist mit seinen Einwendungen gegen den Gewerbesteuermessbescheid und den Gewerbesteuerbescheid nur unter den Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 166 AO ausgeschlossen.

2. Ein nicht alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der für Steuerschulden der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Haftung genommen wird, kann alle Einwendungen gegen den primären Steueranspruch erheben.

3. Die mit der Heranziehung zur Haftung nach § 191 Abs. 1 AO verbundene Zahlungsaufforderung nach § 219 AO ist ein selbständiger Verwaltungsakt.


2 S 2429/99

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Gewerbesteuerhaftungsbescheid

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Semler, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Schraft-Huber und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Haller ohne mündliche Verhandlung

am 11. Oktober 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6. Februar 1998 - 10 K 4925/96 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 4. September 1996 und deren Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1996 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags zuzüglich 10 v.H. dieses Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin.

Am 27.9.1994 ging beim Finanzamt Göppingen eine Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1991 mit der Unterschrift "A. xxxxxxxxxxx" ein. Die Gewerbesteuererklärung trug den Vermerk, dass bei ihrer Anfertigung der Steuerberater Th. Sch. mitgewirkt habe. In der Rubrik "Allgemeine Angaben" ist festgehalten: xxxx xxxxxxxe xxx xxxxxxxxxxxxxxxxxx, xxxxxxxx xxxxxx xx, xxxxxxxxxxxxxxx. Dem Formular ist weiter zu entnehmen, dass die Betriebsstätte am 1.6.1991 von Eislingen nach Göppingen verlegt worden sei. Ebenfalls am 27.9.1994 ging beim Finanzamt Göppingen die Erklärung der xxxx xxxxxxxx GbR für Zerlegung des einheitlichen Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital betreffend das Jahr 1991 für Betriebsstätten in Eislingen, Göppingen und Regensburg ein, die von "A. xxxxxxxxxxx" unterzeichnet war. Das Finanzamt Göppingen erließ unter dem 13.3.1995 einen Bescheid für 1991 über den Gewerbesteuermessbetrag für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ASIK Strutinszky-Hüller. Jeweils eine Fertigung wurde an Herrn A. St. und die Klägerin adressiert. Einspruch wurde hiergegen nicht erhoben. Das Finanzamt Göppingen erließ weiter unter dem 3.3.1995 den Bescheid für 1991 über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Dieser Bescheid wurde (nur) an Herrn St. adressiert.

Unter dem 14.3.1995 hatte die Stadt Eislingen die Klägerin - neben Herrn St. - zur Gewerbesteuer nebst Nachzahlungszinsen für 1991 für die GbR xxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxx veranlagt. Hiergegen hatte die Klägerin bei der Stadt Eislingen mit Schreiben vom 29.3.1995 Widerspruch erhoben und angegeben, es habe eine xxxx xxx zwischen ihr und Herrn St. nie gegeben. Sie beantragte weiter "Stundung und Aussetzung der Vollziehung sämtlicher Bescheide über Gewerbesteuern". Dieses Schreiben wurde seitens der Stadt Eislingen zuständigkeitshalber unter dem 31.3.1995 dem Finanzamt Göppingen übersandt.

Mit Gewerbesteuerbescheid vom 9.3.1995 setzte die Beklagte für die "xxxxxxxxxxx und xxxxxx GbR z.Hn. Herrn A. xxxxxxxxxxx" die Gewerbesteuer für 1991 auf 3.863,-- DM und mit weiterem entsprechend adressierten Bescheid vom 9.3.1995 Nachzahlungszinsen in Höhe von 437,-- DM fest. Nach erfolgloser Mahnung vom 25.4.1995 wurde am 13.6.1995 Auftrag zur Vollstreckung erteilt. Diese blieb erfolglos. Unter dem 16.7.1996 wurde der Klägerin ihre Inanspruchnahme als Gesellschafterin der ehemaligen Gesellschaft bürgerlichen Rechts neben Herrn St. auf Grund eines Haftungsbescheids über insgesamt 4.929,60 DM (Gewerbesteuer 1991: 3.863,-- DM, Veranlagungszinsen: 437,-- DM; Mahngebühren: 21,60 DM und Säumniszuschläge: 608,-- DM) angekündigt. Mit Schreiben vom 22.7.1996 erklärte die Klägerin, es habe zu keinem Zeitpunkt zwischen ihr und Herrn St. eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestanden. Mit Bescheid vom 4.9.1996 nahm die Beklagte die Klägerin in Höhe von 4.967,60 DM (Säumniszuschläge mittlerweile in Höhe von 646,-- DM) in Anspruch und forderte sie gem. § 219 AO zur Zahlung dieses Betrags auf. Zur Begründung verwies sie auf den bestandskräftigen Feststellungsbescheid des Finanzamts und ihre Haftung als ehemalige Gesellschafterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 26.9.1996 wiederholte die Klägerin, dass keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen ihr und Herrn St. bestanden habe. Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 21.10.1996, der Klägerin am 22.10.1996 zugestellt, wurde der Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung auf die Bestandskraft des Feststellungsbescheids des Finanzamts abgehoben.

