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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.06.2005
Aktenzeichen: 2 S 2844/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 2
Ist - wie bei einem betroffenen Bürger - der "Kenntnisstand" von Belang, über den die Ausgangsbehörde verfügt, die eine Erstattung von Gebühren und Auslagen für die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren begehrt, ist regelmäßig deren Fach- und Sachkompetenz zu berücksichtigen und daher dem Grunde nach die Zuziehung nicht für notwendig zu halten.

Dies gilt im Regelfall auch für das Erschließungs(beitrags)recht (Bestätigung der bisherigen Senatsrechtsprechung; vgl. zuletzt Beschluss vom 7.11.1995 - 2 S 2591/95 - EKBW SV 3 E 25).


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

2 S 2844/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erschließungsbeitrags

hier: Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Strauß, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Vogel und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schmitt-Siebert

am 27. Juni 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15. November 2004 - 11 K 2069/03 geändert. Der Antrag der Beklagten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde der Kläger ist zulässig und muss auch Erfolg haben. Denn die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beklagte - eine Gemeinde - für das in Rede stehende Vorverfahren war nicht notwendig.

Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind - soweit ein Vorverfahren geschwebt hat -Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat. Diese Bestimmung gilt für alle Beteiligte - auch für einen Beigeladenen - des gerichtlichen Verfahrens, wenn sie an dem vorausgegangenen Widerspruchsverfahren beteiligt waren und ihnen dort Kosten entstanden sind (Olbertz in Sodan/Ziekow, VwGO, Sept. 98, § 162 RdNr. 65). Regelmäßig trifft dies auch auf eine Ausgangsbehörde als Beteiligte zu (offen gelassen im Beschl. des Senats v. 21.6.1983 - 2 S 708/83 - EKBW SV 3 E 2 = VBIBW 1983, 333).

Bei der Frage nach der Notwendigkeit ist maßgebend die Sicht einer verständigen, aber nicht rechtskundigen Person (BVerwG, Urt. v. 10.4.1978, BVerwGE 55, 299, 306). Abzustellen ist - wie bei der Bestimmung in § 80 Abs. 2 VwVfG (vgl. BVerwGE 55, 299, 306; Urteil v. 24.5.2000 - 7 C 8.99 - Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 5) - darauf, ob sich ein vernünftiger Betroffener mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwalts bedient hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.2.1987, NVwZ 1987, 883, 884; BVerwGE 88, 41 = NVwZ 1992, 669, 670). Ob die eigene Rechtsverteidigung zumutbar ist, ist dabei nicht ausschlaggebend (so Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. A., § 80 RdNr. 85; Olbertz a.a.O. RdNr. 77 aE.).

Allgemeiner Ansicht nach ist die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten durch den Bürger regelmäßig zu bejahen. Denn dieser ist nur in Ausnahmefällen in der Lage, seine Rechte gegenüber der regelmäßig mit Sachverstand ausgestatteten Verwaltung hinreichend zu wahren (s. dazu die Nachweise bei Olbertz a.a.O. RdNr. 77 FN 350). Von dieser Annahme ist nur dann nicht auszugehen, wenn sich die Inanspruchnahme eines Bevollmächtigten durch den Betroffenen als willkürlich oder namentlich als überflüssig erweist. Ist - wie dargelegt - auf die Sicht des betroffenen Bürgers abzustellen, so führt dies auch auf die Prüfung der Umstände des Einzelfalls - ohne dass indes der Rückgriff auf "Erfahrungswerte" für bestimmte Fallgruppen ausscheidet. Entsprechend sind der Kenntnisstand des Betroffenen ebenso in Blick zunehmen wie die Schwierigkeiten bei Erfassung der Tatsachen- und Rechtsfragen bezüglich des konkreten Falls (dazu erneut Olbertz a.a.O. RdNr. 78 m.w.N.)

Nichts anderes kann für die Frage nach der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Ausgangsbehörde gelten. Auch für sie ist daher nicht von vornherein eine derartige Notwendigkeit zu verneinen. Entsprechend der auch für den Bürger geltenden Maßstäbe ist der bei ihr vorhandene "Kenntnisstand" in Blick zu nehmen, mithin regelmäßig auch zu berücksichtigen, dass die Ausgangsbehörde mit fachkundigem Personal besetzt ist und daher bei ihr der für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens erforderliche Sachverstand auch grundsätzlich unterstellt werden darf. Damit scheidet aber die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Ausgangsbehörde im Regelfall als unnötig aus.

