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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 12.07.2006
Aktenzeichen: 3 S 1726/05
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 11 Abs. 3
BauNVO § 20 Abs. 3
1. Erteilt die Widerspruchsbehörde auf einen erfolgreichen Widerspruchsbescheid des Bauherrn die Baugenehmigung nicht selbst, sondern verpflichtet sie mittels Widerspruchsbescheid die untere Baurechtsbehörde zur Erteilung der Baugenehmigung, so ist für die auf eine Verletzung der Planungshoheit gestützte Anfechtungsklage der Gemeinde, die zugleich untere Baurechtsbehörde ist, die im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich.

2. Die Betriebsform des Lebensmitteldiscounters entfernt sich hinsichtlich des Warenangebots nicht so weit von dem der Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zugrunde liegenden Regelfall des Lebensmittelsupermarktes mit einem breiten Warensortiment, dass zulasten der Betreiber von Lebensmitteldiscountern von einer Atypik in betrieblicher Hinsicht ausgegangen werden könnte.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG

Im Namen des Volkes

Urteil

3 S 1726/05

Verkündet am 12.07.2006

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung

hat der 3. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juni 2005 - 6 K 529/04 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin - eine Große Kreisstadt - wendet sich gegen die Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung.

Die Beigeladene betreibt auf den Grundstücken Flst.-Nrn. 1304 und 2322/11, Ettlinger Straße 1 (künftig: Baugrundstück), auf Gemarkung der Stadt Rastatt einen Einzelhandel in der Betriebsform eines Lebensmitteldiscounters. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Karlsruher Straße" in der Fassung der 2. Änderung vom 25.09.2000, der als Art der baulichen Nutzung für das Baugrundstück ein Industriegebiet (GI) festsetzt. Einschränkungen zur Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben enthält der Bebauungsplan in der Fassung der 2. Änderung nicht. Mit Beschluss vom 26.06.2006 beschloss der Gemeinderat der Klägerin die 3. Änderung des Bebauungsplans "Karlsruher Straße". Unter 1.5.4 der textlichen Festsetzungen ist dort ausgeführt: "Gemäß § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO ist Einzelhandel mit zentren- und nahversorgungsrelevanten Sortimenten (gemäß Anlage 1) unzulässig. Groß- und Versandhandel sind nicht Gegenstand dieser Festsetzung. Mit den Baugesuchen sind im Falle einer Einzelhandelsnutzung verbindliche Sortimentslisten in Anlehnung an die Klassifizierung der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (in der jeweils aktuellen Ausgabe) vorzulegen, die Bestandteil der Baugenehmigung werden." Die 3. Änderung des Bebauungsplans wurde nach Angabe der Klägerin am 8. Juli 2006 öffentlich bekannt gemacht.

Am 20.08.2002 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum "Umbau" des "bestehenden Lebensmittelmarktes". Gegenstand des Vorhabens ist der Abbruch eines bestehenden Rampendachs im nordöstlichen Bereich des Baugrundstücks sowie einer so genannten Non-Food-Lager-Wand im Gebäudeinneren. Mit dem Abbruch dieser Wand ist die Erweiterung der Verkaufsfläche von 700 m2 auf 847 m2 verbunden.

Am 01.10.2002 erteilte die Klägerin der Beigeladenen eine "Baugenehmigung mit Teilabweisung". Während der Abbruch der Rampe damit genehmigt wurde, ist in dieser Baugenehmigung unter "Nebenbestimmungen und Hinweise" ausgeführt, dem Abbruch der Trennwand im Verkaufsraum werde nicht zugestimmt und dieser sei somit nicht Gegenstand dieser Baugenehmigung. Die Baugenehmigung wurde noch am gleichen Tage zur Post gegeben.

Am 04.11.2002 legte die Beigeladene "gegen die Baugenehmigung" Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die Überschreitung der Verkaufsfläche von 700 m2 rechtfertige die Ablehnung nicht. Denn es sei zusätzlich erforderlich, dass die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO in Bezug auf die Geschossfläche eingreife. Dies sei jedoch nicht der Fall, da die Geschossfläche deutlich unter 1.200 m2 bleibe.

Im Laufe des Widerspruchverfahrens wies das Regierungspräsidium die Klägerin mehrfach darauf hin, dass die Baugenehmigung zu erteilen sei. Die Großflächigkeit eines Einzelhandelbetriebs führe für sich allein noch nicht zu dessen Sondergebietspflichtigkeit. Auch die Geschossfläche von 1.200 m2 müsse überschritten sein, was beim streitigen Vorhaben auch nach einer Addition der Werte für den Hauptbaukörper (1.118,74 m2) und für die Eingangsüberdachung (63,91 m2) nicht der Fall sei. Die Rampe sei auf die Geschossfläche nicht anzurechnen. Nach dem Bericht der Arbeitsgruppe beim Bundesbauministerium über den "Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO" sei nicht mehr - wie noch vom Verordnungsgeber angenommen - von einem Verhältnis Verkaufs- zu Nebenfläche von 66:33, sondern von einem Verhältnis von 75:25 auszugehen. Dies bedeute, dass bei einer Geschossfläche von 1.200 m2 eine Verkaufsfläche von 900 m2 möglich sei. Die Kommunen hätten nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO die Möglichkeit des Ausschlusses versorgungs- und zentrenrelevanten Einzelhandels.