Am 22.11.1996 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 4.9.1996 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 27.10.1996 aufzuheben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, einen Feststellungsbescheid des Finanzamts Göppingen habe sie nicht erhalten. Eine ordnungsgemäße Zustellung des Grundsteuermessbescheids sei nie erfolgt. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe nie zwischen ihr und ihrem früheren Lebensgefährten, Herrn St., bestanden. Die Bezeichnung "xxxx xxxxxxxx GbR xxxxxxxxxxxxxxxxxx" sei für sie nicht nachvollziehbar. Sie könne nicht auf Grund völlig unrichtiger Angaben des tatsächlichen Steuerschuldners als Haftungsschuldnerin herangezogen werden. Erstmals habe sie von der Sache durch den Haftungsbescheid erfahren.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ihre bisherige Auffassung bekräftigt. Herr St. sei verschwunden.

Mit Urteil vom 6.2.1998 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Für die Gewerbesteuerhaftung sei vom Bestehen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts xxxx auszugehen. Der für eine Gewerbesteuer Haftende könne im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Einwendungen gegen die im Gewerbesteuermessbescheid entschiedene persönliche und sachliche Gewerbesteuerpflicht geltend machen. Der Grundlagenbescheid sei auch nicht nichtig. Das Nichtbestehen einer solchen Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei jedenfalls nicht offensichtlich gewesen. Der Klägerin sei es möglich und zumutbar gewesen, den der Festsetzung zugrundeliegenden Mess- bzw. Zerlegungsbescheid zu beseitigen, auch wenn diese ihr nicht bekannt gewesen sein sollten. Dies sei unerheblich, weil die wirksame Bekanntgabe für die Gewerbesteuerhaftung ohne Bedeutung sei, die Bekanntgabe an einen Gesellschafter ausreiche und die Klägerin wegen des Gewerbesteuerbescheids der Stadt Eislingen vom 14.3.1995 davon gewusst habe, dass die Finanzbehörden vom Bestehen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter ihrer Beteiligung als Gesellschafterin ausgingen. Auf diesen Bescheid habe sie auch reagiert. Ihre Behauptung, keine Bescheide erhalten zu haben, sei als Schutzbehauptung zu werten. Was die notwendige Mitwirkung des Gesellschafters an der den Steuertatbestand auslösenden Gestaltung angehe, müsse sie den ersten Anschein gegen sich gelten lassen. Die Haftungssumme sei nicht zu beanstanden, Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führt die Klägerin aus: Der Haftungstatbestand des § 191 Abs. 1 AO setze voraus, dass der in Anspruch genommene Haftungsschuldner im maßgeblichen Veranlagungszeitraum auch Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewesen sei. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass diese Einwendung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durchaus noch geltend gemacht werden könne. Sie sei nicht abschließend durch den Gewerbesteuermessbescheid geregelt worden und sei von einem eventuellen Einwendungsausschluss auch nicht betroffen. Die Klägerin habe den Grundlagenbescheid weder kraft eigenen Rechts noch als vertretungsberechtigte Gesellschafterin anfechten können. Herr St. sei auch nicht als gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter bestellt gewesen. Der Gewerbesteuermessbescheid vom 13.3.1995 und der Gewerbesteuerbescheid vom 9.3.1995 seien ihr auch nicht bekannt gegeben worden. Dies als Schutzbehauptung zu bewerten, sei mit der Regelung in § 122 Abs. 2 2. Hs. AO nicht zu vereinbaren. Die Klägerin sei zur Beseitigung der Bescheide auch rechtlich nicht in der Lage gewesen, da sie dadurch überhaupt nicht beschwert worden sei.