In der Rechtsprechung des Senats und des erkennenden Gerichtshofs ist auch wiederholt dargelegt worden, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch eine Ausgangsbehörde nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Hergeleitet wird dies einmal aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder Verfahrensbeteiligte die Pflicht hat, die Kosten nach Möglichkeit niedrig zu halten (dazu auch VGH BW, Beschl. v. 29.11.2004 - NC 9 S 411/04 - m.w.N.; ferner Neumann in Schoch/Schmitt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 1999, § 162 RdNr. 113). Nach dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit ist daher davon auszugehen, dass die Behörde das Verfahren selbst betreiben kann, da sie angesichts der Sach- und Fachkunde ihrer Bediensteten eines außergerichtlichen Beistands im Vorverfahren grundsätzlich nicht bedarf. Auch von einer kleineren Gemeinde kann verlangt werden, dass sie ohne fremde Rechtsberatung und Vertretung die von ihr erlassenen Verwaltungsakte im Rahmen des § 72 VwGO überprüft und den Widerspruch bei Nichtabhilfe der zuständigen Widerspruchsbehörde, gegebenenfalls mit einem erläuternden Bericht vorlegt. Sollte sie wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie hierzu nicht in der Lage sein, ist es ihr möglich, sich von der Rechtsaufsichtsbehörde beraten zu lassen. Für die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren besteht jedenfalls grundsätzlich keine Notwendigkeit im Sinne von § 162 Abs.2 S.2 VwGO (so der Beschl. des Senats v. 21.6.1983 - 2 S 708/83 - EKBW SV 3 E 2 = VBIBW 1983, 333; vgl. ferner VGH BW, Beschl. v. 17.8.1992 - 5 S 1665/92 - EKBW SV 3 E 21 = VBIBW 1992, 470). Von einer solchen Notwendigkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn für ein Widerspruchsverfahren außergewöhnliche Rechtskenntnisse erforderlich sind (so VGH BW, Beschl. v. 19.10.1995 - 3 S 2157/95 - EKBW SV 3 E 24; Senat, Beschl. v. 7.11.1995 - 2 S 2591/95 - EKBW SV 3 E 25 ; vgl. auch VG Freiburg, Beschl. v. 19.6.1998 - 6 K 1874/97 - EKBW SV 3 E 32/1). Dieser rechtliche Ansatz wird auch von der h.M in der Literatur geteilt (vgl. Olbertz a.a.O. RdNr. 79; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im öffentlichen Recht, Widerspruchsverfahren und Verwaltungsprozess, 10. A., § 46 RdNr. 19; Stelkens a.a.O.; Neumann a.a.O. RdNr. 136; J. Schmidt/Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 162 RdNr. 13; früher schon Friese, Die Erstattung der Vorverfahrenskosten bei nachfolgendem Verwaltungsrechtsstreit, DÖV 1974,264). Auch insoweit ist - nicht anders als im Falle des betroffenen Bürgers (dazu oben) - die Frage, ob ein die Zuziehung rechtfertigender Ausnahmefall gegeben ist, nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten, bei dem neben der angesprochenen Vielschichtigkeit einer Rechtsmaterie auch sonstige, die Sachkompetenz der Behörde überschreitende Besonderheiten in Betracht kommen können.

Ein die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten durch die beklagte Gemeinde rechtfertigender Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen erfordert trotz der Schwierigkeit der Materie von den Gemeinden regelmäßig keine außergewöhnlichen, d.h. auch ihren Aufgaben- und Kompetenzbereich überschreitende Kenntnisse und Fähigkeiten. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine typische Selbstverwaltungsangelegenheit, die die Gemeinde mit ihren eigenen Bediensteten erfüllen muss (so der o.a. Beschl. des Senats v. 7.11.1995 - 2 S 2591/95 - a.a.O.). Dies hat auch im vorliegenden Fall zu gelten. Sonstige Umstände, die die Kostenerstattung tragen könnten, sind nicht erkennbar. Weder kommt die Erwägung, es habe sich um ein Musterverfahren gehandelt - ungeachtet, ob dies überhaupt die Zuziehung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO rechtfertigen könnte -, noch der Umstand zum Tragen, dass in einem Parallelverfahren ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden ist. Beides wirkt sich nicht auf die Einschätzung aus, die Gemeinde habe in dem in Rede stehenden Widerspruchsverfahren die erforderliche Sachkunde besessen und sei deshalb auf anwaltliche Unterstützung nicht angewiesen gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es im Hinblick auf die in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) festgelegte Gebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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