Mit Schreiben vom 26.02.2003 teilte die Klägerin dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass sie die dort vertretene Rechtsauffassung nicht zu teilen vermöge. Die Großflächigkeit des Betriebes habe eigenständige Bedeutung. Schon wegen des Überschreitens der maßgeblichen Verkaufsfläche sei die Baugenehmigung zu versagen. Im Übrigen bewirke § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nur eine Regelvermutung, die im vorliegenden Fall wegen der Zentrenrelevanz des Angebots der Beigeladenen entkräftet sei. Die Genehmigung des Umbaus verstoße auch gegen das Einzelhandelskonzept der Klägerin. Ferner hätte sie präjudizielle Wirkung für vergleichbare Fälle. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass innerhalb des Gebiets zahlreiche weitere Einzelhandelsmärkte entstanden seien und die Beigeladene, in deren Eigentum weitere Grundstücke in diesem Bereich stünden, Flächen an andere Gewerbebetriebe veräußern wolle. Der Stadteingang erhielte so ein ganz anderes Bild als von der Klägerin beabsichtigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2004 verpflichtete das Regierungspräsidium Karlsruhe die Klägerin zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung und erlegte ihr die Kosten des Verfahrens auf. Unter planungsrechtlichen Gesichtspunkten habe die Beigeladene einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Insbesondere könne ihr § 11 Abs. 3 BauNVO nicht entgegen gehalten werden. Zwar sei das Vorhaben mit einer Verkaufsfläche von ca. 845 m2 großflächig. Es überschreite aber die maßgebliche Geschossfläche von 1.200 m2 nicht. Die zurückgebaute Rampe bleibe nach § 20 Abs. 4 BauNVO bei der Ermittlung der Geschossfläche wohl außer Betracht. Selbst bei einer Anrechnung würde die maßgebliche Grenze aber nur geringfügig überschritten mit der Folge, dass dennoch davon auszugehen sei, dass keine negativen raumordnerischen oder städtebaulichen Auswirkungen zu vermuten seien. Eine betriebs- oder standortbezogene Sondersituation sei nicht ersichtlich. Der bloße Verweis auf die Zentrenrelevanz des Angebots reiche nicht aus. Soweit die Klägerin über ein Einzelhandelskonzept verfüge, könne sie dies zum Anlass für einen Ausschluss zentren- oder nahversorgungsrelevanter Sortimente durch Bebauungsplan nehmen.

Mit ihrer am 20.02.2004 bei dem Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie werde durch den Bescheid in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Planungshoheit verletzt. Der Widerspruchsbescheid verpflichte sie zur Erteilung einer Baugenehmigung, die im Widerspruch zu den Festsetzungen ihres eigenen Bebauungsplans stehe. Unabhängig von der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO stehe der Baugenehmigung bereits der Umstand der Großflächigkeit des Einzelhandels entgegen, der allein schon zu dessen Sondergebietspflichtigkeit führe. Im Übrigen werde die Geschossfläche von 1.200 m2 durch das Vorhaben nach dem Umbau überschritten, denn zu der - unstreitigen - Geschossfläche von 1.182,65 m2 sei die Fläche der Rampe hinzuzurechnen, da diese abstandsflächenrelevant sei. Schließlich sei aber auch von einer atypischen Situation auszugehen, die wiederum die Sondergebietspflichtigkeit des Vorhabens zur Folge habe. Die Erweiterung ziehe eine noch stärkere Frequentierung des Betriebes nach sich und werde daher in erheblichem Umfang Kaufkraft an sich ziehen. Dies habe Auswirkungen sowohl auf die Ladengeschäfte im Einzugsbereich als auch im Zentrum der Stadt Rastatt. Auch zur wohnortnahen Versorgung sei die Erweiterung nicht angezeigt. Eine Atypik ergebe sich ferner aus dem Warenangebot. Ein beträchtlicher Teil des Angebots erstrecke sich auf Non-Food-Waren. Betrage es mehr als 10 vom Hundert des Gesamtangebotes sei es als zentrenrelevant anzusehen. Hinzu komme eine städtebauliche Atypik. Ungefähr 100 m entfernt von dem Vorhaben liege ein Drogeriemarkt mit einer Verkaufsfläche von ca. 600 m2. Auf der anderen Seite der Karlsruher Straße befänden sich ein ALDI-, ein REWE- und ein EDEKA-Markt. Schon jetzt, aber erst recht nach der Erweiterung führe diese Zusammenballung zu einem immensen Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum von Rastatt.

Das beklagte Land ist der Klage entgegen getreten und hat weiter ausgeführt, die Rampe sei nach § 20 Abs. 4 BauNVO i.V. mit § 5 Abs. 9 LBO nicht auf die Geschossflächenzahl anzurechnen. Sie halte sich auf dem Niveau der umgebenden Geländeoberfläche und habe daher eine Höhe und Wandfläche von jeweils Null. Das Land sehe sich im Übrigen durch eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 22.07.2004 - 4 B 29.04 -, NVwZ-RR 2004, 815) in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Den Nachweis negativer Auswirkungen habe die Klägerin nicht erbracht. Im Gegenteil habe sie in der Vergangenheit in unmittelbarer Umgebung des Vorhabens zentrenrelevante Betriebe (Einzelhandel, Sportgeräte, Sportbekleidung, Drogeriewaren) genehmigt.

Die Beigeladene hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, allein die Überschreitung der maßgeblichen Verkaufsfläche habe die Sondergebietspflichtigkeit nicht zur Folge. Werde die Vermutungsregelung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht entkräftet, könne die Gebietsfestsetzung dem Bauvorhaben nicht entgegen gehalten werden. Bei der Errechnung der Geschossfläche bleibe die Rampe außer Betracht, weil sie sich nicht innerhalb der Außenmaße des Gebäudes befinde und damit - vergleichbar einer Terrasse - nicht unter § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO falle. Im Übrigen fehle es ihr an dem erforderlichen Raumabschluss nach oben. Somit komme es auf § 20 Abs. 4 BauNVO gar nicht an. Im Übrigen sei die Rampe jedenfalls mit Blick auf diese Norm nicht auf die Geschossfläche anrechenbar. Somit sei die Klägerin für das Entkräften der Regelvermutung beweisbelastet. Ihr sei es weder mit Blick auf das Warenangebot noch betreffend die städtebauliche Situation gelungen, die Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zu entkräften.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Klage nach Einnahme eines Augenscheins durch Urteil vom 21.06.2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Erteilung der Baugenehmigung habe zwar die Entstehung eines großflächigen Einzelhandelbetriebes zur Folge. Die zusätzlich erforderlichen negativen städtebaulichen Auswirkungen seien aber nicht festzustellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die ca. 5 m x 5 m große Fläche der nicht überdachten Anlieferungsrampe bei der Berechnung der Gesamtgeschossfläche nicht berücksichtigt werden, denn es fehle an dem hierfür erforderlichen Raumabschluss nach oben. Davon unabhängig bleibe die Anlieferungsrampe bei der Ermittlung der maßgeblichen Geschossfläche auch auf der Grundlage des § 20 Abs.4 BauNVO unberücksichtigt. Somit bleibe die Klägerin für eine atypische Situation darlegungspflichtig. Erst wenn die Behörde bzw. die Gemeinde atypische Umstände, also eine erhebliche Abweichung des zugrunde liegenden Sachverhalts von der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Normallage darlege, sei das Gericht befugt, die tatsächlichen Auswirkungen des - großflächigen - Einzelhandelsbetriebs weiter - etwa durch eine richterliche Beweisaufnahme - aufzuklären. Für eine Sondersituation sei indes nichts ersichtlich. Atypisch sei zum einen nicht das Verhältnis von Verkaufsfläche zur Geschossfläche und - zum anderen - nicht das Herantasten an den Schwellenwert. Eine Atypik lasse sich weiter nicht mit Blick auf das Warensortiment der Beigeladenen im Non-Food-Bereich begründen. Der Verordnungsgeber habe in der Vermutungsregelung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO gerade davon abgesehen, für sog. Vollversorger (Betriebe mit einem breiten Warenangebot für den privaten Bedarf der Allgemeinheit) und Discounter (schmaleres Warensortiment mit wenigen Frischeprodukten) unterschiedliche Regelungen zu schaffen und habe stattdessen einen einheitlichen Schwellenwert von 1.200 m² Geschossfläche normiert. Schließlich könne eine atypische städtebauliche Situation nicht mit der Begründung angenommen werden, die Erweiterung des Betriebs der Beigeladenen um 147 m² Verkaufsfläche führe im Zusammenwirken mit den in der näheren Umgebung bereits angesiedelten Betrieben zu einem massiven Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum von Rastatt.