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6.2.1998 - 10 K 4925/96 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 4.9.1996 und deren Widerspruchsbescheid vom 21.10.1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf § 166 AO. Danach seien dem Haftungsschuldner Einwendungen gegen die Primärschuld dann abgeschnitten, wenn diese unanfechtbar gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt worden und der Haftungsschuldner entweder Gesamtrechtsnachfolger des Primärschuldners sei oder er rechtlich in der Lage gewesen wäre, den gegen diesen erlassenen Steuerbescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigtiger oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Diese Möglichkeit habe die Klägerin gehabt. Der Gewerbesteuermessbescheid sei auch an sie übersandt worden. Nach § 184 AO werde damit auch über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden. Dies führe zur Betroffenheit im eigenen Recht. Im Zweifel würden sich bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Umfang der Geschäftsführungsbefugnis und der Vertretungsmacht decken. Folglich sei jeder Gesellschafter geschäftsführungs- und vertretungsbefugt, somit auch die Klägerin.

Dem Senat liegen die Akten der Beklagten (ein Heft) und die Gewerbesteuerakten des Finanzamts Göppingen betreffend die Gesellschaft bürgerlichen Rechts xxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxx Bd. I, angelegt 1991, geschlossen 1992 (ein Band) sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 4.9.1996 und deren Widerspruchsbescheid vom 21.10.1996 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Verfahrensgegenstand ist die mit Bescheid der Beklagten vom 4.9.1996 verfügte Heranziehung der Klägerin zur Haftung (Ziff.1 des Bescheids) und weiter die gegen sie ergangene Zahlungsaufforderung (Ziff. 2 des Bescheids). Bei letzterer handelt es sich um ein mit der Heranziehung zur Haftung verbundenes Leistungsgebot, dem die Eigenschaft eines selbständigen auf § 3 Nr. 5 a KAG in Verb. mit § 219 AO beruhenden Verwaltungsakts zukommt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Tz. 1 zu § 219 AO; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Komm. zur Abgabenordnung, Rdnrn. 2 und 9 ff. zu § 219; Klein, Abgabenordnung, 6. Aufl., Anm. 1 zu § 219).

I. Rechtsgrundlage für die Haftungsinanspruchnahme eines Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für deren Gewerbesteuerschuld ist § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG in Verb. mit § 191 Abs. 1 S. 1 AO. Diese Vorschrift ermöglicht, eine nach materiellem Recht bestehende Haftung - verfahrensrechtlich - mit einem Haftungsbescheid geltend zu machen (Klein, aaO, Anm. 1 zu § 191). Tatbestandliche Voraussetzungen dieser - im Ermessen der Behörde stehenden - Entscheidung sind das Bestehen der erforderlichen primären Steuerschuld mit Wirkung gegenüber dem Haftungsschuldner (1.) und das Vorliegen eines Haftungstatbestands in der Person des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners (2.). Bereits an der ersten Voraussetzung fehlt es im Falle der Klägerin.

1. Es mag zwar eine Gewerbesteuerpflicht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts für das Jahr 1991 bestehen bzw. zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids bestanden haben, jedoch nicht mit Wirkung gegenüber der Klägerin. Sie kann sich nämlich darauf berufen, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe zwischen ihr und Herrn St. im maßgeblichen Zeitpunkt nicht bestanden. Sie ist insoweit entgegen der Annahme der Beklagten und des Verwaltungsgerichts von keinem Einwendungsausschluss betroffen.

Die Haftung setzt wegen deren Akzessorietät das Bestehen einer Steuerschuld des Erstschuldners voraus (Tipke/Kruse, aaO, Tz. 15 zu § 191 AO). Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist bezüglich der Gewerbesteuer nach § 5 Abs. 1 GewStG selbst Steuerschuldnerin, wenn ihre Tätigkeit Gewerbebetrieb ist. Das Gewerbesteuerrecht erkennt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts insofern als eigenständiges Steuerrechtsubjekt an (BFH, Urteil vom 4.11.1987, BStBl. II 1988, 377; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 18 zu § 33). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gewerbesteuerbescheid vom 9.3.1995 gegenüber der Gesellschaft bürgerlichen Rechts wirksam bekanntgegeben wurde. Denn die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, dass die Steuerschuld gegen den Erstschuldner (wirksam) festgesetzt wurde, wie § 191 Abs. 3 S. 4 AO zu entnehmen ist (BFH, Urteil vom 2.2.1994, BStBl. II 1995, 300; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 18 zu § 191 mit zahlr. Hinw. zur Rechtspr.). Ausreichend ist das Bestehen der (primären) Gewerbesteuerforderung gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bei Erlass des Haftungsbescheids.