Gegen das ihr am 20.07.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.08.2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie unter gleichzeitiger Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter aus, die Rampe sei auch in Ansehung des Umstandes einer fehlenden Überdachung auf die Geschossfläche anzurechnen. Ein Raumabschluss nach oben sei nicht zwingender Bestandteil eines Geschosses. Sie könne auch nicht auf Basis des Landesrechts in Verbindung mit § 20 Abs. 4 BauNVO anrechnungsfrei bleiben. § 20 Abs. 4 BauNVO könne bei der Ermittlung der Geschossfläche im Zusammenhang mit großflächigen Einzelhandelsbetrieben nicht angewendet werden, weil andernfalls durch den Verweis auf das Abstandsflächenrecht der Länder ein und derselbe Betrieb in dem einen Bundesland zulässig sein könnte, in dem anderen hingegen nicht. In Bezug auf die Entkräftung der Vermutungsregelung habe das Verwaltungsgericht zu hohe Anforderungen gestellt. Sowohl in städtebaulicher wie in betrieblicher Hinsicht sei eine Sondersituation gegeben. In städtebaulicher Hinsicht sei atypisch, dass der Betrieb der Beigeladenen in einem Industriegebiet und damit keineswegs verbrauchernah liege. Die nächstgelegenen Wohngebiete verfügten selbst über Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe. In betrieblicher Hinsicht sei von einer atypischen Situation auszugehen, da anzunehmen sei, dass der Non-Food-Anteil mehr als 10 vom Hundert des Warensortiments betrage. Ein solch hoher Anteil an Non-Food-Artikeln lasse nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts negative Auswirkungen erwarten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21.06.2005 - 6 K 529/04 - zu ändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28.01.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt weiter aus, ein Geschoss sei ohne Dachhaut oder Decke schlechterdings nicht denkbar. Daher müsse die unüberdachte Laderampe bei der Ermittlung der Geschossflächenzahl unberücksichtigt bleiben. Im Übrigen habe auch die Anwendung des § 20 Abs. 4 BauNVO zur Folge, dass die maßgebliche Geschossfläche nicht überschritten werde. Bei dem Betrieb der Beigeladenen handele es sich seinem Sortiment nach um einen geradezu typischen Lebensmitteldiscounter. Von einer atypischen Situation könne auch mit Blick auf wechselnde Aktions-Angebote nicht die Rede sein. Die Klägerin übersehe, dass allenfalls ein geringerer Non-Food-Anteil als 10 vom Hundert zu einer ausnahmsweisen Zulassung nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO führen könne, dass diese Erwägung aber nicht umgekehrt fruchtbar gemacht werden könne.

Die Beigeladene beantragt unter Vertiefung ihres Vortrags vor dem Verwaltungsgericht ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, das Verwaltungsgericht habe überzeugend dargelegt, dass und warum die Fläche der Rampe nicht auf die Geschossfläche anzurechnen sei. In betrieblicher Hinsicht werde von dem Regelfall eines großflächigen Betriebs mit einem breiten Warenangebot nicht in einer eine Atypik begründenden Weise abgewichen. Lebensmitteldiscounter verfügten über einen Marktanteil von 36 vom Hundert. Bereits dies zeige, dass schwerlich von einer atypischen Sondersituation ausgegangen werden könne. Dies gelte auch in Bezug auf die Non-Food-Artikel, deren Verkaufsfläche überdies durch die in Rede stehende Erweiterung nicht vergrößert werden solle. Soweit das Bundesverwaltungsgericht eine Atypik zugunsten der Discounter zulasse, wenn bei einer Geschossfläche von über 1.200 m2 der Non-Food-Anteil unter 10 vom Hundert liege, so zeige dies, dass der Regelfall ein über diesem Wert liegender Non-Food-Anteil an der Verkaufsfläche sei.

Dem Gericht liegen neben den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts die Akten der Stadt Rastatt und des Regierungspräsidiums Karlsruhe vor. Auf sie sowie auf die im Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsätze und Urkunden wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage der Klägerin zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hier derjenige der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts nicht nach dem Prozessrecht, sondern richtet sich nach dem jeweiligen materiellen Recht. Im Zweifel gilt die Regel, dass bei der Anfechtung eines Verwaltungsakts der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist (vgl. statt Vieler: BVerwG, Urteil vom 27.01.1993 - 11 C 35.92 -, NJW 1993, 1730). So liegt der Fall auch hier. Für den Fall der Anfechtung einer erteilten Baugenehmigung ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem materiellen, durch Art. 14 Abs. 1 GG determinierten Recht, dass eine während des gerichtlichen Verfahrens eingetretene Änderung der Rechtslage, die zur Ablehnung der Baugenehmigung hätte führen müssen, nicht zum Nachteil des Bauherrn berücksichtigt werden darf (vgl. erstmals BVerwG, Urteil vom 31.01.1969 - IV C 76.66 -, Buchholz 406.42 § 11 RGaO Nr. 10; Beschluss vom 23.04.1998 - 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.04.1995 - 3 S 2514/94 -, VBlBW 1995, 481). Diese zur Anfechtung durch den Baunachbarn entwickelten Grundsätze beanspruchen auch für den hier zu entscheidenden Fall der Anfechtung durch eine Gemeinde Geltung. Denn mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht ist der Status des Anfechtungsklägers oder das mit der Klage als verletzt gerügte Recht - anders als die Klägerin meint - ohne Belang. Es macht insofern keinen Unterschied, ob sich ein Nachbar auf die Verletzung von Nachbarrechten oder eine Gemeinde auf die Verletzung ihrer Planungshoheit beruft. Auch der Umstand, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe als Widerspruchsbehörde die Baugenehmigung nicht selbst erteilt hat, sondern die Klägerin - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1970 - VIII C 97.70 -, BVerwGE 37, 47 <50>) - zur Erteilung derselben (nur) verpflichtet hat, ändert nichts daran, dass streitentscheidend die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist. Denn anders als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung argumentiert hat, handelt es sich vorliegend nicht um eine "klassische Verpflichtungssituation". Vielmehr hat das zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Regierungspräsidium der auf den negativen Ausgangsbescheid der Klägerin zurückzuführenden Beschwer der Beigeladenen abgeholfen und die Klägerin verpflichtet, die Baugenehmigung zu erteilen. Somit begehrt im hiesigen Verfahren nicht der Bauherr die Erteilung der Baugenehmigung, sondern die Klägerin macht geltend, dass dieser Ausspruch rechtswidrig ist. Für die Gleichstellung der beiden denkbaren Entscheidungsalternativen - Erteilung der Baugenehmigung durch das Regierungspräsidium bzw. Verpflichtung der unteren Baurechtsbehörde zur Erteilung der Baugenehmigung - mit Blick auf die zugrunde zu legende Rechtslage spricht nach der Auffassung des Senats neben den allgemeinen Grundsätzen zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Rechtslage bei der Anfechtungsklage auch, dass die hier in Rede stehende Variante aus nachvollziehbaren verwaltungspraktischen Erwägungen gewählt wurde, um die mit der Erteilung einer Baugenehmigung regelmäßig einhergehenden Tätigkeiten und Entscheidungen (Bauüberwachung, Auflagen, etc.) von der sachnäheren Behörde durchführen zu lassen. Eine Verkürzung der Rechte der Beigeladenen war - wie der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat - nicht beabsichtigt. Eine andere - hier nicht zu entscheidende - Frage ist, ob die Klägerin heute noch verpflichtet ist, der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Diese Frage, für die es auch auf die Wirksamkeit der planerischen Festsetzungen des Bebauungsplans "Karlsruher Straße" in der Fassung seiner 3. Änderung ankommen dürfte, entzieht sich der Beurteilung durch den Senat im hiesigen Verfahren, für das allein entscheidend ist, ob die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung der Baugenehmigung seinerzeit rechtmäßig war.

Bezogen auf den Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung bleibt die Anfechtungsklage ohne Erfolg. Das Regierungspräsidium ist zurecht davon ausgegangen, dass die gemäß Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 71 der Landesverfassung verfassungsrechtlich geschützte Planungshoheit der Klägerin, die ihren Niederschlag in dem hier maßgeblichen Bebauungsplan "Karlsruher Straße" in der Fassung der 2. Änderung vom 25.09.2000 (künftig: Bebauungsplan) gefunden hat, der Erteilung der begehrten Baugenehmigung nicht entgegen steht, denn das Vorhaben steht bauplanungsrechtlich mit den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans im Einklang.

1. Der Bebauungsplan setzt als Art der baulichen Nutzung für das Grundstück der Beigeladenen (künftig: Baugrundstück) ein Industriegebiet nach § 9 BauNVO fest. Soweit das Vorhaben dieser Festsetzung entspricht, ist für eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit kein Raum, denn die genannte Festsetzung ist gerade Ausdruck derselben. Nach § 9 BauNVO 1990 dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind (Absatz 1). Zulässig sind gemäß § 9 Abs. 2 BauNVO Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (Nr. 1) sowie Tankstellen (Nr. 2). Unter den Begriff der Gewerbegebiete fallen nach allgemeiner Meinung auch Einzelhandelsbetriebe wie jener der Beigeladenen (vgl. statt Vieler: Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. <2003>, § 9 RdNr. 17).

2. Der somit prinzipiell im festgesetzten Industriegebiet bauplanungsrechtlich zulässige Einzelhandelsbetrieb der Beigeladenen ist auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Zu dieser Kategorie sondergebietspflichtiger Einzelhandelsbetriebe gehört, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, das Vorhaben der Beigeladenen auch nach seiner Erweiterung nicht

a) Der Einzelhandelsbetrieb der Beigeladenen erfüllt nach den im Streit stehenden Umbaumaßnahmen allerdings unstreitig das Tatbestandsmerkmal der Großflächigkeit im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO. Das Merkmal der Großflächigkeit wird in der Rechtsprechung mit Hilfe der Größe der Verkaufsfläche bestimmt (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 19.85 -, NVwZ 1987, 1076; Urteil vom 24.11.2005 - 4 C 10.04 -, NVwZ 2006, 452). Denn mit ihm soll ein bestimmter Typ von Einzelhandelsbetrieben und eine städtebaulich erhebliche Nutzungsart definiert werden. Ihre Attraktivität und damit die in § 11 Abs. 3 BauNVO näher umschriebenen Auswirkungen werden nicht von der Größe der baulichen Anlage, die sich in der Geschossfläche widerspiegelt, sondern - soweit es um das Merkmal der Fläche geht - eher von derjenigen Fläche beeinflusst, auf der Waren präsentiert und gekauft werden können (BVerwG, Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.). Im Hinblick sowohl auf das Einkaufsverhalten der Bevölkerung als auch auf dementsprechende Entwicklungen im Handel ist es nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.) gerechtfertigt, den Schwellenwert für die Prüfung, ob die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO umschriebenen Auswirkungen vorliegen, nunmehr bei einer Verkaufsfläche von 800 m2 anzusetzen (vgl. zuvor noch BVerwG, Urteil vom 22.05.1987, a.a.O. <Verkaufsfläche "um 700 m²">; Beschluss vom 22.07.2004 - 4 B 29.04 -, BauR 2004, 1735: Verkaufsfläche bis höchstens 800 m²). Diese, im Einzelnen begründete und auf den tatsächlichen Entwicklungen im Einzelhandel (vgl. dazu den Bericht der Arbeitsgruppe "Strukturwandel im Lebensmitteleinzel und § 11 Abs. 3 BauNVO" vom 30.04.2002) basierende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt, ist das Vorhaben der Beigeladenen nach seinem Umbau mit einer Verkaufsfläche von 847 m2 großflächig im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO.