Hier spricht manches dafür, dass die Gewerbesteuerforderung der Beklagten gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts für das Jahr 1991 mit Bescheid vom 9.3.1995 zwar für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts unanfechtbar festgesetzt worden ist, jedoch nicht mit Wirkung gegenüber der Klägerin. Diese kann ihrer Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin ihre Einwendung gegen die Primärschuld entgegensetzen, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts - als Gewerbesteuerschuldnerin für das Jahr 1991 - habe es unter ihrer Beteiligung nicht gegeben.

Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 29.11.1996 - 2 BvR 1157/93 -, BStBl. II 1997, 415 = KStZ 1997, 172 ff.) geht der Senat davon aus, dass ein Haftungsschuldner seiner Inanspruchnahme nach § 191 AO aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich Einwendungen entgegensetzen kann, die nicht nur die Haftungsschuld, sondern die davon zu unterscheidende sog. Primärschuld, für die er als Haftender in Anspruch genommen wird, betreffen (ebenso BFH, Urteil vom 18.3.1987, BStBl. II 1987, 419; Urteil vom 8.12.1981, BStBl. II 1982, 226; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 132 zu § 191; Klein, aaO, Anm. 10 zu § 191; Hübschmann/Hepp/Spitaler, aaO, Rdnr. 92 zu § 191). Die davon abweichende frühere Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 1.3.1990 - 2 S 62/89 -; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12.3.1993, NJW 1993, 2453) wird nicht aufrechterhalten.

Eine gegen den Haftungsschuldner gerichtete Drittwirkung des gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheids ist aber ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 166 AO gegeben. Danach sind dem Haftungsschuldner Einwendungen gegen die Primärschuld dann abgeschnitten, wenn diese unanfechtbar gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt worden ist und der Haftungsschuldner entweder Gesamtrechtsnachfolger des Primärschuldners ist oder rechtlich in der Lage gewesen wäre, den gegen diesen erlassenen Steuerbescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten (BVerfG, Urteil vom 29.11.1996, aaO). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin weder bezüglich des Gewerbesteuerbescheids der Beklagten vom 9.3.1995 (a) noch bezüglich des Gewerbesteuermessbescheids des Finanzamts Göppingen vom 13.3.1995 (b) vor.

a) § 166 AO ist gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG als Vorschrift über die Durchführung der Besteuerung (Festsetzungs- und Feststellungsverfahren) auf die Gewerbesteuerfestsetzung anwendbar. Die die Gesellschaft bürgerlichen Rechts betreffende Gewerbesteuerfestsetzung vom 9.3.1995, auf deren Unanfechtbarkeit durch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts es hier nicht ankommt, entfaltet danach gegenüber der Klägerin keine Wirkung. Die Klägerin ist nicht Gesamtrechtsnachfolgerin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Es sind auch keinerlei Hinweise darauf ersichtlich, dass sie Bevollmächtigte der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewesen wäre. Die Klägerin ist auch nicht als Vertreterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts von Einwendungen ausgeschlossen. Der Einwendungsausschluss eines Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 166 AO reicht nämlich nicht weiter als die ihm rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht. Daher kann ein nicht alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter, der für Steuerschulden der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Anspruch genommen wird, alle Einwendungen gegen den Steueranspruch erheben (Hübschmann/Hepp/Spitaler, aaO, Rdnr. 92 zu § 191 AO).

Dabei führt auch die Erwägung der Beklagten, die Klägerin sei als Vertreterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anfechtungsbefugt gewesen, weil bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts jeder Gesellschafter (einzel-)geschäftsführungs- und vertretungsbefugt sei, nicht weiter. Zwar ist ein Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, soweit ihm nach dem Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, im Zweifel auch ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten (§ 714 BGB). Indes steht nach dem gesetzlichen Regelfall (§§ 709 bis 712 BGB) die Geschäftsführung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts allen Gesellschaftern im Grundsatz gemeinschaftlich zu. Abweichendes bedarf vertraglicher Regelung durch die Gesellschafter. Der Bestimmung des § 709 BGB entspricht das gemeinschaftliche Handeln aller Gesellschafter im Rechtsverkehr mit Dritten (sog. Selbsthandeln der Gesamthand), ohne dass es überhaupt zur Vertretung kommt. Handelt ein einzelner Gesellschafter für die Gesamthand, verpflichtet er sie und die anderen Gesellschafter kraft rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht, die § 714 BGB im Zweifel generell an die einem Gesellschafter übertragene Geschäftsführungsbefugnis knüpft (vgl. Palandt, BGB, 60. Aufl., Vorbem. 1 ff. vor § 709). Anhaltspunkte für eine Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags zwischen den Gesellschaftern der Gesellschaft bürgerlichen Rechts dergestalt, dass die Klägerin alleinvertretungsberechtigte Gesellschafterin gewesen wäre, liegen nicht vor und werden von der Beklagten auch nicht behauptet. Hinweise darauf ergeben sich insbesondere nicht aus der beim Finanzamt Göppingen am 27.9.1994 eingegangenen Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1991, die lediglich von Herrn St. unterzeichnet worden ist.