b) Jedoch hat es mit der Großflächigkeit allein nicht sein Bewenden. Erforderlich ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO weiter, dass sich der großflächige Einzelhandelsbetrieb nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken kann. Auswirkungen in diesem Sinne sind insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 BImSchG sowie Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der großflächigen Einzelhandelsbetriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt (§ 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO sind nach der Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1.200 m2 überschreitet (auswirkungsbejahende Regelvermutung). Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass sich die Zulässigkeit von großflächigen Betrieben mit einer Geschossfläche bis zu 1.200 m2 regelmäßig nur nach den §§ 2 bis 9 BauNVO richtet (auswirkungsverneinende Regelvermutung). Die Voraussetzungen einer Ausnahme von dieser - beidseitigen Regelvermutung - werden in § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO umschrieben (Stock, a.a.O., § 11 RdNr. 74). Danach gilt die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m2 Geschoßfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m2 Geschoßfläche nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen. Die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO verfolgt zum einen den Zweck, Genehmigungsbehörden und Verwaltungsgerichte nach Art einer Beweiserleichterung im Einzelfall von schwierigen Ermittlungen bei der Überprüfung der Auswirkungen eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs zu entlasten. Darin erschöpft sich ihre rechtliche Bedeutung jedoch nicht. In ihrem Anwendungsbereich stellt die Vermutungsregel nämlich - zum anderen - eine Zulässigkeitsschranke auf, die für Genehmigungsbehörden und Gerichte gleichermaßen verbindlich ist (BVerwG, Beschluss vom 22.07.2004, a.a.O.). Nach der Regelungssystematik des § 11 Abs. 3 Sätze 3 und 4 BauNVO kann zwar über die tatsächlichen Umstände für das Vorliegen einer atypischen Fallgestaltung Beweis erhoben werden, jedoch verbietet sich eine Beweisaufnahme über die tatsächlichen Auswirkungen eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes, wenn für eine Atypik keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Die Atypik selbst, für welche die sich hierauf berufende Partei die Darlegungslast trägt, muss folglich vor einer Beweiserhebung über die Auswirkungen außer Frage stehen (so auch Nickel/Kopf, ZfBR 2003, 122 <123>). Nach diesem komplexen Regelungsgefüge kommt der vom Verordnungsgeber normativ bestimmten Geschossflächengröße von 1.200 m2 eine erhebliche Bedeutung vor allem mit Blick auf die Darlegungslast zu (Schütz, UPR 2006, 169 <173>).

(aa) § 11 Abs. 3 BauNVO ist auch im vorliegenden Fall der (bloßen) Erweiterung der Verkaufsfläche von Belang. Auch Veränderungen der für Verkaufszwecke zur Verfügung stehenden Fläche eines Einzelhandelsbetriebes sind nämlich geeignet, städtebauliche Belange neu zu berühren; denn die Größe der Verkaufsfläche trägt zur Kapazität, Wettbewerbskraft und Attraktivität eines Handelsbetriebes bei und wirkt sich von daher auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung, insbesondere auf die Struktur des Handels und die Versorgung in dem betreffenden Gebiet aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 4 C 36.87 -, BRS 50 Nr. 68). § 11 Abs. 3 BauNVO ist deshalb nicht nur neu zu prüfen, wenn durch die Vergrößerung der Verkaufsfläche erstmals ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb entsteht oder erstmals die für das Eingreifen der Regelvermutung maßgebende Geschossfläche überschritten wird, sondern auch, wenn aufgrund der Erweiterung der Verkaufsfläche eines bestehenden Einzelhandelsbetriebes die städtebaulichen Auswirkungen des Vorhabens neu zu beurteilen sind (BVerwG, Beschluss vom 29.11.2005 - 4 B 72.05 -, NVwZ 2006, 340).

(bb) Das Vorhaben der Beigeladenen unterschreitet auch nach seinem Umbau die maßgebliche Geschossflächenzahl von 1.200 m2. Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO ist die Geschossfläche nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln. Danach weist das Vorhaben nach seinem Umbau eine Geschossfläche von jedenfalls 1.182,65 m² auf (Hauptbaukörper nebst Bereich der Eingangsüberdachung). Mit dem Verwaltungsgericht geht der erkennende Senat davon aus, dass diese Zahl nicht um die Fläche der Rampe, deren Überdachung durch den Umbau entfallen soll, zu erhöhen ist, denn die Rampe ist auf die Geschossfläche nicht anzurechnen. Der Begriff des Geschosses erfordert zwar keine Umschließung eines Raumes durch Wände; nach allgemeiner, vom Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung geteilter Auffassung ist jedoch ein oberer Raumabschluss durch eine Decke oder ein Dach zwingender Bestandteil eines Geschosses (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.09.1988 - 5 S 1544/88 -, BauR 1989, 311; HessVGH, Beschluss vom 12.12.1978 - IV TG 97/78 -, BRS 33 Nr. 203; OVG NRW, Beschluss vom 22.04.1983 - 7 B 117/83 -, BauR 1983, 351; VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.05.2000 - 8 G 1443/00 -, NVwZ-RR 2000, 584 <586>; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 20 RdNr. 8). Da nach den eingereichten und zur Genehmigung gestellten Plänen, auf die es ankommt, das bestehende Dach abgebrochen werden soll, fällt in Ermangelung eines Geschosses die außerhalb der Außenmaße des Gebäudes liegende Fläche der Rampe bei der Berechnung der Geschossfläche künftig weg. Ob - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat und wofür einiges spricht - die Fläche der Rampe auch nach § 20 Abs. 4 BauNVO i.V. mit § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO anrechnungsfrei bliebe, kann daher im vorliegenden Zusammenhang auf sich beruhen.

c) Da die Rampe die maßgebliche Geschossfläche des Vorhabens von 1.182,65 m² somit nicht erhöht und dieser Wert folglich bei unter 1.200 m2 liegt, greift die auswirkungsbejahende Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht zugunsten der Klägerin ein. Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass eine in Bezug auf die Vermutungsregelung atypische Fallgestaltung in betrieblicher oder städtebaulicher Hinsicht vorliegt.

(aa) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass in betrieblicher Hinsicht eine Atypik nicht mit der Argumentation angenommen werden kann, dass der Lebensmittelmarkt der Beigeladenen mit einer Geschossfläche von 1.182,65 m² die maßgebliche Schwelle von 1.200 m² nur knapp, die Verkaufsflächenschwelle für einen großflächigen Betrieb hingegen massiv überschreite. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24.11.2005 (a.a.O.) die Schwelle zur Großflächigkeit mit eingehender Begründung auf der Basis tatsächlicher Entwicklungen im Einzelhandel erst bei 800 m² Verkaufsfläche für gegeben erachtet, kann von einer massiven Überschreitung der Verkaufsflächenschwelle ohnedies nicht mehr ausgegangen werden. Dessen ungeachtet liegt auf der Hand, dass sich die Betreiber von Einzelhandelsbetrieben - wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat - an den maßgeblichen Schwellenwert von 1.200 m² "herantasten". Eine nur knappe Unterschreitung der maßgeblichen Geschossflächenzahl dürfte bei Einzelhandelsbetrieben mit einer Verkaufsfläche von 800 m² daher eher die Regel als die Ausnahme, jedenfalls aber nicht atypisch sein. Im Übrigen kann die Vermutungsregelung ihren Zweck, Behörden und Gerichte von schwierigen Ermittlungen zu befreien, nicht hinreichend erfüllen, würde die Atypik in ein Verhältnis zum Umfang der Annäherung an den Schwellenwert gesetzt, wobei dies nicht ausschließt, die Vermutungsregelung mit umso größerem Gewicht zum Tragen kommen zu lassen, je deutlicher der Schwellenwert unterschritten wird.

Eher typisch, denn atypisch ist auch das Verhältnis von Verkaufsfläche zur Geschossfläche. In der Begründung für die Herabsetzung der maßgeblichen Geschossfläche von 1.500 m² auf 1.200 m² hat der Verordnungsgeber anlässlich der Novellierung der BauNVO im Jahr 1986 ausgeführt, dass "Verkaufsflächen bis nahezu 800 m²" nach den Erfahrungen der Praxis einer Geschossfläche von 1.200 m² entsprächen (BR-Drs. 541/86 S. 3). Daraus folgte ein Verhältnis der Verkaufsfläche zur Geschossfläche von 2:3. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis - wie das Regierungspräsidium Karlsruhe zutreffend ausgeführt hat - verändert. In dem Bericht der Arbeitsgruppe "Strukturwandel", der sich mit der Situation der Lebensmittelsupermärkte als Vollsortimenter (mit 7.500 bis 11.500 Artikeln) für die Nahversorgung der Bevölkerung befasst, ist festgehalten, dass nach Auskunft der Spitzenverbände des Einzelhandels bereits bestehende Märkte auf einer Verkaufsfläche von mindestens ca. 900 m² (d.h. rund 1.200 m² Geschossfläche) noch wirtschaftlich betrieben werden könnten; neu zur Eröffnung anstehende Märkte benötigten jedoch ca. 1.500 m² Verkaufsfläche (d.h. rund 2.000 m² Geschossfläche), um auf Dauer wirtschaftlich zu sein (vgl. Bericht der Arbeitsgruppe Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO vom 30.04.2002, S. 24; vgl. auch Engel, VBlBW 2006, 8). Der infolge einer Reduzierung der Lager- und sonstigen Nebenflächen herausgebildete Erfahrungswert, wonach Einzelhandelsbetriebe drei Viertel der Geschossfläche als Verkaufsfläche nutzen können, hat zwischenzeitlich auch die Billigung der Rechtsprechung erfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2005, a.a.O., VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.07.2004 - 5 S 1205/03 -, VBlBW 2005, 67). Bezogen auf den vorliegenden Fall beträgt der Anteil der Verkaufsfläche an der Gesamtgeschossfläche ca. 71 vom Hundert. Ein solches Verhältnis der beiden relevanten Flächenmaße zueinander ist nach den Feststellungen der Arbeitsgruppe "Strukturwandel" zur tatsächlichen Situation im Lebensmitteleinzelhandel geradezu typisch, jedenfalls aber nicht geeignet, die zur Entkräftung der Vermutungsregelung erforderliche Atypik im Sinne eines erheblichen Missverhältnisses zwischen Geschoss- und Verkaufsfläche zu belegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.07.1989 - 4 B 18.89 -, BauR 1989, 704).

Der erkennende Senat teilt ferner die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das angebotene Warensortiment der Beigeladenen eine Atypik in betrieblicher Hinsicht nicht zu begründen geeignet ist. Die Klägerin macht insofern geltend, Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO lägen deshalb vor, weil der so genannte Non-Food-Anteil des Warensortiments mehr als zehn vom Hundert betrage. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung nicht. Soweit die Rechtsprechung dem Non-Food-Anteil bei Lebensmitteleinzelhandelsbetrieben bislang Bedeutung zugemessen hat, hat sie nicht - was die Klägerin für erheblich zu halten scheint - auf den Anteil der Non-Food-Artikel am Gesamtsortiment abgestellt. Auch der Anteil am Umsatz war insoweit nicht von Belang. Vielmehr haben die Non-Food-Waren im Zusammenhang mit der Verkaufsfläche Bedeutung erlangt. So hat etwa das Bundesverwaltungsgericht die Erwägung der Arbeitsgruppe "Strukturwandel" gebilligt, wonach die gegen den Betrieb streitende Regelvermutung entkräftet werden kann, wenn der Non-Food-Anteil weniger als zehn vom Hundert der Verkaufsfläche beträgt und der Standort verbrauchernah und hinsichtlich des induzierten Verkehrsaufkommens "verträglich" sowie städtebaulich integriert ist (BVerwG, Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.; Beschluss vom 22.07.2004, a.a.O.). Ob der Non-Food-Anteil an der Verkaufsfläche in Fällen der vorliegenden Art stets ein taugliches Kriterium sein kann, unterliegt jedoch gewissen Zweifeln. So ist bereits unklar, welche Waren definitionsgemäß zur Gruppe der Non-Food-Waren zu rechnen sind. Nach dem Vortrag der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung sind hiermit die mittlerweile discountertypischen, einheitlich beworbenen Aktionswaren gemeint, nicht hingegen Kosmetika und Hygieneprodukte, die auch von den klassischen Vollsortimentern in beträchtlichem Umfang vertrieben werden. Demgegenüber scheint das beklagte Land eher der Auffassung zuzuneigen, unter den Begriff der Non-Food-Artikel alle nicht zum Verzehr bestimmten Produkte zu subsumieren (so auch Engel, VBlBW 2006, 8 <14>). Diese Auffassung könnte wiederum die Frage aufwerfen, ob etwa der für den Verkauf von Waschmitteln, Zahnpasta und Toilettenpapier zur Verfügung stehende Verkaufsflächenanteil eines Lebensmitteleinzelhändlers eine signifikante Aussage in Bezug auf die Zentren- oder Nahversorgungsrelevanz des Sortiments zu treffen geeignet ist. Nicht immer wird es überdies überzeugend sein, insoweit auf den Anteil an der Verkaufsfläche abzustellen. Denn dieser Anteil lässt sich etwa durch häufigere Anlieferungen der Non-Food-Ware verringern. Mit Blick auf die Zentrenrelevanz des Sortiments dürfte beispielsweise nicht von allzu großer Bedeutung sein, ob in einem Discounter z.B. Bekleidungsware mit einem großzügigen Anteil an der Verkaufsfläche präsentiert wird oder insoweit eine räumlich eher knapp bemessene Fläche zur Verfügung steht, die ihrerseits häufig neu mit den beworbenen Bekleidungsgegenständen bestückt wird.