Eine Anfechtungsbefugnis kraft eigenen Rechts hat die Klägerin ebenfalls nicht. Steuerbescheide gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts können nur die Gesellschafter gemeinschaftlich anfechten, sofern nicht ein Gesellschafter zur Alleinvertretung berechtigt ist (Hübschmann/Hepp/Spitaler, aaO, Rdnr. 92 zu § 191; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 1 zu § 350 AO und Tz. 40 zu § 40 FGO m.w.N. zur Rechtspr.). Der Haftungsschuldner ist nur durch den Haftungsbescheid beschwert, nicht aber durch die Festsetzung der Primärschuld (BVerfG, Urteil vom 29.11.1996, aaO; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 55 zu § 40 FGO). Schließlich ist der Gewerbesteuerbescheid vom 9.3.1995 der Klägerin auch nicht bekanntgegeben worden (§ 122 Abs. 1 S. 1 AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 b KAG), wie den Akten zu entnehmen ist.

b) Auch der Gewerbesteuermessbescheid des Finanzamts Göppingen vom 13.3.1995 führt zu keiner Drittwirkung gegenüber der Klägerin nach § 166 AO und damit zu keinem Ausschluss ihrer Einwendung, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe zwischen ihr und Herrn St. nicht bestanden.

Der Gewerbesteuermessbescheid ist Grundlagenbescheid im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AO in Verb. mit § 171 Abs. 10 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 6 AO in Verb. mit § 351 Abs. 2 AO. Er enthält als solcher kein Leistungsgebot. Mit ihm werden die Besteuerungsgrundlagen ermittelt und verbindlich festgestellt. Die mit dem Messbescheid getroffenen Feststellungen sind für den Gewerbesteuerbescheid als Folgebescheid bindend (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 in Verb. mit § 184 Abs. 1 S. 2 AO) mit der Folge, dass der Steuerpflichtige Einwendungen gegen seine im Gewerbesteuermessbescheid entschiedene persönliche und sachliche Gewerbesteuerpflicht nicht mehr gegen den Folgebescheid richten kann. Dazu gehört die Einwendung, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht bestanden. Ein Haftungsschuldner für die Gewerbesteuer ist mit seinen Einwendungen gegen den Gewerbesteuermessbescheid im Verfahren gegen seine Haftungsinanspruchnahme aber nur unter den Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 166 AO ausgeschlossen. Ein solcher Anwendungsfall liegt hier jedoch nicht vor.

§ 166 AO ist auf Grundlagenbescheide wie den Gewerbesteuermessbescheid anwendbar, wie sich aus § 184 Abs. 1 S. 4 AO ergibt (BVerwG, Urteil vom 12.3.1993, NJW 1993, 2453; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 4 zu § 166 und Tz. 12 und 22 vor § 172; Klein, aaO, Anm. 4 zu § 166).

Der an die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gerichtete Gewerbesteuermessbescheid des Finanzamts Göppingen vom 13.3.1995 mag zwar für die steuerpflichtige Gesellschaft bürgerlichen Rechts unanfechtbar geworden sein. Dieser Frage ist hier nicht weiter nachzugehen. Die Klägerin war zu seiner Anfechtung weder als Gesamtrechtsnachfolgerin noch als Vertreterin oder Bevollmächtigte befugt. Dies lässt sich den obigen Ausführungen zum Gewerbesteuerbescheid vom 9.3.1995, die auch hier gelten, entnehmen.