Im vorliegenden Fall misst der Senat dem Kriterium des Non-Food-Anteils an der Verkaufsfläche, den der Prokurist der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung auf ca. 15 vom Hundert geschätzt hat, kein entscheidungserhebliches Gewicht bei. Denn die Konstellation, für die der - wie auch immer zu definierende - Non-Food-Anteil an der Verkaufsfläche bislang maßgeblich war, steht im hiesigen Verfahren nicht zur Entscheidung. Die auf dem Bericht der Arbeitsgruppe "Strukturwandel" fußende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging nämlich offensichtlich davon aus, dass der Regelfall des Lebensmitteleinzelhändlers derjenige mit einem Verkaufsflächenanteil von über zehn vom Hundert für Non-Food-Ware ist. Eine Atypik in betrieblicher Hinsicht wurde deshalb gerade für die Fälle angenommen, in denen der Verkaufsflächenanteil von zehn vom Hundert unterschritten wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.07.2004, a.a.O.). Für den vorliegenden Fall ist diese Rechtsprechung folglich nur insoweit ergiebig, als sich aus ihr ergibt, dass der Regelfall der Lebensmitteleinzelhändler mit einem Non-Food-Anteil von über 10 vom Hundert der Verkaufsfläche ist. Von diesem Regelfall geht der erkennende Senat auch für das hiesige Verfahren aus.

Atypisch ist ferner nicht die Betriebsform des Lebensmitteldiscounters. Hierbei handelt es sich um Lebensmitteleinzelhändler, die durch Verzicht auf Dienstleistungen, den weitgehenden Verzicht auf Dekorationen sowie durch ein reduziertes Warensortiment (in der Regel bis zu 1.400 Artikel gegenüber 7.500 bis 14.500 Artikel bei Lebensmittelsupermärkten) und stark begrenzte Verkaufsfläche Kostenersparnisse erzielen und somit die Abgabepreise für den Endverbraucher zu senken in der Lage sind. Im Gegensatz zum traditionellen Handel beschränkt sich das ständige Sortiment der Discounter erfahrungsgemäß auf wenige Alternativprodukte innerhalb einer Warengruppe und so genannte "schnell drehende" Produkte (Fast-Moving-Consumer-Goods). Hierunter werden Konsumgüter des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel, Körperpflegeprodukte, Reinigungsmittel, etc. verstanden, die der Konsument häufig, spontan, in der Regel routiniert und ohne lange zu überlegen einkauft. Der Schwerpunkt der Waren liegt auf den so genannten Trockensortimenten (Engel, a.a.O. S. 9). Zusätzlich zu ihrem ständigen Sortiment bieten Discounter ein- oder zweimal wöchentlich nichtständige Aktionsware an, wobei es sich insoweit regelmäßig um konzernweit einheitlich beworbene Ware handeln wird. Diese Vertriebsweise ist für die großen Lebensmitteldiscountbetriebe in Deutschland, deren Marktanteil zwischenzeitlich 37 vom Hundert beträgt (vgl. Engel, a.a.O. S. 8), mittlerweile typisch. Der Verordnungsgeber hat diese Form des Lebensmitteleinzelhandels nicht zum Anlass genommen, in § 11 Abs. 3 BauNVO eine Unterscheidung zwischen Lebensmitteldiscountern und Lebensmittelsupermärkten (Vollsortimentern) zu treffen, obwohl ihm beide Erscheinungsformen des Lebensmitteleinzelhandels bekannt waren. Er hat vielmehr - und dies auch für sonstige Einzelhandelsbetriebe - einen sortimentsunabhängigen einheitlichen Schwellenwert von 1.200 m² Geschossfläche normiert und damit zum Ausdruck gebracht, dass dieser Schwellenwert - und nicht bestimmte Sortimente oder Sortimentbreiten - für die bekannten Erscheinungsformen des Lebensmitteleinzelhandels ausschlaggebendes Gewicht haben soll. Zwar kann auch ein besonderes Warenangebot bei der Ermittlung der Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO von Belang sein (§ 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO). Jedoch liegt der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO der Betriebstyp mit einem breiten Warenangebot für den privaten Bedarf der Allgemeinheit zugrunde (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., § 11 RdNr. 27.1). Dass sich Lebensmitteldiscounter im Allgemeinen von diesem Regelfall so sehr unterscheiden, dass vom Vorliegen einer atypischen Situation ausgegangen werden müsste, vermag der Senat nicht festzustellen. In der Breite des angebotenen Sortiments steht ein Lebensmitteldiscounter einem Lebensmittelvollsortimenter mit Non-Food-Artikeln zumeist nicht nach. Lediglich in der Angebotstiefe (Alternativprodukte) bestehen Unterschiede, die aber für sich gesehen keine Atypik in betrieblicher Hinsicht zu begründen geeignet sind. Anhaltspunkte dafür, dass gerade der Betrieb der Beigeladenen innerhalb der Gruppe der Lebensmitteldiscounter atypisch ist, was etwa bei einem übermäßigen Anteil an zentrenrelevanter Non-Food-Ware der Fall sein könnte, werden von der Klägerin nicht vorgebracht. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die Erweiterung der Verkaufsfläche der Präsentation der Frischeprodukte und nicht den Non-Food-Aktionswaren zugute kommen solle, die ohnedies wegen einer gewissen Marktsättigung und Konkurrenzangeboten rückläufig seien und mittlerweile wieder von klassischen Food-Produkten - wie hochwertiger Schokolade oder Lebensmitteln aus bestimmten Ländern - verdrängt würden.

(bb) Auch in städtebaulicher Hinsicht liegt eine atypische Situation nicht vor. Die Klägerin trägt insoweit vor, die Erweiterung des Betriebs der Beigeladenen um 147 m² Verkaufsfläche führe im Zusammenwirken mit den in der näheren Umgebung bereits angesiedelten Betrieben (ALDI, REWE- und EDEKA-Markt) zu einem massiven Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum von Rastatt. Der Senat vermag eine städtebauliche Atypik unter Zugrundelegung dieses Vorbringens jedoch nicht festzustellen. Zwar ist es denkbar, dass eine atypische städtebauliche Situation dadurch entstehen kann, dass durch einen neuen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der die Geschossfläche von 1.200 m2 unterschreitet, aber im räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit anderen großflächigen Einzelhandelsbetrieben steht, Auswirkungen entstehen, die Anlass für eine abweichende Beurteilung des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO geben (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Band 5, § 11 BauNVO RdNr. 84a). Im vorliegenden Fall kann aber von einem funktionalen Zusammenhang, etwa in Gestalt gemeinsamer Personalräume, Eingänge und einer gemeinsamen Anlieferung nicht die Rede sein, da der Betrieb der Beigeladenen - sogar mit Blick auf die Parkplätze - gänzlich autark ist. Jenseits dieser Fälle der funktionalen Einheit von Einzelhandelsbetrieben ist eine "summierende" Betrachtungsweise vom geltenden Recht nicht gedeckt (BVerwG, Urteil vom 04.05.1988 - 4 C 34.86 -, BauR 1988, 440). Schon der Wortlaut des 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO stellt auf den jeweiligen Einzelhandelsbetrieb ab. Jedenfalls in beplanten Gebieten ist eine vom einzelnen Betrieb gelöste Betrachtung von mehreren Einzelhandelsbetrieben in Bezug auf § 11 Abs. 3 BauNVO nicht zulässig, denn der Ortsgesetzgeber hat mit der (einschränkungslosen) Festsetzung eines Industriegebiets normativ festgelegt, wie die einzelnen Grundstücke genutzt werden dürfen. Steht ein Vorhaben mit dieser Festsetzung im Einklang, muss es zugelassen werden, es sei denn, es wäre ausnahmsweise mit Blick auf § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig (BVerwG, Urteil vom 04.05.1988, a.a.O.). Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte des § 11 Abs. 3 BauNVO bestätigt. Anlässlich der 3. Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass er das Problem der Agglomeration mehrerer Betriebe mit den in § 11 Abs. 3 BauNVO genannten Auswirkungen nicht gesondert regeln will. Vielmehr hat er auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Funktionseinheit im Hinblick auf das Vorhandensein eines Einkaufszentrums verwiesen und darüber hinaus wiederum unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere in § 15 BauNVO ein geeignetes, die örtlichen Verhältnisse berücksichtigendes Rechtsinstrument gesehen, um eine mit der geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht zu vereinbarende Agglomeration zu vermeiden (BRat-Drs. 354/89, S. 28). Diese Intention des Gesetzgebers, die im Wortlaut des § 11 Abs. 3 BauNVO ihren Niederschlag gefunden hat, zugrunde gelegt, kann in städtebaulicher Hinsicht nicht von einer atypischen Situation ausgegangen werden. Auch für eine Unzulässigkeit des Vorhabens im Einzelfall gemäß § 15 Abs. 1 BauNVO ist nichts ersichtlich. Denn diese müsste auf die Zulassung einer Erweiterung der Verkaufsfläche um 147 m² zurückgeführt werden. Führt hingegen - wie von der Klägerin behauptet - bereits die jetzige, von ihr genehmigte Situation zu einem immensen Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum von Rastatt und sind danach bereits jetzt negative Auswirkungen im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO gegeben, begründet - wie das Verwaltungsgericht zurecht ausgeführt hat - die allein in Rede stehende Erweiterung jedenfalls keine Atypik in städtebaulicher Hinsicht.

Unabhängig davon übersieht die Klägerin, dass die Annahme einer städtebaulichen Atypik die jeweilige Siedlungsstruktur nicht außer Betracht lassen darf. Je größer die Gemeinde oder der Ortsteil ist, in dem der Einzelhandelsbetrieb angesiedelt werden soll, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die potentiellen negativen städtebaulichen Folgen relativieren (BVerwG, Urteil vom 24.11.2005, a.a.O.). Bei der Stadt Rastatt handelt es sich um ein Mittelzentrum mit ca. 48.000 Einwohnern und damit um eine Standortgemeinde, bei der zur erwarten ist, dass sich die städtebaulich negativen Auswirkungen einer Verkaufsflächenerweiterung um 147 m2 in Grenzen halten. Dass der Nahversorgung dienende Einzelhandelsbetriebe in ihrer Existenz bedroht wären, sollte die Erweiterung genehmigt werden, hat die Klägerin nicht plausibel gemacht. Zwar mag sein, dass nach ihrem Einzelhandelskonzept eine dezentrale Versorgung erwünscht ist und der Betrieb der Beigeladenen die Nahversorgung nicht sichert. Das Vorliegen einer atypischen städtebaulichen Situation ist damit aber nicht hinreichend dargelegt.

Da das Vorhaben somit nicht den Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 BauNVO unterfällt und nicht nach § 15 Abs. 1 BauNVO ausnahmsweise unzulässig ist, steht die Erweiterung planungsrechtlich mit dem hier maßgeblichen Bebauungsplan "Karlsruher Straße" in der Fassung der 2. Änderung und der darin auch für das Baugrundstück getroffenen Festsetzung "Industriegebiet" im Einklang. Für eine Verletzung der Planungshoheit der Klägerin ist deshalb nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat und somit ein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, der Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Beschluss

vom 10. Juli 2006

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG n.F./ § 13 Abs. 1 GKG a.F. unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juni 2005 - 6 K 529/04 - für beide Rechtszüge auf je 30.000 EUR festgesetzt, da es im vorliegenden Fall nicht um die Klage auf Erweiterung der Verkaufsfläche, sondern um eine Klage der Gemeinde wegen Verletzung ihrer Planungshoheit geht, für die der Senat in Anlehnung an Ziff. 9.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 2004 (NVwZ 2004, 1327) - einen Streitwert von 30.000 EUR zugrunde legt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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