Sie war auch nicht kraft eigenen Rechts zur Anfechtung befugt. Als Haftungsschuldnerin ist sie - wie ausgeführt - nur durch den Haftungsbescheid beschwert. Die Klägerin war auch nicht deshalb anfechtungsbefugt, weil ihr der Gewerbesteuermessbescheid der Beklagten nachweislich zugegangen wäre. Zwar wurde ausweislich der Gewerbesteuerakten des Finanzamts der Gewerbesteuermessbescheid an sie adressiert und insoweit auch kein Einspruch eingelegt. Die Klägerin bestreitet jedoch, dass der Bescheid ihr überhaupt jemals zugegangen ist.

Nach § 122 Abs. 2 2. Hs. AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 b KAG hat die Behörde bei schriftlichen Verwaltungsakten, die durch die Post übermittelt werden, im Zweifel den Zugang nachzuweisen. Bestreitet der Adressat wie hier, dass das Schriftstück überhaupt zugegangen ist, obliegt der Behörde der volle Beweis über den Zugang. Dieser Beweis kann auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden. Ein sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber den tatsächlichen Geschehensablauf abstellt, genügt aber angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht. Der Anscheinsbeweis ist nämlich nicht schon dann geführt, wenn zwei verschiedene Möglichkeiten eines Geschehensablaufs in Betracht zuziehen sind, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere (BGHZ 24, 308, 312). Davon, dass alle abgesandten Postsendungen dem Empfänger auch zugehen, kann nach den Regeln des Anscheinsbeweises nicht ausgegangen werden. Auch unter normalen Postverhältnissen kommt es erfahrungsgemäß immer wieder vor, dass abgesandte Briefe, selbst Einschreibesendungen, den Adressaten nicht erreichen (BFH, Urteil vom 14.3.1989, BStBl. II 1989, 534, 536; Urteil vom 15.9.1994, BStBl. II 1995, 41 und Urteil vom 31.7.2000 - VII B 86/00 - Juris -; Tipke/Kruse, aaO, Tz. 60 und 62 zu § 122). Dass die Klägerin den Bescheid der Stadt Eislingen vom 14.3.1995 erhielt und gegen diesen mit Schreiben vom 29.3.1995 Widerspruch erhob, führt danach entgegen der Annahme des Beklagten und des Verwaltungsgerichts nicht zum vollen Zugangsbeweis bezüglich des in Rede stehenden Gewerbesteuermessbescheids.

2. Von einem gegebenenfalls in Bezug auf das Bestehen der Primärschuld bestehenden Einwendungsausschluss nach § 166 AO bleiben Einwendungen, die den Haftungstatbestand betreffen, von vornherein unberührt. Die Einwendung der Klägerin, zum Zeitpunkt der Entstehung der Primärschuld nicht Gesellschafterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewesen zu sein, betrifft nicht die materielle Gewerbesteuerschuldnerschaft, sondern ihre Haftung für die Gewerbesteuerschuld der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Gesellschafter von Gesellschaften des bürgerlichen Rechts auch nach deren Auflösung im Sinne von § 191 Abs. 1 AO für Gewerbesteuerschulden der Gesellschaft haften, §§ 421, 427, 714 BGB (BVerwG, Urteil vom 13.8.1993, NJW 1994, 602; BFH, Urteil vom 2.2.1994, BStBl. 1995, II, 300). Nach Lage der Dinge ist aber nicht davon auszugehen, dass die Klägerin im Jahr 1991 Gesellschafterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts war. Dieser Umstand ist zwischen den Verfahrensbeteiligten umstritten. Die objektive Beweislast für Tatsachen, die einen Steueranspruch begründen, liegt beim Steuergläubiger (BFH, Urteil vom 3.3.1979, BStBl. II 1979, 570; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.2.1991 - 2 S 1599/90 -). Anhaltspunkte für eine haftungsbegründende Gesellschafterstellung der Klägerin ergeben sich weder aus der beim Finanzamt Göppingen eingegangenen Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1991 noch aus dem von der Klägerin angefochtenen Gewerbesteuerbescheid der Stadt Eislingen vom 14.3.1995. Auf sonstige Ermittlungsergebnisse des Finanzamts Göppingen oder der Beklagten kann nicht zurückgegriffen werden.

II. Ist die Klägerin nicht Haftungsschuldnerin für die Gewerbesteuerschuld der Gesellschaft bürgerlichen Rechts für das Jahr 1991, sind auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Zahlungsaufforderung im Bescheid vom 4.9.1996 nicht gegeben (§ 219 S. 1 AO in Verb. mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 a KAG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verb. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

vom 11. Oktober 2001

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 13 Abs. 2 GKG auf 4.967,60 DM festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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